Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 24.03.2021 – 19 Ca 11406/20
Titel:

Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Teilnahme an vom Arbeitgeber angeordneter Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2

Normenketten:
BGB § 242, § 611a, § 615, § 618
GewO § 106
ArbSchG § 3, § 4
Corona-ArbSchV § 2 Abs. 5
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2
IfSG § 28, § 28a, § 29
Leitsatz:
Verweigert ein Arbeitnehmer den von seinem Arbeitgeber angeordneten verdachtsunabhängigen Test auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, können einem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers das ordnungsgemäß ausgeübte Direktionsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 GewO sowie der Gesundheits- und Infektionsschutz und die daraus resultierende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gem. § 618 BGB iVm § 3 Abs. 1 ArbSchG entgegenstehen (hier bejaht für eine Musikerin der Bayerischen Staatsoper; s. auch nachgehend mit anderer Begründung LAG München BeckRS 2021, 35419). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
PCR-Test, Coronavirus, SARS-CoV-2, Annahmeverzug, Direktionsrecht
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 26.10.2021 – 9 Sa 332/21
BAG Erfurt, Urteil vom 01.06.2022 – 5 AZR 28/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 35490

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf EURO 26.661,92 festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Beschäftigungsantrag der Klägerin sowie über Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
2
Die Klägerin ist seit 1997 bei der D. als Flötistin zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 8.351,86 € beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag vom 1997, Bl. 5 d.A.).
3
Die D. beschäftigt knapp 1.000 feste Mitarbeiter, davon ca. 140 Orchestermusiker.
4
Mit Mail vom 10.08.2020 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sich alle Mitarbeiter des Orchesters auf Corona testen lassen müssten (vgl. Mail vom 10.08.2020, Bl. 6.f. d.A.).
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Grundlage hierfür ist das Hygienekonzept der D. vom 11.05.2020 (vgl. Anlage B 1, Bl. 38 ff. d.A.). Bestandteil dieses Hygienekonzeptes ist eine Teststrategie, die zum einen vorsieht, dass bei Dienstantritt in der Spielzeit 2020/2021 von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein negativer Testbefund (PCR-Test) vorliegen muss. Andernfalls ist die Teilnahme an Proben und Aufführungen nicht möglich.
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Die Testung wurde durch die D. organisiert. Dabei wurden Nasen-Rachen-Abstriche durch medizinisch geschultes Personal in gesonderten Räumlichkeiten im Umfeld der D. kostenfrei durchgeführt. Alternativ konnten die Mitarbeiter selbst Testbefunde beibringen, wenn der Zeitpunkt des Abstrichs maximal vier Tage vor dem ersten Einsatz im Haus lag (vgl. Anlage B 2, Bl. 52 ff. d.A.).
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Zum anderen sieht das Hygienekonzept rollierende Folgetestungen (PCR-Tests) nach Stichprobenprinzip vor, die entweder im Haus (kostenfrei) oder extern auf eigene Kosten durchgeführt werden können. Die Folgetestungen für die Orchestermusiker (=rote Gruppe) sollen regelmäßig alle ein bis drei Wochen stattfinden.
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Neben der Teststrategie erfolgte bereits noch vor der Sommerpause ein Umbau im Bühnenbereich der D. dergestalt, dass der Orchestergraben überbaut wurde. Dadurch wurde eine Vergrößerung der Fläche von bislang 100 Quadratmetern auf 170 Quadratmetern ermöglicht. Zudem wurden beispielsweise Werke verändert (musikalische Kürzung, Verzicht auf Pausen), Orchesterbesetzungen verkleinert, Zu- und Abtritte der Orchestermusiker neu geregelt, Paravents und Plexiglaswände aufgestellt. Die Flötisten sitzen dabei regelmäßig mittig im Orchester mit einem Abstand von zwei Metern zu den Kollegen.
9
Mit Schreiben ihrer ehemaligen Prozessvertreterin vom 24.08.2020 (vgl. Bl. 8 ff. d.A.) ließ die Klägerin mitteilen, dass sie sich keinem Test unterziehen werde, da sie sich weder während ihres Urlaubs in einem Risikogebiet aufgehalten habe noch Anzeichen einer Corona-Erkrankung bei ihr bestünden.
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Demzufolge wurde die Klägerin nicht beschäftigt. Die Lohnzahlung an die Klägerin wurde zum 24.08.2020 eingestellt.
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Am 28.10.2020 unterzog sich die Klägerin einem Corona-Test, welcher positiv ausfiel. Der Beklagte hat die Gehaltszahlung mit Vorliegen des Testergebnisses ab dem 30.10.2020 wieder aufgenommen. Seit dem 28.10.2020 lässt sich die Klägerin stets extern bei Teststationen ihrer Wahl mittels Rachenabstrich und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht testen.
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Streitig ist, ob die Klägerin verlangen kann, ohne Vornahme und Vorlage von PCR-Tests bzw. anderen Tests jedweder Art zur Feststellung von Covid-19 Erregern oder CoronaErkrankung als Flötistin beschäftigt zu werden. Streitig ist zudem, ob der Klägerin für den Zeitraum von 25.08.2020 bis 29.10.2020 Annahmeverzugslohn zusteht.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass die D. mangels Rechtsgrundlage nicht berechtigt sei, die besagten Coronatests anzuordnen. Daraus folge, dass der Beklagte die angebotene Arbeitsleistung der Klägerin hätte annehmen müssen. Da dies nicht erfolgt sei, sei der Beklagte in Annahmeverzug geraten und schulde der Klägerin im streitigen Zeitraum ihr ausstehendes Gehalt.
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Der verlangte Coronatest stelle einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Beim Eingriff durch den Mund würden im hinteren Rachen Speichelproben gesammelt, was in der Regel zu Würgereflexen führe. Beim Eingriff durch die Nase würden im oberen Nasenbereich Schleimproben genommen, weshalb tief in die Nase eingedrungen werden müsse, was oftmals mit Schmerzen und bisweilen mit Nasenbluten verbunden sei. Gerade Spieler von Blasinstrumenten könnten bereits bei geringen Verletzungen im Nasen- und Rachenbereich arbeitsunfähig werden. So habe die testende Ärztin bei der Musikerkollegin der Klägerin, Frau H., durch ungeschicktes Hantieren einen Niesreiz verursacht, dann das Wattestäbchen nicht rechtzeitig herausgezogen oder wenigstens losgelassen und damit der Kollegin eine Verletzung zugefügt, die tagelange Schmerzen zur Folge gehabt habe.
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Es gebe insgesamt keine rechtliche Grundlage für anlasslose, allgemeine PCR-Tests für Orchestermusiker der D. Sowohl das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wie auch die Deutsche Orchestervereinigung, wie auch das RKI wie auch der Freistaat Bayern lehnten unspezifische Massentests, wie vom Beklagten angeordnet (vgl. Anlagen K 4 bis K 8, Bl. 267 ff. d.A.), ab. Auch der Betriebsarzt der D., Herr Dr. D., komme zu dem eindeutigen Ergebnis, dass unspezifische Massentests abzulehnen seien, weil sie medizinisch wertlos seien, da ein PCR-Test keine Infektion nachweisen könne (Anlage K 9, Bl. 289 d.A.). Auch die Hygienekonzepte der anderen Orchester in A-Stadt sowie das Orchester der BStadt und der C-Stadt würden keine Zwangstestungen beinhalten und seien dennoch genehmigt geworden und würden erfolgreich zur Anwendung kommen. Demnach verstoße der Alleingang der D. gegen das Gleichbehandlungsgebot.
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Zudem würden die Testungen mit den Abständen, wie sie vom Beklagten durchgeführt würden, absolut keine Sicherheit bieten und unter anderem auch Mitarbeiter, die zu einer Risikogruppe gehörten, in falscher Sicherheit wiegen. Vor diesem Hintergrund könne sich auch ein Arbeitgeber nicht darauf berufen, mit den Zwangstestungen irgendeine Fürsorgepflicht zu erfüllen. Auch würde der Beklagte keine konsequente Testung seiner Mitarbeiter durchführen, weil manche Kollegen sehr häufig, andere dagegen weniger häufig getestet würden.
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Auch seien die Zwangstestungen unverhältnismäßig, insbesondere ungeeignet, um Mitarbeiter am Arbeitsplatz vor Infektionen zu schützen. Wenn nach Auffassung des Beklagten die Sicherheitsabstände nicht ausreichen sollten, so hätte er sie vergrößern müssen, bevor die Klägerin auszusperren. Nach der aktuellsten Studie der Universität unter der Leitung von E. werde bei Querflöten ein Sicherheitsabstand von drei Metern in allen Richtungen empfohlen. Wenn dies eingehalten würde, bestehe nicht das geringste Risiko für die Gesundheit anderer. Weiterhin stelle ein negativer PCR-Test nur eine Momentaufnahme dar. Hinzu komme, dass PCR-Tests einer gewissen Fehlerhaftigkeit unterliegen würden.
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Im Gegensatz zur Sängern und Tänzern würden Orchestermusiker ihren festen Platz weder bei Proben noch bei Vorstellungen verlassen. Die vorgeschriebenen Abstände von 1,5 bzw. 2 Metern würden während der gesamten Arbeitszeit eingehalten, in Ausnahmefällen böten großflächige Plexiglaswände zwischen allen Bläsern zusätzlichen Schutz.
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Durch die Aussperrung sei die Klägerin als Profimusikerin besonders nachhaltig getroffen worden, weil hiervon nicht nur ihr Gehalt und ihre wirtschaftliche Existenz, sondern ihr gesamter beruflicher Marktwert betroffen sei. Dies sei wie bei einem Spitzensportler, der nicht mehr trainieren dürfe. Auch dieser verlöre sehr schnell seinen gesamten Marktwert.
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Schließlich würden bei der Teststrategie am Haus weder Datenschutz noch Arztgeheimnis gewahrt, noch sei die Einwilligung in die Übermittlung der Daten an den Testausschuss freiwillig noch werde auf medizinische Besonderheiten Einzelner Rücksicht genommen.
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Die Klägerin beantragt daher zuletzt:
1. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin weiterhin zu den vereinbarten Bedingungen als Flötistin zu beschäftigen, wobei die Klägerin nicht verpflichtet ist, zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung PCR-Tests oder andere Tests jedweder Art zur Feststellung von Covid-19 Erregern oder Corona Erkrankung vornehmen zu lassen und der Beklagten vorzulegen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Gehalt für den Kalendermonat September 2020 in Höhe von € 8.351,86 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.10.2020 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Gehalt für den Kalendermonat August 2020 in Höhe von € 2.145,25 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.09.2020 zu bezahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Gehalt für den Kalendermonat Oktober 2020 in Höhe von € 7.812,95 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.11.2020 zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Anordnung von Testungen mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber allen Mitarbeitern zum Schutz vor Ansteckung und daraus resultierenden Gefahren für Leib und Leben begründbar sei. Musiker könnten bei Proben und Aufführungen nicht durchgängig mit Mund-Nasen-Bedeckung arbeiten, obwohl sie sich regelmäßig und für längere Zeit in geschlossenen Räumen aufhielten. Auch die Einhaltung von Mindestabständen, die Infektionsgefahren hinreichend minimieren würden, seien aus musikalischen Gründen nicht umsetzbar. Um Ansteckungen zu verhindern, seien daher zusätzliche Schutzmaßnahmen, wie eben regelmäßige Testungen, geboten. Erst im Fall von Symptomen zu reagieren, obwohl bekannt sei, dass die Infektiösität 48 Stunden vor Symptombeginn besonders stark sei, sei bereits zu spät und erst recht keine taugliche Alternative bei symptomlosen Verläufen.
24
Entgegen der Auffassung der Klägerin, sei der PCR-Test bereits kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, sondern eine ärztliche Untersuchung mit minimal invasiven Charakter. Bislang sei der D. kein einziger Fall bekannt, bei dem es zu den von der Klägerin behaupteten Verletzungen gekommen sei. In diesem Zusammenhang sei mit Nichtwissen zu bestreiten, dass durch „ungeschicktes Hantieren“ die testende Ärztin der Musikerin Frau H. einen Niesreiz verursacht habe. Dass ein Niesreiz eine Verletzung darstelle und bei der Musikerin tagelange Schmerzen zur Folge gehabt habe, sei eine bloße Behauptung.
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Weiterhin verkenne die Klägerin, dass an ihr kein Zwangseingriff vorgenommen werde, sondern sie nach wie vor selbst darüber entscheide, ob sie einen Test durchführen lasse oder nicht. Es gehe vorliegend nicht um einen zwangsweise durchgeführten körperlichen Eingriff, sondern um die Berechtigung zum Ausschluss von Teilhabe an Proben und Auftritten im gesundheitlichen Interesse der Klägerin selbst, der Mitarbeiter und sonstigen Dritten. Hierfür bedürfe es keiner gesonderten gesetzlichen Grundlage.
26
Es handele sich weiterhin vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Pandemie auch nicht um eine anlasslose Durchführung von PCR-Tests. Es gehe entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht darum, hundertprozentige Sicherheit zu erlangen, sondern Infektionsrisiken und Übertragungswahrscheinlichkeiten zu minimieren.
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Die stichprobenartigen Testungen seien zum einen ein geeignetes Mittel, das Infektionsgeschehen zu beobachten, Infektionen zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zum anderen sei die stichprobenartige Durchführung Ausdruck der Verhältnismäßigkeit, die Testungen für den Einzelnen auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken. Zudem werde über das rollierende Verfahren erreicht, dass an jedem Testtag die unterschiedlichen Arbeitsbereiche der D. untersucht und kontrolliert werden könnten. Zu bestreiten sei die Ausführung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2021, dass es sich hierbei um keine konsequente Testung handele.
28
Der Hinweis der Klägerin, dass andere Häuser keine PCR-Tests vornähmen, sei irreführend und unzutreffend. Mittlerweile würden auch am A-Theater PCR-Tests durchgeführt. Gleiches gelte für die A-Oper, die B-Oper sowie die C-Oper.
29
Die Behauptung der Klägerin, zu den regelmäßig mittig sitzenden Flötisten könne ein Abstand von 3 m gewahrt werden, der dann „auch nicht das geringste Risiko für die Gesundheit anderer“ darstelle, sei weiterhin zu bestreiten. Abgesehen davon, dass dies nicht nur das Zusammenspiel im Orchester weiter beeinträchtige und der Platz nicht ausreiche, um 3-Meter-Abstände zu gewährleisten, würde die Ansteckungsgefahr durch Aerosole weiter bestehen bleiben.
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Die Testungen würden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Es handele sich um eine notwenige und geeignete Maßnahme, im Verbund mit anderen Maßnahmen, um das Infektionsgeschehen im eigenen Haus unter Kontrolle zu halten und Mitarbeiter sowie Außenstehende vor Infektionen zu schützen. Testungen auf einer freiwilligen Grundlage wären dabei nicht annähernd gleich wirksam. Die wechselseitigen Testungen Einzelner dienten dem Schutz aller und stellten ein ausgewogenes System dar, das die Belastungen für den Einzelnen möglichst gering halte und gleichzeitig aufgrund der strategischen Testeinteilung zu einem hohen Schutzniveau für alle führe.
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Schließlich würden auch der Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht im Rahmen der Teststrategie am Haus gewahrt.
32
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

Entscheidungsgründe

I.
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Die Klage ist zulässig.
34
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 12, 18 ZPO und § 48 Abs. 1 a ArbGG örtlich zuständig.
II.
35
Die Klage ist unbegründet, weil die Klägerin nicht verlangen kann, ohne Vornahme von PCR-Tests oder anderer Tests jedweder Art und deren Vorlage gegenüber dem Beklagten als Flötistin bei der D. beschäftigt zu werden. Nachdem die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihre Arbeitsleistung nicht vertragsgemäß angeboten hat, stehen ihr die eingeklagten Annahmeverzugslohnansprüche nicht zu, weshalb die Klage insgesamt abzuweisen war.
36
1. Rechtsgrundlage des Beschäftigungsanspruchs der Klägerin ist der Arbeitsvertrag, der den Arbeitnehmer gem. § 611 a BGB zur persönlichen Dienstleistung für den Arbeitgeber verpflichtet. Der Anspruch beruht unmittelbar auf der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Werteentscheidung der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Pflicht zur Förderung der Beschäftigungsinteressen des Arbeitsnehmers (so bereits BAG, 10.11.1955 - 2 AZR 591/54, juris). Einem Beschäftigungsanspruch der Klägerin steht hier das ordnungsgemäß ausgeübte Direktionsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 Abs. 1 GewO entgegen sowie der Gesundheits- und Infektionsschutz und die daraus resultierende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß § 618 BGB iVm § 3 Abs. 1 ArbSchG.
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a. Klarzustellen ist vorab, dass die Klägerin keiner Zwangstestung unterliegt, wofür tatsächlich eine gesetzliche Grundlage erforderlich wäre. Es obliegt jedoch vorliegend allein ihrer Entscheidung, ob sie der Weisung des Arbeitgebers nachkommen will oder nicht. Welche Folgen ihre Entscheidung mit sich bringt, hängt wiederum maßgeblich davon ab, ob die Weisung des Arbeitgebers zu Recht erfolgte oder nicht (vgl. zum Ganzen die insofern vergleichbare Frage nach einer Impfpflicht des Arbeitnehmers in CoVuR 2021, 66). Von daher scheitert die Anordnung von Testungen nicht bereits daran, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine gesetzliche Grundlage hierfür in Bayern bestand, denn die maßgebliche Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Einführung einer solchen Testpflicht im Betrieb kann sich gleichfalls aus sonstigen Rechtsvorschriften, wie Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder auch aus seiner Fürsorgepflicht gem. § 618 BGB ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 12. August 1999 - 2 AZR 55/99 -, juris).
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b. Anzumerken ist weiterhin, dass die im letzten Schriftsatz des Klägerinvertreters vom 17.03.2021 zitierte Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 02.03.2021 (- 20 NE 21.353, BeckRS 2021, 3413) für den vorliegenden Rechtsstreit unbehelflich ist, da sich dieser Beschluss allein mit der Rechtsgrundlage des § 29 IfSG auseinandersetzt. § 29 IfSG ist jedoch für den vorliegenden Fall nicht von Bedeutung, da es sich bei der Klägerin um keine Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige etc. handelt. Insofern können aus diesem Beschluss keine Rückschlüsse auf andere denkbare Rechtsgrundlagen, wie z.B. §§ 28, 28 a IfSG, gezogen werden (vgl. dazu auch https://www.br.de/nachrichten/faktenfuchsfaktencheck,QzSIzl3, abgerufen am 24.03.2021).
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c. Der Anwendungsbereich des § 28 a IfSG, der mit Wirkung zum 19.11.2020 in das IfSG eingeführt wurde, ist zwar vorliegend eröffnet, da der Deutsche Bundestag am 25. März 2020 eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellte und diesen Beschluss in seiner Plenarsitzung am 18. November 2020 erneuerte (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/191, S. 24109, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19191.pdf#P.24045). Dahingestellt kann jedoch bleiben, ob § 28 a Abs. 1 Nr. 4 IfSG als Rechtsgrundlage für die Anordnung von PCR-Tests im Betrieb in Betracht kommen könnte, da sich die maßgebliche Rechtspflicht für den Arbeitgeber zur Einführung einer Testpflicht im Betrieb ohnehin mit seiner Fürsorgepflicht gemäß § 618 BGB begründen lässt. Bei § 618 BGB handelt es sich um eine Teilausprägung der allgemeinen arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht, die ihrerseits wiederum Ausprägung der allgemeinen Pflicht jedes Vertragspartners zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB ist (MüKo BGB/ Henssler § 618 Rn. 1 ff.). Im Rahmen dieser Fürsorgepflicht ist der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern verpflichtet. Die öffentlichrechtlichen Arbeitsschutzvorschriften konkretisieren diese Schutzmaßnahmen (§ 3 Abs. 1 ArbSchG). Der Arbeitgeber ist demnach verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten.
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d. In der gegenwärtigen Pandemielage bedeutet dies, dass der Arbeitgeber sicherzustellen hat, dass die Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplätzen sowie im Fall der D. auch die Besucher einem möglichst geringen Infektionsrisiko ausgesetzt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 16.04.2020 zusammen mit dem Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung den so genannten SARS-CoV-2- Arbeitsschutzstandard veröffentlicht. Der Arbeitsschutzstandard enthält Handlungsempfehlungen für Unternehmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter vor Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus am Arbeitsplatz. Die Empfehlungen des Arbeitsschutzstandards sind für Unternehmen zwar nicht unmittelbar verbindlich. Der Arbeitsschutzstandard ist jedoch bei der Ermittlung der „erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ zu berücksichtigen, die jeder Arbeitgeber zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten im Sinne von § 3 I 1 und § 4 Nr. 1 ArbSchG zu treffen hat (Müller-Bonanni/Bertke: Einhaltung von Arbeitsschutzstandards durch Arbeitgeber, NJW 2020, 1617).
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In Ziffer 4.1 (3) der „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel“ (in der Fassung vom 20.8.2020 sowie vom 22.02.2021, Arbeitsschutzausschüsse beim BMAS - www.baua.de/ausschuesse) heißt es wie folgt:
„Soweit arbeitsbedingt die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann und technische Maßnahmen wie Abtrennungen zwischen den Arbeitsplätzen nicht umsetzbar sind, müssen die Beschäftigten mindestens MNB zum gegenseitigen Schutz tragen. Entsprechend der Höhe des Infektionsrisikos, das sich aus der Gefährdungsbeurteilung ergibt, sind filtrierende Halbmasken (mindestens FFP2 oder vergleichbar [6]) als persönliche Schutzausrüstung erforderlich. Gleiches gilt, wenn in einer unmittelbaren Interaktion einer der Beteiligten keine MNB tragen kann.“
42
Weiter heißt es unter Ziffer 4.2.13 Mund-Nase-Bedeckung (MNB) und persönliche Schutzausrüstung:
„Bei Tätigkeiten, bei denen sich das Tragen von MNB der beteiligten Personen nicht umsetzen lässt, sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gleichwertige alternative Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen.“
(Hervorhebung durch Bearb.)
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In der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchVO) heißt es in § 2 (5) außerdem:
„Ist die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen erforderlich, so darf eine Mindestfläche von 10 Quadratmetern für jede im Raum befindliche Person nicht unterschritten werden. Lassen zwingende betriebsbedingte Gründe, insbesondere die auszuführenden Tätigkeiten oder die baulichen Verhältnisse, die Einhaltung der Mindestfläche nach Satz 1 nicht zu, hat der Arbeitgeber durch andere geeignete Schutzmaßnahmen den gleichwertigen Schutz der Beschäftigten sicherzustellen, insbesondere durch:
1. Lüftungsmaßnahmen,
2.
geeignete Abtrennungen zwischen den anwesenden Personen,
3.
Tragepflicht von Mund-Nase-Schutz oder Atemschutzmasken für alle anwesenden Personen,
4.
sonstige im Hygienekonzept ausgewiesene Maßnahmen.“ (Hervorhebung durch Bearb.)
44
e. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers erstreckt sich nach § 106 S. 2 GewO gleichfalls auf die Ordnung des Verhaltens des Arbeitnehmers im Betrieb. Das Weisungsrecht erstreckt sich daher auch auf die nach öffentlichrechtlichen Arbeitsschutzvorschriften notwendigen Schutzmaßnahmen. Nachdem im konkreten Fall weder das Tragen einer Atemschutzmaske noch die Einhaltung der Abstände in erforderlichem Maße möglich ist und zudem von einem Aufenthalt in geschlossenen Räumlichkeiten für längere Zeit auszugehen ist, bleibt dem Arbeitgeber nichts anderes übrig, als sonstige im Hygienekonzept ausgewiesene Maßnahmen, die eine gleichwertige Alternative darstellen, umzusetzen. Insofern handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht um die Anordnung anlassloser, unspezifischer Coronatests. Vielmehr führt die konkrete Arbeitsplatzsituation der Klägerin dazu, dass der Arbeitgeber im Rahmen gleichwertiger Alternativen u.a. auch auf Testungen seiner Beschäftigten zurückgreifen kann.
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2. Dazu muss die Ausübung des Weisungsrechts im konkreten Einzelfall nach billigem Ermessen erfolgen. Die Wahrung billigen Ermessens verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen, (BAG NZA 2012, 266; ErfK/Preis GewO § 106 Rn.10; ErfK/Preis BGB § 611 a Rn. 746).
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a. Vom Arbeitgeber angeordnete Corona-Tests berühren sowohl das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nach Art. 2 Abs. 1 GG als auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (im Fall einer invasiven Untersuchung) gemäß Art. 2 Abs. 2 GG. Allerdings ist bei Rachen- und Nasen-Rachen-Abstrichen mittels Wattestäbchens von einem insgesamt geringfügigen, körperlichen Eingriff auszugehen. Das bestrittene Vorbringen der Klägerin, dass die testende Ärztin der Musikerin Frau H. eine Verletzung durch einen bei ihr ausgelösten Niesreiz zugefügt habe, kann letztlich dahingestellt bleiben, da die Durchführung eines Nasen-Rachenabstrichs gerade nicht vorgeschrieben ist, sondern auch Rachenabstriche von der Beklagten akzeptiert werden. Das weitere bestrittene Vorbringen der Klägerin, dass gerade Spieler von Blasinstrumenten auch bei bereits geringen Verletzungen im Nasen- und Rachenbereich arbeitsunfähig werden könnten, stellt mangels konkreten Tatsachen nur eine bloße Behauptung dar und ist daher einem Beweis nicht zugänglich. Hinzu kommt, dass die D. es den Musikern - wie bereits gesagt - freistellt und freigestellt hat, wo sie sich und ob sie sich mit Rachen- oder Nasen-Rachen-Abstrich testen lassen. Welche konkrete Befürchtung die Klägerin gerade bei einem Rachenabstrich hat, konnte im Übrigen auch in der mündlichen Verhandlung von ihr nicht genauer erläutert werden.
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b. Auf der anderen Seite verfolgt der Beklagte mit den angeordneten Testungen einen legitimen Zweck, nämlich die weitere Ausbreitung des Coronavirus so gut wie möglich zu verhindern und sowohl die Beschäftigten als auch Besucher der D. vor Infektionen mit diesem Virus zu schützen. Nach Auffassung der Kammer wahren die geforderten Testungen auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Einzelnen:
48
c. Die Aufforderung zu Testungen ist zum einen geeignet, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und Übertragungsmöglichkeiten zu minimieren. Dabei geht es nach der Darstellung des Beklagten nicht darum, 100%ige Sicherheit vor Ansteckungen mit Covid-19 zu erzielen, sondern das Infektionsrisiko so gut wie möglich zu minimieren. Dies übersieht die Klägerin, wenn sie meint, dass die Teststrategie des Beklagten und die PCR-Tests im Besonderen, generell ungeeignet seien, um Mitarbeiter vor Infektionen am Arbeitsplatz zu schützen. Natürlich wird durch regelmäßige Stichprobentestungen keine 100%ige Sicherheit erzielt. Fakt ist aber, dass regelmäßiges Testen einen besseren Infektionsschutz und damit mehr Sicherheit für Beschäftigte und Besucher gewährleistet als keine oder nur freiwillige Tests.
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i. Abwegig ist in diesem Zusammenhang die Auffassung der Klägerin dahingehend, dass PCR-Tests medizinisch wertlos seien, weil sie keine Infektion nachweisen könnten. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei der Einlassung der Klägerin um eine bloße Behauptung ohne Darstellung nachvollziehbarer Tatsachen handelt, woran auch die als Beweis angebotene Stellungnahme des Betriebsarztes der D. und des B. Theaters vom 10.08.2020 (Bl. 215 d.A.) nichts zu ändern vermag. Dabei ist anzumerken, dass auch die letztgenannte Stellungnahme von Herrn Dr. D. sehr wohl zu dem Ergebnis kommt, dass Infektionen mit einem PCR-Test nachgewiesen werden können, jedoch dort angesichts hoher Kosten davon ausgegangen wird, dass „der Nutzwert der Momentaufnahme-/information (Coronapositives oder negatives Testergebnis) m.E. nicht gerechtfertigt“ sei. Fakt ist, dass PCR-Tests von verschiedenen Stellen eine Zuverlässigkeit von ca. 95% attestiert wird (vgl. z.B. Gesellschaft für Virologie, Artikel vom 30.10.2020 unter aerzteblatt.de; Epidemiologisches Bulletin des RKI vom 21.01.2021; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronaviruspcrtestszuverlaessigkeit-100.html, https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/testsaufsarscov-2.html, https://www.stmgp.bayern.de/coronavirus/bayerischeteststrategie/). Auch werden PCR-Tests regelmäßig als „Goldstandard“ der Diagnostik bezeichnet (vgl. RKI, „Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“, unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_T estung_nCoV.html).
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ii. Der weitere Einwand der Klägerin, dass ein PCR-Test nur eine Momentaufnahme darstelle, ist zwar zutreffend, kann jedoch nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass Testungen insgesamt ungeeignet seien. Auch wenn ein PCR-Test genau wie jeder andere Test nur eine Momentaufnahme darstellt, besteht gleichwohl die Möglichkeit, Infektionen aufzudecken, die ansonsten unentdeckt geblieben wären und Ansteckungen Dritter zu vermeiden. Insofern stellen Tests durchaus geeignete Maßnahmen des Arbeitgebers dar, um seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten gerecht zu werden, auch wenn hierdurch keine 100%ige Sicherheit erreicht werden kann.
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iii. Im Übrigen hält sich die Beklagte auch an die aktuellen Vorgaben der WHO, indem ein erneuter Test durchgeführt wird, wenn das positive Testergebnis nicht mit dem gesundheitlichen Zustand des Getesteten übereinstimmt.
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iv. Darüberhinausgehend ist im konkreten Fall nicht zu beanstanden, dass der Beklagte auch ohne das Vorliegen gesundheitlicher Beschwerden, die Durchführung von stichprobenartigen Tests fordert. Denn nach aktuellem Erkenntnisstand kann eine Übertragung des Coronavirus durch eine infizierte Person schon bis zu drei Tage vor Symptombeginn oder auch bei einem asymptomatischen Verlauf der Erkrankung, den der Betroffene selbst gar nicht wahrgenommen hat, stattfinden (Vgl. Robert Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Übertragung durch asymptomatische, präsymptomatische und symptomatische Infizierte, unter:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbr ief.html.).
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Es trifft zwar auch zu, dass das RKI ausgehend vom derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand von einer ungezielten Testung von asymptomatischen Personen insbesondere aufgrund der unklaren Aussagekraft eines negativen Ergebnisses, das lediglich eine Momentaufnahme darstellt, „in der Regel“ abrät (vgl. RKI, „Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARSCoV-2“, unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_T estung_nCoV.html).
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Allerdings weist das RKI auch darauf hin, dass es abweichend von dieser Regel in bestimmten Situationen und Einrichtungen sinnvoll sein kann, Personen ohne erkennbare Symptome nach einem bestimmten Schema hinsichtlich einer SARS-CoV-2 Infektion zu untersuchen. Weiter heißt es: „Wenn Zusammenkünfte mit Menschen oder enge Kontakte am Arbeitsplatz nicht vermeidbar sind oder z.B. keine Lüftungsmöglichkeiten existieren, können regelmäßige Testungen dazu beitragen, Infektionen am Arbeitsplatz zu vermeiden (vgl. Ausführungen des RKI zur nationalen Teststrategie unter (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Teststrategie/Nat-Teststrat.html; jeweils Stand: 24.03.2021).
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v. Dem COVID-19-Lagebericht vom 20.08.2020 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html) kann zudem bereits entnommen werden, dass SARS-CoV-2 grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist sowie die Aerosolausscheidung bei lautem Sprechen, Singen und Lachen stark ansteigt. Weiter heißt es hierin, dass in Innenräumen das Übertragungsrisiko deutlich ansteigt und auch besteht, wenn Abstände von mehr als 1,5 Meter eingehalten werden. Bezogen auf die konkrete Situation der Klägerin als Querflötistin der D. ist daher davon auszugehen, dass mangels Alternativen wie die Einhaltung ausreichender Abstände und das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen verpflichtende Testungen durchaus geeignete Maßnahmen darstellen, um die Sicherheit aller Beschäftigten vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 zu erhöhen
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d. Die Aufforderung zu PCR-Tests ist im konkreten Fall auch erforderlich, da gängige Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Masken und das Einhalten von Abständen nicht möglich sind. Hierbei ist zum einen die allgemeine Arbeitsplatzsituation eines Orchestermusikers zu beachten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass in einem geschlossenen Raum über längere Zeit vor und mit mehreren Menschen musiziert wird. Konkret für die Bläser eines Orchesters bedeutet es, dass zum einen das Tragen von Mund-Nasen-Masken nicht möglich ist und zudem im Fall der Querflötisten die erforderlichen Abstände nicht eingehalten werden können. Die Mindestabstände der Orchestermusiker untereinander (1,5 Meter und 2 Meter in Blasrichtung) mag noch ggf. vor einer Tröpfcheninfektion schützen. Fakt ist aber, dass diese Mindestabstände im Fall der mittig sitzenden Flötisten ohnehin nicht ausreichen, da die besondere Spieltechnik der Querflöte eine weitere Verteilung der Tröpfchen und Aerosole als bei allen anderen Blasinstrumenten zur Folge hat (vgl. https://www.br.de/nachrichten/wissen/musikerincoronazeitenaerosolstudiemitdenblaeserndesbrso,SHGxEve).
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Der in dieser Studie empfohlene Abstand von drei Metern ist nach der unbestritten gebliebenen Darstellung des Beklagten bei der D. jedoch räumlich nicht möglich. Nachdem also weder Abstände eingehalten noch Masken getragen werden können, liegt es an der Beklagten sonstige, gleichwertige Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um das bestehende Infektionsrisiko für Besucher und Musiker so gering wie möglich zu halten. Die Aufforderung zur Durchführung von Coronatests ist hierfür nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich. Mildere Maßnahmen mit gleicher Wirkung sind im Fall der Klägerin als Querflötistin der D. nicht gegeben. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf AntigenSchnelltests, Antikörper-Tests und freiwillige Tests. Nachdem die Klägerin explizit beantragt weder zu „PCR-Tests oder andere Tests jedweder Art zur Feststellung von Covid-19 Erregern oder Corona Erkrankung“ verpflichtet zu sein, scheiden andere Testverfahren als milderes Mittel von vornherein aus.
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e. Schließlich ist vorliegend auch von einer angemessenen Aufforderung zur Durchführung von PCR-Tests im Verhältnis zu den verfolgten Zielen des Infektionsschutzes auszugehen. Hierbei ist zu beachten, dass die regelmäßigen Test-Aufforderungen in einem rollierenden System mit Zeitabständen zwischen 7 und 21 Tagen erfolgen, so dass von einer übermäßigen Beanspruchung der Orchestermusiker nicht ausgegangen werden kann. Sonstige Nachteile, die mit der Durchführung der Testung verbunden sein könnten und gegen eine Angemessenheit sprechen könnten, trägt die Klägerin nicht vor.
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f. Damit bleibt festzuhalten, dass die Aufforderung zu PCR-Testungen im konkreten Fall weder rechtswidrig noch unverhältnismäßig ist. Bei der Abwägung der gegenseitigen Grundrechte ist davon auszugehen, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht der Klägerin auf körperliche Unversehrtheit, wobei eine konkrete Gefährdung von Letzterem durch die Klägerin ohnehin nicht konkret belegt wurde, weniger schwer wiegt, als das Infektionsrisiko, dem andernfalls die Beschäftigten und Besucher der D. ausgesetzt würden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der D. im Grunde genommen nur drei Möglichkeiten im Umgang mit der gegenwärtigen Pandemie bleiben:
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(1) Der Spielbetrieb wird komplett eingestellt. Auch wenn hierdurch die höchste Sicherheit und der beste Schutz vor Infektionen erreicht würde, wäre dies allerdings mit dem Beschäftigungsinteresse eines Profimusikers, für den das ständige Üben Existenzgrundlage und zur Erhaltung seines „Marktwertes“ unerlässlich ist, nicht zu vereinbaren. Hierauf hat die Klägerin selbst ausdrücklich hingewiesen.
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(2) Der Spielbetrieb wird ohne Testungen fortgeführt. Dies lässt sich weder mit der derzeitigen Pandemielage noch den Fürsorgepflichten des Arbeitgebers in Einklang bringen.
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(3) Oder aber der Spielbetrieb wird unter bestmöglicher Einhaltung von Schutz- und Hygienemaßnahmen und entsprechender Abwägung der wechselseitigen Grundrechtspositionen fortgeführt. Nachdem ein PCR-Test einen geringen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit darstellt und durch das rollierende Stichprobenverfahren zudem von einem geringen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin auszugehen ist, erscheint die Aufforderung zu PCRTests vorliegend als gerechtfertigt, weil das für Dritte bestehende Infektionsrisiko durch sonstige Hygienemaßnahmen nicht anderweitig signifikant reduziert werden kann. Da die sonst gängigen Schutzmaßnahmen wie Abstandhalten und Masketragen vorliegend nicht zum Tragen kommen können, ist es Aufgabe des Arbeitgebers für gleichwertige Schutzmaßnahmen zu sorgen. Darunter können neben den im Hygienekonzept der D. vorgesehenen organisatorischen und sonstigen Maßnahmen auch verpflichtende Testungen fallen. Im konkreten Fall kann die Klägerin daher nicht verlangen ohne Vornahme von PCR-Tests oder anderer Tests jedweder Art und deren Vorlage gegenüber dem Beklagten als Flötistin bei der D. beschäftigt zu werden.
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3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch wenn die Klägerin erstmals in der Sitzung vom 24.03.2021 ausführte, dass die D. die Beschäftigten nicht gleichermaßen zu Testungen auffordere, ist zum einen festzuhalten, dass dies von der Beklagten in der Sitzung bestritten wurde und zum anderen von der Klägerin hierzu keine konkreten Anhaltspunkte mitgeteilt wurden. Vor diesem Hintergrund kann eine Ungleichbehandlung der Klägerin nicht festgestellt werden. Zudem ergibt sich auch keine Ungleichbehandlung der Klägerin daraus, dass in anderen Orchestern keine Testpflicht besteht. Hier wird bereits kein gleicher Sachverhalt unterschiedlich behandelt, sondern es ist von unterschiedlichen Sachverhalten auszugehen, wenn sich die Klägerin mit anderen Orchestermusikern außerhalb der D. vergleichen möchte. Dass für andere Orchestermusiker, wie z.B. die des A-Orchesters oder auch die des B-Orchesters und C-Orchesters, andere Regelungen gelten mögen, belegt also keine Ungleichbehandlung der Klägerin, welche laut ihrem Arbeitsvertrag als Musikerin für das D-Orchester tätig ist. Dasselbe gilt hinsichtlich des Sachvortrags der Klägerin zum A-Theater und B-Theater in A-Stadt. Auch hier handelt es sich offensichtlich um andere Spielstätten, die demzufolge auch andere Hygienekonzepte verfolgen können, ohne dass die Klägerin hieraus irgendwelche Rückschlüsse auf ihr Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten ziehen könnte.
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4. Letztlich kann sich die Klägerin auch auf keinen Verstoß gegen den Datenschutz bzw. die ärztliche Schweigepflicht berufen, da sie unstreitig bei der Teststrategie am Haus der D. bislang nie teilgenommen hat, sondern PCR-Tests jeweils extern bei Teststationen ihrer Wahl vornehmen lässt.
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5. Der Beschäftigungsantrag ist damit abzuweisen. Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass der Beschäftigungsantrag aus dem Schriftsatz vom 28.01.2021 ohnehin zu weit gefasst ist, da er die Fälle, in denen bereits eine gesetzliche Pflicht zur Durchführung zu Testungen besteht (wie z.B. § 29 IfSG), nicht ausnimmt.
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6. Auch die Zahlungsanträge der Klägerin sind abzuweisen. Als Anspruchsgrundlage kommt hier allein § 615 Satz 1 BGB in Betracht. Der Annahmeverzug liegt vor, wenn der Gläubiger die Leistung des Schuldners, die möglich gewesen wäre und vertragsgemäß angeboten wurde, nicht rechtzeitig zum Leistungszeitpunkt annimmt. Nachdem die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihre Arbeitsleistung nicht in vertragsgemäßer Form angeboten hat, führt dies dazu, dass der Arbeitgeber diese Arbeitsleistung nicht annehmen muss, ohne sich damit in Annahmeverzug zu befinden. Wie bereits unter II.1 und 2 festgestellt, kann die Klägerin nicht verlangen, ohne Vornahme von PCR-Tests oder anderer Tests jedweder Art, beschäftigt zu werden. Auch wenn bei der Beurteilung des Beschäftigungsantrags auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, bleibt das Ergebnis im Fall der streitgegenständlichen Annahmeverzugslohnansprüche im Zeitraum vom 25.08.2020 bis 29.10.2020 das Gleiche. Denn die Rechtslage unterscheidet sich in den unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkten nicht. Die maßgebliche Rechtsgrundlage zur Einführung einer Testpflicht im Betrieb ergibt sich sowohl für den Beschäftigungsantrag als auch die Zahlungsanträge im Zeitraum von 25.08.2020 bis 29.10.2020 aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß § 618 BGB iVm § 3 Abs. 1 ArbSchG iVm „SARS-CoV- 2- Arbeitsschutzregel“ in den insoweit inhaltsgleichen Fassungen vom 20.08.2020 bzw. vom 22.02.2021. Auf die Ausführungen unter II 1. und II. 2. kann insofern vollständig Bezuge genommen werden. Nachdem die Klägerin erstmals am 30.10.2020 einen PCR-Test vorlegte und sie bis dahin ihre Arbeitsleistung nicht vertragsgemäß anbot, kommt ein Anspruch der Klägerin auf Annahmeverzugslohn bis dahin nicht in Betracht.
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7. Die Klage war damit insgesamt abzuweisen.
III.
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Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
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Der Streitwert nach § 61 Abs. 1 ArbGG wurde entsprechend der bezifferten Klageanträge festgesetzt, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO. Für den Beschäftigungsantrag wurde ein Bruttomonatsgehalt der Klägerin angesetzt.
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Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, da sie ohnehin gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG eingelegt werden kann.