Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.11.2021 – 15 ZB 21.1329
Titel:

Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), Baueinstellungsverfügung, materielle Beweislast

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 1 Nrn. 1, § 124a Abs. 4 S. § 4, Abs. 5 S. 2
BayBO Art. 55 Abs. 1, 57 Abs. 6, 75 Abs. 1 S. 1
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), Baueinstellungsverfügung, materielle Beweislast
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 12.04.2021 – Au 5 K 20.2338
Fundstelle:
BeckRS 2021, 34477

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen - im Anschluss an eine Baukontrolle erlassenen - Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2020, mit der sie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 3.) verpflichtet wurde, Umbauarbeiten auf dem (in ihrem Eigentum stehenden, mit einem Mehrfamilienhaus bebauten) Grundstück FlNr. … der Gemarkung A* … (im Folgenden: Baugrundstück) sofort einzustellen (Ziffer 1.) und ihr für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld i.H. von 1.000 Euro angedroht wurde (Ziffer 2.).
2
Ihre Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 7. Oktober 2020 aufzuheben, wies das Verwaltungsgericht Regensburg nach Durchführung einer gerichtlichen Inaugenscheinnahme (29. März 2021) mit Urteil vom 12. April 2021 ab. Die verfügte Baueinstellungsanordnung - so die Entscheidungsgründe des Urteils - sei nach Maßgabe von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO als einschlägiger Rechtsgrundlage nicht nur formell, sondern auch materiell rechtmäßig. Die Einstellung von Arbeiten könne auf Basis von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO schon bei Vorliegen einer Anscheinsgefahr, also bereits dann angeordnet werden, wenn ein Rechtsverstoß aus dem Blickwinkel der Bauaufsichtsbehörde nicht hundertprozentig sicher sei, aber konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass Arbeiten gegen die einschlägigen Vorschriften verstießen. Solche ausreichenden Putativgefahren könnten sich auch aus konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer bloßen formellen Rechtswidrigkeit ergeben. Die Errichtung einer (ungenehmigten) Anlage dürfe schon dann gestoppt werden, wenn die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit jedenfalls ernstlich zweifelhaft sei. Vorliegend bestehe die Gefahr, dass die Bauarbeiten auf dem Baugrundstück auf ein Vorhaben zielten, für das keine Baugenehmigungsfreiheit bestehe und das deshalb nach Art. 55 Abs. 1 BayBO einer Baugenehmigung bedürfe, die bislang weder der Klägerin erteilt noch von dieser beantragt worden sei. Es lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei den durchgeführten Bauarbeiten entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um bloße genehmigungsfreie Instandhaltungsarbeiten (Art. 57 Abs. 6 BayBO) handele, sondern dass darüber hinaus die beiden Nebengebäude sowie das gesamte Kellergeschoss einer geänderten, genehmigungspflichtigen Nutzung zugeführt würden. Hinsichtlich der Umbauarbeiten im Kellergeschoss bzw. Souterrain habe die Klägerin selbst anlässlich des gerichtlichen Augenscheintermins erklärt, dass hier eine Wohnung geschaffen werden solle. Der gerichtliche Augenscheintermin habe die Erkenntnisse des Baukontrolleurs vom 7. Oktober 2020 bestätigt: In die Räume des Kellergeschosses seien Heizkörper eingebaut worden, es seien sämtliche Anschlüsse für den Einbau einer Küche vorbereitet worden, die Wand hinter der Küchenzeile sei bereits gefliest gewesen. Zudem wurde ein komplettes, neues Bad eingebaut. Vor der nördlichen Gebäudewand seien Lichtgräben ausgehoben worden und in diese Richtung seien vorhandene Fenster durch Türen ersetzt worden. In diesem Geschoss werde demnach eine Wohnnutzung vorbereitet. Aus den von der Beklagten vorgelegten Bauakten für das Anwesen der Klägerin, die einen Zeitraum von 1948 bis 2015 erfassten, ergebe sich nicht, dass das streitgegenständliche Kellergeschoss in der Vergangenheit zu Wohnzwecken genutzt oder eine derartige Nutzung genehmigt worden sei. In den Bauunterlagen 1948 bis 2001 finde das Geschoss keine ausdrückliche Erwähnung. In dem am 22. Juli 2015 bauaufsichtlich genehmigten Eingabeplan für das klägerische Anwesen, der den Abbruch und Ersatz bestehender Balkone zum Inhalt gehabt habe, sei das Geschoss ausdrücklich als „Kellergeschoss“ ausgewiesen. Sämtliche Räume seien mit „Bestand Keller“ bezeichnet. Nur im Bereich des Treppenhauses befänden sich beidseitig jeweils ein „WC Bestand“ mit 1,92 m². Diese Bereiche stünden mit den neu geschaffenen Wohnräumen jedoch nicht in unmittelbarer Verbindung. Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 7. April 2021 vorgetragen habe, dass das streitgegenständliche „Souterrain“ von Anfang an zur Wohnnutzung genehmigt und seit Erstellung des Hauses zu Wohnzwecken genutzt worden sei, sei dies bislang durch keinerlei Nachweise belegt. Es sei Aufgabe der Klägerin gewesen, nach der Baueinstellung Belege für die behauptete formelle Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Aufnahme einer Wohnnutzung vorzulegen. Aus den von der Beklagten vorgelegten Bauakten ergäben sich jedenfalls keinerlei Hinweise auf eine Genehmigung des Souterrains zu Wohnzwecken. Der bloße Umstand, dass in dem „Kellergeschoss“ nach Aussage der Klägerin schon in der Vergangenheit Wohnnutzung stattgefunden habe, ersetze eine hierfür erforderliche Baugenehmigung nicht. Vor diesem Hintergrund sei die Baueinstellung selbst dann rechtmäßig, wenn der Rechtsverstoß nicht hundertprozentig sicher sein sollte. Die Klärung, ob mit den eingestellten Bauarbeiten ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen werden solle, sei Aufgabe des nachfolgenden bauaufsichtlichen Verfahrens. Hinsichtlich der beiden Nebengebäude habe die Klägerin anlässlich des gerichtlichen Augenscheintermins erklärt, dass noch offen sei, in welcher Weise die Gebäude genutzt würden. Angesichts des Einbaus einer kleinen Sanitärzelle mit Dusche, Waschbecken und WC sowie vorbereiteter Anschlüsse für eine Küchenzeile in jedem der Nebengebäude spreche einiges dafür, dass eine Wohnnutzung beabsichtigt sei. Anhaltspunkte dafür, dass eine derartige Wohnnutzung in der Vergangenheit genehmigt worden wäre, gebe es nicht. Aus einem am 5. Juli 1976 genehmigten Eingabeplan wegen baulicher Änderungen (Balkonanlage Südseite) gehe hervor, dass es sich bei den beiden Nebengebäuden jedenfalls in der Vergangenheit um Garagen gehandelt habe. Im Grundriss Erdgeschoss finde sich jeweils die Eintragung „neues Garagendach begehbar“. Eine Nutzung und / oder Genehmigung zu Wohnzwecken finde sich in den von der Beklagten vorgelegten Bauakten nicht. Auch die Klägerin habe hierzu nichts vorgelegt. Auch insoweit sei die Baueinstellung erforderlich gewesen, weil es konkrete Anhaltspunkte dafür gebe, dass in den Nebengebäuden eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung von einer Nebennutzung in eine Hauptnutzung in der Form der Wohnnutzung vorgenommen werden solle. Hierfür sei ein Baugenehmigungsantrag zu stellen. Sollte sich, sobald die Klägerin über den endgültigen Nutzungszweck der Nebengebäude Klarheit gewonnen habe, herausstellen, dass eine Baugenehmigung nicht erforderlich sei, mache dies die Einstellungsverfügung nicht rückwirkend rechtswidrig. Soweit derzeit mithin konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sowohl im „Kellergeschoss/Souterrain“ als auch in den Nebengebäuden eine Nutzungsänderung in Richtung einer Wohnnutzung vorbereitet werde, seien diese Nutzungsänderungen nicht nach Art. 57 Abs. 4 BayBO verfahrensfrei, weil für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO als für die bisherige Nutzung in Betracht kämen. Auf die Sonderbaueigenschaft der Nutzungsänderung komme es für die Frage der Verfahrensfreiheit nicht an. Im Rahmen des erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens werde u.a. der Stellplatznachweis (Art. 47 BayBO) zu prüfen sein. Der Umstand, dass verschiedene von der Klägerin ausgeführte Baumaßnahmen, wie etwa das Verputzen der Wände oder die Erneuerung der Elektroleitungen, isoliert betrachtet möglicherweise verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten i.S. des Art. 57 Abs. 6 BayBO darstellten, vermöge nichts daran zu ändern, dass die Klägerin das Vorhaben ohne die - dem Anschein nach erforderliche - Baugenehmigung begonnen habe. Die Frage der Baugenehmigungspflicht sei nach dem Gesamtvorhaben zu beurteilen. Es sei nicht zulässig, ein einheitliches Vorhaben in mehrere Bauabschnitte aufzuteilen, diese jeweils nach ihrer Genehmigungsfreiheit oder Genehmigungspflicht zu beurteilen, um dann einzelne Abschnitte des Baugeschehens als genehmigungsfrei zu beurteilen. Maßgebend sei das Vorhaben insgesamt, hier also der Umbau des Kellergeschosses sowie der beiden Nebengebäude.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
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1. Der von der Klägerin einzig geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt, liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargelegt worden, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO können nur dann bestehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2019 - 15 ZB 19.428 - juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 28.3.2018 - 14 ZB 18.45 - juris Rn. 10 m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragsbegründung nicht.
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a) Die Klägerin lässt mit der Antragsbegründung vom 14. Juni 2021 vorbringen, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO - maßgeblich die Frage, ob eine bauliche Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt wird - nicht ernsthaft geprüft, sondern lediglich festgestellt, dass hinsichtlich der Arbeiten im Souterrain und in den Nebengebäuden möglicherweise eine Nutzungsänderung vorliege und dass diese vermutlich genehmigungsbedürftig sei. Tatsächlich sei von ihr keine Nutzungsänderung geplant, die betroffenen Räumlichkeiten seien vielmehr von Anfang an zu Wohnzwecken genehmigt und entsprechend genutzt worden. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, wonach gewisse Anhaltspunkte für eine den öffentlich-rechtlichen Vorschriften widersprechende Umbaumaßnahme für den Erlass einer Baueinstellung genügten und wonach die Frage, ob tatsächlich eine Baugenehmigung erforderlich sei oder nicht, im anschließenden Baugenehmigungsverfahren zu prüfen und zu entscheiden sei, sei unhaltbar und widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Hiernach sei eine Baueinstellung nicht schon bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit durchgeführter Arbeiten erlaubt, vorausgesetzt werde vielmehr expressis verbis ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Eine Baueinstellung sei mithin nur dann zulässig, wenn die durchgeführten Bauarbeiten nachgewiesenermaßen den baurechtlichen Vorschriften widersprächen. Dieser Nachweis sei durch die die Baueinstellung anordnende Behörde zu führen. Die vom Erstgericht vertretene Ansicht, dass es ihre (der Klägerin) Sache gewesen wäre, entsprechende Nachweise für eine genehmigte Wohnnutzung der betroffenen Bereiche vorzulegen, widerspreche der gesetzlichen Verteilung der materiellen Beweislast. Die Unerweislichkeit einer Tatsache gehe grundsätzlich zulasten desjenigen Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleite. Im vorliegenden Fall berufe sich die Beklagte darauf, sie sei nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO berechtigt gewesen, eine Baueinstellungsverfügung zu erlassen. Daher müsse diese beweisen, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt seien. Ein Nachweis, dass die Räume im Souterrain des Anwesens entgegen dem klägerischen Vortrag nicht zu Wohnzwecken genehmigt und entsprechend seit Errichtung des Gebäudes genutzt worden seien, sei von der Beklagten nicht geführt worden, zumal die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen die ursprünglich erteilte Baugenehmigung nicht enthielten, sodass anhand der Aktenlage nicht nachvollzogen werden könne, welche Nutzung für die Räume im Souterrain des Gebäudes genehmigt worden sei. Aus den im Jahr 2015 genehmigten Plänen ergebe sich nichts Anderes, weil die Räumlichkeiten des betroffenen Geschosses nicht Gegenstand des damals betroffenen Baugenehmigungsverfahrens gewesen seien. Die Bezeichnung (Kellergeschoss) in diesen Plänen lasse daher keinen Rückschluss auf die Genehmigungssituation zu. Zudem spreche die lange Existenz von zwei WC-Anlagen im betroffenen Geschoss dafür, dass diese Räume ursprünglich als Wohnräume genehmigt worden seien. Für einen Keller wären solche Anlagen nicht erforderlich. Zudem gebe es unter dem Souterraingeschoss ein komplettes Kellergeschoss; es sei aber nicht erklärbar, warum das Haus über zwei Kellergeschosse verfüge. Dass die betroffenen Räume seit jeher zu Wohnzwecken genutzt worden seien, könne durch die früheren Eigentümer des Gebäudes als Zeugen belegt werden. Da die Beklagte in keiner Weise dargelegt oder gar bewiesen habe, dass es sich bei den Räumen im Souterrain um Kellerräume handele, die als solche genehmigt und auch genutzt worden seien, hätte das Gericht nach Maßgabe der Beweislastverteilung hier zu ihren Gunsten vom klägerischen Sachvortrag und damit davon ausgehen müssen, dass keinerlei Arbeiten im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften durchgeführt worden seien. Dass die Beklagte im gerichtlichen Verfahren lediglich Unterlagen mit den Genehmigungsverfahren ab 1948 vorgelegt habe, liege in deren Verantwortungsbereich. Hierauf habe sie - die Klägerin - keinerlei Einfluss. Tatsächlich seien in ihrem Auftrag lediglich Instandhaltungsarbeiten durchgeführt worden. Sie habe den Innenputz erneuern lassen; ferner seien die sanitären Anlagen und die Elektroleitungen erneuert, die Holzböden und die Terrassen restauriert worden. Eine Nutzungsänderung sei mit diesen Arbeiten nicht verbunden und werde von ihr auch nicht angestrebt. Es gehe nicht um Baumaßnahmen, mit denen die Standfestigkeit der gesamten Anlage berührt werde, sodass eine statische Nachberechnung der Gesamtanlage erforderlich sei. Insofern unterscheide sich der vorliegende Fall von den Fallgestaltungen in den vom Verwaltungsgericht zitierten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen.
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Mit diesen Einwendungen gegen die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsansicht vermag die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2021 nicht erfolgreich darzulegen.
9
Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Bauarbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden. Für ein Tätigwerden der Bauaufsichtsbehörde genügt im Fall eines gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtigen Vorhabens bereits die formelle Rechtswidrigkeit, also das Fehlen der erforderlichen Baugenehmigung. Denn mit Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO als Befugnisnorm soll sichergestellt werden, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund ordnungsgemäßer und gegebenenfalls geänderter Bauvorlagen in dem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren erfolgt und bis dahin keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Dieser im Kern präventiven Zielsetzung entspricht es, wenn die Bauaufsichtsbehörde das ihr eingeräumte Ermessen in der Weise ausübt, dass Arbeiten eingestellt werden, sofern Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben gegeben sind. Insoweit genügt deshalb der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes. Der rechtmäßige Erlass einer Baueinstellungsverfügung setzt daher (nur) voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (zum Ganzen vgl. BayVGH, U.v. 27.8.2002 - 26 B 00.2110 - juris Rn. 22; B.v. 19.1.2007 - 2 CS 06.3083 - juris Rn. 3; B.v. 14.10.2013 - 9 CS 13.1407 - juris Rn. 15; B.v. 10.4.2017 - 15 ZB 16.672 - juris Rn. 10 ff.; B.v. 24.4.2018 - 1 CS 18.308 - juris Rn. 9; B.v. 12.12.2018 - 1 ZB 17.936 - juris Rn. 3; B.v. 13.2.2019 - 2 CS 18.2677 - juris Rn. 3; B.v. 15.6.2020 - 1 CS 20.396 - juris Rn. 3; B.v. 29.10.2020 - 1 CS 20.1979 - juris, Rn. 10; B.v. 26.4.2021 - 1 CS 21.449 - juris Rn. 12; B.v. 18.10.2021 - 15 CS 21.1990 - noch unveröffentlicht; B.v. 18.10.2021 - 15 CS 21.2407 - noch unveröffentlicht; OVG LSA, B.v. 31.1.2012 - 2 M 194/11 - BauR 2012. 929 = juris Rn. 6; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 75 Rn. 7). Zusammenfassend ist für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Baueinstellungsverfügung mithin entscheidend, ob die Behörde im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung nach den ihr erkennbaren objektiven Umständen annehmen durfte, dass die von ihr festgestellten Arbeiten den Beginn der Ausführung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens darstellen (BayVGH, B.v. 24.4.2018 a.a.O.; B.v. 12.12.2018 a.a.O.). Das gilt maßgeblich, wenn anlässlich einer Baukontrolle festgestellte Arbeiten hinreichenden Anlass für die Annahme bieten, dass die Qualität von Instandhaltungsarbeiten nach Art. 57 Abs. 6 BayBO überschritten wird bzw. ein genehmigungspflichtiges Gesamtvorhaben vorliegt. So liegen genehmigungsfreie Instandhaltungsarbeiten gem. Art. 57 Abs. 6 BayBO unabhängig von ihrem Arbeitsaufwand und ihrer Qualität nicht vor, wenn die Baumaßnahmen insgesamt auf eine (genehmigungspflichtige) Nutzungsänderung zielen (BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 1 CS 20.1979 - juris Rn. 13; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand Juli 2021, Art. 75 Rn. 15). Im Übrigen stellt Art. 57 BayBO weniger bedeutsame Vorhaben nur als Einzelvorhaben von der Baugenehmigungspflicht frei, wenn sie nicht im räumlichen, zeitlichen und funktionellen Zusammenhang mit einem anderen (Gesamt-) Vorhaben stehen. Anlagen, die gem. Art. 57 BayBO isoliert gesehen nicht genehmigungspflichtig wären, sind als Teil eines Gesamtvorhabens genehmigungspflichtig, wenn das Gesamtvorhaben als solches genehmigungspflichtig ist. Die aus Art. 55 Abs. 1 BayBO folgende Genehmigungspflicht ist m.a.W. für ein einheitliches Vorhaben einheitlich zu beurteilen. Für sich gesehen genehmigungsfreie Teile eines Vorhabens werden deshalb von der Baugenehmigungspflicht erfasst, wenn sie unselbständige Teile eines genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens sind und mit diesem eine Einheit bilden (BayVGH, B.v. 27.4.2012 - 9 ZB 10.1503 - juris Rn. 12; B.v. 5.11.2013 - 15 ZB 12.179 - juris Rn. 10; B.v. 24.4.2018 - 1 CS 18.308 - juris Rn. 9; B.v. 18.10.2021 - 15 CS 21.1990 - noch unveröffentlicht; B.v. 18.10.2021 - 15 CS 21.2407 - noch unveröffentlicht; Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand: Juli 2021, Art. 57 Rn. 12 ff. m.w.N.; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Oktober 2018, Art. 57 Rn. 12 m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung genau auf diese, von der obergerichtlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gedeckte Maßstäbe ausgerichtet. Es ging in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils von einem - bislang von der Klägerin nicht nachträglich ausgeräumten (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2007 - 2 CS 06.3083 - juris Rn. 3) - „Anfangsverdacht“ aus, dass die eingestellten Bauarbeiten auf eine genehmigungspflichtige Errichtung neuer Wohneinheiten ausgerichtet waren (s.o. I.). Dieser auf der o.g. obergerichtlichen Rechtsprechung fußenden Argumentation hat die insofern in eine falsche Richtung zielende Antragsbegründung nichts Substantielles entgegengesetzt. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit es angesichts des im Anwendungsbereich des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO für die Tatbestandsmäßigkeit der Befugnisnorm ausreichenden (auf Tatsachen beruhenden) Anfangsverdachts (s.o.) auf die Frage des (Voll-) Beweises hinsichtlich des Bestehens einer legalisierenden Baugenehmigung oder eines Bestandsschutzes - hier in Bezug auf die von der Klägerin behauptete Wohnnutzung in den von den eingestellten Bauarbeiten erfassten Räumlichkeiten - überhaupt ankommt, liegt die Klägerin mit ihrer Behauptung, die Beklagte trage die materielle Beweislast hierfür, falsch. Beruft sich ein betroffener Eigentümer (hier die Klägerin) gegenüber einer bauordnungsrechtlichen Eingriffsmaßnahme als ihm zugutekommende Einwendung auf Bestandsschutz - etwa aufgrund einer ursprünglich erteilten, aber nicht auffindbaren legalisierenden Baugenehmigung -, so trägt dieser - und nicht (wie die Klägerin meint) der Träger der Bauaufsichtsbehörde - hierfür die materielle Beweislast und damit das Risiko der Nichterweislichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 19.2.1988 - 4 B 33.88 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 20.1.2014 - 2 ZB 11.2878 - juris Rn. 4; B.v. 28.12.2016 - 15 CS 16.1774 - juris Rn. 29; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: Juli 2021, Art. 76 Rn. 86, 130 m.w.N.).
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b) Soweit die Klägerin über ihre Anwältin weitere Unterlagen zum (vormals planenden) Architekten G* … und zu den Bewohnern des klägerischen Anwesens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorlegen ließ, die am 16. Juni 2021 - und damit einen Tag nach Ablauf der zweimonatigen Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO - beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen sind, kann dahingestellt bleiben, ob dieser Vortrag wegen Verfristung überhaupt berücksichtigt werden kann. Der Klägerin geht es mit der - weitgehend kommentarlos erfolgten - Vorlage dieser Unterlagen offensichtlich um die Bekräftigung ihres Vortrags, dass das betroffene, von ihr als „Souterraingeschoss“ bezeichnete Geschoss seit vielen Jahrzehnten - wohl gemeint: bestandsgeschützt - bewohnt wird. In der Sache richtet sie sich damit gegen die Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts, wonach konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die eingestellten Bauarbeiten gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen, weil die Möglichkeit bestehe, dass die beiden Nebengebäude sowie das betroffene Untergeschoss einer geänderten, genehmigungspflichtigen Nutzung - nämlich einer bislang womöglich nicht bestandsgeschützen Wohnnutzung - zugeführt würden. Mit der Vorlage der Unterlagen wendet sich die Klägerin mithin gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts. Solche Fehler sind im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 - 8 ZB 18.734 - NVwZ-RR 2018, 758 = juris Rn. 12.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 19). Für einen darauf gestützten Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genügt nicht allein der Vortrag, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen oder der Sachverhalt bzw. das Ergebnis einer Beweisaufnahme sei anders zu bewerten. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gericht ist im Grundsatz nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d.h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen einer fehlerhaften Beweiswürdigung ist folglich nur dann gegeben, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts - hier hinsichtlich der Annahme, dass Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Vorhaben vorliegen und deshalb ein durch Tatsachen belegter „Anfangsverdacht“ für die formelle Rechtswidrigkeit der Baumaßnahme anzunehmen ist - augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 - 8 ZB 18.734 - NVwZ-RR 2018, 758 = juris Rn. 12; B.v. 12.4.2021 - 8 ZB 21.23 - juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 21.6.2012 - 18 A 1459/11 - juris Rn. 9; VGH BW, B.v. 11.2.2019 - 12 S 2789/18 - juris Rn. 19). Ein solcher zur Zulassung der Berufung führender Mangel der Beweiswürdigung lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen, zumal die am 16. Juni 2021 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Unterlagen weitgehend kommentarlos eingereicht worden sind und die Klägerin hiermit schon formal den Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10 m.w.N.) nicht genügte.
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c) Gegen die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Baueinstellung ermessensgerecht getroffen wurde und dass eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, die im Anwendungsbereich des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ausnahmsweise zur Unverhältnismäßigkeit der Baueinstellung führen kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 1 CS 20.1979 - juris Rn. 10; B.v. 25.11.2020 - 1 ZB 20.512 - juris Rn. 5; Jäde in Jäde u.a. Die neue BayBO, Stand Okt. 2018, Art. 75 Rn. 21), vorliegend nicht in Betracht kommt, sondern dass vielmehr davon auszugehen sei, dass die Umbauarbeiten und die damit verbundenen Nutzungsänderungen andere öffentliche-rechtliche Anforderungen stellten als der bisherige Bestand (beispielsweise im Hinblick auf den Brandschutz, die Nutzung als Aufenthaltsräume und den Stellplatznachweis), sind mit der Antragsbegründung keine substantiierten Einwendungen erhoben worden. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Beklagte laut Internetauftritt über eine Stellplatzsatzung, also über eine örtliche Bauvorschrift gem. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO verfügt, sodass jedenfalls die Anforderungen an die Anzahl und Beschaffenheit von Stellplätzen (Art. 47 BayBO) gem. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) BayBO auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren zum Prüfprogramm zählen dürften.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).