Titel:
Betriebsuntersagung eines ausländischen Fahrzeugs
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 2
FZV § 5 Abs. 1, § 20 Abs. 1 S. 1, § 22 S. 1 Hs. 1
Leitsätze:
1. Die Teilnahme eines ausländischen Fahrzeugs am Straßenverkehr kann untersagt werden, wenn es sich wegen nicht ordnungsgemäßer Zulassung als „nicht vorschriftsmäßig“ erweist. Das ist der Fall, wenn es keine inländische Zulassung hat, obwohl der durch seine tatsächliche Verwendung bestimmte regelmäßiger Standort (Heimatort) im Inland begründet ist, hier also bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Fahrzeugs der Einsatzmittelpunkt bzw. der Schwerpunkt der Ruhevorgänge liegt, wobei objektive Merkmale maßgeblich sind (VGH München BeckRS 2016, 40061 Rn. 14). (Rn. 16 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erweist sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig, hat die Zulassungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen, welche der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen – alternativ eine Fristsetzung zur Beseitigung des Mangels oder die Beschränkung oder Untersagung des Betriebs auf öffentlichen Straßen – sie ergreift; andernfalls liegt in sogenannter Ermessensausfall vor, der nachträglich nicht geheilt werden kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untersagung des Betriebs eines ausländischen Fahrzeugs, Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung, regelmäßiger Standort im Inland, vorschriftwidriges Fahrzeug, Ermessensausfall, vorschriftswidriges Fahrzeug, inländische Zulassung, regelmäßiger Standort, tatsächliche Verwendung, Auswahlermessen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 35006
Tenor
I. Nr. 1 des Bescheids des Landratsamts * vom 21. November 2019 wird aufgehoben.
II. Nr. 2 Satz 2 des Bescheids des Landratsamts * vom 21. November 2019 wird insoweit aufgehoben, als der Kläger aufgefordert wird, eine Einzugsermächtigung und eine Einverständniserklärung für die Kraftfahrzeugsteuer sowie einen Nachweis über die Rechtsform der Firma (nicht älter als ein Jahr) vorzulegen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
V. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine Betriebsuntersagung und eine Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung für seinen in Polen zugelassenen Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen *.
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Er erwarb diesen Pkw am 15. November 2016 in Deutschland und fuhr mit diesem nach Polen, wo das Fahrzeug am 5. Dezember 2016 zugelassen wurde. Seit dem 15. Juni 2015 ist der Kläger in Deutschland mit alleinigem Wohnsitz gemeldet, zunächst in, seit 13. März 2017 in *. Er ist seit 8. Januar 2018 bei einer Firma in * fest angestellt. Am 6. September 2019 wurde er mit seinem Fahrzeug auf einem Autobahnparkplatz von Beamten der Grenzpolizeiinspektion * kontrolliert und am 11. Oktober 2019 unter anderem das Landratsamt * entsprechend unterrichtet.
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Daraufhin forderte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 14. Oktober 2019 auf, sein Fahrzeug innerhalb von sieben Tagen umzumelden. Dem kam er trotz Fristverlängerung nicht nach.
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Mit Bescheid vom 21. November 2019, zugestellt am 22. November 2019, untersagte das Landratsamt den Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Verkehr bis zu einer Änderung der Fahrzeugpapiere. Der Kläger müsse spätestens drei Tage nach Unanfechtbarkeit des Bescheids die Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens für das genannte Fahrzeug beantragen und zu diesem Zweck der Zulassungsbehörde verschiedene Unterlagen vorlegen, andernfalls werde ein Zwangsgeld in Höhe von 150 EUR fällig. Aufgrund § 13 Abs. 3 FZV sei der Kläger verpflichtet, bei einem Standortwechsel die Zuteilung eines neuen Kennzeichens zu beantragen. Trotz Fristverlängerung sei er der Aufforderung des Landratsamts zur Änderung der Fahrzeugpapiere nicht nachgekommen. Der Kläger dürfe gem. § 20 FZV nur unter den dort genannten Voraussetzungen mit einem in einem anderen EU-Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeug am Straßenverkehr in Deutschland teilnehmen. Eine Abfrage im Melderegister habe ergeben, dass er bereits seit über einem Jahr in * wohne und somit in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt habe. Er sei daher nicht mehr berechtigt, mit einer ausländischen Fahrzeugzulassung am Straßenverkehr in Deutschland teilzunehmen.
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Am 23. Dezember 2019 erhob der Kläger Klage und beantragte,
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den Bescheid des Landratsamts * vom 21. November 2019 aufzuheben.
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Das betroffene Fahrzeug werde auch von seiner Ehefrau genutzt und zwar ausschließlich in Polen. Er arbeite in Deutschland, halte sich allerdings auch regelmäßig in Polen auf. Es liege eine sogenannte doppelte Haushaltsführung vor. Es sei daher kein regelmäßiger Standort im Inland gem. § 20 FZV begründet worden. Daher müsse er das genannte Fahrzeug nicht ummelden.
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Das Landratsamt beantragte,
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Die Voraussetzungen des § 22 FZV i.V.m. § 5 Abs. 1 FZV seien hier erfüllt. Das betroffene Fahrzeug des Klägers sei nicht vorschriftsmäßig, da ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 FZV vorliege. In einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassene Fahrzeuge dürften vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn sie eine gültige ausländische Zulassungsbescheinigung hätten und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet sei. Der Kläger sei jedoch bereits seit dem 15. Juni 2015 mit Hauptwohnsitz in * und aktuell seit 13. März 2017 mit Hauptwohnsitz in * gemeldet. Deshalb könne von einer vorrübergehenden Teilnahme des Fahrzeugs am inländischen Verkehr nicht mehr gesprochen werden.
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Mit Schriftsatz vom 22. September 2021 teilte der Kläger mit, das Hauptzollamt * habe für das genannte Fahrzeug am 14. Januar 2020 einen Kraftfahrzeugsteuerbescheid erlassen. Diesen habe es mit Bescheid vom 28. Juni 2021 aufgehoben, da eine tatsächliche Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer vorliege. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 KraftStG lägen vor, da Wohnsitz und Arbeitsplatz des Klägers in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten lägen. Der Kläger habe dem Hauptzollamt * seine Heiratsurkunde und als Nachweis für den festen Wohnsitz in Polen die Meldebestätigung vom 8. Juni 2021 für seine Ehefrau, sein Kind und sich selbst vorgelegt. Im Fahrzeugschein sei als weitere Mitinhaberin des Fahrzeugs seine Ehefrau eingetragen worden. § 20 Abs. 1 FZV finde keine Anwendung, da wegen des festen Wohnsitzes in Polen im Inland kein regelmäßiger Standort begründet worden sei. Er nehme daher weiterhin vorübergehend am Verkehr im Inland teil und sei somit nicht verpflichtet, die Zuteilung eines neuen Kennzeichens zu beantragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
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1. Die Klage hat Erfolg, soweit sie sich gegen die in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids angeordnete Betriebsuntersagung für das Fahrzeug des Klägers richtet. Insoweit ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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§ 13 Abs. 3 und 4 FZV scheiden als Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Betriebsuntersagung von vornherein aus. § 13 FZV, der die Mitwirkungspflichten bei Änderungen von Fahrzeug- oder Halterdaten regelt, setzt eine inländische Zulassung des Fahrzeugs voraus (vgl. BayVGH, U.v. 22.12.2015 - 11 B 15.1350 - juris Rn. 39; a.A. ohne nähere Begründung BayVGH, B.v. 12.7.2019 - 11 ZB 19.780 - juris Rn. 11).
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Die Teilnahme eines ausländischen Fahrzeugs am Straßenverkehr kann dagegen nach § 22 Satz 1 Halbs. 1 FZV i.V.m. § 5 Abs. 1 FZV untersagt werden, wenn es sich als „nicht vorschriftsmäßig“ erweist. Hier sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine solche Betriebsuntersagung erfüllt, weil das Fahrzeug des Klägers entgegen § 20 Abs. 1 Satz 1 FZV keine inländische Zulassung hat und damit nicht vorschriftsmäßig im Sinn der Fahrzeug-Zulassungsverordnung ist. „Nicht vorschriftsmäßig“ in diesem Sinn ist ein Fahrzeug nicht nur bei technischen Mängeln, sondern auch bei nicht ordnungsgemäßer Zulassung (vgl. BayVGH, U.v. 22.12.2015 - 11 B 15.1350 juris Rn. 37).
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Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 FZV dürfen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassene Fahrzeuge vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaats eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist. Der Kläger hat für sein Fahrzeug auch dann einen regelmäßigen Standort im Inland begründet, wenn man zu seinen Gunsten davon ausgeht, dass die Angaben, die er im Juni 2021 gegenüber dem Hauptzollamt * zu seinen familiären Verhältnissen und seinem Wohnsitz in Polen gemacht hat, zutreffend sind. Der Standort eines Fahrzeugs wird durch seine tatsächliche Verwendung bestimmt. Es ist der Ort, von dem aus das Fahrzeug unmittelbar zum öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird und an dem es nach Beendigung des Einsatzes ruht. Regelmäßiger Standort (Heimatort) ist dabei derjenige Ort, der bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Fahrzeugs der Einsatzmittelpunkt bzw. der Schwerpunkt der Ruhevorgänge ist, wobei objektive Merkmale maßgeblich sind (BVerwG, U.v. 9.12.1983 - 7 C 70.81 - juris Rn. 19; BayVGH a.a.O. Rn. 14). Da sich der Kläger trotz seiner familiären Bindungen in Polen arbeitsbedingt ganz überwiegend in Deutschland aufhält und dabei sein Fahrzeug mit sich führt, ist der regelmäßige Standort seines Fahrzeugs im Inland begründet. Dies gilt bereits seit dem Erwerb des Fahrzeugs in Deutschland im November 2016, da sich der Kläger schon damals schwerpunktmäßig in Deutschland aufgehalten hat, wie die Meldung mit alleinigem Wohnsitz ab 15. Juni 2015 in * und später seit 13. März 2017 in * zeigt.
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Der Umstand, dass der Kläger nach § 3 Nr. 12 KraftStG i.V.m. Art. 7 RL 83/182/EWG wegen seiner persönlichen Bindungen in Polen von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist, wirkt sich im Fahrzeugzulassungsrecht nicht aus. Eine entsprechende Vorschrift fehlt hier. Insbesondere gibt es im Fahrzeugzulassungsrecht keine dem Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der RL 83/182/EWG entsprechende Vorschrift, wonach bei einem Arbeitnehmer der gewöhnliche Wohnsitz dort fingiert wird („gilt“), wo er seine persönlichen Bindungen hat.
19
Ein Vorstoß der Europäischen Kommission für eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Straßenverkehr hatte keinen Erfolg (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 20). Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats zur Vereinfachung der Verbringung von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Kraftfahrzeugen innerhalb des Binnenmarkts vom 4. April 2012 - 2012/0082 - wurde offenbar nicht angenommen. Dies verdeutlicht, dass eine entsprechende Anwendung der RL 83/182/EWG im Fahrzeugzulassungsrecht auch aus europarechtlicher Sicht nicht angezeigt ist.
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Die Zulassungsbehörde hat jedoch das ihr nach § 5 Abs. 1 FZV eingeräumte (Auswahl-) Ermessen nicht ausgeübt. Erweist sich - wie hier - ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig, ist alternativ eine Fristsetzung zur Beseitigung des Mangels oder die Beschränkung oder Untersagung des Betriebs auf öffentlichen Straßen möglich. Die Zulassungsbehörde hat hier kein Entschließungsermessen, sondern muss zur Gefahrenabwehr tätig werden. Dabei kann sie nach pflichtgemäßem Ermessen auswählen, welche der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen sie ergreift (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 5 FZV Rn. 3). Die Begründung des angefochtenen Bescheids lässt jedoch bereits nicht erkennen, dass die Zulassungsbehörde erkannt hat, dass ihr hinsichtlich der Auswahl der Maßnahme ein Ermessen zusteht. Es liegt daher ein sogenannter Ermessensausfall vor, der nachträglich nicht geheilt werden kann (vgl. § 114 Satz 2 VwGO).
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2. Dagegen hat die Klage keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die in Nr. 2 Satz 1 des angefochtenen Bescheids verfügte Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung wendet.
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Zwar ist auch insoweit nicht zu erkennen, dass die Zulassungsbehörde das ihr von § 5 Abs. 1 FZV eingeräumte Auswahlermessen ausgeübt hätte. Dieser (weitere) Ermessensausfall verletzt den Kläger jedoch nicht in seinen Rechten, weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung der Sache nach um eine Aufforderung zur Beseitigung des festgestellten Zulassungsmangels im Sinn von § 5 Abs. 1 Alt. 1 FZV handelt. Die angeordnete Beantragung einer inländischen Zulassung ist damit die mildeste in Betracht kommende Maßnahme, um den vorschriftswidrigen Zustand des Fahrzeugs des Klägers zu beenden, sodass eine Rechtsverletzung beim Kläger ausscheidet.
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Da die in Nr. 2 Satz 2 des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung zur Vorlage verschiedener Unterlagen lediglich die Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung bzw. zur Mängelbeseitigung konkretisiert, wird sie von § 5 Abs. 1 Alt. 1 FZV grundsätzlich miterfasst. Dies gilt jedoch nicht für die Anordnung der Vorlage einer Einzugsermächtigung und einer Einverständniserklärung für die Kraftfahrzeugsteuer sowie des Nachweises über die Rechtsform der Firma. Die zuletzt genannten Unterlagen sind für den Antrag nicht erforderlich, weil einerseits der Kläger - wie bereits erwähnt - in Deutschland von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist und andererseits es sich bei seinem Pkw nicht um ein Firmenfahrzeug handelt.
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3. Die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 150 EUR für den Fall, dass der Kläger der Verpflichtung zur Beantragung einer inländischen Zulassung nicht nachkommt, ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt ihn daher nicht in seinen Rechten (vgl. Art. 30, 31 und 36 VwZVG).
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Da die Beteiligten teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, sind die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben (§ 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VwGO).
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Die Kostenentscheidung war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.