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VG München, Urteil v. 01.09.2021 – M 28 K 20.1336
Titel:

Klage gegen Erschließungsbeitragsbescheid für gefangenes Hinterliegergrundstück

Normenketten:
BauGB § 131 Abs. 1 S. 1, § 133 Abs. 1
BayKAG Art. 5a Abs. 1
BayBO Art. 4 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Ein gefangenes Hinterliegergrundstück ist in aller Regel dann erschlossen, wenn ein Fall der Eigentümeridentität vorliegt oder, bei Eigentümerverschiedenheit, wenn die Abweichungsvoraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 BayBO für ein Absehen von der Befahrbarkeit und/oder von der Widmung vorliegen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Begründung des Geh- und Fahrtrechts durch Grunddienstbarkeit zu Gunsten der jeweiligen Eigentümer des klägerischen Grundstücks allein sichert die erforderliche allgemeine Benutzbarkeit der über das Anliegergrundstück laufenden Privatzufahrt nicht hinreichend iSv Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unter dem Gesichtspunkt der schutzwürdigen Erwartungshaltung der übrigen Anlieger ist ein Grundstück als erschlossen anzusehen, wenn die Nichtheranziehung des Grundstücks zu mit der Interessenlage billigerweise nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, gefangenes Hinterliegergrundstück, Abweichungsvoraussetzung des Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO, rechtliche Sicherung der Benutzbarkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 26.04.2022 – 6 ZB 21.3233
Fundstelle:
BeckRS 2021, 38312

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 17. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes München vom 3. März 2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „R.“.
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Der Kläger ist (Mit-)Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr. 33 der Gemarkung … im Gebiet der Beklagten. In der R. wurden im Jahr 2004 Straßenbaumaßnahmen durchgeführt. Mit Eintragungsverfügung vom 24. Juni 2010 wurde die Straße zur O. straße gewidmet.
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Mit Bescheid vom 17. November 2014 setzte die Beklagte für das Grundstück des Klägers einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 10.942,56 € für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „R.“ fest.
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Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies das Landratsamt München mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2020 als unbegründet zurück, soweit in dem Bescheid ein Beitrag in Höhe von 8.729,97 € festgesetzt worden war. Soweit ein höherer Beitrag festgesetzt worden war, hob es den Bescheid auf. In den Gründen des Bescheids hieß es: Bei der R. handele es sich um eine zum Anbau bestimmte öffentliche Straße, aber nicht um eine historische Straße. Das klägerische Grundstück sei als gefangenes Hinterliegergrundstück zum Beitrag heranzuziehen, da die übrigen Anlieger der R. schutzwürdig seien und eine dingliche Sicherung zugunsten der öffentlichen Hand nicht mehr erforderlich sei, wenn zugunsten des Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eine Grunddienstbarkeit bestehe. Die Beitragsforderung sei auch nicht verjährt, da sachliche Beitragspflichten erst im Zeitpunkt der Widmung im Jahre 2010 entstanden seien. Der Bescheid der Gemeinde … sei allerdings insoweit rechtswidrig, als dass dort die im Eigentum der ... stehenden Grundstücke zu Unrecht nicht zum Beitrag herangezogen worden seien.
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Am 25. März 2020 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass die R. eine historische Straße sei, da sie am 30. Juni 1961 einen Ausbauzustand erreicht habe, der den damaligen Anforderungen an eine Erschließungsanlage genügt habe. Die übrigen Anlieger der R. könnten keine schutzwürdige Erwartungshaltung geltend machen, da das klägerische Grundstück erst durch den Umbau der A* … Straße zum gefangenen Hinterliegergrundstück geworden sei und dementsprechend der Eigentümer der Fl.Nr. 33/5 auch nicht vom Kläger, sondern vom Träger des Straßenumbaus für die Vereinbarung der Grunddienstbarkeit auf seinem Grundstück entschädigt worden sei. Zudem sei die Aufwandsermittlung fehlerhaft, da die Beitragshöhe nicht nachvollziehbar sei. Im Übrigen seien die Beitragspflichten verjährt, da die Widmung keine Beitragspflichten (mehr) habe entstehen lassen können und die Umbaumaßnahmen bereits im Jahr 2004 abgeschlossen worden seien.
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Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts München vom 3. März 2020 aufzuheben und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Ihrer Ansicht nach sei die R. keine historische Straße, da eine vermehrte Bebauung erst in den 1970er Jahren erfolgt sei, keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung vorhanden gewesen sei und es an einem frostsicheren Unterbau gefehlt habe. Das klägerische Hinterliegergrundstück sei im Hinblick darauf, dass mit der Grunddienstbarkeitsbestellung vom 29. Oktober 1973 dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 33 ein immerwährendes Geh- und Fahrtrecht an dem Grundstück Fl.Nr. 33/5 zugestanden worden sei, als zur R* … erschlossen einzustufen. Neben dieser Grunddienstbarkeit sei eine zusätzliche dingliche Sicherung zugunsten der öffentlichen Hand nicht erforderlich.
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In zwei Parallelverfahren klagt die Beklagte ihrerseits gegen zwei Widerspruchsbescheide des Landratsamts München, soweit mit diesen die Erschließungsbeitragsbescheide der Beklagten mit der Begründung, dass die Grundstücksflächen der Park-and-Ride-Anlage der … … hätten berücksichtigt werden müssen, teilweise aufgehoben wurden (M 28 K 20.1383 und M 28 K 20.1384).
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Am 1. September 2021 fand mit den Beteiligten eine mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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A. Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 17. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts München vom 3. März 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger somit in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid beruht auf Art. 5a Abs. 1 KAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Gemeinde Feldkirchen vom 19. April 2010 (Erschließungsbeitragssatzung - EBS).
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Nach diesen Vorschriften erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bzw. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 BayKAG). Der Erschließungsaufwand umfasst dabei u.a. die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht unbeschadet weiterer Voraussetzungen mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB).
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2. Für die streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahmen in der R. konnte für das klägerische Grundstück ein Erschließungsbeitrag nicht rechtmäßig festgesetzt werden. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der R. - wie von der Klagepartei geltend gemacht - um eine sog. „historische Straße“, die als vorhandene Erschließungsanlage gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (vgl. auch § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen wäre, handelt. Denn das Grundstück des Klägers hätte, da es im maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten nicht i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die R* … erschlossen war und somit keinen beitragsrechtlich relevanten Vorteil erfahren hat, jedenfalls nicht bei der Aufwandsverteilung berücksichtigt werden dürfen.
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Voraussetzung für die Heranziehung wäre nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 29.4.2016 - 6 CS 16.58 - juris Rn. 8 ff. m.w.N.) im Grundsatz, dass das betreffende Grundstück gerade mit Blick auf die abzurechnende A. straße - im Fall der Zweiterschließung unter Hinwegdenken der Ersterschließung - bebaubar wird, insbesondere also die für seine Nutzung erforderliche verkehrsmäßige Erschließung erhält. Erforderlich ist hierfür jedenfalls eine qualifizierte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Anlage, die auf die erschließungsbeitragsrechtlich relevante - bauliche, gewerbliche oder vergleichbare - Ausnutzbarkeit des Grundstücks ausgerichtet ist. Das Bauplanungsrecht verlangt für die Bebaubarkeit eines Grundstücks regelmäßig dessen Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen (Heranfahrenkönnen), das Bauordnungsrecht fordert nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO im Grundsatz, dass das Grundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt. Diese baurechtliche Betrachtung bedarf bei einem Hinterliegergrundstück, das diese Anforderungen definitionsgemäß nicht erfüllen kann, darüber hinaus einer ergänzenden Bewertung: Ein gefangenes Hinterliegergrundstück, d.h. ein Hinterliegergrundstück, das ausschließlich über die vorgelagerten Anliegergrundstücke eine Verbindung zum gemeindlichen Verkehrsnetz hat, ist in aller Regel dann erschlossen, wenn ein Fall der Eigentümeridentität vorliegt oder, bei Eigentümerverschiedenheit, wenn die Abweichungsvoraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 BayBO für ein Absehen von der Befahrbarkeit und/oder von der Widmung vorliegen. So ist bei einem Wohnweg begrenzter Länge in Gestalt einer befahrbaren Privatzufahrt über das Anliegergrundstück gemäß Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO die Widmung entbehrlich, wenn gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsicht rechtlich gesichert ist, dass der Wohnweg sachgerecht unterhalten wird und allgemein benutzt werden kann.
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Gemessen hieran gilt für das streitgegenständliche Grundstück Folgendes:
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Vorliegend handelt es sich bei dem klägerischen Grundstück um ein gefangenes Hinterliegergrundstück im obigen Sinne. Denn zum einen wird es durch das (nicht im klägerischen Eigentum stehende) Anliegergrundstück mit der Fl.Nr. 33/5, Gemarkung Feldkirchen, von der abzurechnenden Erschließungsanlage getrennt. Zum anderen verfügt das klägerische Grundstück über keine andere Verbindung zum gemeindlichen Verkehrsnetz, sodass dem klägerischen Grundstück durch die abgerechnete A. straße die einzige verkehrsmäßige Erschließung vermittelt wird. Die ehemalige Zufahrt auf die A. Straße, an der das klägerische Grundstück unmittelbar anliegt, ist im Zuge des Umbaus der Bundesstraße in den 1970er Jahren entfallen.
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Die mangels Eigentümeridentität zusätzlich entsprechend den Maßgaben des Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO zu prüfenden Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben, da gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsicht im alleine maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten nicht rechtlich hinreichend gesichert war, dass die Zufahrt über das Anliegergrundstück sachgerecht unterhalten wird und allgemein benutzt werden kann (nachfolgend a). Auch unter dem Gesichtspunkt der schutzwürdigen Erwartungshaltung der übrigen Anlieger der R* … ist das klägerische Grundstück nicht als erschlossen im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB anzusehen bzw. jedenfalls nicht beitragspflichtig im Sinne von § 133 Abs. 1 BauGB (nachfolgend b).
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a) Im Fall des Klägers fehlte es im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten an einer ausreichenden Sicherung der Zufahrt über das Anliegergrundstück.
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Im vorliegenden Fall sind die sachlichen Beitragspflichten entstanden, als die R. im Jahr 2010 zur O. straße gewidmet wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Zufahrt über das Anliegergrundstück zwar für den Kläger selbst gesichert, da dem jeweiligen Eigentümer des klägerischen Grundstücks mittels notariellem Vertrag vom 29. Oktober 1973 ein immerwährendes Geh- und Fahrtrecht an dem Anliegergrundstück eingeräumt und dieses Recht auch mittels einer Grunddienstbarkeit dinglich gesichert worden war. Gegenüber dem Freistaat Bayern als Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde (vgl. hierzu Art. 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 BayBO), war die sachgerechte Unterhaltung und allgemeine Benutzung der Zufahrt über das Anliegergrundstück jedoch nicht hinreichend rechtlich gesichert.
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Dabei kann dahinstehen, ob diese rechtliche Sicherung einer allgemeinen Nutzung bedeutet, dass zumindest eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde bestellt sein muss (sog. „Doppelsicherung“; BayVGH, B.v. 22.4.2009 - 6 ZB 07.1625 - juris Rn. 5; B.v. 2.12.2005 - 6 CS 05.1522 - juris Rn. 16) oder, ob eine „Einfachsicherung“ in Verbindung mit der Verpflichtung gegenüber der Beklagten, diese nur mit deren Zustimmung zu löschen und diese Verpflichtung an etwaige Rechtsnachfolger weiterzugeben, ausreichend ist (BayVGH, U.v. 30.10.2014 - 15 B 13.2028 - juris Rn. 25; Wolf in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 142. EL, Mai 2021, Art. 4 Rn. 166, 181). Denn vorliegend war im maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten weder eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit zugunsten des Freistaats Bayern bestellt worden, noch hatte der Kläger eine Verpflichtungserklärung im o.g. Sinne beigebracht, die die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO erfüllen könnte. Die Begründung des Geh- und Fahrtrechts durch Grunddienstbarkeit zu Gunsten der jeweiligen Eigentümer des klägerischen Grundstücks allein sichert die erforderliche allgemeine Benutzbarkeit der über das Anliegergrundstück laufenden Privatzufahrt jedenfalls nicht hinreichend, da sich der Eigentümer des Anliegergrundstücks durch die Grunddienstbarkeit nicht verpflichtet, den Weg sachgerecht unterhalten oder allgemein benutzen zu lassen (Wolf in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 142. EL, Mai 2021, Art. 4 Rn. 180). Daran ändert hier auch die Tatsache, dass sich die Bundesrepublik Deutschland im notariellen Vertrag vom 29. Oktober 1973 dazu verpflichtet hat, für die Einräumung der Grunddienstbarkeit eine Entschädigung zu leisten, nichts. Zweck dieser Entschädigung dürfte lediglich gewesen sein, der damaligen Eigentümerin des Anliegergrundstücks einen billigen Ausgleich dafür zu gewähren, dass ihr Grundstück in Zukunft vom jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 33 als Zufahrt benutzt werden darf. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Entschädigungszahlung darüber hinaus auch eine allgemeine Benutzbarkeit des Anliegergrundstücks für „jedermann“ sicherstellen sollte, lassen sich hingegen weder dem notariellen Vertrag noch den Behördenakten im Übrigen entnehmen.
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Das Argument der Beklagtenseite, dass es der Kläger zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten theoretisch in der Hand gehabt hätte, dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde eine rechtliche Sicherung im o.g. Sinne zu verschaffen (sei es durch Abgabe eine Verpflichtungserklärung, sei es durch Bestellung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zu dessen Gunsten), rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung. Denn dies würde, da grundsätzlich jeder Eigentümer berechtigt ist, jederzeit derartige Rechtsakte vorzunehmen, im Ergebnis dazu führen, dass das Erfordernis einer hinreichenden rechtlichen Sicherung zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO leerliefe. Insbesondere kann es auch nicht als unzulässige Rechtsausübung oder als Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens angesehen werden, wenn sich der Kläger auf das Fehlen einer rechtlich gesicherten Zuwegung beruft. Denn die tatsächliche Inanspruchnahme der Erschließungsanlage begründet für sich, also ohne Vermittlung der Bebaubarkeit, keinen Erschließungsvorteil, der die Heranziehung zu einem Beitrag rechtfertigt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 29.4.2016 - 6 CS 16.58 - juris Rn. 17).
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b) Die übrigen Anlieger der R. dürfen nach den bestehenden tatsächlichen Verhältnissen auch nicht erwarten, dass das Grundstück des Klägers in die Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands einbezogen wird. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Nichtheranziehung des klägerischen Grundstücks zu mit der Interessenlage billigerweise nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde, etwa weil mit einer relevanten Inanspruchnahme der A. straße durch den Eigentümer des Hinterliegergrundstücks gerechnet werden muss (vgl. zu diesem „letzten Korrekturansatz“: BVerwG, U.v. 24.10.2010 - 9 C 1.09 - juris Rn. 34).
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Vorliegend wäre insofern zwar einerseits zu berücksichtigen, dass das Hinterliegergrundstück ausschließlich über die streitgegenständliche A. straße an das Straßennetz angebunden ist, sodass davon auszugehen sein dürfte, dass der Kläger die R. tatsächlich nutzt, um auf sein Grundstück zu gelangen. Andererseits wäre zu berücksichtigen, dass das klägerische Grundstück ursprünglich über die Bundesstraße erschlossen wurde und diese Zufahrt erst im Zuge des Umbaus in den 1970er Jahren entfallen ist. Hinzu käme, dass, mit Ausnahme des klägerischen Grundstücks, alle an der R. gelegenen beitragspflichtigen Grundstücke gewerblich genutzt werden, sodass davon auszugehen sein dürfte, dass die übrigen Anlieger die R. tatsächlich in einem weitaus größeren Maße als der Kläger in Anspruch nehmen.
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Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die Nichtheranziehung des klägerischen Grundstücks bei Zugrundelegung aller zu berücksichtigenden Umstände zu unbilligen Ergebnissen im Sinne der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung führen würde, hätte dies im Ergebnis nicht die Beitragspflicht des klägerischen Grundstücks zur Folge. Denn auch wenn das klägerische Grundstück in diesem Fall - zugunsten der übrigen Beitragspflichtigen - in die Verteilung einbezogen werden müsste, würde die Erschließungsanlage dem Kläger nach wie vor keinen beitragsfähigen Vorteil vermitteln, sodass Erschlossensein i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB und Beitragspflicht i.S.d. § 133 Abs. 1 BauGB (ausnahmsweise) auseinanderfallen würden. Den Fehlbetrag hätte letztlich die Gemeinde zu tragen (BayVGH, B.v. 29.4.2016 - 6 CS 16.58 - juris Rn. 18; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: April 2021, Rn. 854).
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B. Der Klage war daher mit der Kostenfolge der § 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO stattzugeben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).