Inhalt

LG Würzburg, Beschluss v. 07.05.2021 – 3 T 711/21
Titel:

Erweiterung einer Betreuung zur Vermeidung des Verlustes eines Pflegeheimplatzes

Normenketten:
BGB § 1896 Abs. 1a
FamFG § 59 Abs. 1
Leitsatz:
Droht einem dementiell erkrankten, unversicherten Betreuten die Kündigung des Pflegeheimplatzes, weil der zuständige Träger die Zahlung von Sozialleistungen aufgrund eines unbebauten Grundstücks mit Wohnrecht versagt, ist die Erweiterung der Betreuung auch auf die Möglichkeit der Verwertung des Vermögens notwendig, wenn der Betreute hierzu weder willens noch fähig und ihm auch sonst die Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens nicht möglich ist. (Rn. 14 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Notwendigkeit einer Betreuung, schriftliche Bekanntgabe, schriftliches Gutachten, Aufgabenkreise, persönliche Anhörung
Vorinstanz:
AG Gemünden, Beschluss vom 22.03.2021 – 6 XVII 672/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.10.2021 – XII ZB 290/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 34011

Tenor

1. Die Beschwerde des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gemünden a. Main vom 22.03.2021, Az. 06 XVII 672/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Betreute trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 05.06.2019 ordnete das Amtsgericht Gemünden a. Main - Betreuungsgericht - die Betreuung für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Verwaltung der Wohnung des Betreuten, ohne die Befugnis über diese zu verfügen, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern an.
2
Mit Beschluss vom 22.03.2021 verlängerte das Amtsgericht Gemünden a. Main - Betreuungsgericht - nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens, einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde, einer Stellungnahme des Betreuers, einer Stellungnahme des Verfahrenspflegers sowie der persönlichen Anhörung im Beisein des Sachverständigen die Betreuung für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern. Der Aufgabenkreis „Verwaltung der Wohnung des Betreuten, ohne die Befugnis über diese zu verfügen“ wurde dagegen herausgenommen, so dass der Betreuer nunmehr auch über das Wohnrecht des Betreuten verfügen darf. Der Beschluss ist am 23.03.2021 zugestellt Worden.
3
Mit Schreiben vom 23.03.2021, eingegangen am 23.04.2021, legte der Betreute dagegen Beschwerde ein.
4
Mit Beschluss vom 26.04.2021 half das Erstgericht der Beschwerde nicht ab und legte die Beschwerde dem Landgericht zur Entscheidung vor.
II.
5
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
6
1. Die Beschwerde ist zulässig.
7
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gemünden a. Main - Betreuungsgericht - ist statthaft (§ 58 Abs. 1 FamFG) sowie form- und fristgerecht (§ 63 Abs. 1, § 64 Abs. 1 FamFG) von einem Beschwerdeberechtigten (§ 59 Abs. 1 FamFG) eingereicht worden.
8
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
9
Die Verlängerung und gleichzeitige Erweiterung der Betreuung im Hinblick auf das Wohnrecht des Betreuten ist weder formal noch materiell-rechtlich zu beanstanden.
10
a) Der Beschluss ist verfahrensrechtlich einwandfrei ergangen.
11
In geradezu vorbildlicher Weise hat das Amtsgericht die Verlängerung und Erweiterung der Betreuung geprüft. Alle notwendigen Verfahrensschritte wurden durchgeführt. Der Beschwerdeführer wurde - wie sich aus der umfangreichen Niederschrift ergibt - ausführlich in Anwesenheit des Sachverständigen angehört. Dabei hat der Sachverständige unter Bezugnahme auf sein schriftliches Gutachten nochmals mündlich Stellung genommen. Dem rechtlichen Gehör des Beschwerdeführers ist damit mehr als Genüge getan. Einer Bekanntgabe des schriftlichen Gutachtens durch Zusendeung bedurfte es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers daneben nicht. Der angefochtene Beschluss wurde umfassend sowie nachvollziehbar begründet und enthält nicht - wie sonst üblich - überwiegend lediglich formelhafte Gründe.
12
b) Der Beschluss ist auch materiell-rechtlich korrekt.
13
Die Voraussetzungen für die Verlängerung und Erweiterung der Betreuung hinsichtlich des Wohnrechts liegen vor.
14
aa) Aus dem ärztlichen Gutachten vom 27.01.2021 leidet der Beschwerdeführer an einer dementiven Entwicklung und an einer auf das Alter sowie einen abgelaufenen viralen Infekt zurückzuführende körperliche Schwäche. Bei der dementiven Entwicklung handele es sich nicht nur um eine vorübergehende Krankheitserscheinung, hinsichtlich der körperlichen Schwäche erscheine eine Erholung dagegen noch möglich. Aufgrund seiner Erkrankung ist der Beschwerdeführer nicht in der Lage, Vermögens-, Gesundheits-, Behörden- und Postangelegenheiten selbst zu besorgen.
15
Die Kammer hat sich mit den Ausführungen der Sachverständigen auseinandergesetzt und hält sie für überzeugend und nachvollziehbar. Außerdem werden sie bestätigt durch die Stellungnahme der Betreuungsbehörde, des Betreuers sowie des Verfahrenspflegers und durch die persönliche Anhörung des Beschwerdeführers durch das Amtsgericht.
16
Demnach bedarf der Beschwerdeführer der Betreuung. Dies gilt insbesondere für Angelegenheiten der Vermögenssorge ohne Einschränkung auf einzelne Vermögensgegenstände wie etwa das Wohnrecht. Der Beschwerdeführer lebt seit Dezember 2018 in einer Pflegeeinrichtung und ist auf absehbare Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, alleine ohne Unterstützung zu leben. Der Beschwerdeführer ist nicht krankenversichert und bezieht monatliche Einnahmen in Höhe von ca. 900 €. Anträge des Betreuers beim Bezirk Unterfranken auf Sozialleistungen wurden bislang im Hinblick auf ein dem Betreuten gehörendes unbebautes Grundstück und Wohnrecht abgelehnt. Die Kündigung des Pflegeheimplatzes droht daher. Um dies zu verhindern, muss das Vermögen des Beschwerdeführers verwertet werden, wozu der Beschwerdeführer weder willens noch fähig ist. Die Verlängerung sowie Erweiterung der Betreuung zur Regelung dieser Angelegenheiten ist daher notwendig.
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bb) Die ablehnende Haltung steht dem nicht entgegen.
18
Gemäß § 1896 Abs. 1a BGB darf ein Betreuer zwar nicht gegen den freien Willen bestellt werden. Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, Grund, Tragweite und Bedeutung der Bestellung eines Betreuers und der Übertragung einzelner Aufgaben auf diesen zu erkennen und dieser Einsicht entsprechend zu handeln (BeckOGK/Schmidt-Recla, 15.2.2021, BGB § 1896 Rn. 137). Dazu ist der Beschwerdeführer aber nicht in der Lage.
19
Dies ergibt sich aus den nachvollziehbaren schriftlichen sowie mündlichen Ausführungen des Sachverständigen, der Stellungnahme des Verfahrenspflegers sowie der persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers durch das Amtsgericht. Trotz mehrfacher Vorhalte kann der Beschwerdeführer weder seine gesundheitliche noch finanzielle Lage richtig einschätzen und die notwendigen Folgen seines Handelns einordnen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit zur Verwertung seines Grundstücks und Wohnrechts, um den Pflegeheimplatz zu sichern.
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Der Beschwerdeführer ist demnach nicht zur freien Willensbildung in der Lage, so dass die Verlängerung sowie Erweiterung der Betreuung auch gegen seinen Willen möglich sind.
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cc) Aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich nichts anderes. Im Gegenteil spricht diese für eine Betreuung. Die Begründung ist in keinster Weise nachvollziehbar und spiegelt die Realitätsverkennung des Beschwerdeführers deutlich wider.
22
dd) Von einer erneuten Anhörung wird mangels erwartbarer zusätzlicher Erkenntnisse hiervon gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abgesehen.
23
Die Voraussetzungen für die Verlängerung und Erweiterung der Betreuung liegen demnach vor.
24
Die Beschwerde ist unbegründet.
III.
25
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 84 FamFG.
26
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 36 Abs. 1, 3 GNotKG.