Titel:
Zur Glaubhaftmachung bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normenketten:
VwGO § 60
ZPO § 85 Abs. 2
AsylG § 74 Abs. 1
BMG § 44 Abs. 3
Leitsatz:
Im Regelfall reicht eine anwaltliche Versicherung oder eine eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung der unverschuldeten Versäumung der Klagefrist schon deshalb nicht aus, weil die insoweit für fehlendes Verschulden maßgeblichen Tatsachen sich meist außerhalb der Wahrnehmungsspähre des Bevollmächtigten abspielen werden und überdies typischerweise andere Beweismittel vorhanden sind. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Wiedereinsetzung in die Klagefrist (abgelehnt), Gegenständlicher Anwendungsbereich der anwaltlichen Versicherung, Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Fehlers der Auszubildenden, Kontaktaufnahme mit einer früheren Mitarbeiterin, Einfache Melderegisterauskunft zur Ermittlung der Anschrift einer früheren Mitarbeiterin (offen gelassen), Wiedereinsetzung in die Klagefrist, anwaltliche Versicherung, Glaubhaftmachung eines Fehlers der Auszubildenden, frühere Mitarbeiterin, einfache Melderegisterauskunft
Fundstelle:
BeckRS 2021, 35344
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Nach eigenen Angaben reiste der Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger mit tadschikischer Volkszugehörigkeit, im September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 25. Juli 2016 einen förmlichen Asylantrag und wurde durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 15. November 2016 angehört.
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Mit Bescheid vom 9. März 2017, am 11. März 2017 zugestellt, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4) und drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung nach Afghanistan an (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Der Kläger erhob durch seinen (inzwischen nicht mehr bevollmächtigten) Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 24. März 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag Klage, den Bescheid der Beklagten vom 9. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, sowie, ebenfalls hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen.
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Der Klageschriftsatz trägt das Datum „24.3.2017“. Er ist ausweislich eines angebrachten Vermerks der Geschäftsstelle des Gerichts allerdings erst am 30. März 2017 um 6:34 Uhr aus dem unteren Fach des Nachtbriefkastens entnommen und demnach am 29. März 2017 bei Gericht eingegangen worden. Die Klagewurde nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans der 15. Kammer des Gerichts zugewiesen und erhielt das Aktenzeichen M 15 K 17.36150. Der damalige Bevollmächtigte des Klägers wurde ausweislich eines Vermerks der Geschäftsstelle des Gerichts über den Klageeingang mit Schreiben vom 12. April 2017 informiert.
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Am 21. November 2017 ging bei Gericht ein weiterer Schriftsatz des damaligen Rechtsanwalts mit dem Datum „25.10.2017“ per Fax ein, mit dem Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft erhoben wurde. Beantragt wurde,
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den Bescheid der Beklagten vom 9. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, sowie, ebenfalls hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Der Schriftsatz enthält zugleich den Antrag
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auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist.
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Der Schriftsatz nimmt nicht ausdrücklich Bezug auf das Verfahren M 15 K 17.36150. Der Klägerbevollmächtigte führt allerdings aus, dass „die Klage (…) laut Schreiben des Landratsamts … … vom 14.11.17 verfristet“, „aber gemäß § 60 Abs. 1 VwGO eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren“ sei, „da der Kläger ohne Verschulden verhindert war eine gesetzlich festgelegte Klagefrist einzuhalten“.
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Der Wiedereinsetzungsantrag wird damit begründet, dass die Klagefrist ohne Verschulden des Klägers und ohne Verschulden des damaligen Bevollmächtigten versäumt worden sei. Der Kläger habe den streitgegenständlichen Bescheid am 11. März 2017 erhalten und rechtzeitig am 16. März 2017 einen Termin bei ihm als Rechtsanwalt wahrgenommen und ihn entsprechend bevollmächtigt. Auch er selbst habe die Fristversäumung nicht zu verschulden. Eine (namentlich bezeichnete) Auszubildende sei am 24. März 2017 angewiesen worden, den Klageschriftsatz persönlich bei Gericht abzugeben. Die Auszubildende habe an diesem Tag auch eine halbe Stunde vor Ende der Arbeitszeit die Kanzlei verlassen und im Beisein einer (namentlich bezeichneten) Rechtsanwaltsfachangestellten die Klageschrift mitgenommen. Da die Klage bei Gericht erst am 29. März 2017 eingegangen sei, habe die Auszubildende die Klage weisungswidrig offenbar nicht sogleich bei Gericht abgegeben. Die Auszubildende sei in der Vergangenheit mit derartigen Tätigkeiten regelmäßig betraut worden und habe diese immer zuverlässig ausgeübt; sie sei auch vom unterzeichnenden Rechtsanwalt regelmäßig überwacht worden. Überdies würden sämtliche Bürokräfte in der Kanzlei regelmäßig belehrt, alle Anordnungen auszuführen; sie würden auch entsprechend überwacht. In der Kanzlei werde ein Fristenbuch geführt, in dem alle außergerichtlichen und gerichtlichen Fristen eingetragen würden. Die Eintragungen würden überprüft und die Angestellten über die Folgen einer Fristversäumung belehrt. Warum die Klage nicht fristgerecht bei Gericht abgegeben worden sei, lasse sich nicht mehr aufklären; die Auszubildende sei nicht mehr in der Kanzlei tätig. Dass die Klage verfristet sei, habe die Kanzlei erst einem Schreiben des Landratsamts … … vom 14. November 2017 entnehmen können. Die Richtigkeit der Angaben wurden in dem Schriftsatz anwaltlich versichert. Als Anlage nennt der Schriftsatz den Bescheid der Beklagten, die Vollmacht der Kanzlei und das Schreiben des Landratsamts … …; der Schriftsatz wurde allerdings ohne Anlage dem Gericht nur per Fax und nicht mehr im Original übersandt.
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Die inhaltliche Bezugnahme des am 21. November 2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatzes auf eine offenbar beim Verwaltungsgericht München bereits zuvor eingegangene Klage wurde im Gericht zunächst nicht erkannt. Der Schriftsatz wurde daher ebenfalls als (Erst-)Klage behandelt und nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans unter dem Aktenzeichen M 2 K 17.49491 der 2. Kammer des Gerichts zugewiesen. In der Gerichtsakte des Verfahrens M 15 K 17.36150 ist dieser Schriftsatz folgerichtig nicht enthalten. Der damalige Bevollmächtigte wurde ausweislich eines Vermerks der Geschäftsstelle der 2. Kammer des Gerichts vom (erneuten) Klageeingang mit Schreiben vom 28. November 2017 informiert.
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Die Beklagte hat mit Schreiben vom 13. Februar 2018 beantragt,
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die Klage abzuweisen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist abzulehnen.
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Zur Begründung führte sie insbesondere aus, dass der Bevollmächtigte nicht glaubhaft gemacht habe, dass und wie eine Fristenkontrolle im konkreten Fall erfolgt sei; es fehle auch eine Glaubhaftmachung der Umstände durch die Rechtsanwaltsfachangestellte und die Auszubildende.
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Mit Schriftsatz vom 12. September 2018, eingegangen per Fax am gleichen Tag, bestellte sich für den Kläger ein neuer Rechtsanwalt und bat um die Mitteilung des Aktenzeichens. Dieser Schriftsatz wurde durch die Gerichtsverwaltung dem Verfahren M 15 K 17.36150 zugeordnet. In diesem Verfahren teilte die Berichterstatterin der 15. Kammer des Gerichts mit Schreiben vom 7. Januar 2020 dem Klägerbevollmächtigten mit, dass die am 29. März 2017 erhobene Klage verfristet sei. Das Gericht bat um Mitteilung, ob die Klage aufrechterhalten bleiben solle. Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2020 nahm der neue Bevollmächtigte des Klägers die Klage zurück. Mit Beschluss vom 21. Januar 2020 wurde das Verfahren M 15 K 17.36150 eingestellt.
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Im hier zu entscheidenden Verfahren M 2 K 17.49491 wurde mit Beschluss vom 27. April 2021 der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG). Zeitgleich wurde zur mündlichen Verhandlung am 17. September 2021 geladen.
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Mit Schreiben vom 4. Mai 2021 teilte die Beklagte mit, dass offenbar ein Fall doppelter Rechtshängigkeit vorliege; dies sei ihr bislang nicht bekannt gewesen.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 17. September 2021 wurde die Zulässigkeit der Klage erörtert und der Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal informatorisch gehört. Für die Beklagte erschien niemand.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 15 K 17.36150, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte über die noch immer rechtshängige Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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I. Die Klage im Verfahren M 2 K 17.49491 ist anhängig, über sie kann entschieden werden. Die Rechtsfolge der Rücknahme der Klage mit dem Aktenzeichen M 15 K 17.36150 - unmittelbare Beendigung des Verfahrens durch rückwirkenden Entfall der Rechtshängigkeit (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 ZPO) - erstreckt sich nicht auf die unter dem Aktenzeichen M 2 K 17.49491 geführte Klage. Zwar handelt es sich bei dem am 21. November 2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz bei der gebotenen Auslegung (vgl. zur Auslegung einer Erklärung als Klageschrift Aulehner in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 82 Rn. 39 ff.) nicht um eine (erneute) Klage, sondern um einen auf das Verfahren M 15 K 17.36150 gerichteten Wiedereinsetzungsantrag (einschließlich der Wiederholung der verfristeten Prozesshandlung), der normalerweise durch die Rücknahme der Klage hinfällig wird.
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Jedoch verlangt der Grundsatz des fairen Verfahrens, aus einem Fehler des Gerichts dem Kläger keinen Nachteil erwachsen zu lassen (vgl. BGH, B.v. 14.12.2010 - VIII ZB 20/09 - juris Rn. 20). Das Gericht hat vorliegend nicht nur zu Unrecht den Schriftsatz vom 21. November 2017 als neue Klage behandelt, sondern infolgedessen auch in seinem Hinweis zur Verfristung vom 7. Januar 2020 den Wiedereinsetzungsantrag nicht erwähnt, obwohl er dem Gericht als Organisation (wenngleich nicht in der Person der Berichterstatterin der 15. Kammer) bekannt war. Zwar hätte der frühere Bevollmächtigte die insoweit „doppelte“ Rechtshängigkeit wegen der gerichtlichen Eingangsbestätigung vom 28. November 2017 erkennen und dem Gericht bzw. dem neuen Rechtsanwalt mitteilen können. Doch ändert dies nichts an der fehlerhaften Behandlung des Antrags durch das Gericht; das Gericht hat jedenfalls eine Klagerücknahme maßgeblich hervorgerufen, die (angesichts des noch „offenen“ Wiedereinsetzungsantrags) offensichtlich nicht veranlasst gewesen war.
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Zur Vermeidung von Nachteilen für den Kläger ist daher vom Vorliegen einer (erneuten) Klage auszugehen, deren Zulässigkeit gerade wegen der Rücknahme der Klage im Verfahren M 15 K 17.36150 nicht mehr am Hindernis doppelter Rechtshängigkeit (§ 173 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG) scheitert (vgl. VG Würzburg B.v. 6.7.2020 - W 8 S 20.30742 - juris Rn. 11).
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II. Die demnach anhängige Klage M 2 K 17.49491 ist allerdings unzulässig. Die Klagefrist war im Zeitpunkt der Klageerhebung am 21. November 2017 bereits abgelaufen und die Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand liegen nicht vor.
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1. Die Klage wurde nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben. Da der Bescheid ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Postzustellungsurkunde am 11. März 2017 zugestellt worden war (§ 74 Abs. 1 AsylG), endete die Klagefrist am Montag, den 27. März 2017 (§ 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG, §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Die Klage vom 21. November 2017 ist demnach verfristet.
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2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nach § 60 VwGO liegen nicht vor.
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a) Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses müssen die Tatsachen vorgetragen werden, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen (§ 60 Abs. 2 Sätze 1, 2 VwGO).
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Der Kläger muss im Rahmen seines Antrags deutlich machen, wie und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist bzw. weshalb das Verschulden des Klägers oder seines Bevollmächtigten fehlt (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Ein dem Kläger zurechenbares Verschulden des Bevollmächtigten muss dieser in seiner Person verwirklichen. Das Verschulden von Hilfspersonen ist relevant, weil eine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift über die Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen im Prozessrecht fehlt. Im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts bedarf es daher konkreter Angaben dazu, dass das Versäumnis nicht vom Bevollmächtigten verschuldet ist. Die Sorgfaltspflichten des bevollmächtigten Rechtsanwalts bestimmen sich nach objektiven Kriterien. Bedient sich der Rechtsanwalt, wie meist, zur Erledigung der Aufgaben eines Büroapparats, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser so organisiert ist, dass Fehler vermieden werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2006 - 4 ZB 05.3239 - juris Rn. 5). Folglich bedarf es im Wiedereinsetzungsantrag konkreter Ausführungen zur Organisation und Überwachung der Fristenwahrung in der Kanzlei, die im Normalfall die Fristeinhaltung garantieren. Ein Rechtsanwalt hat insbesondere darzulegen, dass seine mit der Fristwahrung befassten Angestellten sorgfältig ausgewählt, überwacht und angeleitet wurden und kein Anlass bestand, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln (vgl. Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 68 m.w.N.). Die zur unverschuldeten Fristversäumung führenden Tatsachen, sind glaubhaft zu machen.
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b) Im hiesigen Fall liegt ein Verschulden des Bevollmächtigten nicht schon darin, dass er den Transport eines fristwahrenden Schriftsatzes einer Auszubildenden anvertraut hat. Dies ist zulässig, sobald die Bürokraft entsprechend belehrt wurde und auch tatsächlich überwacht wird (vgl. BGH, B.v. 20.3.1997 - IX ZB 5/97 - juris Rn. 9). Gegebenenfalls von der Auszubildenden zu verantwortende Fehler, insbesondere ein weisungswidriges Verhalten - wie etwa der verspätete Einwurf eines Klageschriftsatzes in den Briefkasten des Gerichts -, hat der Bevollmächtigte und mithin auch der Kläger nicht zu verschulden.
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c) Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht glaubhaft gemacht, dass die Klageschrift fristgerecht gefertigt und rechtzeitig einer entsprechend unterwiesenen Bürokraft ausgehändigt wurde und diese die Klageschrift weisungswidrig verspätet in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen hat. Das Gericht kann auf der Grundlage der vorgetragenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe nicht annehmen, dass der verspätete Zugang mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich des Bevollmächtigten liegt.
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aa) Eine Glaubhaftmachung gelingt, wenn „bei der umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falls mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen“ (BAG, U.v. 7.11.2012 - 7 AZR 314/12 - NJW 2013, 1467/1469); die volle richterliche Überzeugung von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen ist nicht notwendig. Bleibt allerdings offen, ob das Fristversäumnis verschuldet war, so ist die Wiedereinsetzung abzulehnen (vgl. Peters in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 56. Ed., Stand: 1.1.2021, § 60 Rn. 38).
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bb) Wird ein Verlust des Schriftsatzes auf dem Versandweg vorgetragen - insoweit spielt es keine Rolle, ob ein Verlust durch die Post oder durch einen eigenen Beschäftigten in Rede steht - so muss die ordnungsgemäße Aufgabe des Schriftsatzes zur Post bzw. ordnungsgemäße Übergabe an den Beschäftigten glaubhaft gemacht werden. Es bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Auf- bzw. Übergabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes (vgl. OVG Bremen, B.v. 20.4.2020 - 1 LA 53/20 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 15.11.2019 - 19 ZB 19.730 - juris Rn. 9; BGH, B.v. 16.4.2019 - VI ZB 33/17 - juris Rn. 11) und der entsprechenden Glaubhaftmachung.
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Im Regelfall (und so auch hier) reicht eine anwaltliche Versicherung oder eine eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung schon deshalb nicht aus, weil die insoweit für fehlendes Verschulden maßgeblichen Tatsachen - Übergabe der Klageschrift an die Auszubildende und deren Beauftragung, diese am gleichen Tag zu Gericht zu bringen - sich meist außerhalb der Wahrnehmungsspähre des Bevollmächtigten abspielen werden und überdies typischerweise andere Beweismittel vorhanden sind (vgl. BFH, B.v. 25.5.2011 - VIII R 25/09 - juris Rn. 8; LG Heilbronn, B.v. 9.2.2017 - 8 Qs 2/17 - juris Rn. 7). Für die alleinige Glaubhaftmachung mittels anwaltlicher Versicherung ist nach der Rechtsprechung sogar dann kein Raum, wenn der Bevollmächtigte darlegt, er selbst habe das fristwahrende Schriftstück zur Post gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2019 - 19 ZB 19.730 - juris Rn. 9).
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Es bedarf daher - vorbehaltlich von Fällen der Beweisnot - zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes insbesondere der Darlegung eines Eintrags der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung in einem Postausgangsbuch und die Löschung der Frist auf der Grundlage der Eintragung im Postausgangsbuch (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2019 - 19 ZB 19.730 - juris Rn. 9).
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cc) An einer solchen Glaubhaftmachung fehlt es. Weder sind das nach dem Vortrag vorhandene Fristenbuch (wobei unklar bleibt, ob dieses überhaupt zu Zwecken der Ausgangskontrolle geeignete Eintragungen enthält) noch andere Dokumente, aus denen sich die Aufgabe zur Post bzw. die Übergabe an die Auszubildende ergeben, vorgelegt worden.
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Selbst wenn es möglich sein sollte, ohne Nachweis einer systematischen Ausgangskontrolle glaubhaft zu machen, dass der Verlust eines Schriftsatzes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist (vgl. OVG Bremen, B.v. 20.4.2020 - 1 LA 53/20 - juris Rn. 19 m.w.N.), kann vorliegend keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Denn zumindest wäre eine verschriftlichte und an Eides Statt versicherte Aussage über die Abläufe durch die Rechtsanwaltsfachangestellte (soweit es um deren Wahrnehmung geht, also insbesondere über die tatsächliche Beauftragung der Auszubildenden und die konkrete Aushändigung der Klageschrift) erforderlich gewesen. Weshalb dies nicht möglich gewesen sein soll, ist nicht ersichtlich.
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Ebenfalls wäre zusätzlich die Vorlage einer Aussage der Auszubildenden über ihre Wahrnehmungen und ihr Verhalten erforderlich gewesen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Aussage der Auszubildenden nicht mehr eingeholt hätte werden können. Der vorgebrachte Einwand, dass die Auszubildende nicht mehr in der Kanzlei des Bevollmächtigten beschäftigt ist, begründet keine Beweisnot (vgl. hierzu VG München, U.v. 14.5.2021 - M 2 K 17.35264 - juris Rn. 27, dessen Entscheidung dieselbe Kanzlei betrifft). Eine Kontaktaufnahme über die zumindest bislang bekannte Anschrift der früheren Beschäftigten wäre dem Bevollmächtigten möglich gewesen. Jedenfalls hätte der erfolglose Versuch einer Kontaktaufnahme vorgetragen und glaubhaft gemacht werden müssen; dies ist nicht geschehen (es kann daher offenbleiben, ob im Falle des Wegzugs der Auszubildenden auch die Ermittlung einer aktuellen Wohnanschrift mit der jedermann zu Verfügung stehenden einfachen Melderegisterauskunft nach § 44 Bundesmeldegesetz - BMG - hätte erfolgen müssen, da der Bevollmächtigte als früherer Arbeitgeber über die erforderlichen Identifizierungsdaten nach § 44 Abs. 3 Nr. 1 BMG verfügt).
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d) Eine Wiedereinsetzung scheitert schließlich auch daran, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht beachtet wurde. Die von § 60 Abs. 2 VwGO geforderte Glaubhaftmachung bezieht sich auch auf diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrags ergibt. Vorliegend ist das Hindernis nicht erst in dem Moment weggefallen, in dem der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter von der Fristversäumung Kenntnis erlangen, sondern bereits in dem Moment, in dem diese von der Fristversäumung hätten Kenntnis erlangen müssen (vgl. VG Gelsenkirchen, U.v. 18.4.2013 - 15 K 356/13 - juris Rn. 17). Dies ist mit Zugang der gerichtlichen Eingangsbenachrichtigung vom 12. April 2017 der Fall.
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Zwar ist ein Prozessbevollmächtigter grundsätzlich nicht gehalten, sich von sich aus bei der Geschäftsstelle des Gerichts von einem rechtzeitigen Eingang seines Schriftsatzes zu überzeugen, da er bereits verpflichtet ist, für eine zuverlässige Ausgangskontrolle zu sorgen (vgl. BGH, B.v. 19.9.2013 - IX ZB 52/12 - juris Rn. 8). Jedoch ist er jedenfalls im Fall einer Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes ohne jeglichen Nachweis - im Sinne eines gestuften Schutzes gegen Fristversäumungen - verpflichtet, anlässlich einer zugegangenen gerichtlichen Eingangsbestätigung eine Fristenkontrolle durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2019 - 19 ZB 19.730 - juris Rn. 10). Der Bevollmächtigte hätte die gerichtliche Benachrichtigung über den Eingang der Klage überprüfen müssen; er hätte der Mitteilung entnehmen können, dass die Klage bei Gericht erst am 29. März 2017 und damit verfristet eingegangen ist. Die Mitteilung des Gerichts wurde ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle am 12. April 2017 zur Post gegeben (Formularvermerk „abgesandt“), so dass ab dem 15. April 2017 (Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG - zur Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes für die Gerichtsverwaltung siehe Schoch in Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 1 Rn. 86 ff.) die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Bestätigung und damit der Fristversäumung bestand. Ab diesen Moment war das Hindernis weggefallen. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 21. November 2017 ist daher verfristet.
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Die Klage ist daher unzulässig. Sie ist abzuweisen.
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3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Anwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).