Titel:
Nutzungsänderung eines das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäudes im Außenbereich
Normenketten:
BayBO Art. 71 S. 1, S. 4, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, Art. 55 Abs. 1
BauGB § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Ein Gebäude prägt das Bild der Kulturlandschaft dann, wenn es eine spezifische Beziehung zur Landschaft und der sich aus der Gesamtheit ergebenden Kulturlandschaft hat. Soll eine Änderung oder Nutzungsänderung eines Gebäudes im Außenbereich begünstigt sein, weil es Teil einer kulturhistorisch bedeutsamen, die Landschaft prägenden Anlage ist, muss eine erhaltenswerte, die Kulturlandschaft prägende Wirkung auch von dem Gebäude selbst ausgehen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sinn und Zweck des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 BauGB ist es, dem drohenden Verfall von Baudenkmälern und anderen bedeutsamen Bauwerken vorzubeugen. Allerdings wird vorausgesetzt, dass ein Gebäude vorhanden ist, bei dem für Erhaltungsmaßnahmen überhaupt noch Raum ist. Dies schließt sowohl den Wiederaufbau von Ruinen und von Anlagen, die jegliche Funktion verloren haben, als auch Bauarbeiten an verfallenen Gebäuden, die einem Wiederaufbau gleichkommen, aus. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein konkreter Verfall des Gebäudes ist keine Voraussetzung für den Tatbestand der Teilprivilegierung. Ein solches ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der Norm. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 BauGB soll die Erhaltung von bedeutsamen Gebäuden gewährleisten. Das ist aber nur dann möglich, wenn Erhaltungsmaßnahmen noch umsetzbar sind und früh genug ergriffen werden. Bei einem unmittelbar bevorstehenden konkret drohenden Verfall könnte aber eine Nutzungsänderung das Gebäude oftmals nicht mehr erhalten. Vielmehr könnten nur noch bauliche Änderungen den Verfall verhindern. Da die Norm aber gerade Nutzungsänderungen erlaubt, ist das Erfordernis eines konkret drohenden Verfalls nicht mit dem Gesetz vereinbar. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Voraussetzung einer zweckmäßigen Verwendung des Gebäudes eröffnet einen vergleichsweise weiten Spielraum, da nicht verlangt wird, dass die Änderung oder Nutzungsänderung erforderlich ist, um das Gebäude zu erhalten, sondern bereits wirtschaftliche und andere Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ausreichen. Es kommt es bei diesem Tatbestandsmerkmal nicht darauf an, ob die Nutzungsänderung an sich zweckmäßig ist, vielmehr muss die neue Verwendung zweckmäßig sein. Die neue Verwendung muss mit der ursprünglichen Funktion des Gebäudes nicht identisch, dem Gebäude jedoch angemessen sein. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
5. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 BauGB schreibt nicht eine bestimmte Nutzung vor, sondern erlaubt gerade jegliche Nutzungsänderung. Unter den strengen Voraussetzungen der Teilprivilegierung ist demnach auch eine Änderung in eine reine Wohnnutzung im Außenbereich möglich. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid, Nutzungsänderung eines das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäudes, Außenbereich, teilprivilegiertes Vorhaben, Verfall, Wohnnutzung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 33485
Tenor
I. Die Beklagte wird verpflichtet, den mit Antrag vom 30. August 2018 beantragten Vorbescheid positiv zu erteilen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Kläger begehren die Erteilung eines Vorbescheids für eine geplante Nutzungsänderung für das im Eigentum der Kläger stehende Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 728 Gem. …
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Das streitgegenständliche Grundstück liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich am Fuß des Staufengebirges und ist mit einem Gebäude bebaut, das als „… …“ bekannt ist. Innerhalb einer Rodungsinsel auf ca. 660 Höhenmetern liegend ist die „…“ aufgrund ihrer exponierten Lage weitum sichtbar.
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Im Jahr 1470 wird die spätere „…“ als „Gut und Hofstatt zu …“ erstmals urkundlich erwähnt. Das Kataster aus dem Jahr 1895 beschreibt das Anwesen als Wohnhaus mit Stall, Stadel, Molkenküche, Holzhütte und Hofraum. Seit 1905 war die „…“ ein landwirtschaftlicher Betrieb mit verschiedenen Pächtern. Im Grundbuch war sie als Wohngebäude mit Wirtschaftsräumen aufgeführt. Die „…“ wurde auch im Winter landwirtschaftlich genutzt. In den Jahren vor 1967 führte eine Familie dort zusätzlich Almbewirtschaftung im Sommer. Es handelte sich zu diesem Zeitpunkt um ein Wohnhaus mit Kuhstall und den dazugehörigen Wirtschaftsräumen. 1967 wurde das Haus ausgebaut, nachdem die landwirtschaftliche Nutzung vollständig aufgegeben wurde. Es wurde eine gastronomische Nutzung genehmigt und das Erdgeschoss des Anwesens als Gastwirtschaft genutzt. Von 1982 bis Anfang 2018 betrieb eine lokal ansässige Traditions-Brauerei die „…“. Es fanden verschiedene Pächterwechsel statt. Die Gaststätte war in den letzten Jahren mehrmals geschlossen. Seit 1. November 2015 findet kein Gastbetrieb mehr statt. Im Jahr 2018 erwarben die Kläger die „…“ als natürliche Personen und wurden am 12. Dezember 2018 als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen.
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Mit Antrag vom … August 2018 begehrten die Kläger die Erteilung eines Vorbescheids. Das auf dem Grundstück befindliche Gebäude soll von der genehmigten Nutzung als Gastlokal in eine reine Wohnnutzung geändert werden. Der Antrag enthielt folgende Frage:
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Mit der Bauvoranfrage zur … … stellen wir die Frage, ob wir die in den eingereichten Bauzeichnungen (Grundrisspläne von Erdgeschoss und Obergeschoss) gelb markierten Gebäudeinnenflächen umgestalten dürfen und das Objekt als Einfamilienhaus für private Wohnzwecke nutzen dürfen?
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Alle Pächter hätten seit 2007 den Gastbetrieb in der „… …“ aufgrund von Unwirtschaftlichkeit aufgegeben. Trotz aufwendigem und kostenintensivem Umbau im Jahr 2011 habe sich die Situation nicht geändert. Der Betrieb sei von 2011 bis Oktober 2015 ca. 22 Monate immer wieder eingestellt gewesen. Seit Oktober 2015 sei der Betrieb endgültig eingestellt.
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Mit Bescheid vom 30. Juli 2019 lehnte die Stadt Bad Reichenhall den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids ab. Die in § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB geregelte Teilprivilegierung könne nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, da die geplante Änderung von der genehmigten Nutzung als Gastlokal hin zu einer reinen Wohnnutzung nicht dem mit der Regelung verfolgten Zweck entspreche. Die Eigenart des Gebäudes sei eng mit seiner Geschichte und Nutzung verbunden. Über die Jahrhunderte hinweg habe das Gebäude entweder als Alm oder als Gastwirtschaft gedient. Die „…“ präge die Kulturlandschaft nicht nur durch ihre Architektonik und Lage, sondern vor allem auch durch ihre Nutzung. Eine Umnutzung würde einer zweckmäßigen Verwendung des Gebäudes nicht dienen. Eine solche Nutzung würde vielmehr den gesamten Charakter der Alm dauerhaft ändern. Zudem ziele die Teilprivilegierung darauf ab, kulturell bedeutsame Bauwerke vor dem drohenden Verfall zu retten. Der „… …“ würde ein solcher Verfall aber nicht drohen. Auch die Voraussetzungen für § 35 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor, da das Vorhaben öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtige. Die Nutzungsänderung widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans, der dort eine Fläche für die Landwirtschaft vorsehe, und lasse die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten. An diesem abgelegenen Ort einer Wohnnutzung zuzustimmen, würde eine negative Vorbildwirkung für das gesamte Stadtgebiet nach sich ziehen.
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Mit Schriftsatz vom … August 2019 erhoben die Kläger Klage und beantragen,
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I. Der Bescheid der Stadt Bad Reichenhall vom 30. Juli 2019, Az.: … … wird aufgehoben.
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II. Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids (Nutzungsänderung in ein Einfamilienhaus, FlNr. 728 der Gemarkung …*) - positiv - zu erteilen.
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Bei der Nutzungsänderung handle es sich um ein teilprivilegiertes Vorhaben i.S.v. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB. Deshalb könne ihm nicht entgegengehalten werden, dass es den Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widerspreche, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lasse. Es handle sich um ein das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude mit spezifischem Bezug zur Landschaft und zur Kulturlandschaft. Die Funktion des Gebäudes als landwirtschaftliches Anwesen ergebe sich aus der umgebenden Landschaft als Weidefläche. Diese Wirkung gehe auch vom optischen Erscheinungsbild aus, da die „…“ nach außen als Hofstätte in Erscheinung trete. Das Gebäude sei auch erhaltenswert, da es sich bei der „…“ weder um eine Ruine noch um ein völlig verfallenes Haus handele. Ein konkret drohender Verfall sei nicht Tatbestandvoraussetzung, da die Vorschrift einem sonst etwa drohenden Verfall von kulturell bedeutsamen Gebäuden vorbeugen möchte. Vielmehr reiche ein abstrakter Verfall, da präventive Maßnahmen möglichst frühzeitig anzusetzen seien, um die Erhaltung in jedem Fall gewährleisten zu können. Andernfalls bestünde für die Teilprivilegierung nur ein kleines Zeitfenster. Auch die Privilegierung von Nutzungsänderungen spreche gegen das Erfordernis eines konkreten Verfalls. Denn wenn der Verfall schon kurz bevorstehe, könne eine Nutzungsänderung nicht mehr helfen, das Gebäude zu erhalten. Zudem diene die Nutzungsänderung von einer Gastwirtschaft mit Betriebsleiterwohnung in allgemeines Wohnen der Erhaltung des Gestaltwerts. Nur bauliche Änderungen würden weiteren Schranken unterliegen. Es sei das Ziel des Gesetzes, dass sich das optische Erscheinungsbild des das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäudes nicht so weit vom ursprünglichen wegbewegen dürfe, dass gerade das prägende Äußere verloren ginge. Das äußere Erscheinungsbild und nicht die im Inneren stattfindende Nutzung sei prägend und schützenswert. Bei der streitgegenständlichen Nutzungsänderung würde das äußere Erscheinungsbild aber nicht angetastet. Die Privilegierungsvorschrift bezwecke die Erhaltung der Bausubstanz. Welche Nutzung innerhalb der Bausubstanz stattfinde, sei für die Privilegierung irrelevant, solange das Ziel der Erhaltung verfolgt werde. Die Nutzungsänderung diene auch einer zweckmäßigen Verwendung. Durch diese soll gerade wieder eine tatsächliche Nutzung ermöglicht werden. Aus Sicht der Kläger sei es sinnvoll und objektiv nachvollziehbar, dass die „…“ künftig als Wohnhaus genutzt werde. Die Nutzungsänderung sei auch wirtschaftlich, da das Führen einer Gastwirtschaft in den vergangenen Jahren auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen und zuletzt nicht mehr möglich gewesen sei. Weder habe die innehabende lokale Brauerei einen Pächter finden können, noch sei ein Übernahmeangebot an verschiedene andere Brauereien erfolgreich gewesen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Vorschrift des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB finde ihre Grenzen in der Zweckmäßigkeit der Nutzungsänderung, die auch vor dem Hintergrund der Geschichte des Gebäudes bewertet werden müsse. Die „… …“ sei bei den Einheimischen bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch als Anlaufpunkt zur Einkehr bekannt gewesen. Die Bewirtschaftung der Alm sei mit der Bewirtung von Gästen einhergegangen. Diese Begebenheit könne im Hinblick auf die Nutzungsänderung in den 1960er Jahren in eine Gastwirtschaft nicht außer Acht gelassen werden und untermauere vielmehr, dass die gastronomische Nutzung das Gebäude bereits vor der Umnutzung in einen Berggasthof geprägt habe. Die Genehmigung der „…“ in eine Gastronomie, ohne den Privilegierungstatbestand der landwirtschaftlichen Nutzung zu erfüllen, zeige deutlich, dass die „… …“ nicht nur als Gebäude erhalten werden sollte, sondern dass ihre Bedeutung für die Stadt Bad Reichenhall und für ihre Einwohner bereits damals erkannt worden sei und sie für die Allgemeinheit als Berggasthof mit dieser Nutzung habe erhalten werden sollen. Die „… …“ erfülle damit ihren Zweck im Außenbereich „nur noch“ im Zusammenhang mit dieser Eigenschaft in der besonderen Umgebung am Fuße des Hochstaufens und weithin sichtbar über der Stadt Bad Reichenhall. Die besondere Zweckbestimmung könne bejaht werden, da die „… …“ als Berggasthof im Außenbereich gerade nicht individuellen Interessen eines Personenkreises habe dienen sollen, sondern die Allgemeinheit miteinbezogen werden sollte. Die gastronomische Nutzung der „… …“ als Berggasthof sei ein schützenswerter Zweck. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB solle nicht dazu missbraucht werden, einen ursprünglich durch seine Lage und durch die prägende Wirkung für das gesamte Stadtgebiet privilegierten Berggasthof der Allgemeinheit zu entziehen und einem individuellen Personenkreis eine Wohnnutzung im Außenbereich zu ermöglichen. Zudem sei in Zukunft mit ansteigenden und stabilen Gästezahlen im Tourismus zu rechnen, wovon auch die „… …“ mit der bisher genehmigten Nutzung profitieren könne.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Die negative Verbescheidung des Vorbescheids durch die Beklagte ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
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1. Die Kläger haben einen Anspruch auf Erlass eines positiven Vorbescheids gemäß Art. 71 Satz 1 und Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO.
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Dem Bauherrn ist vor Einreichung seines Bauantrags auf Antrag zu einzelnen Fragen seines Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Nach Art. 71 Satz 4 Halbs. 1 BayBO gelten die Art. 64 bis 67, Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3 bis 5 sowie Art. 69 Abs. 2 Satz 2 BayBO entsprechend.
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Die Änderung der derzeit nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB genehmigten gastronomischen Nutzung in eine reine Wohnnutzung ist nicht verfahrens- oder genehmigungsfrei, sondern ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungsbedürftig.
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Die Nutzungsänderung ist genehmigungsfähig, da die Teilprivilegierung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB einschlägig ist. Die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 7 BauGB können dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden.
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Das streitgegenständliche Grundstück liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB. Da die beantragte Umnutzung keinem privilegiertem Zweck im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB dient, ist sie als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen. Diese Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB nennt beispielhaft, wann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegt.
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Grundsätzlich stehen dem streitgegenständlichen Vorhaben die Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 7 BauGB entgegen. Bei der Genehmigung einer Wohnnutzung im Außenbereich ist regelmäßig die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung zu befürchten (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 35 Rn. 94). Auch widerspricht das Vorhaben der Kläger den Darstellungen des Flächennutzungsplans, da dieser eine Fläche für die Landwirtschaft und nicht für Wohnnutzung ausweist.
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Allerdings kann die Beeinträchtigung dieser Belange dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, da es sich um ein teilprivilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB handelt. Demnach kann einer Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, nicht entgegengehalten werden, dass sie den Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatz 3 sind, und das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient.
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a) Die Kammer folgt der Auffassung der Beteiligten, dass es sich bei der „… …“ um ein das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude handelt. Ein Gebäude prägt das Bild der Kulturlandschaft dann, wenn es eine spezifische Beziehung zur Landschaft und der sich aus der Gesamtheit ergebenden Kulturlandschaft hat (Söfker in EZBK, BauGB, 141. EL Februar 2021, § 35 Rn. 155). Soll eine Änderung oder Nutzungsänderung eines Gebäudes im Außenbereich begünstigt sein, weil es Teil einer kulturhistorisch bedeutsamen, die Landschaft prägenden Anlage ist, muss eine erhaltenswerte, die Kulturlandschaft prägende Wirkung auch von dem Gebäude selbst ausgehen (BVerwG, B. v. 17.1.1991 - 4 B 186.90 - BeckRS 1991, 31228204). Die Kulturlandschaft besteht aus den die „… …“ umgebenden Rodungsinseln. Sie gehören zum typischen Landschaftsbild im bayerischen Alpenraum und sind Resultat einer jahrhundertelangen Kultivierung der Landschaft. Die Rodungsinseln wurden geschaffen, um als Wiesenflächen für die Viehwirtschaft zu dienen. Die jetzige „…“ wurde lange Zeit als landwirtschaftlicher Betrieb genutzt. Das Vieh, welches zu der Hofstätte gehörte, weidete auf den das Gebäude umgebenden Rodungsinseln. Die Hofstätte wurde errichtet, weil es dort Weidemöglichkeiten für das Vieh gab. Die Weideflächen gibt es, weil die mit der Hofstätte verbundenen Weidetiere die Ausbreitung von Wald verhindern. Deshalb besteht zwischen der „…“ und ihrer Umgebung eine wechselseitige Beziehung. Die Funktion als landwirtschaftliches Anwesen ergibt sich aus der umgebenden Landschaft als Weidefläche. Eine erhaltenswerte, die Kulturlandschaft prägende Wirkung geht auch von dem äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes aus. Die auf ca. 660 Höhenmetern am Fuße des Staufengebirges liegende „…“ ist weithin sichtbar.
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b) Das streitgegenständliche Gebäude ist auch erhaltenswert. Dieses Merkmal folgt im Wesentlichen aus der Voraussetzung, dass das Gebäude die Kulturlandschaft prägt und sich insofern als erhaltenswert darstellt (Söfker in EZBK, BauGB, 141. EL Februar 2021, § 35 Rn. 156). Sinn und Zweck des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB ist es, dem drohenden Verfall von Baudenkmälern und anderen bedeutsamen Bauwerken vorzubeugen. Allerdings wird vorausgesetzt, dass ein Gebäude vorhanden ist, bei dem für Erhaltungsmaßnahmen überhaupt noch Raum ist. Dies schließt sowohl den Wiederaufbau von Ruinen und von Anlagen, die jegliche Funktion verloren haben, als auch Bauarbeiten an verfallenen Gebäuden, die einem Wiederaufbau gleichkommen, aus (BVerwG, B.v. 18.10.1993 - 4 B 160/93 - NVwZ-RR 1994, 307). Somit kann schon deshalb, da es sich bei der „…“ um ein das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude handelt, davon ausgegangen werden, dass es erhaltenswert ist. Ein konkreter Verfall des Gebäudes ist keine Voraussetzung für den Tatbestand der Teilprivilegierung. Ein solches ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der Norm. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB soll die Erhaltung von bedeutsamen Gebäuden gewährleisten. Das ist aber nur dann möglich, wenn Erhaltungsmaßnahmen noch umsetzbar sind und früh genug ergriffen werden. Bei einem unmittelbar bevorstehenden konkret drohenden Verfall könnte aber eine Nutzungsänderung das Gebäude oftmals nicht mehr erhalten. Vielmehr könnten nur noch bauliche Änderungen den Verfall verhindern. Da die Norm aber gerade Nutzungsänderungen erlaubt, ist die von der Beklagten geforderte Auslegung nicht mit dem Gesetz vereinbar. Die „…“ stellt weder eine Ruine noch ein sonst verfallendes Gebäude dar und ist erhaltenswert.
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c) Das streitgegenständliche Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung des Gebäudes. Diese Voraussetzung gibt einen vergleichsweise weiten Spielraum, da nicht verlangt wird, dass die Änderung oder Nutzungsänderung erforderlich ist, um das Gebäude zu erhalten, sondern bereits wirtschaftliche und andere Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ausreichen (Söfker in EZBK, BauGB, 141. EL Februar 2021, § 35 Rn. 156). Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es bei diesem Tatbestandsmerkmal nicht darauf an, ob die Nutzungsänderung an sich zweckmäßig ist, vielmehr muss die neue Verwendung zweckmäßig sein. Die neue Verwendung muss mit der ursprünglichen Funktion des Gebäudes nicht identisch, dem Gebäude jedoch angemessen sein (Rieger in Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Auflage 2019, § 35 Rn. 223). § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB ist im Vergleich zu den anderen Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB einerseits weiter, andererseits enger gefasst. Sie geht über die in § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB eröffnete Möglichkeit einer teilprivilegierten Nutzungsänderung hinaus, da sie eine solche auch dann zulässt, wenn diese wesentlich ist. Dagegen bleibt sie in ihrem Regelungsgehalt hinter § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 sowie Nr. 5 und 6 BauGB zurück, da sie bei einem das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäude nur die Änderung oder Nutzungsänderung erleichtert, die Neuerrichtung oder die bauliche Erweiterung in dem in den Nrn. 5 und 6 bezeichneten Umfang aber ausschließt (BVerwG, B.v. 18.10.1993 - 4 B 160/93 - juris Rn. 4). Daraus ergibt sich, dass die Hürde für die Eröffnung der Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB sehr hoch ist, da es sich um ein das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude handeln muss. Wenn diese Tatbestandsvoraussetzung aber gegeben ist, dann ermöglicht das Gesetz einen weiten Spielraum für Änderungen oder Nutzungsänderungen. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich daraus, dass das Gebäude erhaltenswert und das Vorhaben der Erhaltung des Gestaltwerts dienen muss. Eine Fixierung auf die bisherige Nutzungsart ist dem Gesetz gerade nicht zu entnehmen.
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Dies zugrunde gelegt, ist die Verwendung zweckmäßig. Der Betrieb einer Gastwirtschaft ist in den letzten Jahren auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Seit 2015 findet kein Gastbetrieb mehr statt. Die frühere Brauerei konnte keinen Pächter mehr finden. Übernahmeangebote an verschiedene Brauereien waren nicht erfolgreich. Mit dem streitgegenständlichen Vorhaben soll gerade wieder eine tatsächliche Nutzung ermöglicht werden. Die Nutzung der „… …“ zu Wohnzwecken ist dem Gebäude auch angemessen. Die „…“ wurde seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1470 bis ins Jahr 1967 fast ausschließlich landwirtschaftlich und zu Wohnzwecken genutzt. Erst im Jahr 1967 wurde die Umnutzung in eine Gastwirtschaft über § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB genehmigt und die landwirtschaftliche Nutzung vollständig aufgegeben. Auch wenn seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf der „… …“ für Wanderer als Zubrot zur Landwirtschaft kleine, kalte Speisen angeboten wurden, stand dennoch die gastronomische Nutzung nicht im Vordergrund und war nicht, wie die Beklagte anführt, prägend für das Gebäude. Aus dem von den Klägern vorgelegten Schreiben des Staatsarchivs München vom 16. September 2019 ergibt sich, dass die Gebäude, die sich über die Jahrhunderte auf dem streitgegenständlichen Grundstück befanden, zumindest immer auch einen Teil für eine Wohnnutzung vorsahen. Das Kataster aus dem Jahr 1895 beschreibt das Anwesen als Wohnhaus mit Stall, Stadel, Molkenküche, Holzschütte, Stall und Hofraum. Seit 1905 war die … ein landwirtschaftlicher Betrieb mit verschiedenen Pächtern und im Grundbuch als Wohngebäude mit Wirtschaftsräumen angeführt. Selbst als die Hütte und die Stallung abgebrochen wurden, kam es 1957 zu einem Wohnungsneubau. Auch in der Zeit bis 1967, als auf der „…“ im Sommer eine zusätzliche Almbewirtschaftung angeboten wurde, handelte es sich um ein Wohnhaus mit Kuhstall und den dazugehörigen Wirtschaftsräumen. Wohnnutzung hat auf dem streitgegenständlichen Grundstück in den letzten Jahrhunderten immer eine Rolle gespielt. Zudem sind die vorhandenen Räumlichkeiten für eine Wohnnutzung geeignet.
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Das Gericht folgt nicht den Ausführungen der Beklagten, die nur in der Restauration eine zweckmäßige Verwendung für die „…“ sehen will. Dafür gewährt § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB einen zu großen Spielraum. Die Norm schreibt nicht eine bestimmte Nutzung vor, sondern erlaubt gerade jegliche Nutzungsänderung. Unter den strengen Voraussetzungen der Teilprivilegierung ist demnach auch eine Änderung in eine reine Wohnnutzung im Außenbereich möglich. Auch wenn durch die Nutzungsänderung nach Ansicht der Beklagten eine traditionelle Ausflugsstätte und eine touristisch attraktive Einkehrmöglichkeit wegfällt, ist dies für die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB nicht von Bedeutung. Wenn die Voraussetzungen des Privilegierungstatbestandes vorliegen, kann die Baugenehmigungsbehörde dem jeweiligen Eigentümer nicht eine bestimmte Nutzung vorschreiben. Alles andere würde gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentumsrecht aus Art. 14 GG verstoßen. Es kann nicht von den Klägern verlangt werden, dass diese die gastronomische Nutzung fortführen, wenn eine solche nicht rentabel ist. Ein Anspruch der Allgemeinheit, insbesondere der Einwohner der Stadt Bad Reichenhall, auf Erhalt des Berggasthofs und damit einer bestimmten Nutzung ist nicht gegeben. Das Gericht folgt der Ansicht der Beklagten auch insoweit nicht, als sie anführt, dass bei Genehmigung der streitgegenständlichen Nutzungsänderung die Gefahr einer negativen Vorbildwirkung bestünde. Eine derart negative Vorbildwirkung kann nur von rechtswidrigen Vorhaben ausgehen. Bei § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB handelt es sich zudem um einen Ausnahmetatbestand. Wie bereits ausgeführt, stellt die Vorschrift hohe Hürden für deren Anwendbarkeit auf. Somit kann auch in Zukunft nicht jedes landwirtschaftlich genutzte Gebäude im Außenbereich in eine Wohnnutzung umgenutzt werden. Ob ein Fall des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB vorliegt, ist in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen.
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d) Das streitgegenständliche Vorhaben dient auch der Erhaltung des Gestaltwerts. Bei diesem Tatbestandsmerkmal werden Umgestaltungen ausgeschlossen, die zwar die Identität der Anlage unangetastet lassen, dem Gebäude aber ein im Vergleich zum früheren Zustand anderes Erscheinungsbild vermitteln (BVerwG, B. v. 18.10.1993 - 4 B 160.93 - NVwZ-RR 1994, 307). Entscheidend dafür ist, ob das geänderte Gebäude mit dem ursprünglich noch vorhandenen identisch ist. Das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes sowie seine Bausubstanz sollen erhalten bleiben und der prägende Charakter darf nicht verloren gehen. Die Vorschrift ist nicht auf unwesentliche Änderungen oder Nutzungsänderungen beschränkt, sondern es werden lediglich Veränderungen ausgeschlossen, die einer Neuerrichtung oder Erweiterung gleichkommen. An diesem Merkmal fehlt es, wenn der mit der Umgestaltung verbundene Eingriff so intensiv ist, dass der frühere Baubestand im Gesamtgefüge der veränderten Anlage nicht mehr als Hauptsache in Erscheinung tritt (BVerwG, B. v. 18.10.1993 - 4 B 160.93 - NVwZ-RR 1994, 307). Demnach ist nicht die innere Nutzung des Gebäudes schützenswert, sondern das äußere Erscheinungsbild. Die Kläger wollen im Rahmen der Nutzungsänderung das äußere Erscheinungsbild der „…“ nicht verändern. Vielmehr soll nur das Gebäudeinnere umgestaltet werden. Folglich wird der prägende Charakter der „…“ durch diese Nutzungsänderung nicht verändert.
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Da das Vorhaben im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB ist, ist den Klägern der beantragte Vorbescheid zu erteilen. Entgegen dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 BauGB hat die Behörde bei der Zulassung nicht privilegierter Vorhaben im Außenbereich kein Ermessen, wenn sich eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht feststellen lässt oder diese - wie im vorliegenden Fall - dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden können. Es besteht ein Rechtsanspruch der Bauherrn.
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2. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.