Titel:
Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs durch Dienstherrn wegen Verletzung eines Polizeibeamten bei Verfolgungsfahrt
Normenkette:
BayBG Art. 97
Leitsatz:
Von Art. 97 BayBG sind nur die Fälle erfasst, denen ein tätlicher Angriff zugrunde liegt. Ein Angriff setzt eine objektive, unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung auf Grund einer zielgerichteten Verletzungshandlung voraus. Der Angriff ist dann als tätlich zu klassifizieren, wenn er auf einen physischen Schaden gerichtet ist. Es bedarf daher einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung auf den Beamten (hier verneint für Verletzung eines Polizeibeamten bei Verfolgungsfahrt durch Kollision mit Baum ohne zielgerichtete Verletzungshandlung des Schädigers). (Rn. 23 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfüllungsübernahme, Unfall infolge Verfolgungsfahrt, Tätlicher rechtswidriger Angriff (verneint), Beamtenrecht, Fürsorgepflicht, Schmerzensgeld, tätlicher Angriff, Polizeibeamter, Verfolgungsfahrt, Verkehrsunfall
Fundstelle:
BeckRS 2021, 33455
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erfüllung eines gegen einen Dritten gerichteten und mit Teil-Versäumnisurteil und Endurteil rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld aufgrund einer im Dienst erlittenen Schädigung.
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Der am … Juni 1995 geborene Kläger steht als Polizeibeamter in Diensten des Beklagten. Bei einem dienstlichen Einsatz am … Januar 2016 ist der Kläger verletzt worden, als er sich als Beifahrer in einem Dienst-PKW auf Streifenfahrt mit einem Kollegen befand. Als die Beamten einen Kraftfahrzeugführer polizeilich kontrollieren wollten, ergriff dieser die Flucht und es kam zu einer Verfolgungsfahrt. Der Kraftfahrzeugführer versuchte zunächst durch starke Bremsmanöver bei winterlichen Straßenverhältnissen einen Auffahrunfall des Dienstfahrzeugs zu provozieren. Hierbei kam es zu einem Zusammenstoß. Im weiteren Verlauf der Verfolgungsfahrt bog der Kraftfahrzeugführer auf einen verschneiten Feldweg ab und blieb zunächst stecken. Als sich die Polizeibeamten dem Fahrzeug näherten, löste sich bei dem Kollegen des Klägers ein Schuss aus seiner Dienstwaffe. Dem Kraftfahrzeugführer gelang dennoch die Weiterfahrt und die Verfolgungsfahrt wurde fortgesetzt. Dabei geriet das Dienstfahrzeug ins Rutschen und kollidierte mit einem Baum. Der Kläger erlitt dabei eine Distorsion der Halswirbelsäule, ein Knalltrauma am rechten Ohr mit Tinnitus sowie eine Prellung am rechten Auge mit Druckschmerzen.
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Mit Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom … März 2016 wurde der Unfall mit der Unfallfolge „Distorsion der Halswirbelsäule“ als Dienstunfall anerkannt. Mit Bescheid vom … Juni 2016 wurde als weitere Unfallfolge „vorübergehendes Knalltrauma rechtes Ohr Tinnitus“ festgestellt.
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Mit rechtskräftigem Teil-Versäumnisurteil und Endurteil (15 C 263/17) vom 20. Juni 2017 verurteilte das Amtsgericht Hof den Schädiger, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 EUR zu zahlen. Im Urteil ist unter anderem angegeben, dass in Anbetracht der besonderen Umstände, einerseits des provozierenden Verhaltens des Schädigers und andererseits des Eintritts der Verletzungen im Dienst, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 EUR angemessen sei.
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Nach einem Vermögensverzeichnis vom … September 2017 ist der Schädiger einkommens- und vermögenslos.
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Mit Schreiben vom … Dezember 2017 stellte der Kläger beim Landesamt für Finanzen einen Antrag auf Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs.
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Mit Bescheid vom … Juni 2018 lehnte das Landesamt für Finanzen den Antrag mit der Begründung ab, dass ein tätlicher Angriff nicht vorliege, da eine zielgerichtete Verletzungshandlung durch den Schädiger nicht erkennbar sei.
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Mit Schriftsatz vom … Juli 2018 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein, den er mit Schreiben vom … August 2018 sowie … September 2018 begründete. Ein tätlicher Angriff liege vor. Der Schädiger habe sich aktiv einer Verkehrskontrolle widersetzt und habe versucht mit seinem PKW zu fliehen. Bereits der Umstand, dass der Schädiger bei hoher Geschwindigkeit durch starke Bremsmanöver den Versuch unternommen habe, einen Auffahrunfall mit dem ihm folgenden Dienstwagen der Polizei zu provozieren, belege, dass er sein Auto als Waffe benutzt habe und jedenfalls zeitweise vorsätzlich tätliche Angriffshandlungen ausgeführt habe. An dieser Zielrichtung habe sich nichts geändert, als der Schädiger in einen verschneiten Feldweg eingebogen sei. Auch insoweit habe es der Schädiger darauf angelegt, die ihn verfolgenden Polizisten in einen Unfall zu verwickeln, um ihnen entkommen zu können. Der Schädiger habe durch die Zielgerichtetheit seines Handelns jedenfalls auch die Schädigung der Beamten in ihrer staatlichen Aufgabenwahrnehmung billigend in Kauf genommen. Aus der Intention des Gesetzgebers ergebe sich, dass der Begriff des tätlichen Angriffs weit auszulegen sei. Ansonsten würde es zu einem Wertungswiderspruch kommen. Im Zivil- und auch im Strafrecht ergebe sich ein „Einstehenmüssen“ des Täters. Im Deliktsrecht sei der Schädiger, der den Geschädigten zu einer Handlung herausgefordert habe, dem Geschädigten zum Schadensersatz verpflichtet. Auch im Strafrecht komme eine Haftung des Schädigers in Herausforderungsfällen in Betracht. Vor dem Hintergrund steigender Gewaltbereitschaft, insbesondere gegenüber Polizeibeamten, habe der Gesetzgeber mit Art. 97 des Bayerischen Beamtengesetzes auf Sachverhalte abgezielt, bei denen Verletzungen von Polizeibeamten durch willkürliche Gewaltakte Dritter jedenfalls billigend in Kauf genommen worden seien. Der Angriff sei auch auf einen physischen Schaden gerichtet gewesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom … Oktober 2019 wies das Landesamt für Finanzen den Widerspruch des Klägers zurück. Ein tätlicher Angriff liege nicht vor. Der Schädiger habe durch die rechtswidrige Flucht zwar Anlass für die Verfolgung durch die Beamten gegeben. Dadurch sei ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch entstanden. Dies lasse jedoch keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines tätlichen Angriffs im Sinne des Art. 97 des Bayerischen Beamtengesetzes zu. Zwischen den Ausbremsmanövern des Schädigers und der erst deutlich später sowie an einem anderen Ort erfolgten Kollision des Dienst-PKW mit dem Baum würde weder ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen noch sei diese auf eine zielgerichtete Verletzungshandlung seitens des Schädigers zurückzuführen. Der Schädiger habe den Unfall nicht „in die Hand genommen“ im Sinne einer physischen Einwirkung. Zum Unfallzeitpunkt sei der Schädiger nur noch geflüchtet, er habe nicht versucht auf den verfolgenden Dienst-PKW etwa durch weitere Ausbremsmanöver oder sonstiges bedrängendes Verhalten Einfluss zu nehmen. Vielmehr sei der Unfall auf das eigenverantwortliche Fahrverhalten der Beamten zurückzuführen.
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Mit Schriftsatz vom 11. November 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klagepartei Klage erhoben und zuletzt beantragt,
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1. Der Bescheid des Beklagten vom … Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom *. Oktober 2019 wird aufgehoben.
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2. Der Beklagte wird verpflichtet, Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen nach Art. 97 BayBG i.H.v. 1.500,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren;
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hilfsweise: Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erfüllungsübernahme vom *. Februar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Die Klagepartei wiederholt im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Darüber hinaus wird vorgetragen, dass für Versäumnisurteile die Einschränkung, wonach sie „der Höhe nach angemessen“ sein müssen, nach dem Gesetzeswortlaut nicht gelte. Das der Behörde grundsätzlich zustehende Ermessen sei im vorliegenden Fall auf Null reduziert. Es liege eine unbillige Härte vor, da die Vollstreckung über einen Betrag von mind. 500,00 EUR erfolglos geblieben sei. Für eine Ermessensausübung verbleibe nur insofern Raum, als dass der Dienstherr die Erfüllung verweigern könne, wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung oder Unfallausgleich gezahlt worden sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
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Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2019 hat das Landesamt für Finanzen für den Beklagten die Akten vorgelegt und beantragt,
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Es fehle bereits an der Tatbestandsvoraussetzung eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs. Die Erfüllungsübernahme sei laut der Gesetzesbegründung „als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert, in denen Beamte und Beamtinnen ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen“. Das Bestreben des Schädigers sei darauf gerichtet gewesen, sich der Kontrolle durch die Polizeibeamten zu entziehen. Die in Rede stehenden Verletzungen habe der Kläger erlitten, als sein Dienstfahrzeug ohne Einwirkung seitens des flüchtenden Schädigers ins Rutschen geraten und mit einem Baum am Straßenrand kollidiert sei. Eine unmittelbare körperliche Einwirkungshandlung des Schädigers, die die klägerischen Verletzungsfolgen herbeigeführt habe, liege nicht vor. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für die Auslegung des Begriffs eines „tätlichen Angriffs“ nicht auf die strafrechtliche Abgrenzung zwischen § 185 StGB und § 223 StGB sowie § 114 StGB zurückgegriffen werden könne. In der Gesetzesbegründung werde an mehreren Stellen erkennbar, dass der Gesetzgeber die Formulierung „tätlicher Angriff“ gewählt habe, um nur auf den Körper zielende, gewaltsame Einwirkungen zu erfassen. Der Landesgesetzgeber habe sich das strafrechtliche Begriffsverständnis des „tätlichen Angriffs“ nicht zu eigen machen wollen. Der „tätliche Angriff“ müsse nicht dieselben Ereignisse erfassen wie ein Dienstunfall. Auch Sinn und Zweck der Norm würden ein restriktives Verständnis nahelegen. Die Angemessenheit der Höhe des Schmerzensgeldes sei bisher nicht geprüft worden, da es bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen fehle. Von einer Ermessensreduzierung auf Null könne nicht die Rede sein.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie die Niederschrift vom 6. Oktober 2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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1. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom … Juni 2018 sowie der Widerspruchsbescheid vom *. Oktober 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, im Wege der Erfüllungsübernahme ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 EUR zu gewähren noch einen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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Zur Begründung wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom … Juni 2018 sowie im Widerspruchsbescheid vom *. Oktober 2019 Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
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a) Nach Art. 97 Abs. 1 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG), der zum 1. Dezember 2015 in Kraft getreten ist, kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
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b) Die Voraussetzungen einer Erfüllungsübernahme sind vorliegend nicht gegeben, da ein tätlicher rechtswidriger Angriff nicht vorliegt.
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aa) Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/2871, S. 46) sind von der Neuregelung des Art. 97 BayBG nur die Fälle erfasst, denen ein tätlicher Angriff zugrunde liegt. Ein Angriff setzt dabei eine objektive, unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung (objektives Element) auf Grund einer zielgerichteten Verletzungshandlung (subjektives Element) voraus. Der Angriff ist dann als tätlich zu klassifizieren, wenn er auf einen physischen Schaden gerichtet ist. Es bedarf daher einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung auf den Beamten (Conrad in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juni 2021, BayBG Art. 97 Rn. 4).
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Der Gesetzgeber wollte mit der Vorschrift den jeweiligen Dienstherrn verpflichten, einen in dienstlichem Zusammenhang erlangten (uneinbringlichen und rechtskräftig festgestellten) Schmerzensgeldanspruch seines Beamten zu übernehmen (BayVGH, B.v. 18.1.2021 - 3 ZB 20.591 - juris Rn. 4). Die Norm ergänzt damit die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten und ist als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert, in denen Beamtinnen und Beamte ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen (LT-Drs. 17/2871, S. 46). Hintergrund der Gesetzesinitiative war die gegenwärtige wachsende Gewaltbereitschaft insbesondere gegenüber Polizeivollzugsbeamten. Gerade aufgrund der vermehrten Bereitschaft zur Schädigung von Beamten zielte der Gesetzgeber mit der Schaffung des Art. 97 BayBG auf Sachverhalte ab, bei denen Verletzungen von Polizeibeamten durch willkürliche Gewaltakte Dritter jedenfalls billigend in Kauf genommen wurden (Buchard in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht in Bayern, Stand: 30.12.2019, BayBG Art. 97 Rn. 10.2).
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bb) Die vorliegenden Umstände des Unfallhergangs stellen keinen tätlichen rechtswidrigen Angriff i.S.d. Art. 97 BayBG dar.
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Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten ist eine Angriffshandlung durch den Schädiger im vorliegenden Fall nicht gegeben. Dabei ist primär auf den den Schmerzensgeldanspruch tragenden Sachverhalt, den das erkennende Gericht (hier: Amtsgericht Hof) seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, abzustellen. Aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 20. Juni 2017 (15 C 263/17) geht hervor, dass der Schädiger zwar zunächst mehrfach versucht hat, durch starke Bremsmanöver einen Auffahrunfall durch das Dienstfahrzeug des Klägers zu provozieren und es dabei auch zu einem Zusammenstoß gekommen ist. Hierin könnte wohl eine tätliche Angriffshandlung gesehen werden, da der Schädiger das Auto in diesem Moment gezielt als Waffe benutzt hat, um die beiden ihn verfolgenden Polizisten in einen Unfall zu verwickeln. Bei dem Zusammenstoß ist es jedoch nach den Feststellungen des Amtsgerichts zu keinen Verletzungen des Klägers gekommen. Vielmehr rühren die Verletzungen des Klägers aus der späteren Kollision des Dienstfahrzeugs mit einem Baum. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
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Dieser Unfall beruhte jedoch nicht auf einer zielgerichteten Verletzungshandlung des Schädigers. Denn zu diesem Zeitpunkt führte der Schädiger keinerlei aktive Bremsmanöver oder ähnliche Verhaltensweisen, die als ein tätlicher Angriff angesehen werden könnten, mehr durch, sondern war „nur“ noch auf der Flucht. Die bloße Fluchtfahrt des Schädigers kann jedoch nicht als tätlicher Angriff gewertet werden, weil es dabei an einer zielgerichteten Verletzungshandlung des Schädigers fehlte. Eine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Klägers hat nicht stattgefunden. Die Handlung des Schädigers war nicht auf eine Verletzung der Beamten gerichtet, sondern auf eine erfolgreiche Flucht.
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Zwischen dem anfangs durchgeführten Ausbremsmanöver und der späteren Kollision mit dem Baum bestand zudem keinerlei Zusammenhang; die Kollision mit dem Baum passierte deutlich später und an einem anderen Ort. Der Unfall ist auf die witterungsbedingten Verhältnisse zurückzuführen: Das Auto geriet ins Rutschen und kollidierte mit einem Baum. Eine Einwirkung durch den Schädiger hat somit nicht stattgefunden.
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Dieses Ergebnis wird unterstrichen durch die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung. So hat der Kläger dargelegt, dass während der Verfolgung die beiden Fahrzeuge auf einem Waldweg situationsbedingt kurz zum Stehen gekommen seien. Bei der Fortsetzung der Verfolgung sei das Fahrzeug des Schädigers bereits mindestens 20 Meter entfernt gewesen. Der Kläger habe bei der Anfahrt nur dessen Rücklichter gesehen. Wobei der Kläger nicht mehr sicher sagen konnte, ob es die Rücklichter des Autos des Schädigers gewesen sind oder die eines Zivilfahrzeugs der Polizei. Der Schädiger hat damit zwar den Anlass für die Verfolgung gegeben, einen tätlichen Angriff hat er - zumindest im Zeitpunkt des Unfalls - jedoch nicht verübt.
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Soweit der Klägerbevollmächtigte meint, dass der Angriffsbegriff aus dem Strafrecht auf das Beamtenrecht übertragen werden könne, kann dem nicht gefolgt werden. Denn eine einfache Übertragung verbietet sich schon im Hinblick auf die vollkommen unterschiedlichen Schutzzwecke, die zum einen mit den Straftatbeständen des Strafgesetzbuches verfolgt werden, zum anderen mit der als Ausfluss des beamtenrechtlichen Fürsorgeprinzips geschaffenen Ausnahmebestimmung zur Übernahme eines nicht einbringlichen Schmerzensgeldanspruchs durch den Dienstherrn (BayVGH, B.v. 18.1.2021 - 3 ZB 20.591 - juris Rn. 9). Aus diesem Grund sind auch die strafrechtlichen Grundsätze der sog. „Verfolgungsfälle“ nicht auf das Beamtenrecht übertragbar.
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Auch der Hintergrund der gesetzlichen Regelung - die gegenwärtig wachsende Gewaltbereitschaft gegen Polizeivollzugsbeamte - spricht nicht für die Annahme eines tätlichen Angriffs im vorliegenden Fall. Denn der Gesetzgeber hat Art. 97 BayBG als Ausnahmetatbestand formuliert. Art. 97 BayBG ergänzt die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherrn und dient dem Ausgleich besonderer Härten. Um diesem Härtefallcharakter gerecht zu werden, ist eine restriktive Auslegung des Anwendungsbereichs geboten. Es sollten gerade nicht sämtliche Schmerzensgeldansprüche von Beamtinnen und Beamten übernommen werden, sondern nur solche, die besondere Voraussetzungen erfüllen. So muss der Schmerzensgeldanspruch auf einem tätlichen rechtswidrigen Angriff beruhen. Ein solcher ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
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cc) Da es bereits am Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 97 BayBG fehlt, erübrigt sich eine Überprüfung der Ermessensbetätigung des Beklagten gem. § 114 VwGO.
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2. Da der Anspruch auf Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG nicht besteht, geht auch der Anspruch auf Prozesszinsen ins Leere.
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3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).