Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.11.2021 – 22 B 20.1948
Titel:

Beitrag für Errichtung und Tätigkeit der Handwerkskammer

Normenkette:
HWO § 106 Abs. 1, § 113
Leitsätze:
1. Das Vorhalten einer Mittelreserve zur Überbrückung von Einnahmeausfällen stellt grundsätzlich einen sachlichen Zweck dar, der die Bildung einer entsprechenden Rücklage rechtfertigt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die gebotene Prognose muss sich bei der Ausgleichsrücklage darauf beziehen, in welcher Höhe Schwankungen im Beitragsaufkommen zu besorgen sind. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Handwerkskammerbeitrag, Liquiditäts- und Ausgleichsrücklage, Gebot der Schätzgenauigkeit, fehlende ex-ante-Prognose, Zuführung des Überschusses aus dem Verwaltungshaushalt in den Vermögenshaushalt, Prognose, Beitragsaufkommen, Überschuss, Zuführung, Verwaltungshaushalt, Vermögenshaushalt, Mittelreserve
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 29.03.2018 – Au 2 K 16.187
Fundstelle:
BeckRS 2021, 36716

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. März 2018 wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Beitragsbescheid vom 29. Januar 2016, mit dem die Beklagte für das Jahr 2016 einen Beitrag in Höhe von 498 € (Grundbeitrag 156 €, Zusatzbeitrag 342 €) gegenüber dem Kläger festgesetzt hat.
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Die Vollversammlung der Beklagten hat am 3. Dezember 2015 den Haushaltsplan für das Jahr 2016 beschlossen und einen Beschluss zur Höhe des Grundbeitrags und zur Berechnung des Zusatzbeitrags gefasst. Der Gesamtplan Verwaltungshaushalt sieht u.a. Zuführungen zum Vermögenshaushalt in Höhe von 990.000 € vor; die diesbezüglichen Erläuterungen im Haushaltsplan führen hierzu aus, dass sich auf Grund der Haushaltsansätze bei den Einnahmen und Ausgaben im Verwaltungshaushalt ein Überschuss ergebe, der dem Vermögenshaushalt zugeführt werden könne. Nach dem Haushaltsbeschluss nahmen die Mitglieder der Vollversammlung ferner die Mittelfristige Finanzplanung 2015 - 2020 zur Kenntnis. Diese wies für das Jahr 2016 eine „Betriebsmittelrücklage“ von 4.000.000 € und eine „Baurücklage“ von 2.060.000 € aus. Der Haushaltsbeschluss enthielt zudem in einem mit „nachrichtlich“ überschriebenen Absatz die Aussage, dass die Vollversammlung für das Haushaltsjahr 2015 zugestimmt habe, dass bei Bedarf aus der „Allgemeinen Rücklage“ ein Betrag von 2.000.000 € zur Baufinanzierung entnommen werden könne.
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Der Kläger erhob mit Schreiben vom 8. Februar 2016 Klage gegen den Beitragsbescheid und machte die Unzulässigkeit der Rücklagenbildung durch die Beklagte geltend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe die Rücklagenbildung unter dem Gebot der Schätzgenauigkeit. Eine pauschale Festlegung von Rücklagen ohne konkrete jährliche Risikoabschätzung sei unzulässig. Die „Allgemeine Rücklage“ und die „Baurücklage“ seien von der Beklagten unter Verstoß gegen diese Grundsätze gebildet worden. Zudem habe die Beklagte über den Verein „B. e.V.“ einen gewerblichen Hotelbetrieb unterhalten. Das damit verbundene Immobilienvermögen sei im Sinne von § 113 Abs. 1 HwO zur Deckung des Haushaltes heranzuziehen.
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Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie erwiderte, dass die von ihr festgelegten Rücklagen dem Grunde und der Höhe nach den rechtlichen Vorgaben entsprächen. Der Haushaltsplan der Beklagten werde jedes Jahr im Herbst für das kommende Jahr aufgestellt und enthalte auch eine mittelfristige Finanzplanung mit Planwerten für die kommenden Jahre. Sie habe im Rahmen der Haushaltsplanung für das Jahr 2016 unter Berücksichtigung der in diesem Jahr zu tätigenden Investitionen sowie der prognostizierten Ausgaben ihren voraussichtlichen Finanzbedarf festgestellt. Dieser Haushaltsplan sei von der Vollversammlung beschlossen und vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie geprüft und genehmigt worden. Die Entnahmen und Zuführungen zu den „Allgemeinen Rücklagen“ seien jeweils im Rahmen der Beschlussfassung über den Haushaltsplan und über die Jahresrechnung von der Vollversammlung festgesetzt worden (Schriftsatz vom 29.9.2019, Bl. 54 ff. VG-Akte). Die Entwicklung der Rücklagenbildung könne der mittelfristigen Finanzplanung entnommen werden, die dem jeweiligen Haushaltsplan angefügt sei. Die „Allgemeinen Rücklagen“ für das Jahr 2016 seien nur nach dem Volumen des Verwaltungshaushalts errechnet worden. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 HKRO (vom 1. Dezember 2011 in der Fassung der Änderung vom 29. November 2012) solle sich die allgemeine Rücklage in der Regel auf mindestens 20% des Verwaltungshaushalts nach dem Durchschnitt der drei dem Haushaltsjahr vorangegangenen Jahre belaufen. Die Beklagte verfüge derzeit über eine „Allgemeine Rücklage“ in Höhe von 4.000.000 €. In Relation zum Gesamthaushalt für das Jahr 2016, welcher sich aus dem Volumen des Vermögens- und Verwaltungshaushalts errechne, entspreche die „Allgemeine Rücklage“ einer Quote von 8,1%. Die Notwendigkeit der allgemeinen Rücklage ergebe sich aus § 10 Abs. 1 HKRO. Nach § 10 Abs. 2 HKRO könnten zusätzliche Mittel zur Deckung des Ausgabenbedarfs im Vermögenshaushalt für künftige Jahre angesammelt werden. Die Rücklagen in Form von Baurücklagen seien aufgrund der hoheitlichen Aufgaben der Beklagten zwingend zu bilden, da sie sich trotz staatlicher Fördermittel bei Bau- und Ausstattungsmaßnahmen zu mindestens 25% mit Eigenmitteln beteiligen müsse. Am 4. Dezember 2014 habe die Vollversammlung der Beklagten im Rahmen des Haushaltsbeschlusses für das Haushaltsjahr 2015 explizit festgelegt, dass bei Bedarf aus der „Allgemeinen Rücklage“ ein Betrag in Höhe von 2.000.000 € zur Baufinanzierung entnommen werden könne. Darüber hinaus seien weitere projektbezogene Beschlüsse gefasst worden. Bei der Bildung der Rücklagen habe die Beklagte sowohl die gesetzlichen als auch die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäbe eingehalten. Der Zweck der Liquiditätsrücklage, entsprechend der „Allgemeinen Rücklage“ bei der Beklagten, ergebe sich bereits aus § 10 Abs. 1 HKRO. Die Vorhaltung einer Liquiditätsrücklage zur Vermeidung von finanziellen Engpässen sei auch vom Bundesverwaltungsgericht als sachlicher Zweck anerkannt. Die Rücklage sei zur Bedienung von Verbindlichkeiten notwendig, weil nicht absehbar sei, ob Fördermittel in den darauffolgenden Jahren weiter ausbezahlt würden. Auch die Höhe der Rücklage führe nicht zur unzulässigen Vermögensbildung, insbesondere verstoße die Beklagte nicht gegen den Grundsatz der Schätzgenauigkeit. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung habe die Beklagte jedes Jahr neu über die Höhe und Notwendigkeit der Rücklagen entschieden und die Notwendigkeit einer „Allgemeinen Rücklage“ in Höhe von 4.000.000 € festgestellt. Bei dem vom Kläger genannten Hotelbetrieb handele es sich nicht um eine Immobilie der Beklagten.
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Mit Urteil vom 29. März 2018 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Art und Umfang der Rücklagenbildung der Beklagten sei rechtsfehlerfrei. Ausgehend von der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts sei auch in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass die Bildung angemessener Rücklagen einer Kammer von Rechts wegen zustehe. Die Grenze zur Unangemessenheit der Rücklagenbildung lasse sich eher am Maßstab des Gesamthaushalts als am Maßstab des Jahresbeitragsaufkommens beurteilen. Maßgeblich sei auch, ob die Vorgaben des Satzungsrechts als Grundlage für die Rücklagenbildung beachtet worden seien. Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sei die Rücklagenbildung im Jahr 2016 rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gelte zunächst für die Bildung einer „Allgemeinen Rücklage“ im Haushaltsjahr 2016 in Höhe von 4.000.000 €. Die Vollversammlung der Beklagten habe in ihrem Haushaltsbeschluss vom 3. Dezember 2015 den Haushaltsplan 2016 beschlossen und hierbei ausdrücklich die mittelfristige Finanzplanung 2015 bis 2020 zur Kenntnis genommen und damit gebilligt. Die „Allgemeine Rücklage“ 2016 sei auch der Höhe nach rechtsfehlerfrei gebildet worden. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 HKRO solle sich eine „Allgemeine Rücklage“ in der Regel auf mindestens 20% des Volumens des Verwaltungshaushalts nach dem Durchschnitt der drei dem Haushaltsjahr vorangehenden Jahre belaufen. Diese Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei beim Ansatz der „Allgemeinen Rücklage“ deutlich unterhalb des durch § 10 Abs. 1 Satz 2 HKRO vorgegebenen Mindestrichtwerts geblieben. Vor diesem Hintergrund habe es zur Rechtfertigung der Höhe der „Allgemeinen Rücklage“ keiner expliziten Darlegung etwaiger konkreter Haushalts- bzw. Liquiditätsrisiken bedurft. Es sei vor dem Hintergrund des Kostendeckungsprinzips rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Haushaltsjahr 2016 einen Haushaltsüberschuss im Verwaltungshaushalt in Höhe von 990.000 € vorgesehen habe. Gemäß § 11 Abs. 1 HKRO müssten Verwaltungshaushalt und Vermögenshaushalt ausgeglichen sein. Die im Verwaltungshaushalt zur Deckung der Ausgaben nicht benötigten Einnahmen seien dem Vermögenshaushalt zuzuführen (§ 11 Abs. 2 HKRO). Eine Handwerkskammer müsse einen ungeplanten Bilanzgewinn zeitnah für die Finanzierung ihrer gesetzlichen Aufgaben einsetzen. Sie habe den Gewinn deshalb in der Regel spätestens im nächsten, zeitlich auf die Feststellung des Gewinns nachfolgenden Haushaltsjahr einzustellen. Ein geplanter Jahresüberschuss sei hingegen nur zulässig, soweit dessen weitere zweckgebundene Verwendung zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben im Wege eines Gewinnvortrags hinreichend feststehe. Die Vorgehensweise der Beklagten, die im Verwaltungshaushalt zur Deckung der Ausgaben nicht benötigten Einnahmen dem Vermögenshaushalt zuzuführen, entspreche § 11 Abs. 2 HKRO und stehe auch nicht im Widerspruch zum Prinzip der Kostendeckung aus § 113 Abs. 1 HwO. Soweit die Klägerseite im Kern eine überhöhte Zuführung zum Vermögenshaushalt aus dem Verwaltungshaushalt in Höhe von 990.000 € rüge, sei nicht ersichtlich, inwieweit dies vorliegend Auswirkung auf die Beitragshöhe des Klägers haben solle. Die Beklagte verfüge auch nicht über fremdgenutztes bzw. gewerblich genutztes Immobilienvermögen, das gem. § 113 Abs. 1 HwO vorrangig zur Deckung des Haushalts heranzuziehen gewesen wäre.
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Mit Beschluss vom 7. August 2020 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen.
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Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,
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das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. März 2018 abzuändern und den Beitragsbescheid der Beklagten vom 29. Januar 2016 aufzuheben.
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Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinen Entscheidungen vom 9. Dezember 2015 und 22. Januar 2020 exemplarisch herausgearbeitet, dass es sich bei zulässig gebildeten Rücklagen um Kosten handele, dass die Anforderungen an die Rücklagenbildung unabhängig davon seien, ob die jeweilige Kammer nach kameraler oder kaufmännischer Buchführung rechne, dass die Rücklagendotierung unter Anwendung des Gebots der Schätzgenauigkeit auf der Grundlage einer ex-ante-Prognose zu bestimmen und eine entsprechende Entscheidung zur Rücklagendotierung jährlich neu zu treffen sei. Die Beklagte habe keine auf dem Gebot der Schätzgenauigkeit und auf einer Prognose basierende Rücklagendotierung vorgenommen. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe sich bei der Rücklagendotierung im Rahmen der satzungsrechtlichen Vorgaben bewegt, stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 22. Januar 2020, wonach keine Vermutung für die Angemessenheit der geplanten Höhe der Ausgleichsrücklage spreche. Vielmehr sei jede Dotierung der Rücklage von mehr als null jährlich unter Anwendung des Gebots der Schätzgenauigkeit vorzunehmen. Eine satzungsmäßige Vorgabe, die zur Rechtfertigung der Nichtausübung des Gebots der Schätzgenauigkeit führe oder eine solche Nichtausübung rechtfertige, verstoße gegen höherrangiges Recht. Auf die Satzungsbestimmung in § 10 Abs. 1 HKRO könne sich die Beklagte also nicht berufen. Die Anwendung des Gebots der Schätzgenauigkeit gelte uneingeschränkt als Teil des staatlichen Haushaltsrechts. Falsch sei auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts zum Prüfungsmaßstab. Das Bundesverwaltungsgericht habe nochmals betont, dass der verwaltungsgerichtliche Prüfungsmaßstab über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehe. Weder habe die Beklagte eine nachvollziehbare Abwägung vorgenommen, warum und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Dotierung über null notwendig gewesen sein solle, noch sei eine solche Abwägung im Hinblick auf die Höhe der Unterschreitung des Mindestrichtwerts in § 10 Abs. 1 HKRO erkennbar. Die Beklagte habe die Rücklage der Höhe nach willkürlich ins Blaue hinein dotiert. Eine Rechtfertigung der Rücklagendotierung unter Bezugnahme auf eine in der Satzung festgelegte Untergrenze oder einen Mindestrichtwert erweise sich auch deshalb als rechtlich unzulässig, weil nachweislich bei der Beschlussfassung über diesen Mindestrichtwert dem Gebot der Schätzgenauigkeit nicht gefolgt worden sei. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die Notwendigkeit einer jährlichen Abschätzung auf Grundlage einer sachgerechten ex-ante-Prognose verlange, könne der Rückgriff auf eine Satzungsvorgabe nicht an die Stelle der geforderten Abwägung treten. Zudem verstoße die Beklagte mit einem geplanten zweckfreien Überschuss für das Jahr 2016 in Höhe von 990.000 € gegen das Kostendeckungsprinzip. Für die Verwendung eines solchen Überschusses habe die Beklagte zuvor keinen Beschluss gefasst. Das Verwaltungsgericht interpretiere aus der Beschlussfassung über den Vermögenshaushalt einen impliziten Verwendungsbeschluss. Dies sei jedoch nicht ausreichend. In einem solchen Beschluss hätte auch die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es bei Beachtung des Äquivalenzprinzips und Gleichheitsgrundsatzes angemessen sein könne, die Beitragszahler des Jahres 2016 neben der Finanzierung des regulären Verwaltungshaushalts zusätzlich mit knapp 1.000.000 € zur Finanzierung der Investitionsmaßnahmen heranzuziehen. Eine solche Abwägung sei vollständig unterblieben. Ohne einen konkreten Verwendungsbeschluss, der bestimme, welchem Zweck eine Planzuführung zum Vermögenshaushalt dienen solle, handle es sich um die zweckfreie Planung eines Überschusses. Vorliegend gehe es nicht um den Umgang mit ungeplant angefallenen Überschüssen, sondern um die bewusste Planung eines Überschusses. Die Prämisse des Verwaltungsgerichts, dass eine überhöhte Zuführung zum Vermögenshaushalt aus dem Verwaltungshaushalt keine Auswirkungen auf die Beitragshöhe des Klägers habe und damit zulässig sei, sei falsch. Ein Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip führe auch ohne konkrete Auswirkungen auf die Beitragsveranlagung des Klägers zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Wirtschaftsplanes und der Beitragsveranlagung. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle beschränke sich auf die Feststellung, ob sich Wirtschaftsplan und Beitragsveranlagung auf eine rechtskonforme Grundlage stützten. Mit einer rechtswidrig vorgesehenen Zuführung von Mitteln zum Vermögenshaushalt bestimme die Beklagte fehlerhaft den Mittelbedarf, der durch die Beiträge zu decken sei. Die Frage, wie der Vermögenshaushalt auszugleichen sei, sei eine Fragestellung, deren Beantwortung allein unter das Gestaltungsermessen der Vollversammlung der Beklagten falle. Aus Sicht des Klägers scheine es zudem geboten, die Frage in Blick zu nehmen, ob die Beklagte bei der Aufstellung des Wirtschaftsplanes überhaupt mit der Realisierung von offenen Forderungen kalkuliert habe. Zudem habe die Beklagte, wie bereits erstinstanzlich angeführt, einen gewerblichen Hotelbetrieb unterhalten. Damit würden Vermögenswerte geschont, dies führe ebenfalls zu einer fehlerhaften Mittelbedarfsfeststellung. Andererseits flössen aus Mitgliedsbeiträgen Mittel ab, die für die Instandhaltung und Modernisierung dieses Hotelbetriebs benötigt würden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor, nach der nunmehrigen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts bestehe kein Raum mehr für eine Vermutungsregelung hinsichtlich der Angemessenheit der allgemeinen Ausgleichsrücklage. Es sei den Verfahrensakten und der HKRO zu entnehmen, dass sich die Beklagte in ihrem Vorgehen nicht an diese Grundsätze habe halten können. Dies führe jedoch nicht zum Erfolg der Berufung. Denn das Bundesverwaltungsgericht habe in der Entscheidung vom 22. Januar 2020 ausgeführt, dass der Kontrolle der Mittelbedarfsprognosen alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen seien, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Haushaltsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht habe. Tatsächlich seien vor diesem Hintergrund sowohl die vorgenommenen Haushaltsansätze als auch die Berechnung der „Allgemeinen Rücklage“ 2016 auch der Höhe nach unter Zugrundelegung des Prüfungsmaßstabs des Bundesverwaltungsgerichts rechtmäßig gebildet worden. Der Vorstand der Beklagten stelle im Herbst eines jeden Jahres den Haushaltsplan für das darauffolgende Haushaltsjahr im Rahmen einer kameralistischen Haushaltsführung inklusive einer mittelfristigen Finanzplanung mit Planwerten für die kommenden fünf Jahre auf. Basierend auf einer möglichst realistischen Mittelbedarfsprognose würden Annahmen getroffen, die die zu bildenden Rücklagen dem Zweck und der Höhe nach rechtfertigten. Alle laufenden Ausgaben des Verwaltungshaushalts müssten über die „Allgemeine Rücklage“ bis zu einer Mittelvereinnahmung gedeckt werden. Die Planung der Einnahmen im Verwaltungshaushalt vollziehe sich für jeden Titel gesondert. Die Einnahmen im Verwaltungshaushalt bestünden aus den Handwerkskammerbeiträgen, dem Personal, der allgemeinen Verwaltung, den Einnahmen im Bereich der Prüfungen, der Berufsbildungsmaßnahmen und des Internats, den besonderen Aufgaben, der Vermögens- und Finanzverwaltung und den Zuwendungen. Mit den oben genannten Einnahmen korrespondierend ergäben sich im Überblick im Haushaltsplan entsprechende Ausgaben. Die Ansätze im Rahmen der Haushaltsplanung könnten jedoch nur ein Teil der Betrachtung sein. Eine gesamtheitliche Betrachtungsweise müsse zwingend die Mittelbedarfsplanung einerseits und den tatsächlichen Geldfluss andererseits im Blick haben. Es sei nicht so, dass die Einnahmen immer gerade dann zur Verfügung stünden, wenn auch Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen seien, weshalb die Beklagte zeitweise oder wie bei Zuwendungen sachlich bedingt in Vorleistung gehen müsse. Die Rücklagenbildung der Beklagten sei notwendig und vor allem auch unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Schätzgenauigkeit angemessen. Für den Fall, dass eine Schätzung in 2016 im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung ohne Zugrundelegung der Maßstäbe aus der HKRO vorgenommen worden wäre, hätte die Beachtung des im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2020 definierten Gebots der Schätzgenauigkeit zu keinem anderen Ergebnis der Haushaltsansätze und der Rücklagen geführt. Unabhängig von der Vereinnahmung der Beiträge, Gebühren und Zuwendungen seien in jedem Jahr Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Diese Zahlungsverpflichtungen begründeten sich zum Teil aus langfristigen Vertragsverhältnissen mit Fälligkeit zum Jahresbeginn. Explizit im Bereich der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (mit einem hohen Anteil an Zuwendungen) sei die Beklagte zudem mit der Vorfinanzierung der Maßnahmen belastet, bis die Auszahlung der Fördermittel erfolge. Bei den Ausgaben handele es sich um die geplanten Ausgaben bei normalem Geschäftsbetrieb, bei denen der Gesamthaushaltsansatz auf Basis der Vorjahre auf die Monate Januar und Februar verteilt werde bzw. sofern konkrete Ausgaben für diesen Zeitraum bereits feststünden, diese dann auch hinterlegt würden. Beispielhaft stelle sich dies für das Haushaltsjahr 2016 folgendermaßen dar: Die Kosten für die Beitragserhebung, das Personal, die allgemeine Verwaltung, die Prüfungen, Berufsbildungsmaßnahmen, das Internat, die besonderen Kammeraufgaben und die Vermögensverwaltung betrügen insgesamt 3.175.000 €. An Zuführungen zum Vermögenshaushalt seien 990.000 € zu leisten. Insgesamt ergebe sich eine Summe von 4.165.000 €. Die Beklagte benötige eine Planungssicherheit mit Blick auf die Zahlungsverpflichtungen und die vorzunehmenden Beschaffungen im Vermögenshaushalt, weshalb die Komplettzuführung in Höhe von 990.000 € gleich zu Beginn des Jahres zur Verfügung stehen müsse, um die benötigten Eigenmittel für geförderte Beschaffungsmaßnahmen vorzuhalten und dadurch die zwingenden Auflagen der Zuwendungsgeber zu erfüllen. Bis zur Beitragserhebung, deren Zeitpunkt bei der Haushaltserstellung noch nicht feststehe, die aber in der Regel bis Ende Februar stattfinde, müssten diese prognostizierten Ausgaben über laufende Einnahmen finanziert werden. Reichten diese Einnahmen nicht zur Deckung der Ausgaben aus oder würden diese nicht zeitnah vereinnahmt, so dienten die gebildeten Rücklagen der notwendigen Liquiditätssicherung. Einnahmen, d. h. vor allem Beiträge, Gebühren und Zuwendungen, unterlägen einer Ausfallwahrscheinlichkeit, die bei der Haushaltsplanung bzw. bei Rücklagenbildung obligatorisch und aus kaufmännischer Vorsicht zwingend berücksichtigt werden müsse. Um Verbindlichkeiten trotz möglicher Mindereinnahmen bzw. zeitlich verzögerter Einnahmen nachkommen zu können, werde die „Allgemeine Rücklage“ eingesetzt. Dies entspreche auch genau dem Zweck einer solchen Rücklage. Die „Allgemeine Rücklage“ diene vorwiegend den Zwecken der Sicherung der rechtzeitigen Leistung von Ausgaben, dem Ausgleich von Einnahmen- und Ausgabenschwankungen und damit im Ergebnis der Liquiditätssicherung auch ohne Aufnahme teurer Kredite und der angemessenen Eigenfinanzierung von anstehenden Investitionen. Die von der Beklagten gebildete „Allgemeine Rücklage“ in Höhe von 4.000.000 € gehe auf eine konkrete Bedarfsprognose zurück, die auf einer realistischen Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben beruhe und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2020 entspreche.
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In einem ebenfalls die Beitragserhebung durch die Beklagte für das Jahr 2016 betreffenden Berufungsverfahren (22 B 20.1950) wies der Senat die Beklagte mit Schreiben vom 21. April 2021 darauf hin, dass ihre bisherigen Ausführungen dem Senat keine Kontrolle ermöglichten, ob die „Betriebsmittelrücklage“ dem Gebot der Schätzgenauigkeit entspreche. Es fehlten konkrete Angaben zu Liquiditätsengpässen sowie Beitrags- und Gebührenausfällen bezogen auf die einzelnen Ausgabentitel. Auch sei unklar, ob die Zuführung zum Vermögenshaushalt tatsächlich bei der Bemessung der Höhe der Betriebsmittelrücklage berücksichtigt worden sei. Mit Schreiben des Senats vom 29. April 2021 wurde die Beklagte gebeten, im vorliegenden Verfahren in gleicher Weise Stellung zu nehmen.
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Der Kläger verwies in seiner Erwiderung vom 15. Juni 2021 insbesondere darauf, dass § 10 Abs. 1 HKRO nur die Bildung einer Liquiditäts- und Betriebsmittelrücklage, aber keiner Ausgleichsrücklage zulasse, es darauf ankomme, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Vollversammlung über den Wirtschaftsplan die Tatsachen, die zur Dotierung der Rücklage führten, vorlagen, und dass eine zweckfreie Überschussplanung unzulässig sei. Insbesondere habe die Beklagte nicht belegt, dass die Zuweisung des Überschusses zum Vermögenshaushalt eine implizite Zweckbestimmung enthalte.
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Die Beklagte ergänzte ihr Vorbringen mit Schreiben vom 4. August 2021. Sie erwiderte, dass es sich bei dem Betrag von 3.175.000 € um eine Liquiditätsrücklage zum Zwecke der rechtzeitigen Leistung von Ausgaben des Verwaltungshaushalts handle. Überschüsse würden am Ende des Haushaltsjahres in eine Rücklage überführt, so dass zu Beginn des neuen Haushaltsjahres keine liquiden Mittel zur Verfügung stünden. Die Liquiditätsrücklage werde im Laufe des Jahres als Ausgleichsrücklage fortgeführt. Beides werde summiert in der „Allgemeinen Rücklage“ dargestellt. Die ex-ante-Betrachtung der geplanten Ausgaben erfolge auf Basis der diesem Haushaltsjahr vorangegangenen zwei Haushaltsjahre. Die Ist-Werte der in den Monaten Januar und Februar zu leistenden Zahlungen für die Jahre 2014 und 2015 zuzüglich Mehrausgaben aufgrund allgemeiner Preissteigerungen entsprächen der Dotierung der „Allgemeinen Rücklage“. Mögliche Liquiditätsengpässe würden ganzheitlich über alle Titel des Verwaltungs- und Vermögenshaushaltes betrachtet. Mögliche Einnahmenausfälle seien sowohl bei den Beiträgen und Gebühren als auch bei den Fördermitteln des Verwaltungshaushalts zu berücksichtigen. Bei den Beiträgen und Gebühren hätten Ende des Jahres 2015 offene Forderungen in Höhe von 1.500.000 € bestanden. Die Höhe der geplanten Fördermittel, die durch einen Vorbehaltsvermerk der Zuwendungsgeber ausfallen könnte, habe 3.071.000 € betragen. Die Zuführung vom Verwaltungshaushalt in den Vermögenshaushalt in Höhe von 990.000 € diene der Liquiditätssicherung im Vermögenshaushalt. Eine Zuweisung zur zweckgebundenen Rücklage sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, da die Einplanung der Landesfördermittel erst nach der Verabschiedung des Landeshaushalts erfolgen könne. Die geplante Reduzierung der „Allgemeinen Rücklage“ auf 2.000.000 € diene der Vermeidung von Sonderbeiträgen. Ggf. müssten Liquiditätsengpässe nunmehr über Kassenkredite finanziert werden. Die Mittelfristige Finanzplanung sei kein Bestandteil des Haushaltsplans; sie diene lediglich der Transparenz der allgemeinen Finanzlage der Kammer und habe nachrichtlichen Charakter.
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Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligte sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren. Sie verwies auf die Bedeutung der Rücklagenbildung für die Beitragsstabilität und Beitragsgerechtigkeit sowie für das Aufrechterhalten der Funktionsfähigkeit der Handwerkskammern, stellte aber keinen Antrag.
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Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der streitgegenständliche Beitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach der Vorschrift des § 113 Abs. 1 HwO, wonach die durch die Errichtung und Tätigkeit der Handwerkskammer entstehenden Kosten, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, von den Inhabern eines Betriebs eines Handwerks und eines handwerksähnlichen Gewerbes sowie den Mitgliedern der Handwerkskammer nach § 90 Abs. 3 HwO getragen werden, liegt der Beitragserhebung eine zweistufige Willensbildung zugrunde. Auf der ersten Stufe entscheidet die Vollversammlung der Beklagten vor dem Hintergrund der in diesem Jahr beabsichtigten Tätigkeiten der Kammer - unter Berücksichtigung der erwartbaren Einnahmen und Ausgaben - im Voraus für das Wirtschaftsjahr über den notwendigen Mittelbedarf im Rahmen der Feststellung des Haushaltsplans (vgl. § 106 Abs. 1 Nr. 4 HwO). Auf der zweiten Stufe wird dieser Bedarf gemäß der Beitragsordnung im Wege der Beitragserhebung auf die Kammerzugehörigen umgelegt (vgl. § 106 Abs. 1 Nr. 5 HwO). Die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu Kammerbeiträgen hängt damit unter anderem davon ab, ob die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt. Dies haben die Verwaltungsgerichte inzident zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 10.19 - juris Rn. 14; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 13). Bei den Mitteln für angemessene Rücklagen handelt es sich ebenfalls um Kosten im Sinne des § 113 Abs. 1 HwO, die in Ermangelung anderer Finanzquellen durch Beiträge zu decken sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 17; U.v. 26.6.1990 - 1 C 45.87 - juris Rn. 20). Vorliegend erweist sich die Feststellung des Mittelbedarfs der Beklagten für das Haushaltsjahr 2016 zumindest in Bezug auf die Bildung bzw. Beibehaltung einer Rücklage in Höhe von 4.000.000 € als rechtlich fehlerhaft.
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1. Der Kammer kommt zwar hinsichtlich der Aufstellung des Haushaltsplans ein weiter, ihre Spielräume bei der Wahrnehmung und Ausgestaltung ihrer Aufgaben berücksichtigender Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 10.19 - juris Rn. 11; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn.16). Dieser besteht aber nicht als globale Größe für den gesamten Bereich des Haushalts- und Finanzrechts, sondern nur, soweit er konkret in den jeweils zu beachtenden Rechtsnormen angelegt ist. Der zu beachtende Rahmen wird gebildet durch die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts sowie durch ergänzende Satzungsbestimmungen.
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Danach ist den Handwerkskammern die Bildung von Vermögen verboten; nach § 113 Abs. 1 HwO dürfen die Beiträge ausschließlich für die in dieser Bestimmung genannten Zwecke und damit nicht zur Vermögensbildung eingesetzt werden (vgl. BVerwG, U. v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 11; U.v. 26.6.1990 - 1 C 45.87 - juris Rn. 20). Dies schließt die Bildung von Rücklagen nicht insgesamt aus, bindet sie aber an einen sachlichen Zweck im Rahmen der Kammertätigkeit. Auch die Höhe der Rücklage muss von dem sachlichen Zweck gedeckt sein. Eine von diesem Zweck nicht gedeckte Rücklage ist nicht angemessen und kommt einer unzulässigen Vermögensbildung gleich. Die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage und über deren Höhe muss die Kammer bei jedem Haushaltsplan - und damit jährlich - erneut treffen. Ein Haushaltsplan ist nicht nur rechtswidrig, wenn er eine überhöhte Rücklagenbildung vorsieht, sondern auch dann, wenn er eine überhöhte Rücklage beibehält (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 11; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 17 f.; VGH BW, U.v. 2.11.2016 - 6 S 1261/14 - juris; NdsOVG, U.v. 17.9.2018 - 8 LB 130/17 - juris Rn. 49 ff).
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Zu den Grundsätzen des staatlichen Haushaltsrechts zählt auch das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Prognosen aus der ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen. Ist dies der Fall, ist es unschädlich, wenn sich im Nachhinein die Prognose als unrichtig erweist (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 11; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 16). Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Haushaltsplans verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren (BVerfG, U.v. 9.7.2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96/129 f.; BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 16). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Etatansätze und gegriffene Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfG, U.v. 9.7.2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96/129, BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 19 f.). Die Mittelbedarfsprognose richtet sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der Kammer. Die Verwaltungsgerichte sind bei der Inzidentprüfung des Haushaltsplans folglich nicht auf eine reine Willkürkontrolle beschränkt (BVerwG, a.a.O. Rn. 20).
24
Diesen Maßgaben genügt die Haushaltsplanung der Beklagten für das Jahr 2016 zumindest in Bezug auf die Bildung bzw. Beibehaltung einer Rücklage in Höhe von 4.000.000 € nicht.
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2. Es bestehen bereits Zweifel, ob in Ansehung dieser Rücklage eine ordnungsgemäße Beschlussfassung der Vollversammlung der Beklagten vorliegt.
26
Die von der Beklagten vorgelegte Mittelfristige Finanzplanung 2015 - 2020 weist für das Jahr 2016 eine „Betriebsmittelrücklage“ mit einem Planwert in Höhe von 4.000.000 € aus. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 4. August 2021 jedoch selbst vorgebracht, dass die Mittelfristige Finanzplanung kein Bestandteil des Haushaltsplans sei und lediglich nachrichtlichen Charakter habe. Demgegenüber hat die Beklagte im Schriftsatz vom 29. September 2016 an das Verwaltungsgericht vorgetragen, dass „die Entnahmen und Zuführungen zu den allgemeinen Rücklagen jeweils im Rahmen der Beschlussfassung über den Haushaltsplan und über die Jahresrechnung von der Vollversammlung festgesetzt wurden“. Tatsächlich ist in dem Haushaltsbeschluss vom 3. Dezember 2015 (soweit er sich bei den von der Beklagten vorgelegten Akten befindet) hinsichtlich der Mittelfristigen Finanzplanung 2015 - 2020 lediglich von einer Kenntnisnahme durch die Mitglieder der Vollversammlung die Rede. Eine konkrete Beschlussfassung über die Bildung einer Rücklage in Höhe von 4.000.000 € ist dem Haushaltsbeschluss auch ansonsten nicht zu entnehmen. Eine solche Beschlussfassung ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss der Vollversammlung vom 4. Dezember 2014 für das Haushaltsjahr 2015, auf den der Haushaltsbeschluss vom 3. Dezember 2015 „nachrichtlich“ verweist. Danach hat die Vollversammlung am 4. Dezember 2014 beschlossen, dass aus der „Allgemeinen Rücklage“ bei Bedarf ein Betrag von 2.000.000 € zur Baufinanzierung entnommen werden kann; damit hat sie wohl indirekt die Höhe einer „Allgemeinen Rücklage“ für das Haushaltsjahr 2015 bestätigt. Ein nachrichtlicher Verweis auf einen für das Haushaltsjahr 2015 gefassten Beschluss ersetzt jedoch nicht einen entsprechenden Beschluss für das Haushaltsjahr 2016. Ebenso wenig ist aus der im Haushaltsplan vorgesehenen Entnahme aus den Rücklagen zum Ausgleich des Vermögenshaushalts in Höhe von 6.233.500 € (vgl. Tz. 44 des Vermögenshaushalts nebst zugehöriger Erläuterung) konkret zu schließen, welche Rücklage(n) in welcher Höhe im Haushaltsjahr 2016 fortbestehen soll(en).
27
3. Ob es bereits an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung der Beklagten fehlt, kann jedoch letztlich offenbleiben. Denn selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Vollversammlung der Beklagten die Bildung bzw. Beibehaltung einer Rücklage in Höhe von 4.000.000 € für das Haushaltsjahr 2016 beschlossen hat, genügt diese nicht den haushaltsrechtlichen Anforderungen. Es ist bereits fraglich, ob der von der Beklagten beschriebene Rücklagenzweck haushaltsrechtlich zulässig ist. Dies braucht aber letztlich nicht entschieden zu werden (hierzu 3.1). Denn zumindest der Höhe nach, insbesondere im Hinblick auf das Gebot der Schätzgenauigkeit, erweist sich die Rücklagenbildung bzw. -beibehaltung als fehlerhaft (hierzu 3.2).
28
3.1 Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Rücklagenbildung den an sie dem Grunde nach zu stellenden haushaltsrechtlichen Anforderungen vollständig entspricht.
29
3.1.1 Die von der Beklagten im Berufungsverfahren genannten Zwecke der Rücklage mögen jedenfalls teilweise solche sein, die einen sachlichen Zweck im Rahmen der Kammertätigkeit begründen können. Die Beklagte hat in ihrer Erwiderung zur Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 31.3.2021) erläutert, dass die gebildete „Allgemeine Rücklage“ in Höhe von 4.000.000 € der Sicherung und rechtzeitigen Leistung von Ausgaben, dem Ausgleich von Einnahme- und Ausgabenschwankungen sowie der angemessenen Eigenfinanzierung von anstehenden Investitionen diene. Der Sache nach soll die Rücklage nach dem Willen der Beklagten also (zumindest teilweise) sowohl Zwecke einer Liquiditäts- als auch einer Ausgleichsrücklage erfüllen; die Beklagte selbst hat im Laufe des Berufungsverfahrens diese Begrifflichkeiten verwendet (Schriftsatz vom 4.8.2021, S. 2). Die Vorhaltung einer Mittelreserve zur Überbrückung von Einnahmeverzögerungen oder Einnahmeausfällen stellt grundsätzlich einen legitimen sachlichen Zweck für die Bildung einer Rücklage dar (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 18); namentlich Liquiditäts- und Ausgleichsrücklage liegen Zwecke zu Grunde, welche vom Bundesverwaltungsgericht als im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt angesehen wurden (zur Liquiditätsrücklage vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 18; zur Ausgleichsrücklage U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 18). Insoweit dürfte die Rücklage auch mit § 10 Abs. 1 HKRO in Einklang stehen (zur Relevanz dieser Bestimmung für die verwaltungsgerichtliche Prüfung vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 16 und Rn. 19). Danach soll die „Allgemeine Rücklage“ die rechtzeitige Leistung von Ausgaben sichern und damit einer Liquiditätsrücklage entsprechen. Zwar ist die Bildung einer Rücklage zum Ausgleich von Beitragsschwankungen und -ausfällen, wie sie die Beklagte angeführt hat, in § 10 Abs. 1 HKRO nicht ausdrücklich vorgesehen. Allerdings stellt das Vorhalten einer Mittelreserve zur Überbrückung von Einnahmeausfällen grundsätzlich einen sachlichen Zweck dar, der die Bildung einer entsprechenden Rücklage rechtfertigt (vgl. oben); die Ausgleichsrücklage dürfte danach von § 10 Abs. 1 HKRO gedeckt sein, weil eine rechtzeitige Leistung von Ausgaben neben dem zeitlichen Moment voraussetzt, dass Einnahmen überhaupt zur Verfügung stehen.
30
Nicht eindeutig beurteilen lässt sich, ob ein zulässiger Rücklagenzweck im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten vorliegt, die Rücklage solle auch der angemessenen Eigenmittelfinanzierung von anstehenden Investitionen bzw. für geförderte Beschaffungsmaßnahmen dienen. Soweit damit die Überbrückung des Zeitraums bis zum Eingang von Förder-, also Fremdmitteln gemeint sein sollte (in diese Richtung ließen sich die Ausführungen auf S. 12 des Schriftsatzes vom 31.3.2021 verstehen), stünden wiederum - zulässigerweise - Einnahmeverzögerungen inmitten; hingegen wäre fraglich, inwieweit die Vorhaltung der für eine Förderung nötigen anteiligen Eigenmittel (vgl. Schriftsatz vom 31.3.2021, S. 13 bzw. Schriftsatz vom 4.8.2021, S. 2) im konkreten Zusammenhang mit dem genannten Überbrückungszweck steht.
31
3.1.2 Fraglich ist ferner, ob es mit den Grundsätzen des Haushaltsrechts vereinbar ist, dass, wie die Beklagte geschildert hat (Schriftsatz vom 4.8.2021), zum 1. Januar 2016 eine Liquiditätsrücklage besteht, die aber im Jahresfortlauf als Ausgleichsrücklage „fortgeführt wird“. Denn die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage und deren Höhe ist, wie ausgeführt, in jedem Haushaltsplan und damit jährlich neu zu treffen (BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 18), und zwar von der Vollversammlung. Dass eine solche Entscheidung hinsichtlich des Wechsels des Rücklagenzwecks innerhalb des Haushaltsjahrs 2016 von der Vollversammlung der Beklagten mit dem Beschluss über den Haushaltsplan getroffen worden ist, ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen nicht, ganz abgesehen von der Frage, ob und inwieweit eine in einer bestimmten Höhe dotierte Rücklage angesichts des Gebots der Schätzgenauigkeit während des laufenden Haushaltsjahres für unterschiedliche Zwecke verwendet werden kann.
32
3.2 All dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil die Rücklagenbildung jedenfalls der Höhe nach rechtsfehlerhaft ist.
33
3.2.1 Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen, wie ausgeführt, aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Es obliegt der Beklagten im gerichtlichen Verfahren, im Einzelnen darzulegen, dass sie im Rahmen des ihr aus dem Selbstverwaltungsrecht erwachsenden weiten Gestaltungsspielraums die Grenzen des Vertretbaren bei der Aufstellung des Haushaltsplans eingehalten hat, dass die Rücklage also nicht ins Blaue hinein vorgehalten wird und eine hinreichend nachvollziehbare, plausible Prognose angestellt worden ist. Kann das Gericht sich davon nicht überzeugen, ist der Haushaltsplan rechtswidrig (BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 21). Umstritten ist in der Rechtsprechung insoweit, ob für die gerichtliche Kontrolle nur die der Vollversammlung beim Beschluss über den Haushaltsplan bekannten Grundlagen der Prognose maßgeblich sind (sog. formelle Betrachtung), oder ob eine materielle Betrachtung geboten ist und das Gericht seiner Prüfung auch die von der Beklagten erst im Prozess vorgetragenen Tatsachen für die Bemessung der Höhe der Rücklage zugrunde legen darf (für die materielle Betrachtung: BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 22; NdsOVG, U.v. 17.9.2018 - 8 LB 129/17 - juris Rn. 96; OVG Hamburg, U.v. 20.2.2018 - 5 Bf 213/12 - juris Rn. 55; offen gelassen durch OVG Berlin-Bbg, B.v. 6.1.2020 - OVG 1 N 62.18 - juris Rn. 19 m.w.N.; Gegenansicht: VG Gelsenkirchen, U.v. 21.5.2019 - 19 K 2505/17 - juris Rn. 57; U.v. 21.11.2017 - 19 K 903/16 - juris Rn. 47; VG Koblenz, U.v. 25.11.2013 - 3 K 121/12.KO - GewArch 2014, 116). Dies kann vorliegend dahinstehen, da die Mittelbedarfsfeststellung bzgl. der Höhe der Rücklage bereits in materieller Hinsicht nicht nachvollziehbar und damit fehlerhaft ist.
34
3.2.2 Denn unter Berücksichtigung der vorstehenden Maßstäbe entspricht die Rücklagenbildung bzw. -beibehaltung der Beklagten der Höhe nach für das hier in Rede stehende Haushaltsjahr 2016 auch unter Berücksichtigung der schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren nicht den an sie zu stellenden haushaltsrechtlichen Anforderungen.
35
3.2.2.1 Die Rücklagenhöhe kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie sich innerhalb des durch § 10 Abs. 1 Satz 2 HKRO vorgegebenen Rahmens bewegt. Davon geht inzwischen auch die Beklagte aus. Denn bei der HKRO handelt es sich um von der Beklagten selbst gesetztes Recht. Es ist schon deshalb nicht geeignet, bundesgesetzliche Anforderungen verbindlich auszufüllen oder gar zu modifizieren (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 11; OVG Hamburg, U.v. 20.2.2018 - 5 Bf 213/12 - juris Rn. 65; NdsOVG, U.v. 17.9.2018 - 8 LB 130/17 - juris Rn. 62 ff; VGH BW, U.v. 2.11.2016 - 6 S 1261/14 - juris Rn. 36). Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Dagegen genügt nicht, dass er einen pauschal festgelegten maximalen Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschreitet oder sich in einem durch solche Prozentanteile begrenzten Korridor bewegt.
36
3.2.2.2 Schon die Äußerung der Beklagten im Berufungsverfahren, „für den Fall, dass eine Schätzung in 2016 im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung ohne Zugrundelegung der Maßstäbe aus der HKRO 2012 vorgenommen worden wäre“ (Schriftsatz vom 31.3.2021, S. 12), deutet darauf hin, dass der Höhe der Rücklage bereits von vornherein keine Schätzung des Mittelbedarfs unter Nutzung nahe liegender Informationsgewinnungsmöglichkeiten zu Grunde lag, sondern dass die Beklagte allein auf die - nicht entscheidenden (vgl. oben) - Maßstäbe des § 10 Abs. 1 Satz 2 HKRO abgestellt hat. Ein solch grundlegender Mangel wäre nicht deshalb unbeachtlich, weil, wie die Beklagte geltend macht, „die Beachtung des Gebots der Schätzgenauigkeit zu keinem anderen Ergebnis der Haushaltsansätze und der Rücklagen geführt“ hätte. Denn ebenso wenig, wie es darauf ankommt, dass sich eine dem Gebot der Schätzgenauigkeit entsprechende Prognose nachträglich als unrichtig erweist (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 11; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 16), kann eine Prognose, die nicht oder jedenfalls ohne tragfähige Grundlage erstellt worden ist, mit einer ex-post-Betrachtung begründet werden. Bereits im Ansatz unzutreffend wäre daher auch die weitere Erläuterung der Beklagten zur Höhe des Rücklagenbedarfs mittels einer „ex-ante-Betrachtung der geplanten Ausgaben für den Haushaltsplan 2016 aus heutiger Sicht“ (Schriftsatz vom 4.8.2021, S. 2 unten). Fraglich ist diesbezüglich zudem, ob das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Feststellung, dass das Gericht der Kontrolle der Mittelbedarfsprognose alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen hat, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat (U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 22), auch das von der Beklagten geschilderte Vorgehen als mit dem Gebot der Schätzgenauigkeit vereinbar ansehen würde.
37
3.2.2.3 Zudem ist die Höhe des Rücklagenansatzes von 4.000.000 € weder aus dem Haushaltsbeschluss samt Haushaltsplan und Mittelfristiger Finanzplanung noch aus den Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren nachvollziehbar geworden.
38
Die Zusammenrechnung eines Betrags von 3.175.000 € für Leistungen im Bereich der Ausgabentitel „Kosten für die Beitragserhebung, Personal, allgemeine Verwaltung, Prüfungen, Berufsbildungsmaßnahmen, Internat, besondere Kammeraufgaben und Vermögensverwaltung“ und eines aus der Zuführung an den Vermögenshaushalt herrührenden Betrags von 990.000 € mit dem Ergebnis einer Summe vom 4.165.000 € (Schriftsatz der Beklagten vom 31.3.2021, S. 12) soll offenbar nachträglich belegen, dass ein Bedürfnis für eine Rücklage in Höhe von circa 4.000.000 € bestanden habe. Damit kann die Beklagte weder hinsichtlich des Betrags von 3.175.000 € (dazu 3.2.2.3.1) noch des Betrags von 990.000 € (dazu 3.2.2.3.2) durchdringen.
39
3.2.2.3.1 Es ist nicht erkennbar, dass der von der Beklagten genannte Betrag von 3.175.000 € in einer dem Gebot der Schätzgenauigkeit entsprechenden Weise ermittelt wurde.
40
3.2.2.3.1.1 Aus der Erläuterung diverser Ausgabenansätze aus dem Verwaltungshaushalt 2016 (Schriftsatz der Beklagten vom 31.3.2021, S. 7-11) ergibt sich nichts Konkretes in Bezug auf den Mittelbedarf für eine Rücklage in Höhe von 3.175.000 €.
41
3.2.2.3.1.2 Die von der Beklagten genannten Ausgabenbeträge, aus denen sich dieser Betrag zusammensetzt (Schriftsatz vom 31.3.2021, S. 12, und vom 4.8.2021, S. 2), lassen sich zwar insoweit zumindest ansatzweise nachvollziehen, als die Beklagte nunmehr anhand der Ist-Werte für die Jahre 2014 und 2015 und des Verweises auf die allgemeine Preissteigerung darlegt, dass sie in den Monaten Januar und Februar mit den genannten Beträgen in Vorleistung treten muss, bis die Einnahmen aus den Beiträgen und Gebühren zur Verfügung stehen. Allerdings können die durchgängig gegenüber den Vorjahren für das Jahr 2016 erhöhten erforderlichen Liquiditätsreserven nicht pauschal mit einer allgemeinen Preissteigerung gerechtfertigt werden. In den Bereichen „Bildungsmaßnahmen“ und „Internat“ geht die Beklagte etwa von Liquiditätsengpässen, die 20% über dem Niveau der Vorjahre liegen, aus, ohne dies näher zu begründen. Im Bereich der Kosten für die Beitragserhebung wird eine Verdoppelung der Kosten erwartet. Mit der Vermutung einer höheren Beitragssollstellung lässt sich dies nicht begründen.
42
3.2.2.3.1.3 Die Beklagte hat auch nicht nachvollziehbar belegt, dass sich aus dem Gebot der Schätzgenauigkeit die Notwendigkeit eines Betrags von 3.175.000 € als Ausgleichsrücklage ergibt bzw. welche konkrete Summe daraus für eine Ausgleichsrücklage benötigt wird.
43
Die gebotene Prognose muss sich bei der Ausgleichsrücklage darauf beziehen, in welcher Höhe Schwankungen im Beitragsaufkommen zu besorgen sind. Einerseits müssen die in Ansatz gebrachten Schwankungen im Beitragsaufkommen weder sicher noch auch nur überwiegend wahrscheinlich sein. Vielmehr sind aller Voraussicht nach im Geschäftsjahr eintretende Einbußen bereits im Haushaltsansatz des Beitragsaufkommens zu berücksichtigen, da dieser Haushaltsansatz ebenfalls dem haushaltsrechtlichen Gebot der Schätzgenauigkeit unterliegt. Andererseits dürfen die angenommenen Schwankungen im Beitragsaufkommen auch nicht so unwahrscheinlich sein, dass ihre Annahme rein spekulativ erscheint oder das abgesicherte Risiko nur in einem fernliegenden „worst case“ eintreten kann (vgl. OVG Hamburg, U.v. 20.2.2018 - 5 Bf 213/12 - juris Rn. 66). Doch bedarf es positiv tragfähiger Anhaltspunkte, die im jeweiligen Geschäftsjahr die ex-ante-Bildung oder Beibehaltung einer Rücklage in bestimmter Höhe vertretbar erscheinen lassen. Wie hoch die einzelnen Rücklagen sein dürfen, hängt hinsichtlich der eingehenden Mitgliedsbeiträge u.a. von bestehenden Erfahrungen der Kammer selbst ab (Wiemers, NVwZ 2016, 615/616). Dabei liegt es nahe, auf die Erfahrungen in den letzten Jahren zurückzugreifen (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 9.19 - juris Rn. 23; VG Düsseldorf, U. v. 30.3.2017 - 20 K 3225/15 - juris Rn. 372). Die Beklagte ist also auch in Bezug auf die Ausgleichsrücklage gehalten, das Bedürfnis in ihrer konkreten Höhe nachvollziehbar zu begründen und alle voraussichtlich zu erwartenden ergebniswirksamen Schwankungen möglichst zutreffend zu prognostizieren.
44
Vorliegend fehlt es an stichhaltigen Angaben der Beklagten zu Beitrags- oder auch Gebührenausfällen in den vorangegangenen Haushaltsjahren, die die konkrete Höhe einer Ausgleichsrücklage rechtfertigen könnten. Zwar führt die Beklagte aus, dass Ende des Jahres 2015 offene Beitragsforderungen in Höhe von 1.000.000 € und voraussichtlich offene Gebührenforderungen in Höhe von 500.000 € bestanden hätten (Schriftsatz vom 4.8.2021, S. 4). Sie benennt auch mögliche Ausfallgründe. Es fehlt aber an jeglicher Darlegung, in welcher Höhe in den letzten Jahren oder sonst in der Vergangenheit tatsächlich Gebühren- und Beitragsausfälle, nicht nur Verzögerungen bei der Begleichung, eingetreten sind. Hierzu lässt sich auch den Erläuterungen zum Haushaltsplan nichts entnehmen. Zudem liegt die Summe von 1.500.000 € deutlich unter dem von der Beklagten genannten Betrag von 3.175.000 €, der (auch) für eine Ausgleichsrücklage benötigt werden soll. Schließlich liegt der für offene Beitragsforderungen genannte Zeitpunkt (31.12.2015) nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Vollversammlung (3.12.2015). Dass es sich - wie hinsichtlich der Gebühren - lediglich um einen voraussichtlichen Betrag handelt, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen; vielmehr verdeutlicht auch dieses Vorbringen der Beklagten, dass ihre nunmehrigen Angaben zum Rücklagenbedarf - rechtlich unzulässig - auf einer ex-post-Betrachtung beruhen.
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Die Höhe des in Bezug auf mögliche Einnahmeausfälle weiter genannten Betrags von 3.071.000 € bei Fördermitteln hat die Beklagte ebenfalls nicht nachvollziehbar begründet. Weder lässt sich wegen der fehlenden Bezugnahme auf die entsprechenden Haushaltstitel im Haushaltsplan feststellen, in welcher Höhe erwartete Fördermittel für die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) in den Haushaltsplan 2016 eingestellt worden sind, noch legt die Beklagte offen, in welcher Höhe aufgrund der Erfahrungen in den letzten Haushaltsjahren mit einem Ausfall der eingeplanten Fördermittel zu rechnen ist.
46
3.2.2.3.2 Der Beklagten ist es auch nicht gelungen, ein Bedürfnis für die Höhe der Rücklage von 4.000.000 € nachvollziehbar zu begründen, soweit bei deren Bemessung zusätzlich zu den bereits genannten 3.175.000 € ein Betrag von 990.000 € eingeflossen sein soll.
47
3.2.2.3.2.1 Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass die Zuführung in Höhe von 990.000 € vom Verwaltungshaushalt in den Vermögenshaushalt der allgemeinen Liquiditätssicherung im Vermögenshaushalt diene, dass sie mit Blick auf Zahlungsverpflichtungen und Beschaffungen im Vermögenshaushalt Planungssicherheit benötige und dass Eigenmittel für geförderte Beschaffungen vorzuhalten seien, um die Auflagen der Zuwendungsgeber zu erfüllen. Die Zuführung zum Vermögenshaushalt müsse gleich zu Beginn des Haushaltsjahres zur Verfügung stehen.
48
Den Erläuterungen im Haushaltsplan (zu Titel 718) ist zu entnehmen, dass sich aufgrund der Haushaltsansätze bei den Einnahmen und Ausgaben ein Überschuss im Verwaltungshaushalt ergibt, der dem Vermögenshaushalt zugeführt wird. Diese Vorgehensweise entspricht § 11 Abs. 2 HKRO. Diesen Überschuss hat die Beklagte im Haushaltsplan 2016 als Einnahme im Vermögenshaushalt eingeplant, so dass mit dem entsprechenden Haushaltsbeschluss auch über die Verwendung des Überschusses zur Deckung der Ausgaben im Vermögenshaushalt entschieden worden sein mag. Ob die Beklagte darüber hinaus auch hätte beschließen müssen, zur Deckung welcher konkreten Ausgaben im Vermögenshaushalt der Überschuss aus dem Verwaltungshaushalt verwendet werden soll, kann offenbleiben. Ebenso kann offenbleiben, ob die geplante Bildung eines Überschusses von 990.000 € im Verwaltungshaushalt mit dem Ziel der Deckung von Ausgaben des Vermögenshaushaltes überhaupt mit dem Kostendeckungsprinzip vereinbar ist. Denn die Rücklagenbildung erweist sich auch insoweit aus anderen Gründen als rechtswidrig.
49
3.2.2.3.2.2 § 11 Abs. 3 HKRO sieht eine Zuführung zur allgemeinen Rücklage von im Vermögenshaushalt zur Deckung der Ausgaben nicht benötigten Einnahmen vor. Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Haushaltsplan der Beklagten für 2016 eine solche Zuführung zur Rücklage aus dem Vermögenshaushalt enthält. Dem Vermögenshaushalt lässt sich nur die Zuführung aus dem Verwaltungshaushalt (Titel 44), aber keine Zuführung zu den Rücklagen entnehmen (Titel 83).
50
3.2.2.3.2.3 Zudem ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht, weshalb der im Laufe des (gesamten) Haushaltsjahres 2016 erwirtschaftete Überschuss im Verwaltungshaushalt gleich zu Beginn des Jahres in die „Allgemeine Rücklage“ als Liquiditätsreserve eingestellt werden muss, bevor die Einnahmen bzw. die Überschüsse aus den jeweiligen Haushaltstiteln im Gesamtplan Verwaltungshaushalt zur Verfügung stehen. Dass ein Überschuss in Höhe vom 990.000 € zur Liquiditätssicherung in Bezug auf Eigenmittel für geförderte Beschaffungen bei ex-ante-Betrachtung dem Gebot der Schätzgenauigkeit entsprach, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der pauschale Verweis auf die geplanten Investitionen des Haushaltsjahres 2016 (Schriftsatz vom 4.8.2021, S. 2) gibt keinerlei Aufschluss darüber, inwieweit hieraus ein Mittelbedarf für eine Rücklage in Höhe von 990.000 € folgen sollte. Die von der Beklagten (a.a.O.) konkret angeführten verbleibenden Eigenmittel für die Maßnahmen in den Einzelplänen 30 und 50 in Höhe von 138.000 € und 71.000 € rechtfertigen jedenfalls die Dotierung einer „Liquiditätsreserve“ von 990.000 € auch nicht ansatzweise.
51
Ob die Vorhaltung von Eigenmitteln für geförderte Beschaffungen angesichts § 10 Abs. 1 HKRO überhaupt ein zulässiger Rücklagenzweck sein konnte, kann daher, wie bereits erwähnt, offenbleiben.
52
3.3 Für einen Verstoß gegen das Gebot der Schätzgenauigkeit spricht auch, dass die Vollversammlung der Beklagten bereits für das Haushaltsjahr 2015 den Beschluss gefasst hat, bei Bedarf aus der „Allgemeinen Rücklage“ einen Betrag von 2.000.000 € zu entnehmen und der zweckgebundenen Rücklage zuzuführen, auf den bei der Beschlussfassung über den Haushaltsplan 2016 nachrichtlich hingewiesen worden ist. Dies zeigt, dass die „Allgemeine Rücklage“ nicht nur dem Zweck der Liquiditätssicherung gedient hat, sondern so bemessen war, dass bei Bedarf auch Anschaffungen, die dem Vermögenshaushalt der Beklagten zuzuordnen sind, finanziert werden konnten. Dieses Vorgehen widerspricht dem aus § 113 Abs. 1 HwO folgenden Verbot der Vermögensbildung.
53
3.4 Insgesamt hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass es sich bei den von der Beklagten genannten Beträgen, die eine Rücklage von 4.000.000 € nachvollziehbar belegen sollen, um gegriffene Ansätze handelt, die die Rücklagenbildung lediglich ex-post rechtfertigen sollen. Dies entspricht nicht einer nach dem Gebot der Schätzgenauigkeit erforderlichen ex-ante-Prognose; es lässt sich nicht erkennen, dass die Beklagte Erwägungen vorgebracht hat, die sich auf die bereits im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen beziehen (siehe schon 3.2.2.2).
54
4. Eine fehlerhafte Mittelbedarfsfeststellung (hier die Bemessung einer Rücklage in Höhe von 4.000.000 €) im maßgeblichen Haushaltsplan hat die Rechtswidrigkeit der Beitragsveranlagung zur Folge. Dies allein rechtfertigt die Aufhebung des angefochtenen Beitragsbescheids.
55
5. Auf die vom Kläger weiter aufgeworfenen Fragen, ob die Beklagte die Realisierung ausstehender Forderungen bei der Mittelbedarfsplanung berücksichtigt und sie einen gewerblichen Hotelbetrieb unterhalten hat, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an. Das Gleiche gilt bezüglich der im Berufungsverfahren nicht mehr thematisierten Bemessung der Baurücklage.
56
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
57
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 1, Abs. 2 VwGO) bestehen nicht.