Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 26.10.2021 – W 1 K 21.536
Titel:

Anerkennung der Covid-19-Erkrankung eines Lehrers als Dienstunfall

Normenketten:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1, Abs. 3
BKVO Anl. 1 Nr. 3101
Leitsätze:
1. Die Covid-19-Erkrankung eines Lehrers kann nur dann als Dienstunfall nach Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG anerkannt werden, wenn die Ansteckung örtlich und zeitlich bestimmbar ist (hier verneint). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Covid-19-Erkrankung ist jedoch als Dienstunfall nach Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG anzuerkennen, wenn ein Lehrer durch seine Tätigkeit an der Schule im Ansteckungszeitraum der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße wie Beschäftigte im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege besonders ausgesetzt war (hier wegen hoher Infektionszahlen bejaht). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anerkennung der Covid-19-Erkrankung eines Lehrers als Dienstunfall, kein Dienstunfall nach Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG aufgrund fehlender zeitlicher Bestimmbarkeit der Ansteckung, Anerkennung als Berufserkrankung nach Art. 46 Abs. 3 BeamtVG, Besondere erhöhte Ansteckungsgefahr aufgrund hoher Infektionszahlen in der vom Kläger unterrichteten Klasse, Corona, Covid-19-Erkrankung, Dienstunfall, Lehrer, Ansteckung, zeitliche Bestimmbarkeit, Berufserkrankung, Infektionszahlen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 05.06.2024 – 3 B 22.809
Fundstellen:
COVuR 2022, 48
BeckRS 2021, 34175
LSK 2021, 34175

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2021 verpflichtet, die am 5. Dezember diagnostizierte Erkrankung des Klägers an SARS-Cov-2 als Dienstunfall anzuerkennen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner erstmals am 5. Dezember 2020 diagnostizierten Erkrankung an COVID-19 als Dienstunfall.
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Der Kläger ist Studiendirektor an einer staatlichen Wirtschaftsschule. Im Zeitraum von Ende November bis Anfang Dezember 2020 wurden dort sowohl zahlreiche Schülerinnen und Schüler als auch Lehrerinnen und Lehrer positiv auf eine Infektion mit COVID-19 (auch Coronavirus, SARSCoV-2) getestet. Der Kläger hatte diese Schülerinnen und Schüler teilweise unterrichtet. Auch hatte er mit den Lehrkräften im Lehrerzimmer oder im Rahmen seiner Dienstgeschäfte näheren Kontakt. Infolge der Vielzahl der aufgetretenen Erkrankungsfälle wurde die Schule am 2. Dezember 2020 geschlossen.
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Am 5. Dezember 2020 wurde der Kläger bei einem Antigen-Schnelltest positiv auf COVID-19 getestet, was durch ein positives PCR-Testergebnis am 7. Dezember 2020 bestätigt wurde. Seine Frau und der Sohn wurden hingegen negativ auf COVID-19 getestet. COVID-19 führte beim Kläger zu Erkältungssymptomen und Rückenschmerzen.
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Am 10. Dezember 2020, beim Landesamt für ... Dienststelle R. am 15. Januar 2021 eingegangen, stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung seiner COVID-19-Erkrankung als Dienstunfall. In der Dienstunfallmeldung führte er unter anderem aus, neben anderen Klassen habe er am 30. November 2020 von 7:45 Uhr bis 9:45 Uhr in der Klasse 8b und am 1. Dezember 2020 von 12:10 Uhr bis 13:55 Uhr in der Klasse 8a der Wirtschaftsschule unterrichtet. In allen Unterrichtsstunden sei regelmäßig über vier große Fenster gelüftet worden, wodurch für einen Luftaustausch gesorgt gewesen sei. In beiden Klassen seien sehr viele Schülerinnen und Schüler positiv auf COVID-19 getestet worden. Auch innerhalb des Lehrerkollegiums habe sich eine hohe Infektionsrate herausgestellt. Eine Ansteckung bis zum 2. Dezember 2020 mit COVID-19 im Lehrerzimmer sei demnach trotz Einhaltung der AHA-Regeln („Abstand halten, Hygiene beachten, im Alltag Maske tragen“) nicht auszuschließen. Der Kläger habe sich ab dem 2. Dezember 2020 freiwillig in häusliche Isolation begeben. Ab diesem Zeitpunkt habe er auch keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt. Seine sozialen Kontakte habe er bereits seit dem 23. November 2020, außerhalb seiner Arbeit an der staatlichen Wirtschaftsschule, allein auf seine Frau und seinen Sohn begrenzt.
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Mit Bescheid des Landesamtes für ... Dienststelle R. vom 25. Januar 2021 lehnte der Beklagte die Anerkennung der COVID-19-Erkrankung des Klägers als Dienstunfall ab. Der Beklagte begründete dies dahingehend, dass nicht eindeutig festgestellt werden könne, wo und wann sich der Kläger mit COVID-19 infiziert habe. Zum anderen fehle es aufgrund der Pandemie an einem für die Bejahung als Dienstunfall erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Dienst- und Unfallereignis, denn es fehle bei der hier gegenständlich verübten Lehrtätigkeit an einer über die Allgemeingefahr einer Ansteckung hinausgehenden Infektionsgefahr. Auch die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit lägen nicht vor, da ein besonders erhöhtes Ansteckungsrisiko im Zeitraum der Ausübung der Tätigkeit nicht vorliege. Das allgemeine Ansteckungsrisiko, wie es bei der Dienstverrichtung an der Schule bestehe, sei dafür nicht ausreichend.
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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 15. Februar 2021, eingegangen bei der Behörde am 17. Februar 2021, Widerspruch ein.
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Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom Landesamt für ... Dienststelle R. vom 19. März 2021 zurückgewiesen. Der Widerspruch sei unbegründet. Es sei rechtsfehlerfrei, die COVID-19-Infektion des Klägers nicht als Dienstunfall anzuerkennen. Es könne nicht von einem inneren Ursachenzusammenhang zwischen einem bestimmten Infektionsereignis und der dienstlichen Tätigkeit ausgegangen werden. Die Ausbreitung von COVID-19 sei durch die Weltgesundheitsorganisation zur Pandemie erklärt worden. Eine Infektion mit diesem Virus stelle daher eine Allgemeingefahr dar. In der Infektionsgefahr mit COVID-19 verwirkliche sich aufgrund der Pandemiesituation grundsätzlich ein allgemeines Lebensrisiko, das regelmäßig ohne jede Beziehung zu den Anforderungen des Dienstes stehe und sich als latent vorhanden dem Einfluss des Dienstherrn entziehe. Auch sei nicht ersichtlich, dass eine über die Allgemeingefahr hinausgehende Infektionsgefahr bestand. Zudem liege kein zeitlich bestimmbares Unfallereignis vor. Auch komme eine Anerkennung der Infektion des Klägers mit COVID-19 als Berufskrankheit nicht in Betracht, da bei der Lehrtätigkeit kein Dienst ausgeübt werde, bei dem der Kontakt mit Coronavirusträgern nicht nur eine potentielle Begleiterscheinung, sondern maßgebliches Tätigkeitskriterium sei. Dies sei z.B. der Fall bei Personen, die als medizinisches Personal im Gesundheitsdienst tätig seien.
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Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 19. April 2021 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erhoben. Er führt aus, in der gesetzlichen Unfallversicherung komme die Anerkennung einer COVID-19-Erkrankung als Berufskrankheit und daneben als Arbeitsunfall in Betracht, wenn bei Ausübung der versicherten Tätigkeit ein hinreichend intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person nachweislich bestanden habe und spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt bei dem Versicherten die Erkrankung eintrete bzw. der Nachweis der Infektion erfolge. Dies lasse aufgrund der besonderen Fürsorgepflicht des Beklagten als Dienstherrn einen „Erst-Recht-Umkehrschluss“ zu einer Anerkennung der COVID-19 Erkrankung des Klägers als Dienstunfall zu. Aufgrund des Kontakts mit zahlreichen an oder mit dem Coronavirus erkrankten Personen während seiner Diensttätigkeit und der seit dem 23. November 2020 erfolgten Beschränkung seiner sozialen Kontakte auf seine Frau und seinen Sohn sei eine Infektion mit COVID-19 außerhalb des Dienstgeschehens praktisch gänzlich ausgeschlossen. Seit dem 24. November 2020 habe er auch keine Einkäufe mehr getätigt. Im Lehrerkollegium seien im Zeitraum zwischen dem 30. November 2020 und dem 3. Dezember 2020 zehn Lehrkräfte positiv auf Covid-19 getestet worden, zu vier Personen habe er über einen längeren Zeitraum hinweg Gesprächskontakt gehabt. In der von ihm unterrichteten Klasse 8a seien 7 von 23 Schülern erkrankt gewesen, in der Klasse 8b sogar 19 von 23 Schülern und in der Klasse 9a weitere drei Schüler.
9
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 25. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2021 zu verpflichten, die am 5. Dezember 2020 erstmalig diagnostizierte Erkrankung des Klägers an SARS-CoV-2 als Dienstunfall anzuerkennen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Auffassung, dass ein Dienstunfall schon deswegen ausscheide, da es an einem auf äußeren Einwirkungen beruhenden Ereignis fehle. Denn das COVID-19-Virus werde durch das Einatmen mit Viren belasteter Aerosole ausgelöst. Dies stelle ein alltägliches Ereignis dar, das sich nicht als Unfallereignis qualifizieren lasse. Weiter führt der Beklagte abermals aus, dass die Infektion des Klägers mit COVID-19 nicht örtlich und zeitlich bestimmbar sei und es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Infektion und der Dienstverrichtung fehle. Aufgrund des Ende November/Anfang Dezember 2020 fortdauernden pandemischen Verbreitens von COVID-19 hätte sich der Kläger jederzeit und allerorts mit dem Virus infizieren können. COVID-19 stelle eine Allgemeingefahr dar. Eine Infektion sei selbst bei Einhaltung von Präventivmaßnahmen jederzeit und überall möglich. Die Inkubationszeit betrage in den meisten Fällen fünf bis sechs Tage, könne aber durchaus auch 14 Tage betragen. Weiter ist der Beklagte der Ansicht, dass eine Anerkennung der Infektion des Klägers mit dem Coronavirus als Berufserkrankung gemäß Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG i.V.m. Nr. 3101 der Anlage zur BKV nicht in Betracht komme. Der Kläger sei nicht in der Gesundheitspflege, Wohlfahrtspflege oder einem Laboratorium tätig. Durch seine Tätigkeit als Lehrer sei er auch keiner vergleichbaren Infektionsgefahr ausgesetzt, da er nicht gerade und ständig zur gezielten Betreuung von infizierten Personen herangezogen werde. Auch sei das Ansteckungsrisiko des Klägers bei seiner dienstlichen Verrichtung - im Gegensatz zu medizinisch tätigem Personal - nicht in entscheidendem Maße höher als das der übrigen Bevölkerung. Der Hinweis auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn führe nicht weiter, da die Vorschriften über die Unfallfürsorge eine hinreichende, den Anforderungen genügende Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn bei Dienstunfällen und Berufskrankheiten darstellten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
14
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Anerkennung seiner erstmalig am 5. Dezember 2020 diagnostizierten COVID-19-Erkrankung als Dienstunfall. Der ablehnende Bescheid vom 25. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die Anerkennung als Dienstunfall ist Art. 46 BayBeamtVG.
I.
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Der Anspruch des Klägers auf Anerkennung als Dienstunfall ergibt sich vorliegend nicht bereits aus Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall nach Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG sind nicht erfüllt.
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Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
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Grundsätzlich kann auch die im Dienst erfolgte Ansteckung mit einer Infektionskrankheit einen Dienstunfall darstellen. Die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit stellt keine Folge einer schädlichen Dauerbelastung dar, sondern bildet vielmehr ein plötzliches auf äußeren Einwirkungen beruhendes Ereignis. Zwar steigt das Risiko einer Ansteckung, je länger sich eine Person in einem mit Aerosolen belasteten Raum aufhält und je höher die entsprechende Viruslast in der Luft ist. Jedoch erfolgt die Ansteckung selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt, in dem Viren beispielsweise durch respiratorische Aufnahme in den Körper des Betroffenen gelangen und sich dort vermehren (vgl. hierzu Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19; Stand: 14.7.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessionid=BDFC06A169AC4AC93912E5A39AC00D4D.internet081?nn=13490888#doc13776792bodyText2)
19
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Anerkennung als Dienstunfall nicht bereits entgegen, dass sich in dem Schaden lediglich eine allgemeine, letztlich jeden treffende Gefahr realisiert habe. Zwar liegt dann kein Dienstunfall vor, wenn es sich um eine sog. „Gelegenheitsursache“ handelt, bei der zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht. Dies wird vor allem bei Fällen angenommen, in denen aufgrund einer krankhaften Veranlagung des Beamten oder eines anlagebedingten Leidens letztlich auch ein alltäglich vorkommendes Ereignis den Erfolg herbeigeführt hätte. Ein solches Grundleiden des Klägers, welches sich lediglich bei Gelegenheit des Dienstes verwirklicht hat, lag hier jedoch nicht vor. Der Anerkennung als Dienstunfall kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sich im Falle des Klägers lediglich das in Zeiten der Pandemie bestehende allgemeine Ansteckungsrisiko realisiert habe und der Kläger kein gegenüber dem normalen Bürger erhöhtes besonders Ansteckungsrisiko aufweise. Denn der Begriff des Dienstunfalls nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG setzt gerade nicht voraus, dass der Beamte bei seiner Tätigkeit einer höheren Gefährdung als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist oder sich in dem Körperschaden eine der konkreten dienstlichen Verrichtung innewohnende typische Gefahr realisiert hat (BVerwG, U.v. 25.2.2010 - 2 C 81/08 - juris, Rn. 11).
20
Vorliegend kommt eine Anerkennung als Dienstunfall nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG jedoch mangels örtlicher und zeitlicher Bestimmbarkeit der Ansteckung des Klägers mit dem Coronavirus SARS-Cov-2 nicht in Betracht. Das Tatbestandsmerkmal der zeitlichen Bestimmbarkeit stellt regelmäßig das Hauptproblem bei der Anerkennung einer Infektionserkrankung als Dienstunfall dar, da sich typischerweise nicht genau feststellen lässt, zu welchem Zeitpunkt eine Ansteckung erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für das Tatbestandsmerkmal „zeitlich bestimmbar“ die bloße Eingrenzbarkeit des Zeitraums der Infektion oder die abstrakte Bestimmbarkeit ihres Zeitpunktes nicht ausreichend. Insbesondere reicht bei Infektionen nicht aus, dass die Inkubationszeit und der Ort, an dem sich der Beamte während dieser Zeit aufgehalten hat, bekannt sind. Vielmehr müssen Ort und Zeitpunkt der Infektion feststehen (BVerwG, U.v. 25.2.2010 - 2 C 81/08 - juris, Rn. 15; BVerwG, B.v. 19.1.2006 - 2 B 46/05 - juris, Rn. 6).
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Eine diesem Maßstab entsprechende, hinreichend genaue Bestimmung des Ortes und des Zeitpunktes der Ansteckung lässt sich im Falle des Klägers nicht vornehmen. Der Kläger wurde erstmals am 5. Dezember 2020 mittels Antigen-Schnelltest positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Rückschlüsse auf einen genauen Ansteckungszeitpunkt lassen sich hieraus jedoch nicht ziehen. Vielmehr kann die Ansteckung zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der 14-tätigen Inkubationszeit erfolgt sein (vgl. hierzu Robert-Koch-Institut, Epidemiolofischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 14.7.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Steckbrief.html; jsessionid=2007A5A0D532F34EC6580DEF13F E8A7B.internet062?nn=2386228#doc13776792bodyText5).
II.
22
Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung seiner SARS-CoV-2-Infektion als Dienstunfall ergibt sich jedoch aus Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG.
23
Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber unter anderem den oben genannten, oftmals bestehenden Beweisschwierigkeiten mit Hinblick auf die erforderliche Genauigkeit bei der Bestimmung des Ansteckungszeitpunktes dadurch Rechnung getragen, dass die Krankheiten in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) unter bestimmten Voraussetzungen als Dienstunfall anerkannt werden können (BVerwG, B.v. 19.1.2006 - 2 B 46/05 - juris, Rn. 6; VG Karlsruhe, U.v. 22.1.2014 - 4 K 1742/11 - juris, Rn. 25). Demnach gilt gem. Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG auch die Erkrankung an einer in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) genannten Krankheit als Dienstunfall, wenn der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war. Die durch den Erreger SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung COVID-19 fällt als Infektionserkrankung unter Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO).
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1. Nach Nr. 3101 der Anlage 1 BKV stellen Infektionskrankheiten dann eine Berufserkrankung dar, wenn die betroffene Person im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Die Regelung der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKVO wurde durch die Anlage 1 zur 7. BKVO vom 20.06.1968 (BGBl. I S. 721) geschaffen. Dabei wurde insbesondere die Alternative „durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt“ eingeführt. Zuvor war der sozialversicherungsrechtliche Unfallschutz bei Infektionskrankheiten an die Beschäftigung an bestimmten, in der Verordnung genannten Arbeitsplätzen gebunden (Nr. 37 der 6. BKVO vom 28.4.1961, BGBl I S. 505), was zum Teil zu unbilligen Härten führte. So erhielten beispielsweise Handwerker, die sich bei der Arbeit in einer Lungenheilanstalt mit Tuberkulose infiziert hatten, keine Leistungen aus der Unfallversicherung, weil sie nicht in einem Krankenhaus beschäftigt waren. Deshalb dehnte der Verordnungsgeber den Unfallschutz auf Personen aus, die zwar nicht einem mit besonderen Infektionsgefahren verbundenen Betrieb angehören, aber durch ihre Tätigkeit im Einzelfall einer Ansteckungsgefahr besonders ausgesetzt waren. Aus dieser Zielsetzung lässt sich ableiten, dass die genannte Alternative eine der spezifischen Tätigkeit innewohnende besondere Gefährdung voraussetzt. Der Betroffene muss durch seine Tätigkeit in einem Angehörigen des Gesundheitsdienstes oder der Wohlfahrtspflege vergleichbaren, erheblich höheren Maße als die übrige Bevölkerung einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen sein. Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um ein derart erhöhtes Ansteckungsrisiko handelt, ist nicht die der Tätigkeit generell anhaftende Gefährdung, sondern die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (VGH Baden-Württemberg, U.v. 21.1.1986 - 4 S 2468/85). Weiterhin ist entgegen der Auffassung des Beklagten gerade nicht erforderlich, dass der Betroffene durch die Tätigkeit bestimmungsgemäß mit infizierten Personen in Kontakt kommt. Dies widerspräche zum einen der Zielsetzung der Vorschrift, unbillige Härten zu vermeiden, die sich früher daraus ergaben, dass eine Berufskrankheit nur bei Beschäftigungsverhältnissen in bestimmten Einrichtungen in Betracht kam. Überdies wäre dieses Kriterium, abgesehen von medizinischem Personal, das auf speziellen COVID-Stationen eingesetzt wird, auch bei Angehörigen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege nicht zwingend immer erfüllt.
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Dies zugrunde gelegt war der Kläger durch seine Tätigkeit an der staatlichen Wirtschaftsschule im Zeitraum von Ende November bis Anfang Dezember 2020 der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße wie Beschäftigte im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege besonders ausgesetzt. Gegenüber den bereits generell hohen Infektionszahlen im Bundesgebiet wies die Schule, an der der Kläger tätig ist, im genannten Zeitraum ein massiv erhöhtes Infektionsgeschehen auf. In dem insgesamt aus 30 Personen bestehenden Lehrerkollegium (davon 15 Teilzeitkräfte) wurden im Zeitraum zwischen dem 30. November 2020 und dem 3. Dezember 2020 insgesamt zehn Personen positiv auf COVID-19 getestet. Zu vier dieser Personen hatte der Kläger dienstlich bedingt längeren unmittelbaren Gesprächskontakt. Weiterhin unterrichtete der Kläger am 30. November 2020 für einen Zeitraum von fast zwei Stunden in der Klasse 8b, in der 19 von 23 Schülern infiziert waren, und am 1. Dezember 2020 in der Klasse 8a, in der sieben Schüler infiziert waren. Angesichts einer so großen Anzahl infizierter Personen, die sich über den Zeitraum einer Unterrichtseinheit hinweg in einem Klassenzimmer befanden, muss daher selbst bei regelmäßigem Lüften von einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko ausgegangen werden. Beim Aufenthalt in Räumen kann sich aufgrund der Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auch über eine größere Distanz als 1,5m erhöhen. Längere Aufenthaltszeiten und häufiges Einatmen erhöhen die Inhalationsdosis. Auch Maßnahmen wie ständiges Lüften oder das Tragen einer eng anliegenden Maske können bei stundenlangem Aufenthalt in einem Raum mit infektiösen Aerosolen keinen zuverlässigen Schutz mehr gegen eine Ansteckung bieten (Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 14.7.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief. html; jsessionid=D3E6E249E4524B91D52574C0592FBC73.internet051?nn= 13490888#doc13776792bodyText2). Die nicht mehr kontrollierbare Ausbreitung des Infektionsgeschehens an der staatlichen Wirtschaftsschule führte schließlich weiterhin dazu, dass die Schule in Abstimmung mit der Regierung von Unterfranken vorübergehend geschlossen und auf Distanzunterricht umgestellt wurde.
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Die Gefährdung des Klägers überstieg damit die Ansteckungsgefahr, der ein Beamter immer ausgesetzt sein kann, der im Dienst mit anderen Menschen in Kontakt kommt. In Betracht der gesamten Umstände war der Kläger angesichts der hohen Infektionszahlen in der von ihm unterrichteten Klasse 8b sowie auch im Lehrerkollegium in einem ähnlich hohen Maße einem besonderen Ansteckungsrisiko ausgesetzt, wie dies bei einer Beschäftigung in einem allgemein mit Infektionsgefahren verbundenen Betrieb der Fall ist.
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2. Auch die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG sind vorliegend erfüllt. Danach muss der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt gewesen sein.
28
Mit dem Merkmal des „besonderen Ausgesetztseins“ verlangt das Gesetz, dass die von dem Beamten ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an derjenigen Krankheit in sich birgt, an welcher der Beamte erkrankte. Aus der Verwendung des Begriffs „nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung“ wird auch gefolgert, dass die besondere Gefährdung für die dienstliche Verrichtung typisch sein muss. Ähnlich wie bei Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung ist dabei nicht allgemein auf den generellen Inhalt der dienstlichen Verrichtung des Beamten abzustellen. Vielmehr kommt es auch hier darauf an, ob der Beamte durch die konkret von ihm auszuführende dienstliche Verrichtung unter den besonderen zu der fraglichen Zeit bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen der Gefahr der betreffenden Erkrankung besonders ausgesetzt wurde (BVerwG, U.v. 4.9.1969 - II C 106.67 - juris; VGH BW, U.v. 21.1.1986 - 4 S 2468/85; VG Gießen, U.v.11.5.2000 - 5 E 1269/98 - juris, Rn. 28). Entscheidende Faktoren sind dabei vor allem der Grad der Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes des Beamten und die Übertragungsgefahr bei der konkreten Tätigkeit (Günther/Fischer, NWVBl 2020, 309 (313); VG Karlsruhe, U.v. 22.1.2014 - 4 K 1742/11 - juris, Leitsatz). Maßgeblich ist daher nicht die Frage, ob die gesamte Lehrerschaft im Rahmen ihres Dienstes der Gefahr einer Erkrankung an COVID-19 ausgesetzt ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Kläger bei seiner konkreten Tätigkeit des Unterrichtens vor einer Klasse, in der die Mehrheit der Schüler mit COVID-19 infiziert war, einem solchen erhöhten Risiko ausgesetzt war.
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In der (ober-)verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird von einer besonderen Ansteckungsgefahr und damit dem Vorliegen einer Berufserkrankung ausgegangen bei signifikant gehäuftem Auftreten einer Krankheit im Tätigkeitsbereich des Beamten. Vereinzelte Infektionsfälle reichen hingegen nicht, auch wenn es im privaten Umfeld des Beamten keine weiteren Infektionsfälle gab (vgl. hierzu VGH BW, U.v. 21.1.1986 - 4 S 2468/85: bejaht für einen an Tuberkulose erkrankten Lehrer, der eine Klasse mit drei Wochenstunden unterrichtet hatte, in der im Verlauf des Schuljahres 14 Tuberkulosefälle auftraten; VGH Hess, U.v. 14.3.1973 - OS I 70/66: bejaht für einen an Gelbsucht erkrankten Lehrer, in dessen Klasse sechs Schüler erkrankt waren und der daneben noch weitere Klassen als Vertretungslehrer unterrichtet hatte; OVG NRW, U.v. 8.11.1973 - VI A 1244/71: bejaht für eine an Röteln erkrankten Grundschullehrerin; VG Gießen, U.v.11.5.2000 - 5 E 1269/98: verneint für bei einer Lehrerin, die Unterricht in einer Klasse mit ein oder zwei an Mumps erkrankten Schülern gehalten hatte).
30
Im vorliegenden Fall gelangte die Kammer unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei der Verrichtung seiner dienstlichen Tätigkeit der Gefahr einer Erkrankung besonders ausgesetzt war. Besonders ins Gewicht fällt dabei die hohe Zahl an infizierten Schülern in der vom Kläger unterrichteten Klasse. Aufgrund des Umstandes, dass der Kläger sich mit 19 infizierten Personen über einen längeren Zeitraum in einem Klassenzimmer aufhalten musste, wohnte der dienstlichen Tätigkeit des Klägers eine verhältnismäßig hohe Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung inne. Diesbezüglich ist auf obige Ausführungen entsprechend zu verweisen.
31
Auch der Ausschluss des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BayBeamtVG greift hier nicht. Zwar kann nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sich der Kläger möglicherweise auch außerhalb seines Dienstes mit COVID-19 infiziert hat. Jedoch enthält Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG gegenüber Abs. 1 eine umgekehrte materielle Beweislast. Hier obliegt es dem Dienstherrn nachzuweisen, dass sich der Beamte die Erkrankung außerhalb des Dienstes zugezogen hat. Konkrete Anhaltspunkte für eine Ansteckung außerhalb des Dienstes sind im vorliegenden Fall weder ersichtlich noch vorgetragen. Dies gilt insbesondere mit Hinblick darauf, dass der Kläger seine Sozialkontakte erheblich eingeschränkt hat und seine mit ihm gemeinsam in einem Haushalt lebende Ehefrau und sein Sohn negativ getestet wurden.
III.
32
Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen gem. § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.