Titel:
Fiktionsbescheinigung im Rahmen des Fahrerlaubniserwerbs zur Identitätsfeststellung unzureichend
Normenketten:
StVG § 2 Abs. 6
FeV § 16 Abs. 3 S. 3, § 17 Abs. 5 S. 2, § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 81 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Ein amtlicher Nachweis von Tag und Ort der Geburt iSv § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV kann grundsätzlich auch mit einer Aufenthaltsgestattung erbracht werden, die den Vermerk enthält, dass die Angaben zur Person auf den eigenen Angaben beruhen, sofern keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben bestehen. Für vergleichbare Dokumente wie Duldungsbescheinigungen, Reiseausweise oder elektronische Aufenthaltstitel gilt Entsprechendes. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der an den Sachverständigen oder Prüfer gerichteten Verpflichtung, sich durch Einsichtnahme in den Personalausweis oder Reisepass oder in ein sonstiges Ausweisdokument von der Identität des Bewerbers zu überzeugen, soll ausgeschlossen werden, dass jemand anderes die Fahrprüfung ablegt als derjenige, der die Fahrerlaubnis beantragt hat. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Entscheidung, ob eine vom Fahrerlaubnisbewerber vorgelegte Urkunde für den Identitätsnachweis beim Fahrerlaubniserwerb ausreicht, muss von der Fahrerlaubnisbehörde bei der Antragstellung getroffen werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Fiktionsbescheinigung (vgl. § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG) ist selbst nicht mit einem Lichtbild versehen und unterscheidet sich insoweit in einem maßgeblichen Punkt von Aufenthaltsgestattungen, Duldungsbescheinigungen oder Reiseausweisen, die jeweils selbst ein Lichtbild aufweisen und damit einen Identitätsabgleich ermöglichen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrerlaubniserwerb, Identitätsfeststellung, Fiktionsbescheinigung, Ausweisdokument, Lichtbild
Fundstelle:
BeckRS 2021, 37858
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung.
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Der nach eigenen Angaben 1994 geborene Kläger reiste im August 2004 mit seinen Eltern in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Die Staatsangehörigkeit des Klägers ist ungeklärt. Der Asylantrag wurde im September 2007 abgelehnt und der Kläger erhielt in der Folge Duldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und ab 10. November 2011 bis 21. Mai 2014 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG in Form eines elektronischen Aufenthaltstitels, der u.a. ein Lichtbild und einen Vermerk „Ausweisersatz“ enthält. Seit Ablauf dieses Aufenthaltstitels erhält der Kläger Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, zuletzt verlängert bis 29. Oktober 2021, die selbst nicht mit einem Lichtbild versehen sind.
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Der Bevollmächtigte bat die Beklagte (Schreiben v. 26.2.2019) unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2016 um Bestätigung, dass - nach positivem Bestehen von theoretischer und praktischer Fahrprüfung - keine weiteren Bedenken gegen eine Fahrerlaubniserteilung bestünden.
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Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 8. März 2019 unter dem Betreff „Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis“, dass nach den ministeriellen Vorgaben bei Beantragung einer Fahrerlaubnis eine Fiktionsbescheinigung alleine nicht als ausreichender Nachweis über die Identität anzusehen sei. Daher seien zur Antragstellung zusätzliche Unterlagen zum Identitätsnachweis vorzulegen. Ein solcher Nachweis sei z.B. eine Geburtsurkunde. Falls der Kläger solche Dokumente bzw. eine beglaubigte oder übersetzte Kopie vorlegen könne, sei eine Antragstellung möglich.
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Der Bevollmächtigte führte mit Schreiben vom 10. April 2019 u.a. aus, dass dem Führerschein keine Ausweisfunktion zukomme. §§ 2 Abs. 6 StVG, 21 Abs. 1 FeV sollten sicherstellen, dass der Fahrerlaubniserwerber das für die Erteilung der angestrebten Fahrerlaubnis erforderliche Mindestalter habe, was bei dem Kläger nicht ernsthaft zweifelhaft sei. Für den Abgleich des Tages und des Ortes der Geburt sowie des Namens des Fahrerlaubnisinhabers mit den für die Fahrerlaubniserteilung relevanten Registern genüge der Aufenthaltstitel.
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Im Rahmen einer Vorsprache bei der Beklagten am 13. Mai 2019 legte der Kläger eine Fiktionsbescheinigung vom 25. April 2019 vor. Eine Verlängerung des Aufenthaltstitels sei bei der Ausländerbehörde beantragt worden. Diesbezüglich sei ein gerichtliches Verfahren anhängig.
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Laut einem Schreiben der Ausländerbehörde (v. 21.2.2018) sei nach dem abschließenden Bericht des Korrespondenzanwaltes der Deutschen Botschaft Eriwan im Ergebnis festzuhalten, dass die Angaben der Familie nicht hätten bestätigt werden können. Geburtseinträge zu den betreffenden Personen seien in den Geburtenbüchern der entsprechenden Geburtsjahre nicht vorhanden gewesen. Es sei daher begründet davon auszugehen, dass es sich bei den gemachten Angaben zu den Personalien um Falschangaben handle und die Identität weiterhin nicht geklärt sei.
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Die Beklagte teilte dem Bevollmächtigten mit (Schreiben v. 2.7.2019), dass mangels Klärung der Identität nicht ausgeschlossen sei, dass fahrerlaubnisrechtlich relevante Daten nicht in vollem Umfang in Erfahrung gebracht werden könnten. Ein Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis könne vom Kläger daher nicht gestellt werden.
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Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 18. Juni 2020 Klage erheben und beantragte neben der Zulassung zur Führerscheinprüfung zunächst die Aufhebung des Bescheids vom 2. Juli 2019. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger staatenlos sei und 2004 zusammen mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Der gestellte Asylantrag sei abgelehnt worden und der Kläger zunächst im Besitz einer Duldung und dann eine Aufenthaltserlaubnis gewesen. Seit 2014 würden dem Kläger Fiktionsbescheinigungen erteilt. § 21 Abs. 3 Nr. 1 FeV verlange einen amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt. Sinn und Zweck dieser Anforderung sei die Feststellung des Alters des Antragstellers. Der Kläger sei am …1994 geboren und augenscheinlich älter als 18 Jahre. Das Alter des Klägers ergebe sich auch aus dem elektronischen Aufenthaltstitel, der mit einem Bild versehen sei, und der Fiktionsbescheinigung. Diese Papiere würden auch für den Sachverständigen oder Prüfer, um sich vor der theoretischen oder praktischen Fahrprüfung davon zu überzeugen, dass der Prüfling mit dem Antragsteller identisch ist, genügen. Gleiches gelte für die Identitätsfeststellung vor Aushändigung des Führerscheins. Des Weiteren wurde u.a. auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2016 Bezug genommen.
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Die Beklagte führte hierzu zur Begründung im Wesentlichen aus, dass aus der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hervorgehe, dass aufenthaltsrechtliche Bescheinigungen keine ausreichenden Nachweise im Sinne von § 2 Abs. 6 StVG und § 21 Abs. 1 und 3 FeV darstellten, wenn konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Personenangaben bestünden. Derartige Zweifel ergäben sich im vorliegenden Fall aus der den Kläger betreffenden Ausländerakte. Die Frage, ob eine Fiktionsbescheinigung nicht bereits grundsätzlich als ausreichender Nachweis ungeeignet sei, komme es daher nicht mehr an.
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Hierauf erwiderte der Bevollmächtigte (Schriftsatz v. 17.2.2021) u.a., dass es zwar richtig sei, dass die Identität des Klägers nicht als geklärt angesehen werden könne, da es ihm bisher nicht möglich gewesen sei, Identitätspapiere vorzulegen. Allerdings könne nicht behauptet werden, dass seine Angaben zur Person falsch seien. Der Kläger verfüge über eine Fiktionsbescheinigung und über einen abgelaufenen Aufenthaltstitel mit Lichtbild und sei damit im Besitz von amtlichen Papieren, sodass ein amtlicher Nachweis von Tag und Ort der Geburt geführt werden könne. Die Aufklärung der Identität werde dadurch erschwert, dass die Eltern des Klägers während der Sowjetzeit in der armenischen Republik geboren seien, aber einen eher in Aserbaidschan üblichen Namen tragen würden. Nachdem sich die Republiken Armenien und Aserbaidschan für unabhängig erklärt hätten, habe dies immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Aufgrund dieser Feindschaft seien auch Personen aus ihren angestammten Gebieten vertrieben und in den Registern Löschungen vorgenommen worden. Dies sei wohl auch der Grund, weshalb die Eltern des Klägers keine weiteren Identitätspapiere erhielten. Der Kläger absolviere zurzeit eine Ausbildung als Rohrleitungsbauer und sein Ausbildungsbetrieb fordere eine Fahrerlaubnis, da er sonst seine Ausbildung nicht fortsetzen könne.
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Nach gerichtlichem Hinweis wurde bei der Beklagten mit Schriftsatz vom 26. März 2021 die Zulassung zur Führerscheinprüfung bzw. Erteilung eines Prüfauftrags an die technische Prüfstelle nach § 21 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 FeV unter Vorlage von Passbildern, Sehtestbescheinigung sowie Erste-Hilfe-Bescheinigung beantragt.
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Mit Bescheid vom 10. Mai 2021 versagte die Beklagte dem Kläger die beantragte Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen und lehnte die beantragte Zulassung zu Fahrerlaubnisprüfung bzw. Erteilung eines Prüfauftrages ab. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen auf Mitteilungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 12. Juni 2017 und 6. Juni 2019 gestützt, wonach zusätzliche Dokumente zum Nachweis der Identität vorzulegen seien und im Einzelfall geprüft werden müsse, ob konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Personenangaben bestünden, wobei Zweifel zulasten des Bewerbers gingen. Beim Kläger sei die Identität nicht geklärt und es müsse davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Angaben zu den Personalien um Falschangaben handele. Es bestehe damit ein rechtlicher Hinderungsgrund für die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis.
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Der Klägerbevollmächtigte beantragte zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 10. Mai 2021 zu der theoretischen und praktischen Führerscheinprüfung zuzulassen und einen entsprechenden Prüfauftrag zu erteilen.
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Die Beklagte beantragte,
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Mit Beschluss der Kammer vom 28. Juli 2021 wurde Prozesskostenhilfe wegen offener Erfolgsaussichten in der Hauptsache bewilligt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg.
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I. Die Klagen sind zulässig, insbesondere statthaft.
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Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft (vgl. §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 113 Abs. 4 VwGO). Bei der begehrten Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung bzw. Erteilung eines Prüfauftrags an die zuständige technische Prüfstelle für Kraftfahrzeugverkehr (§ 22 Abs. 4 Satz 1 FeV) handelt es sich, mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG), um ein sonstiges Verwaltungshandeln, das mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 - 11 C 18.1631 - juris Rn. 15).
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Die erhobene Anfechtungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gegen den Ablehnungsbescheid vom 10. Mai 2021 ist ebenfalls statthaft, da die angefochtene Entscheidung einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG darstellt.
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Soweit der Klägerbevollmächtigte zunächst die Aufhebung des Schreibens der Beklagten vom 2. Juli 2019 begehrte und nunmehr den Anfechtungsantrag gegen den Bescheid vom 10. Mai 2021 richtet, handelt es sich hierbei um eine sachdienliche und damit zulässige Klageänderung i.S.v. § 91 Abs. 1 VwGO. Im Übrigen ist die Einwilligung der Beklagten in die Änderung der Klage anzunehmen, da sie ihr nicht widersprochen und sich in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat (vgl. § 91 Abs. 2 VwGO).
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II. Die Klagen sind jedoch unbegründet.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zulassung zur theoretischen und praktischen Fahrerlaubnisprüfung bzw. auf Erteilung eines Prüfauftrags an die technische Prüfstelle.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im vorliegenden Fall die Fiktionsbescheinigung in Verbindung mit dem seit 22. Mai 2014 nicht mehr gültigen elektronischen Aufenthaltstitel als tauglicher Identitätsnachweis i.S.v. § 2 Abs. 6 StVG i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV und §§ 16 Abs. 3 Satz 3 FeV und § 17 Abs. 5 Satz 2 FeV anzusehen ist. Dies im Ergebnis zu verneinen.
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Nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV hat, wer die Erteilung einer Fahrerlaubnis beantragt, dem Antrag einen amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt beizufügen. Mit dem Nachweis, von Tag und Ort der Geburt soll zum einen sichergestellt werden, dass der Fahrerlaubnisbewerber das für die Erteilung der angestrebten Fahrerlaubnis erforderliche Mindestalter hat. Darüber hinaus sind Tag und Ort der Geburt neben dem Namen des Fahrerlaubnisbewerber die wichtigsten Identifikationsmerkmale um die Feststellung fahreignungsrelevanter Tatsachen in den maßgeblichen Registern durch Abgleich zu ermöglichen. Einen darüber hinausgehenden Zweck hat das Nachweiserfordernis nicht, insbesondere kommt dem Führerschein keine Ausweisfunktion zu (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 - 3 C 16/15 - juris Rn. 14 f.). Ein amtlicher Nachweis von Tag und Ort der Geburt i.S.v. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich auch mit einer Aufenthaltsgestattung erbracht werden, die den Vermerk enthält, dass die Angaben zur Person auf den eigenen Angaben beruhen, sofern keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 a.a.O. Rn. 16). Die Reichweite dieser höchstrichterlichen Entscheidung ist nicht auf den Einzelfall einer Aufenthaltsgestattung beschränkt, sondern auf vergleichbare Dokumente wie Duldungsbescheinigungen, Reiseausweise oder elektronische Aufenthaltstitel übertragbar (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 - 11 C 18.1631 - juris Rn. 17; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 21 FeV Rn. 30).
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Zunächst ist festzustellen, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Kläger nicht das für die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis notwendige Mindestalter hat. Auch von Beklagtenseite wurde dies nicht geltend gemacht.
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Die Beklagte sieht die vorgelegten Dokumente nicht als ausreichenden Nachweis i.S.v. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV an und stützt dies darauf, dass konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Personenangaben des Klägers aufgrund der im ausländerrechtlichen Verfahren nicht aufklärbaren Identität bestünden. Diese Begründung trägt nach Auffassung der Kammer die Nichtzulassung des Klägers zur Fahrerlaubnisprüfung nicht, da sich allein aufgrund der im ausländerrechtlichen Verfahren nicht abschließend aufklärbaren Identität keine fahrerlaubnisrechtlich relevanten Identitätszweifel ableiten lassen. Im vorliegenden Fall ergeben sich insoweit weder aus den Akten der Fahrerlaubnisbehörde noch aus den auszugsweise vorliegenden Akten der Ausländerbehörde sowie aus dem Vortrag der Beklagten Hinweise darauf, dass der Kläger in Deutschland mit anderen Personalien aufgetreten oder - insbesondere - bereits fahrerlaubnisrechtlich relevant in Erscheinung getreten ist. Schon seit der Einreise in das Bundesgebiet gemeinsam mit seinen Eltern im Jahr 2004 im Alter von zehn Jahren bzw. seit der Stellung seines Asylantrags ist der Kläger stets unter seinen derzeitigen Personalien aufgetreten. Anhaltspunkte dafür, dass der seit 17 Jahren in Deutschland lebende und während der gesamten Aufenthaltszeit unter der bei der Einreise angegebenen Identität im Rechtsverkehr auftretende Kläger versucht hat, diese angegebene Identität zu wechseln oder zu verschleiern, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen. Im Übrigen wären von ihm seither begangene fahrerlaubnisrechtlich relevante Verstöße unter den von ihm durchgehend benutzten Personalien in den maßgeblichen Registern gespeichert worden (vgl. auch VG Weimar, B.v. 15.3.2007 - 2 E 267/07 - juris Rn. 6). Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Eltern des Klägers dessen Asylantrag unter der Angabe unzutreffender Personalien gestellt hätten, begründet dies in der vorliegenden Konstellation unter Berücksichtigung des Zwecks des § 2 Abs. 6 StVG i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV keine fahrerlaubnisrechtlich relevanten Identitätszweifel. Denn Normzweck ist, neben der Sicherstellung des Erreichens des Mindestalters, durch den in § 22 Abs. 2 FeV vorgesehenen Abgleich mit den für die Fahrerlaubniserteilung relevanten Registern und dem Bundeszentralregister, festzustellen, ob der Bewerber bereits über eine Fahrerlaubnis verfügt, ob gegen ihn eine Erteilungssperre nach § 69a StGB verhängt wurde oder ob gegen ihn ansonsten Eignungsbedenken bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 - 3 C 16/15 - juris Rn. 14). Dieser Zweck wird - auch wenn die Identität des Klägers nicht abschließend geklärt ist - erreicht. Insbesondere erscheint es überdies unwahrscheinlich, dass der seit 17 Jahren unter der gleichen Identität im Bundesgebiet auftretende Kläger in der Zukunft seine Identität zu wechseln beabsichtigt. Ein möglicher Identitätswechsel wird dabei umso schwieriger, je länger der Ausländer im Bundesgebiet unter bestimmten Personenangaben lebt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 a.a.O. Rn. 26). Im Übrigen wäre dies bei einem Ausländer, der (vermeintliche) Originaldokumente zum Nachweis seiner Identität vorgelegt hat, ebenso nicht ausgeschlossen (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 a.a.O. Rn.26).
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Gleichwohl ist ausgehend von den Vorgaben des Gesetzgebers und des Gesamtzusammenhangs der maßgeblichen Normen (§ 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV, §§ 16 Abs. 3 Satz 3, 17 Abs. 5 Satz 2 FeV) im Ergebnis festzustellen, dass die Fiktionsbescheinigung in Verbindung mit dem (seit über sieben Jahren) nicht mehr gültigen elektronischen Aufenthaltstitel keinen ausreichenden Nachweis im Sinne der vorgenannten Normen darstellen.
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Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3 und § 17 Abs. 5 Satz 2 FeV hat sich der Sachverständige oder Prüfer vor der theoretischen bzw. praktischen Prüfung durch Einsicht in den Personalausweis oder Reisepass oder in ein sonstiges Ausweisdokument von der Identität des Bewerbers zu überzeugen. Die in der vorhergehenden Regelung verwendeten Begriffe Personalausweis und Reisepass wurden vom Bundesverwaltungsgericht nicht streng formal verstanden; es hat als Personalausweis i.S.v. § 16 Abs. 3 Satz 3 FeV vielmehr auch solche Ausweispapiere angesehen, die die hier vorgesehene Identitätsprüfung zur Verhinderung von Täuschungsversuchen zuverlässig ermöglichen (vgl. zur Aufenthaltsgestattung BVerwG, U.v. 8.9.2016 - 3 C 16/15 - juris). Dieser Rechtsprechung hat der Verordnungsgeber Rechnung getragen, indem die gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3 FeV für die Identitätsdokumente zulässigen Ausweisdokumente um sonstige Ausweisdokumente erweitert worden sind (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 16 FeV Rn. 5a). Mit der an den Sachverständigen oder Prüfer gerichteten Verpflichtung, sich durch Einsichtnahme in den Personalausweis oder Reisepass oder in ein sonstiges Ausweisdokument von der Identität des Bewerbers zu überzeugen, soll ausgeschlossen werden, dass jemand anderes die Fahrprüfung ablegt als derjenige, der die Fahrerlaubnis beantragt hat. Feststellung der Identität bedeutet somit in diesem Zusammenhang sicherzustellen, dass die zur Fahrprüfung antretende Person nicht etwa ein Dritter/eine Dritte ist (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 a.a.O. Rn. 33). Die Prüfung darf nicht durchgeführt werden, wenn Zweifel an der Identität bestehen (vgl. §§ 16 Abs. 3 Satz 4,17 Abs. 5 Satz 3 FeV). Die Entscheidung, ob eine vom Fahrerlaubnisbewerber vorgelegte Urkunde für den Identitätsnachweis beim Fahrerlaubniserwerb ausreicht, muss von der Fahrerlaubnisbehörde bei der Antragstellung getroffen werden. Diese Entscheidung kann nicht auf den bei der Fahrprüfung eingesetzten Prüfer oder Sachverständigen verlagert werden, der zwar über das Fachwissen zur Abnahme der Fahrprüfung verfügt, mit der Beantwortung jener Frage aber überfordert wäre (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 a.a.O. Rn. 36). Anhand des Lichtbilds in dem Ausweisdokument lässt sich im Rahmen der Antragstellung überprüfen, ob das Ausweisdokumente tatsächlich der Person ausgestellt wurde, die nun die Erteilung einer Fahrerlaubnis beantragt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 a.a.O. Rn. 23).
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Im vorliegenden Fall verfügt der Kläger zwar über eine gültige Fiktionsbescheinigung, die ausländerrechtlich den Fortbestand des bisherigen Aufenthaltstitels fingiert (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG), die selbst jedoch nicht mit einem Lichtbild versehen ist. Die Fahrerlaubnisbehörde bzw. der Sachverständige oder Prüfer könnten sich somit nur durch Beiziehung des bereits seit sieben Jahren abgelaufenen elektronischen Aufenthaltstitels und des darauf befindlichen Lichtbilds davon überzeugen, dass die Person, die den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis gestellt hat, auch diejenige ist, der die Fiktionsbescheinigung ausgestellt wurde bzw. dass diejenige Person, die die Prüfung ablegen will, auch tatsächlich diejenige ist, die die Fahrerlaubniserteilung beantragt hat. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall in einem maßgeblichen Punkt von den bisher in der Rechtsprechung hierzu entschiedenen Fällen zu Aufenthaltsgestattungen (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 - 3 C 16/15 - juris), Duldungsbescheinigungen (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 - 11 C 18.1631 - juris) oder Reiseausweisen (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 - juris), da diese Ausweisdokumente jeweils selbst ein Lichtbild aufweisen und damit einen Identitätsabgleich für die vorgenannten Zwecke ermöglichen.
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Darüber hinaus ist der mit einem Lichtbild versehene elektronische Aufenthaltstitels (bereits seit 22.5.2014) nicht mehr gültig ist. Hierbei ist davon auszugehen, dass die gesetzlichen Regelungen in § 16 Abs. 3 Satz 3 FeV und § 17 Abs. 5 Satz 3 FeV gültige Ausweisdokumente voraussetzen. Zwar kann der Prüfer ein bei der Antragstellung gemäß § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV vorgelegtes und zwischenzeitlich abgelaufenes Dokument dennoch anerkennen, soweit eine zweifelsfreie Identifikation möglich ist (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 16 FeV Rn. 5a). Der Kläger verfügte jedoch bereits bei Antragstellung über kein gültiges Ausweisdokument mit Lichtbild. Hinzu kommt der erhebliche Zeitablauf seit Aufnahme des auf dem elektronischen Aufenthaltstitel befindlichen Lichtbilds, das nach Angaben des Klägers im Jahr 2013 aufgenommen wurde. Wie sich die Kammer selbst in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte, hat sich der Kläger seither äußerlich erheblich verändert, weshalb damit eine zweifelsfreie Identifikation nur schwer möglich erscheint. Im Übrigen wird dem Umstand, dass sich Personen im damaligen Alter des Klägers (19 Jahre), wegen der körperlich noch nicht abgeschlossenen Entwicklung bzw. Änderungen des persönlichkeitstypischen Erscheinungsbilds, nach einem gewissen Zeitablauf nicht mehr zuverlässig identifizieren lassen (vgl. Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PaßG, § 5 Rn. 2), auch in den geltenden Pass- und Personalausweisregelungen Rechnung getragen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 PaßG und § 6 Abs. 3 PAusG beträgt die Gültigkeitsdauer von Reisepässen und Personalausweisen, bei Personen, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sechs statt zehn Jahre. Dieser Sechs-Jahres-Zeitraum wurde 2019 überschritten, was ebenfalls gegen die Möglichkeit einer zweifelsfreien Identifizierung anhand des auf dem ungültigen elektronischen Aufenthaltstitels befindlichem Lichtbilds spricht.
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Der insoweit seitens des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Ansatz, dass der Kläger bei der Beantragung der Fahrerlaubnis sowieso Lichtbilder abgeben müsse, die dann mit dem tatsächlichen Aussehen im Verlauf der Prüfung abgeglichen könnten, weicht zum einen erheblich von den gesetzlichen Vorgaben ab, wonach sich der Sachverständige oder Prüfer durch Einsicht in ein Ausweisdokument von der Identität des Bewerbers zu überzeugen hat (§§ 16 Abs. 3 Satz 3,17 Abs. 5 Satz 2 FeV). Ferner mag hierdurch zwar festgestellt werden können, dass die Person, die auf den aktuellen Lichtbildern abgebildet ist, auch diejenige ist, die die Fahrprüfung ablegen will. Allerdings kann hiermit nicht aufgeklärt werden, ob dies auch die Person ist, deren Lichtbild auf dem elektronischen Aufenthaltstitel abgebildet ist und deren Personenangaben dem Kläger zugeordnet sind. Auch Überlegungen, der Fahrerlaubnisbehörde diesbezüglich weitere Ermittlungspflichten aufzuerlegen, z.B. durch Abstimmung mit der Ausländerbehörde, versprechen keinen Erfolg. Vorliegend hat die aktuell zuständige Ausländerbehörde den (ungültigen) Aufenthaltstitel mit Lichtbild nicht ausgestellt, so dass sie nicht sicher bestätigen kann, dass der Kläger die Person auf dem Lichtbild ist. Die vormals zuständige Ausländerbehörde, die im Mai 2013 den elektronischen Aufenthaltstitel ausgestellt hat, kann wiederum nicht sicher bestätigen, dass die auf dem Lichtbild abgebildete Person, der heute äußerlich deutlich veränderte Kläger ist. Auch unter dem Gesichtspunkt, der Fahrerlaubnisbehörde bzw. dem Sachverständigen oder Prüfer eine Identitätsprüfung zuverlässig und zweifelsfrei zu ermöglichen, um Täuschungsversuche zu verhindern, ist ein solches Vorgehen abzulehnen. Zur Erreichung dieses Zwecks ist vielmehr an der Notwendigkeit eines (gültigen) Ausweisdokuments mit Lichtbild und damit insoweit an den Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit das Ausweiserfordernis im Rahmen der Beantragung einer Fahrerlaubnis bzw. der Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung unter Beachtung des Gesetzeswortlauts und Normzwecks weiter reduzierbar ist. Im Übrigen wäre oben dargestelltes Vorgehen in der behördlichen Praxis auch wenig praktikabel.
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2. Die Anfechtungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist ebenfalls nicht erfolgreich. Der Bescheid vom 10. Mai 2021 ist materiell rechtmäßig (s. oben). Anhaltspunkte dafür, dass der angefochtene Bescheid an einem formellen Mangel leidet, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.