Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.10.2021 – 5 CS 21.1138
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen Übermittlung der Ergebnisse von lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen

Normenketten:
VIG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 6 Abs. 2
GDVG Art. 21a
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 S. 2, § 146 Abs. 4
Leitsatz:
Besteht für eine nach dem Verbraucherinformationsgesetz angefragte Information eine geteilte Zuständigkeit, ist die angegangene Behörde gehalten, den Antrag von Amts wegen an die weitere informationspflichtige Stelle weiterzuleiten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz, Übermittlung der Ergebnisse einer lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfung, Antragstellung über die Internetplattform „Frag den Staat“ im Rahmen der Initiative „Topf Secret“, Weiterleitung eines Antrags bei geteilter Zuständigkeit, Verbraucherinformation, geteilte Zuständigkeit, Weiterleitung, Lebensmittel, Betriebsprüfung, Topf Secret, Frag den Staat
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 01.04.2021 – RO 5 S 21.437
Fundstellen:
BeckRS 2021, 34543
ZGI 2022, 92
LSK 2021, 34543

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 1. April 2021 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, die eine Metzgerei in B. betreibt, wendet sich gegen die Übermittlung der Ergebnisse einer lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfung (im Folgenden: Ergebnis- oder Kontrollberichte) an den Beigeladenen (im Folgenden auch: VIG-Antragsteller).
2
Am 15. Dezember 2020 beantragte der Beigeladene über die Internetplattform „Frag den Staat“ im Rahmen der Initiative „Topf Secret“ beim Landratsamt N. Informationen über die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen im Betrieb der Antragstellerin. Für den Fall der Beanstandung begehrte er zudem die Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte in elektronischer Form. Am 16. Dezember 2020 leitete das Landratsamt den Antrag „zuständigkeitshalber“ an die Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (im Folgenden auch: KBLV) weiter. Mit E-Mail vom 17. Dezember 2020 teilte die KBLV dem Landratsamt mit, dass die zwei letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen einmal durch das Landratsamt und einmal durch die KBLV erfolgt seien. Bei Betrieben mit geteilter Zuständigkeit nach § 9 Abs. 4 GesVSV erfolge gemäß UMS von 17. Januar 2019 die Bearbeitung der Anfrage durch jede Behörde in ihrem Zuständigkeitsbereich eigenständig. Mit E-Mail vom 21. Dezember 2020 übersandte das Landratsamt seine lebensmittelrechtliche Betriebsprüfung der KBLV mit der Bitte, diese bei der Beantwortung mitzuverwenden, um vermeidbaren Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Der Antragsgegner hörte die Antragstellerin mit Schreiben vom 31. Januar 2021 zur beabsichtigten Informationsgewährung an. Dem widersprach die Antragstellerin mit Schreiben vom 16. Februar 2021.
3
Mit Bescheid vom 26. Februar 2021, der auch der Antragstellerin zugestellt wurde, gab der Antragsgegner in Gestalt der KBLV dem Antrag des Beigeladenen statt und kündigte die Bekanntgabe der Daten der letzten beiden lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen und die Herausgabe etwaiger Kontrollberichte an. Am 9. März 2021 hat die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 26. Februar 2021 erhoben und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 1. April 2021 den Antrag abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, in der sie beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 1. April 2021 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Februar 2021 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
7
Der Beigeladene hat sich auch im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
9
1. Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 1. April 2021 bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass der Hauptsacherechtsbehelf der Antragstellerin keinen Erfolg haben kann (dazu a) und auch eine Interessenabwägung zu keinem anderen Ergebnis führt (dazu b). Die von der Antragstellerin fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO den Prüfungsrahmen für den Senat bilden, rechtfertigen keine andere Beurteilung.
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a) Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Recht abgelehnt. Die Klage ist aller Voraussicht nach unbegründet, weil sich der auf das Verbraucherinformationsgesetz gestützte Bescheid als rechtmäßig erweist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die KBLV für diesen Bescheid sachlich zuständig und kann die Informationen zu den zwei letzten Betriebsprüfungen durch Landratsamt und KBLV dem Beigeladenen mitteilen.
11
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass nur das Landratsamt zuständig für die Beantwortung der Anfrage sei und die Informationen des KBLV nicht Gegenstand des Informationsantrags gewesen seien. Der VIG-Antragsteller habe sich ausdrücklich und ausschließlich an das Landratsamt und nicht an die KBLV gewandt, so dass auch nur die zwei letzten Betriebsprüfungen durch das Landratsamt dem VIG-Antragsteller mitgeteilt werden dürften. Andernfalls bestünde eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtige Ermittlungspflicht der (zuständigen) Behörde, bei der der Antrag gestellt worden sei. Eine solche Handhabung von Anträgen durch den Antragsgegner sei auch nicht bekannt. Die Herausgabe von nicht beantragten Informationen an den VIG-Antragsteller sei nicht gerechtfertigt. Die Voraussetzungen für eine Weiterleitung des Auskunftsbegehrens an eine andere zuständige Behörde nach § 6 Abs. 2 VIG hätten nicht vorgelegen. Diese Rügen der Antragstellerin verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.
12
Die Weiterleitung des VIG-Antrags des Beigeladenen durch das Landratsamt an die KBLV ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin bestreitet nicht, dass sowohl die KBLV als auch das Landratsamt in unterschiedlichen Kontrollbereichen informationspflichtige Stellen im Sinn von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 1 Satz 1 VIG sind. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über den gesundheitlichen Verbraucherschutz (GesVSV) ist die KBLV statt der Kreisverwaltungsbehörde zuständige Behörde für Kontroll- und Vollzugsaufgaben der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung in bestimmten Betrieben. Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 GesVSV sind abweichend hiervon die Kreisverwaltungsbehörden zuständig für Kontroll- und Vollzugsaufgaben nach der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 2019/627 entlang verschiedener Prozesse bei der Herstellung von Fleisch. Aufgrund dieser geteilten Zuständigkeit war das Landratsamt gemäß § 6 Abs. 2 VIG gehalten, den VIG-Antrag von Amts wegen an die KBLV weiterzuleiten. Der Beigeladene hatte zwar seinen VIG-Antrag an das Landratsamt adressiert und darin auch ausdrücklich das Landratsamt angesprochen („Ihre Behörde“). Daraus folgt jedoch nicht, dass sein Antrag ausschließlich auf die Informationen des Landratsamts beschränkt war. Wesentlicher Inhalt eines VIG-Antrags ist, welche Informationen begehrt werden (BT-Drs. 16/5404 S. 12). Die vom VIG-Antragsteller begehrten Informationen waren Zeitpunkt und Ergebnis der „beiden letzten“ lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen. Die Angabe der gewünschten Information hat Vorrang vor der in Anspruch genommenen informationspflichtigen Stelle, zumal das Verbraucherinformationsgesetz Regelungen für den Fall des Antrags bei einer unzuständigen Stelle vorhält. Bereits nach den allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts, die nach § 5 Abs. 1 VIG Anwendung finden, besteht gemäß Art. 25 Satz 1 BayVwVfG eine Beratungspflicht der Behörde bei der Stellung von Anträgen. Diese Beratungspflicht gegenüber einem Antragsteller kann sich durch die Sonderregelung in § 6 Abs. 2 VIG zu einer Weiterleitungspflicht an die ebenfalls zuständige Stelle nach VIG verdichten: Nach § 6 Abs. 2 VIG leitet die informationspflichtige Stelle, soweit ihr dies bekannt und möglich ist, von Amts wegen den Antrag an die (ebenfalls) informationspflichtige Stelle weiter, soweit ihr keine Erkenntnisse über die nach § 4 Abs. 1 VIG begehrten Informationen vorliegen. Diese Formulierung greift nicht nur dann, wenn der angegangenen Behörde keinerlei Erkenntnisse vorliegen, sondern erfasst auch den Fall des Vorliegens von teilweisen Erkenntnissen bei der angefragten informationspflichtigen Stelle (anders der Wortlaut des § 4 Abs. 3 UIG). Dieses Verständnis der Regelung in § 6 Abs. 2 VIG entspricht dem Zweck des Verbraucherinformationsgesetzes schnell und verbraucherfreundlich ein „Mehr“ an Informationen für die Bürgerinnen und Bürger zu bieten (BT-Drs. 17/7374 S. 1) und vermeidet den Anschein von Falschinformationen durch eine Behörde. Eine Beschränkung des VIG-Antrags auf die letzten beiden lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen durch das Landratsamt, wie die Antragstellerin meint, ist daher nicht angezeigt. Die maßgebliche Fragestellung konnte das Landratsamt wegen der ihm bekannten geteilten Zuständigkeit ohne Zusammenwirken mit der KBLV nicht beantworten.
13
Die Weiterleitung des Antrags an die KBLV führte nicht nur zu deren sachlicher Zuständigkeit für den VIG-Antrag des Beigeladenen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b VIG hinsichtlich der durch sie durchgeführten lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen, sondern aufgrund von Art. 21a des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheits- und Veterinärdienst, den Verbraucherschutz sowie die Lebensmittelüberwachung (Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz - GDVG) auch zu einer sachlichen Zuständigkeit für die ihr bekannte lebensmittelrechtliche Überprüfung durch das Landratsamt. Die Mitteilung der begehrten Information des Landratsamts durch die KBLV ist rechtlich nicht zu beanstanden.
14
Konkrete Ausschluss- oder Beschränkungsgründe nach § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 3 VIG hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.
15
b) Da sich nach alledem der Bescheid bei einer über eine bloße summarische Prüfung hinausgehenden Betrachtung als rechtmäßig erweist, kommt es auf die Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht mehr entscheidungserheblich an; die Folgenabschätzung hat sich vielmehr an der gesetzlichen Wertung des § 5 Abs. 4 VIG auszurichten. Die von der Antragstellerin monierte Vorwegnahme der Hauptsache ist in der Normstruktur des Verbraucherinformationsgesetzes angelegt (zuletzt BayVGH, B.v. 7.8.2020 - 5 CS 20.1302 - juris Rn. 31 m.w.N.). Mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat sich der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht entschieden, dem Informationsinteresse der Bürger generell einen höheren Stellenwert einzuräumen als dem Interesse des betroffenen Betriebs an der Geheimhaltung von Informationen über lebensmittelrechtliche Beanstandungen (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2019 - 7 C 29.17 - juris Rn. 35). Mangels erkennbarer Besonderheiten verbleibt es daher bei der gesetzlichen Grundentscheidung für den Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, die nur bei erfolgreicher Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG durchbrochen werden kann, falls Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Informationserteilung bestehen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der anwaltlich nicht vertretene Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine etwaigen außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Von einer Reduzierung des Streitwerts in Orientierung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 sieht der Senat ab. Mit den wechselseitigen Begehren ist, wie oben dargelegt, eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden. Einmal erteilte Informationen können nicht zurückgeholt werden; umgekehrt würden die vom Beigeladenen begehrten Informationen bei Erfolg des Eilantrags bzw. der Beschwerde aufgrund des mit einem Hauptsacheverfahren verbundenen Zeitaufwands ihre Relevanz weitgehend verlieren (vgl. NdsOVG, B.v. 16.1.2020 - 2 ME 707/19 - juris Rn. 19).
18
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).