Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 23.07.2021 – M 9 K 21.1281
Titel:

Sicherung des Lebensunterhalts des Elternteils eines gut integrierten Jugendlichen

Normenkette:
AufenthG § 25a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 2
Leitsatz:
Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis des Elternteils eines gut integrierten Jugendlichen nach § 25a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Fähigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit voraus und muss sich auf die gesamte familiäre Bedarfsgemeinschaft, also auch auf den Lebensunterhalt des Ehegatten und der in der familiären Lebensgemeinschaft lebenden Kindern beziehen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bezug von Sozialleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz, für gesamte Familie, gut integrierter Jugendlicher, Sicherung des Lebensunterhalts, eigene Erwerbstätigkeit, familiäre Bedarfsgemeinschaft, Gesamtbedarf, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
Fundstelle:
BeckRS 2021, 34359

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Die Antragstellerin begehrt mit ihrer Klage die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a Abs. 2 AufenthG als Mutter eines gut integrierten Jugendlichen.
2
Die Antragstellerin, ihr Ehemann und drei Kinder sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und reisten am 6. Juni 2016 in das Bundesgebiet ein. Ihr Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 9. November 2016 abgelehnt und die dagegen erhobene Klage abgewiesen (VG München U. v. 21.10.2019 - M 29 K 16.34235). Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt (BayVGH B. v. 25.05.2020 - ZB 20.31065). Damit ist die Abschiebeandrohung seit dem 25.Juni 2020 vollziehbar.
3
Die Antragstellerin war bis zum 2. April 2021 im Besitz einer Duldung verbunden mit der Erlaubnis zur Beschäftigung als Küchenhilfe in Teilzeit. Ausweislich einer Mitteilung der Ausländerbehörde wurde die Duldung nicht verlängert. Neben dem Einkommen der Antragstellerin als Küchenhilfe erhält die Familie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ausweislich des Bescheids vom 10. Februar 2021 haben die zusätzlichen Leistungen im Januar 2021 für die Antragstellerin, ihren Ehemann und die beiden minderjährigen Kinder 813, 62 EUR betragen.
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Der damalige Bevollmächtige der Antragstellerin beantragte gemäß § 25a Abs. 1 für den minderjährigen Sohn I. …, geboren im März 2005, sowie für seine Eltern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG. Der Sohn besuche seit vier Jahren mit Erfolg die Mittelschule. Dies stelle eine beachtliche Integrationsleistung dar. Er habe viele Freunde und spiele Fußball im … Der Vater sei wegen Corona aktuell arbeitslos. Die Klägerin arbeite und sei darüber hinaus als Übersetzerin in der Gemeinschaftsunterkunft sozial engagiert.
5
Mit Bescheid vom 9. Februar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag der Antragstellerin ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auch der Sohn keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG erhalte. Die Familie erhalte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Es fehle daher an der tatbestandlichen Voraussetzung des § 25a Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
6
Der Ehemann der Antragstellerin und die Kinder, die den Familiennamen des Vaters tragen, haben ebenfalls Ablehnungsbescheide erhalten (M 25 K 21.1231, M 25 K 21.1317 und M 25 S 21.1318).
7
Der Bevollmächtigte erhob mit Schriftsatz vom 6. März 2021 Klage und beantragte,
8
Die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Februar 2021, zugestellt dem damaligen rechtlichen Vertreter am 10. Februar 2021, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 3 AufenthG zu erteilen.
9
Der minderjährige Sonh der Klägerin habe als gut intergrierter Jugendlicher einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis, von dem die Klägerin ein Aufenthaltsrecht ableite. Der Ehemann habe wegen Corona keine Arbeit Angeregt wurde ferner, dass Verfahren auszusetzen, bis über die Klage des Sohnes der Klägerin wegen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG entschieden worden sei.
10
Die Beklagte beantragte,
11
Klageabweisung.
12
Der Lebensunterhalt der Familie sei nicht durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert. Damit sei der Antrag abzulehnen. Mit weiterem Schreiben wurde mitgeteilt, dass die Klägerin ebenso wie ihr Sohn nicht mehr im Besitz einer Duldung seien. Seit dem 3. Mai 2021 habe die Klägerin eine Grenzübertrittsbescheinigung. Duldungsgründe lägen keine vor.
13
Die Familie ist im Besitz gültiger Pässe, die im Laufe des Verfahrens von den polnischen Behörden übermittelt wurden und sich bei der Ausländerbehörde befinden.
14
Wegen der Einzelheit wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid liegen vor. Die Beteiligten wurden zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört und die Sach- und Rechtslage lässt eine solche Entscheidung zu.
16
Nach § 25a Abs. 1 kann einem jugendlichen geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält (§ 25a Abs. 1 Nr.1 AufenthG) und er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat (§ 25a Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Nach § 25a Abs. 1 Satz 2 ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch dann möglich, wenn der Jugendliche öffentliche Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts während der schulischen Ausbildung in Anspruch nimmt. Nach § 25a Abs. 2 AufenthG kann seinen Eltern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn diese den Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit sichern (§ 25a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).
17
Im vorliegenden Fall besucht der Sohn der Klägerin I. … seit vier Jahren die Mittelschule. Nach den vorgelegten Zeugnissen tut er dies mit hinreichendem Erfolg. Er hat sich seit 2016 und damit über vier Jahre lang mit einer Aufenthaltsgestattung und anschließenden Duldung im Bundesgebiet aufgehalten, § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG. Die Klägerin kann jedoch kein Aufenthaltsrecht von ihrem minderjährigen Sohn ableiten, da es an der zwingenden Voraussetzung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit fehlt, § 25a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Diese Fähigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit muss sich auf die gesamte familiäre Bedarfsgemeinschaft, also auch auf den Lebensunterhalt des Ehegatten und der in der familiären Lebensgemeinschaft lebenden Kindern beziehen (Röcker in Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020 § 25a Rn. 29). Ausweislich des Bescheids über den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten die Klägerin, ihr Ehemann und die beiden minderjährigen Kinder Leistungen in Höhe von 813,62 EUR, Stand Januar 2021 zusätzlich zu erbrachten Sachleistungen für Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltseinrichtung. Der Leistungsberechnung für die Klägerin liegt zwar zugrunde, dass ihr anrechenbares Gesamteinkommen von 376,63 EUR ihren Bedarf von 337,64 EUR um 38,99 EUR übersteigt, der Gesamtbedarf ihres Ehemanns beträgt jedoch 220,72 EUR und der ihrer Söhne 323,68 EUR (I. …) und 269,22 EUR (D. …). Dies bedeutet, dass selbst unter Berücksichtigung einer Privilegierung des minderjährigen Ausländers während der Ausbildungszeit nach § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Lebensunterhalt der Familie nicht durch eigenständige Erwerbstätigkeit gesichert ist.
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Da nach dieser Sachlage bereits tatbestandlich ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Elternteils eines gut integrierten Jugendlichen nach § 25a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ausgeschlossen ist, bleibt für Ermessenserwägungen kein Raum. Sonstige Grundlagen für ein Aufenthaltsrecht sind nicht erkennbar.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.