Inhalt

VG München, Urteil v. 21.07.2021 – M 23 K 19.6303
Titel:

Öffnen und Betreten einer Wohnung durch die Polizei in Vollzugshilfe wegen akuter Kindeswohlgefährdung

Normenketten:
SGB VIII § 273
VwVfG § 43 Abs. 2 Alt. 5
GG Art. 13 Abs. 1
BV Art. 106 Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
PAG Art. 67 Abs. 1, Art. 75, Art. 81 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Aufgrund der gesetzlichen Wertung des Art. 67 Abs. 3 PAG iVm Art. 7 Abs. 2 S. 1 BayVwVfG, wonach – in entsprechender Anwendung – die ersuchende Behörde gegenüber der ersuchten Behörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Maßnahmen trägt, ist davon auszugehen, dass die Polizei selbstständig (nur) prüfen darf, ob der Ausgangsverwaltungsakt vollziehbar ist, ob unmittelbarer Zwang angewandt werden darf und schließlich, auf welche Art und Weise unmittelbarer Zwang angewandt wird, da anderenfalls die Polizei zur Gefahrenabwehr nicht in gebotener Dringlichkeit tätig werden könnte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeirecht, Vollzugshilfe, Öffnen und Betreten der Wohnung durch Polizeivollzugsbeamte, Inobhutnahme von Kindern, Inobhutnahme, minderjährige Kinder, Öffnen und Betreten von Wohnungen, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Erledigung, tiefgreifender Grundrechtseingriff, Kindeswohlgefährdung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 10.10.2022 – 10 B 22.798
Fundstelle:
BeckRS 2021, 38311

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

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Die Kläger, sorgeberechtigte Eltern von vier Kindern, begehren die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen im Rahmen einer erfolgten (und mittlerweile beendeten) Inobhutnahme der drei minderjährigen Kinder am 18. November 2019 durch das Kreisjugendamt …
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Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Familiengericht - vom 13. November 2019 wurde den Klägern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 273 ff. SGB VIII für die Kinder D., L. und M. vorläufig entzogen. Soweit den Klägern diese Rechte entzogen wurden, wurde die Ergänzungspflegschaft angeordnet und die Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger angeordnet. Zur Vollstreckung der Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger wurde vorsorglich unmittelbarer Zwang, ausgeführt durch das Jugendamt oder den Ergänzungspfleger unter Zuhilfenahme der Polizei, angeordnet. Zur Begründung führte das Familiengericht im Wesentlichen aus, das Jugendamt habe bereits am 25. Juli 2018 eine anonyme Kindeswohlgefährdungsmeldung erhalten, wonach die Wohnung der Familie völlig vermüllt sei und der Zustand der Kinder als verwahrlost zu bezeichnen wäre. Nach weiteren Ermittlungen durch die Behörde hätten sich Hinweise auf eine bestehende Kindeswohlgefährdung - insbesondere Verweigerung von Gesprächen mit dem Jugendamt seitens der Kläger, Angst von Nachbarn und Schulpersonal vor dem Kläger zu 1. - verdichtet, sodass eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich ohne Maßnahmen des Familiengerichts bei einer weiteren ungestörten Entwicklung eine erhebliche Schädigung der Kinder mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ließe, zu bejahen sei.
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Zur Durchsetzung des Beschlusses des Amtsgerichts München begaben sich Mitarbeiter des Kreisjugendamtes, der bestellte Ergänzungspfleger und Polizeivollzugsbeamte am 18. November 2019 gegen 7 Uhr zur klägerischen Wohnanschrift, um die drei minderjährigen Kinder in Obhut zu nehmen. Ausweislich zweier polizeilichen Aktenvermerke, ebenfalls vom 18. November 2019, hätten die Beamten den Kläger zu 1. vor Ort außerhalb des Wohnhauses angetroffen und ihn über die richterliche Anordnung in Kenntnis gesetzt. Da dieser erklärt habe, nicht kooperieren zu wollen und er die Maßnahmen nicht dulden werde, habe man ihn bis zum Abschluss der Maßnahmen in polizeilichen Gewahrsam genommen und, nach einer Durchsuchung zur Eigensicherung, auf die weniger als 200 Meter entfernte Dienststelle verbracht. Im Anschluss hätten die Polizeivollzugsbeamten an der Haustüre geklingelt, die sodann von der volljährigen Tochter der Kläger geöffnet worden sei. Diese hätte ihre Mutter hinzugerufen, die unvermittelt ausfallend geworden sei und versucht habe, die Beamten am Betreten der Wohnung zu hindern, weswegen selbige unmittelbaren Zwang in Form der Anwendung körperlicher Gewalt angedroht hätten. Da sich die Klägerin zu 2. weiterhin geweigert hätte zu kooperieren, habe man die Türe gewaltsam aufgedrückt, ihr angeboten, sich etwas über das bloße Nachthemd hinaus anzuziehen und sie aus der Wohnung gebracht. Nach Widerstand gegen das Hinausbringen aus der Wohnung habe man sie letztlich, da sie versucht habe, einen der Polizeibeamten zu beißen, gefesselt, durchsucht und ebenso zur Dienststelle verbracht. Im Anschluss seien die Beamten zur Wohnanschrift der Kläger zurückgekehrt und hätten dort mithilfe eines hinzugerufenen Schlüsseldienstes die Haustüre geöffnet. Nach Öffnung der Tür hätten die Beamten und Mitarbeiter des Jugendamtes die Wohnung betreten und eine konkrete Kindswohlgefährdung festgestellt. Die drei minderjährigen Kinder seien unverzüglich in Obhut genommen worden. Der Kläger zu 1. sei unmittelbar nach Abschluss der Maßnahmen aus der Dienststelle entlassen worden. Er habe die Dienstelle unverzüglich und ohne die Klägerin zu 2. verlassen, die unmittelbar im Anschluss, ebenso gegen 10 Uhr, entlassen worden sei. Man habe ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren, da sie lediglich mit Nachthemd und Hausschuhen bekleidet gewesen sei, was sie abgelehnt habe. Da die Klägerin zu 2. die Dienststelle - wohl um weiter zu versuchen, den Kläger zu 1. telefonisch zu erreichen - nicht habe verlassen wollen, habe man ihr einen „Platzverweis“ erteilt und diesen mittels Anwendung einfacher körperlicher Gewalt („durch die Tür schieben“) durchgesetzt.
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Am 18. Dezember 2019 erhoben die Kläger, vertreten durch die Klägerin zu 2. als Rechtsanwältin, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragen,
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1. hinsichtlich des Klägers zu 1. festzustellen, dass die Festnahme, die Verbringung zur Wache und die dortige Festsetzung rechtswidrig war sowie
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2. hinsichtlich der Klägerin zu 2. festzustellen, dass das Herauszerren aus dem Haus, die Festnahme, die Fesselung, das Verbringen zur Wache, die dortige Festsetzung und die Aussetzung vor der Wache rechtswidrig waren und
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3. hinsichtlich beider Kläger festzustellen, dass die Mitwirkung bei der Durchsuchung der Wohnung rechtswidrig war.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, das Kreisjugendamt hätte im Rahmen einer „Geheimaktion“ die Urlaubsabwesenheit der zuständigen Familienrichterin genutzt, um Maßnahmen im Wege einer einstweiligen Anordnung ohne gebotene Anhörung der Familie durchzusetzen. Der Kläger zu 1. sei von zwei Polizeibeamten festgenommen und zu deren Dienstwagen gebracht worden, obwohl er bekundet habe, dass er zu Fuß zur Wache gehen wolle und werde. Er habe sich weder verbal noch anderweitig gewehrt, sondern lediglich nach der Rechtsgrundlage für das Handeln der Beamten gefragt. Man habe ihn auf der Dienststelle über zwei Stunden in einem Dienstzimmer festgehalten. Ihm sei weder die einstweilige Anordnung gezeigt noch ausgehändigt worden. Nach der Festnahme des Klägers zu 1. hätten die Polizeibeamten, nicht die Mitarbeiter des Jugendamtes - entgegen der Vorschriften für die Durchführung von Vollzugshilfe - an der Haustüre der Kläger geklingelt und sich auch auf Nachfrage der Klägerin zu 2. nicht ausgewiesen. Obgleich die Klägerin zu 2. nur mit einem Nachthemd bekleidet gewesen wäre, hätten die Beamten unmittelbar den Fuß in die Tür gerammt, sie am Handgelenk gepackt und mit Gewalt fünf Treppenstufen hinunter über das Pflaster auf den Vorplatz des Hauses gezerrt. Die Maßnahme sei für die Klägerin zu 2. höchst peinlich gewesen, was die Polizei wohl beabsichtigt hätte. Obgleich sie bereits 1962 geboren sei und lediglich 55 Kilogramm wiege, habe ein Beamter, als sie zurück zur Wohnung habe gehen wollen, ihr den Arm auf den Rücken gedreht, ihren Kopf nach unten gedrückt und ihr unterstellt versucht zu haben, ihn zu beißen. Der Einsatz sei von mehreren Nachbarn beobachtet worden. Die alsdann mit Handschellen gefesselt und zur Wache verbrachte Klägerin zu 2. habe nicht unerhebliche Verletzungen (offene Schürfwunden am rechten Fußgelenk und große Einblutungen am rechten Handgelenk, die ärztlich dokumentiert worden seien) erlitten. Sie sei gefesselt bei Temperaturen um zwei Grad und lediglich mit einem Nachthemd bekleidet zu Fuß zur Wache verbracht worden. Auf der Wache sei es ihr zunächst verweigert worden, zu telefonieren. Bei ihrer Entlassung gegen 10:15 Uhr habe die Klägerin zu 2. darauf bestanden, noch in der Dienststelle zu warten, bis sie ihren Mann verständigen könne, allerdings hätten die Beamten ihr unverzüglich ein „Hausverbot“ erteilt und sie „vor die Tür gesetzt“. Auch bei der Wohnungsdurchsuchung hätten die Polizeibeamten rechtswidrig gehandelt.
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Der Beklagte trat der Klage mit Schriftsatz vom 17. Januar 2020 entgegen und beantragte schriftsätzlich unter dem 12. Februar 2020,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 17. Januar und 12. Februar 2020 im Wesentlichen ausgeführt, soweit die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme begehrten, sei der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet und die Streitsache an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu verweisen. Im Übrigen seien die Maßnahmen rechtmäßig gewesen, da die Polizei nach Art. 67 Abs. 3 PAG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 BayVwVfG Vollzugshilfe für das zuständige Jugendamt geleistet habe.
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Mit Schreiben vom 18. Februar 2020 trug die Klagepartei vor, dass der Verwaltungsrechtsweg für alle Maßnahmen eröffnet sei, da die Beamten das Haus primär deswegen betreten hätten, um Beweise zu sichern. Der Schwerpunkt der Klage seien nicht die erfolgten „Verhaftungen“ als solche, sondern deren menschenunwürdige Ausführung. Dass die Klägerin einen Polizeibeamten habe beißen wollen, sei eine absurde Schutzbehauptung der Polizisten.
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Auf diesbezügliche Aufforderung des Gerichts legte die Klagepartei mit Schreiben vom 7. Juni 2021 im Wesentlichen einen gegenüber der Klägerin zu 2. ergangenen Strafbefehl vom 12. März 2020 und einen darauffolgenden Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 10. Juni 2020 nach § 153 Abs. 2 StPO (815 Cs 262 Js 1133331/20) wegen tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte vor.
Weiterhin wurde ein Beschluss des Oberlandesgerichtes München vom 7. September 2020 (2 UF 3/20) vorgelegt, wonach ein Beschluss des Amtsgerichts München vom 20. Dezember 2019, mit dem den Klägern u.a. das Recht zur Aufenthaltsbestimmung hinsichtlich der Kinder entzogen worden war, auf die Beschwerde der Kläger aufgehoben worden war. Zur Begründung wurde seitens des Oberlandesgerichts im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kinder am 3. April 2020 nach einem Besuch des Hauses durch den Ergänzungspfleger in den elterlichen Haushalt zurückgebracht worden seien. Zwar habe das Jugendamt hiergegen Bedenken erhoben, da psychische Gewalt durch den Vater befürchtet werde und die Familie weiterhin keine Maßnahmen der Jugendhilfe annehme. Aufgrund summarischer Prüfung des Gerichts sei allerdings derzeit nicht von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen, da die Kläger die Zeit der Fremdunterbringung der Kinder genutzt hätten, um adäquate häusliche Verhältnisse herzustellen. Die wesentlichen kindeswohlgefährdenden Umstände, wie kaputte sanitäre Anlagen und zu kleine Kinderbetten, seien repariert worden. Auch hätten die Eltern gegenüber Dritten kein auffälliges Verhalten mehr gezeigt. Zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung mochte ein dringendes Bedürfnis einer Eilmaßnahme objektiv vorgelegen haben, allerdings könne dies nach der aktuellen Sachlage nicht mehr aufrechterhalten bleiben.
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Am 16. Juni 2021 fand die mündliche Verhandlung statt, in der das Verfahren im Hinblick auf eine vorzunehmende Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit hinsichtlich des Komplexes der Gewahrsamnahme (beginnend mit der Ingewahrsamnahme der Kläger bis zu deren Beendigung durch Verlassen der Polizeidienststelle) abgetrennt und unter dem Aktenzeichen M 23 K 21.3175 mit verkündetem Beschluss vom selben Tag an das Amtsgericht München verwiesen wurde.
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Mit Schriftsätzen vom 21. Juni 2021 und vom 16. Juli 2021 nahmen die Kläger ergänzend dahingehend Stellung, dass die Wohnungsdurchsuchung rechtswidrig gewesen sei, da die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten.
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In der am 21. Juli 2021 fortgesetzten mündlichen Verhandlung wurden die bei den Vorfällen am 18. November 2019 beteiligten Polizeivollzugsbeamten, PK E. und PHM H., als Zeugen vernommen. PK E. sagte hierbei im Wesentlichen aus, nach Öffnung der Wohnungstür durch den Schlüsseldienst hätten die zwei Polizeibeamten, der Ergänzungspfleger und zwei Mitarbeiter des Jugendamtes die Wohnung der Kläger betreten. Beide Polizeibeamten hätten sich während der Maßnahmen im Eingangsbereich der Wohnung aufgehalten und nichts durchsucht. Der Ergänzungspfleger sei in das erste Obergeschoss gegangen und habe dort zumindest das Bad der Kläger besichtigt. Er habe auch das untere Stockwerk in Augenschein genommen, nur der Keller sei nicht zugänglich gewesen. Ohne das vollzogene Hilfeersuchen des Jugendamtes hätte es keine polizeiliche Veranlassung gegeben, die Haustür der Kläger zu öffnen.
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Nach Aussage von PHK H. habe er im Treppenhaus nach Betreten der Wohnung gewartet. Weder er, noch sein Kollege hätten eine Durchsuchung durchgeführt. Die Mitarbeiter des Jugendamtes und der Ergänzungspfleger hätten sich durch das Haus bewegt, jedenfalls aber das Badezimmer der Kläger betreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschriften der öffentlichen Sitzung am 16. Juni und am 21. Juli 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Nach erfolgter Verweisung der Klageanträge 1. und 2. durch Beschluss vom 16. Juni 2021 (M 23 K 21.3175) an das Amtsgericht München als zuständiges Gericht verbleibt der Antrag in Ziff. 3 in der Entscheidungskompetenz des erkennenden Gerichts. Die diesbezügliche Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen „Mitwirkung bei der Durchsuchung der Wohnung“ ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Die Klage ist zulässig, da sich die Kläger auf ein hierfür erforderliches (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse berufen können. Erforderlich ist hierfür - da sich die polizeiliche Maßnahme im Sinne des § 43 Abs. 2 Alt. 5 VwVfG zweifelsohne und unbestritten erledigt hat - ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, nicht nur abstrakter Klärungsbedarf. Für ein berechtigtes (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse ist grundsätzlich jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art ausreichend (vgl. BVerwG, U.v. 12.9.1989 - 1 C 40.88 - juris Rn. 10; BVerwG, B.v. 11.11.2009 - 6 B 22.09 - juris Rn. 4). Nach gängiger Rechtsprechung kann sich ein solches Interesse insbesondere aus den Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung sowie der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch ergeben. Die gerichtliche Feststellung muss jedenfalls geeignet sein, die betroffene Position der Kläger zu verbessern (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 2 C 27.15 - juris Rn. 3; U.v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 7.3.2018 - 3 BV 16.2040 - juris Rn. 28).
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Ein anzuerkennendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich vorliegend daraus, dass die angegriffene Maßnahme mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, der sich typischerweise kurzfristig erledigt, verbunden gewesen war (BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 38/12 - juris Rn. 18). Von besonderem Gewicht sind insbesondere Grundrechtseingriffe, die das Grundgesetz selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. BVerfG, B.v. 5.7.2013 - 2 BvR 370/13 - BeckRS 2013, 54085) oder die besonders sensiblen Rechtsgüter wie etwa die körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG oder die Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99 - NJW 2002, 2456). Auch das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, B.v. 7.12.1998 - 1 BvR 831/89 - NVwZ 1999, 290/291 f.; B.v. 30.4.1997 - 2 BvR 817/90 u.a. - BVerfGE 96, 27/39 f. m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 3.5.1988 - 7 C 92.86 - NVwZ-RR 1990, 18/19; U.v. 21.11.1980 - 7 C 18.79 - BVerwGE 61, 164/166). Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind und daher ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen können, gehört regelmäßig auch eine Wohnungsdurchsuchung (vgl. BVerfG, B.v. 30.4.1997 - 2 BvR 817/90 u.a. - BVerfGE 96, 27/40).
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Nach dem Ergebnis der Zeugeneinvernahme am 21. Juli 2021 haben die Polizeivollzugsbeamten E. und H. die Wohnung der Kläger unter Öffnung der Haustüre mithilfe eines hinzugerufenen Schlüsseldienstes zweifelsohne betreten, während sich die Kläger in polizeilichem Gewahrsam befunden hatten. Hierin kann ein möglicher Eingriff in das Grundrecht der Kläger aus Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 106 Abs. 3 BV auf Unverletzlichkeit der Wohnung nicht ausgeschlossen werden. Dieses Grundrecht steht auch ausdrücklich unter Richtervorbehalt. Obwohl es die rechtskundigen Kläger im vorliegenden Fall im Wesentlichen versäumt haben darzulegen, worin die konkrete fortbestehende Grundrechtsbeeinträchtigung im Detail liegt, kann dies im vorliegenden Einzelfall an dieser Stelle dahinstehen, da den Klägern eine inhaltliche Überprüfung der Maßnahme dennoch zuzubilligen ist. Denn die rechtzeitige Erlangung gerichtlichen Eilrechtsschutzes war ihnen nicht möglich, weil - entgegen § 87 Abs. 2 FamFG - eine Zustellung des Gerichtsbeschlusses an die Kläger vor Beginn der Vollstreckung nicht belegt ist, mithin effektiver Rechtsschutz gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 13. November 2019 für die Kläger zeitnah nicht zu erreichen war. Daher steht den Klägern im vorliegenden, einer Verallgemeinerung nicht zugänglichen Einzelfall aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes eine gerichtliche inhaltliche Überprüfung der erfolgten Maßnahmen zu.
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Allerdings ist die Klage unbegründet. Die Kläger haben in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO keinen Anspruch auf die beanspruchte Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen, da diese rechtmäßig waren.
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Nach Art. 67 Abs. 1 PAG leistet die Polizei anderen Behörden auf Ersuchen Vollzugshilfe, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist, die anderen Behörden nicht über die hierzu erforderlichen Dienstkräfte verfügen und ihre Maßnahme nicht auf andere Weise selbst durchsetzen können. Dies umfasst folglich die Durchsetzung eines Verwaltungsaktes einer anderen Behörde durch die Polizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 67 PAG Rn. 6 ff.). Vorliegend hatte das Amtsgericht München mit Beschluss vom 13. November 2019 die Herausgabe von drei der vier Kinder der Kläger an den Ergänzungspfleger unter Anwendung unmittelbaren Zwangs durch das Jugendamt bzw. den Ergänzungspfleger - gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Polizei - angeordnet. Diese vom Amtsgericht angeordnete Zuhilfenahme der Polizei ist, wie auch vom Beklagten zutreffend angenommen, ohne weiteres als Fall der Vollzugs- bzw. Schutzhilfe zu qualifizieren, vorliegend für das Jugendamt bzw. den Ergänzungspfleger zur Vollstreckung von Beschlüssen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. § 87 Abs. 3 FamFG in Verbindung mit § 758 ZPO).
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Umstritten in der Literatur ist im Rahmen der Vollzugshilfe, wer die Verantwortung für diesbezüglich erlassene Maßnahmen trägt (vgl. zum Streitstand: Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 67 PAG Rn. 57 ff.). Aufgrund der gesetzlichen Wertung des Art. 67 Abs. 3 PAG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG, wonach - in entsprechender Anwendung - die ersuchende Behörde gegenüber der ersuchten Behörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Maßnahmen trägt, ist davon auszugehen, dass die Polizei selbstständig (nur) prüfen darf, ob der Ausgangsverwaltungsakt vollziehbar ist, ob unmittelbarer Zwang angewandt werden darf und schließlich, auf welche Art und Weise unmittelbarer Zwang angewandt wird (so auch: Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 67 PAG Rn. 62), da anderenfalls die Polizei zur Gefahrenabwehr nicht in gebotener Dringlichkeit tätig werden könnte. Über die Rechtmäßigkeit der Grundmaßnahme, hier das Eingreifen des Jugendamts bzw. des Ergänzungspflegers auf Anordnung des Amtsgerichts, hat die Polizei hingegen nicht zu befinden.
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Diese (engen) Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Der familiengerichtliche Beschluss vom 13. November 2019 war grundsätzlich unanfechtbar, jedenfalls vollziehbar und erging ersichtlich wegen Dringlichkeit, da von dort sofortiger Handlungsbedarf wegen akuter Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde. Unmittelbarer Zwang wurde erforderlichenfalls ausdrücklich angeordnet. Die Voraussetzungen des unmittelbaren Zwangs (Art. 75 PAG in Verbindung mit Art. 77 ff. PAG) lagen hier zumindest in Gestalt der Gewalteinwirkung gegen die Tür (vgl. hierzu Finke, JAmt 2011, 251 (255)) vor, da die Türe ohne Anwesenheit der Kläger nicht geöffnet werden konnte und sich andere Wege des Zutritts zur Wohnung den Polizisten nicht aufdrängten, wie dies die Zeugeneinvernahme belegte. Auch eine gesonderte Androhung des Zwangs gegenüber den Klägern war wegen Art. 81 Abs. 1 Satz 2 PAG nicht erforderlich. Somit verblieb in der Verantwortung der Polizeibeamten lediglich noch die Art und Weise der Ausführung der Maßnahmen. Dass die Polizeivollzugsbeamten hier im Rahmen der Vollzugs- bzw. Schutzhilfe exzessartig - und damit rechtswidrig - gehandelt hätten, vermag das Gericht aus den Umständen nicht erkennen. Letztendlich verkennen die Kläger, dass die grundsätzliche Verantwortung für das „ob“ des Betretens und des Verweilens in der Wohnung bei dem Ergänzungspfleger bzw. den Mitarbeitern des Jugendamtes, keinesfalls aber bei den Polizeibeamten - die diese ohne genannte Beteiligte nach glaubhaften Angaben in der Zeugeneinvernahme am 21. Juli 2021 weder angeordnet noch durchgeführt noch Veranlassung hierfür gehabt hätten - gelegen hatte. Dies steht nach besagter Zeugeneinvernahme zur Überzeugung der Kammer fest, da die Zeugen übereinstimmend und glaubhaft darlegten, dass die Notwendigkeit des Betretens der Wohnung vom Ergänzungspfleger und den Mitarbeitern des Jugendamtes gesehen worden war, da mindestens eines der minderjährigen Kinder dort vermutet wurde. Hierfür spricht auch - wenn auch die Wahrnehmungen der Polizeibeamten ob deren Aufenthaltsorts in der klägerischen Wohnung in Teilen nicht gänzlich übereinstimmen -, dass die Nachschau in der Wohnung und die Feststellung einer etwaigen Kindeswohlgefährdung, insbesondere durch Besichtigung bestimmter Räumlichkeiten (bspw. Bad) im Kern durch den Ergänzungspfleger und die Mitarbeiter des Jugendamtes durchgeführt wurde, jedenfalls die beteiligten Polizisten diese Maßnahmen nur sichernd begleiteten. Bei Jugendamt bzw. Ergänzungspfleger liegt damit auch weiterhin die Verantwortlichkeit für die Anordnung des Betretens der Wohnung, deren Rechtmäßigkeit die Polizeivollzugsbeamten über die genannten Voraussetzungen hinaus nicht zu überprüfen hatten. Ein etwaiger und von Klägerseite thematisierter hierüber hinausgehender Exzess der Polizeibeamten, beispielsweise durch nicht erforderliche Durchsuchungen in der Wohnung der Kläger (hierzu sogleich), erfolgte nicht und macht die polizeiliche Sekundärmaßnahme damit auch nicht unverhältnismäßig im Sinne des Art. 4 PAG. Für einen derartigen Ansatz gibt es nach durchgeführter Beweiserhebung zur Überzeugung des Gerichts keinen Anhalt. Sowohl das Öffnen der Wohnungstüre wie das Betreten der Wohnung und dortige Verweilen durch die Polizeivollzugsbeamten erweist sich im Hinblick auf im Wege der einstweiligen Anordnung gerichtlich angenommenen Kindeswohlgefährdung als geeignet, erforderlich und angemessen, folglich als rechtmäßig. Insbesondere ist dem Gericht auch nicht ersichtlich, welche weniger beeinträchtigenden Maßnahmen aus ex-ante-Sicht die Durchsetzung des amtsgerichtlichen Beschlusses hätten ermöglichen sollen.
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Eine von Klägerseite angenommene und polizeilicherseits darüberhinausgehend eigenständig angeordnete Wohnungsdurchsuchung (Art. 23 ff. PAG) vermag das Gericht indes nicht zu erkennen. Eine Durchsuchung einer Wohnung läge dann vor, wenn staatliche Organe ziel- und zweckgerichtet nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, insbesondere einer Gefahrenquelle suchen. Mit einer Durchsuchung soll etwas aufgespürt werden, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht herausgeben oder offen legen will (vgl. BVerfG, E.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54/73). Die Durchsuchung erschöpft sich damit nicht in einem Betreten der Wohnung, sondern umfasst als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen (BVerfG, B.v. 16.6.1987 - 1 BvR 1202/84 - BverfGE 76, 83/89). Demgegenüber kann eine Wohnung auch zur Vornahme weiterer Amtshandlungen betreten werden, ohne dass von einer Durchsuchung auszugehen ist. So stellt beispielsweise die Besichtigung einer Wohnung zur Feststellung, ob deren Inhaber seinen Beruf ordnungsgemäß ausübt, keine Durchsuchung dar (BVerwG, U.v. 25.8.2004 - 6 C 26/03 - BVerwGE 121, 345). Kennzeichnend für eine Durchsuchung ist demgegenüber die Absicht, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereiches, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann (BVerwG, U.v. 25.8.2004 - 6 C 26/03 - BVerwGE 121, 345/349). Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer „Durchsuchung“. Selbst die bloße Aufforderung an die sich in einer Wohnung aufhaltenden Personen, den Raum zu verlassen, stellt noch keine Durchsuchung der Wohnung dar, weil damit die öffentliche Gewalt nicht in der für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben des Bürgers und in die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, eindringt (BVerwG, U.v. 25.8.2004 a.a.O. BVerwGE 121, 345/349; U.v. 6.9.1974 - I C 17.73 - BVerwGE 47, 31/37). Ein bloßes „Betreten“ der Wohnung liegt hingegen vor, wenn die polizeiliche Maßnahme dazu dient, einen Gegenstand zu suchen, der aufgrund seiner Größe beim Betreten der Wohnung ohne weiteres und unvermeidlich wahrnehmbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 6.9.1974 a.a.O. BVerwGE 47, 31/37). Dies gilt entsprechend auch für das Aufspüren von Personen.
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Letzteres war vorliegend der Fall. Die Polizeivollzugsbeamten durften unter Kenntnis des familiengerichtlichen Beschlusses vom 13. November 2019 aus ex-ante-Sicht davon ausgehen, dass sich die Kinder der Kläger noch in der Wohnung aufhielten oder aufhalten und eine akute Kindeswohlgefährdung gegeben sein könnte. Demzufolge ist es unerheblich, ob sich im Nachhinein herausstellte, dass damals keine Kindeswohlgefährdung vorgelegen bzw. die Kinder teilweise die Wohnung bereits verlassen hatten, da jedenfalls eine Anscheinsgefahr vorlag. Dies berechtigt die Polizei zweifelsohne zum Betreten der Wohnung, um die vermeintliche Kindeswohlgefährdung - mithin eine Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Satz 1 PAG - zu unterbinden. Auch wenn die Zeugenaussagen der Polizeibeamten in Teilen nicht übereinstimmten, nämlich darin, welche Räume konkret betreten wurden, gibt es für das Gericht keinerlei Anhaltspunkte, dass sie über das Betreten der Wohnung und sichernde Nachschau hinaus eigenständige Durchsuchungshandlungen, wie etwa das zielgerichtete Suchen nach Gegenständen, vorgenommen hätten. Dies hat die Zeugeneinvernahme zur Überzeugung des Gerichts zweifelsohne belegt.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.