Titel:
Keine Umverteilung aus humanitären Gründen wegen Arbeitsaufnahme
Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 1, § 113 Abs. 5
AsylG § 26 Abs. 1, § 51, § 55, § 61 Abs. 2
Leitsatz:
Ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht ersichtlich, dass die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und die Gestattung durch die zuständige Ausländerbehörde für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vorliegen, kann schon deswegen nicht von einem sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht ausgegangen werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
länderübergreifende Umverteilung, volljähriger Asylbewerber, Kernfamilie (verneint), keine sonstigen humanitären Gründe von vergleichbarem Gewicht, Arbeitsplatz als humanitärer Grund (verneint), Haushaltsgemeinschaft, humanitäre Gründe, Kernfamilie, Schwägerin, Mitwirkungspflicht, Erwerbstätigkeit, Bäckereigehilfe
Fundstelle:
BeckRS 2021, 33364
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die länderübergreifende Umverteilung in den Zuständigkeitsbereich der …
2
Der am … 1983 in … (Iran) geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger mit persischer Volkszugehörigkeit.
3
Seinen Angaben zufolge reiste der Kläger am 11. Januar 2020 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 27. Januar 2020 Asylerstantrag stellte. Der Asylantrag des Klägers wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. Mai 2020 abgelehnt. Am 18. Mai 2020 hat der Kläger hiergegen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht … erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist.
4
Mit Bescheid der Regierung von … - Regierungsaufnahmestelle … - vom 19. Januar 2021 wurde der Kläger ab dem 28. Januar 2021 dem Landkreis … zugewiesen.
5
Mit weiterem Bescheid des Landratsamtes … vom 17. März 2021 wurde dem Kläger die Dezentrale Asylunterkunft, …-Straße,, als zukünftiger Wohnsitz zugewiesen. Der Kläger wurde verpflichtet, sich zur Wohnsitznahme am 17. März 2021 in die vorbezeichnete Unterkunft zu begeben.
6
Unter dem 10. Juni 2021 (Eingang bei der Beklagten am 16. Juni 2021) stellte der Kläger einen Antrag auf länderübergreifende Umverteilung von Asylbewerbern von Bayern nach … unter Vorlage eines zum 1. Mai 2021 abgeschlossenen unbefristeten Beschäftigungsverhältnis als Bäckereigehilfe in einem Backshop in … Begründet wurde der Antrag mit der angestrebten privaten Wohnsitznahme in … Der Kläger habe in … eine Arbeit bei seiner Schwägerin sowie eine Wohnung gefunden.
7
Mit Bescheid der … vom 1. Juli 2021 (Gz.: …) wurde der Antrag des Klägers auf länderübergreifende Umverteilung in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde … abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass nach § 51 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) einer länderübergreifenden Verteilung Rechnung zu tragen sei, wenn ein Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet sei, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, eine Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG bestehe oder aus sonstigen humanitären Gründen von vergleichbaren Gewicht. Familienangehörige im Sinne des § 26 AsylG seien Ehegatten oder Lebenspartner sowie Eltern und ihre minderjährigen ledigen Kinder. Gemäß § 45 AsylG würden Ausländer, die einen Asylantrag gestellt hätten, entsprechend der Aufnahmequoten auf die Bundesländer verteilt. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG hätten Asylbewerber generell keinen Anspruch darauf, sich für die Dauer des Asylverfahrens in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Vielmehr könnten sie gemäß § 60 Abs. 2 AsylG verpflichtet werden, in einer bestimmten Gemeinde oder einer bestimmten Unterkunft zu wohnen. Die Anzahl der Personen, die in … einen Asylantrag gestellt hätten bzw. beabsichtigten, dort einen zu stellen, liege erheblich über der Quote, die für das Bundesland … vorgesehen sei. Die daraus resultierenden Belastungen verwaltungstechnischer, ordnungspolitischer und finanzieller Art seien erheblich und beeinträchtigten die Belange der … in starkem Maße. Den privaten Interessen des Klägers könne im vorliegenden Fall kein solches Gewicht beigemessen werden, das eine andere Entscheidung rechtfertige. Der Wunsch einer Arbeitsaufnahme stelle keinen Umverteilungsgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylG dar. Zwar sei während eines Asylverfahrens eine Arbeitsaufnahme durchaus möglich, sie sei jedoch nicht verpflichtend. Die ausgeübte bzw. beabsichtigte Beschäftigung nehme nicht den Stellenwert eines schwerwiegenden humanitären Grundes im Sinne des Asylgesetzes, wie beispielsweise die Familienzusammenführung einer Kernfamilie ein. Die aufgenommene Arbeitstätigkeit sei kein schwerwiegender humanitärer Grund, der eine dauerhafte Umverteilung ermögliche. Es sei dem Kläger freigestellt, sich um einen Arbeitsplatz am zugewiesenen Ort oder in dessen näherer Umgebung zu bemühen. Auch liege keine so spezialisierte Tätigkeit vor, dass diese im Landkreis … nicht ebenfalls auszuführen wäre. Nach Berücksichtigung und Würdigung aller Gesichtspunkte habe der Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen abgelehnt werden müssen.
8
Auf die weiteren Ausführungen im Bescheid der … vom 1. Juli 2021 wird ergänzend verwiesen.
9
Der Kläger hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schreiben vom 13. Juli 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, eingegangen am 19. Juli 2021, Klage erhoben und beantragt sinngemäß,
10
den Bescheid der … vom 1. Juli 2021 - Az.: …, erhalten am 9. Juli 2021 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, der begehrten länderübergreifenden Umverteilung von Bayern nach … zuzustimmen.
11
Die Klage wurde nicht begründet.
12
Die Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 28. Juli 2021 entgegengetreten und beantragt,
14
Zur Begründung des Antrags auf Klageabweisung wurde auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung vom 1. Juli 2021 Bezug genommen. Der Kläger besitze keinen Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung nach …. In … lebten keine Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG. Auch sonstige humanitäre Gründe seien nicht erkennbar. Der Wunsch einer Arbeitsaufnahme stelle keinen Umverteilungsgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylG dar. Auch habe der Kläger keine Gründe angegeben, warum die Aufnahme einer vergleichbaren Beschäftigung im Bundesland Bayern nicht in Betracht komme.
15
Auf den weiteren Inhalt des Klageerwiderungsschriftsatzes der Beklagten vom 28. Juli 2021 wird verwiesen.
16
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Juli 2021 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
17
Am 23. September 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass der Kläger und die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 23. September 2021 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen. Der Kläger und die Beklagte sind zur mündlichen Verhandlung vom 23. September 2021 form- und fristgerecht geladen worden.
20
Die zulässige Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1.2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) auf Umverteilung des Klägers von Bayern nach … hat in der Sache keinen Erfolg.
21
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Umverteilung nach … ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat weder einen Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung in die … nach § 51 AsylG noch auf Neuverbescheidung seines Antrags gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
22
Grundsätzlich hat ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 AsylG ist jedoch, wenn der Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis Abs. 3 AsylG (Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern) oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen.
23
Wie die Beklagtenpartei im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 AsylG nach den Umständen des vorliegenden Sachverhalts nicht vor. In der … hält sich derzeit nach dem Vortrag des Klägers nur dessen Schwägerin auf. Diese ist nicht der in § 51 Abs. 1 AsylG genannten Kernfamilie des Klägers zuzurechnen, so dass der Kläger bereits aus diesem Grund keinen Anspruch auf die von ihm begehrte länderübergreifende Umverteilung nach … besitzt. Die Schwägerin gehört nicht zu dem in § 51 Abs. 1 Alt. 1 AsylG genannten Personenkreis.
24
Der Kläger hat aber auch keinen sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 51 Abs. 1 Alt. 2 AsylG dargetan, dem durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen wäre. Insoweit hat der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) solche vorzutragen und zu belegen. Einen Betreuungsbedarf der sich im Gebiet der Beklagten aufhaltenden Schwägerin hat der Kläger bereits nicht dargelegt. Im Übrigen wäre ein solcher Betreuungsbedarf vorrangig durch die Kernfamilie der Schwägerin sicherzustellen.
25
Letztlich ergibt sich auch kein sonstiger humanitärer Grund von vergleichbarem Gewicht im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylG daraus, dass der Kläger Aussicht auf eine Beschäftigung im Backshop seiner Schwägerin in … hat und bereits einen entsprechenden Arbeitsvertrag mit Beginn zum 1. Mai 2021 abgeschlossen hat. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bedarf neben der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit der Gestattung durch die zuständige Ausländerbehörde (vgl. § 61 Abs. 1 und 2 AsylG) (vgl. VG Bayreuth, G.v. 31.7.2017 - B 3 K 17.32322 - juris Rn. 21). Da nicht ersichtlich ist, dass diese Voraussetzungen beim Kläger vorliegen, kann schon deswegen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht von einem sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht ausgegangen werden. Überdies handelt es sich bei der vom Kläger angestrebten Tätigkeit als Bäckereigehilfe nicht um eine in solchem Maße spezialisierte Tätigkeit, dass diese nicht auch im Bereich der derzeit zuständigen Ausländerbehörde im Landkreis … ausgeübt werden könnte. Jedenfalls ist für das Gericht im derzeit maßgeblichen Zeitpunkt kein sonstiger humanitärer Grund von vergleichbarem Gewicht im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylG zu erkennen.
26
Nach allem besitzt der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm begehrte länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 Abs. 1 AsylG. Da der Antrag des Klägers von der Beklagten auch ermessensfehlerfrei im Sinne der eingeschränkten Prüfung des § 114 VwGO abgelehnt worden ist, besteht darüber hinaus auch kein Anspruch des Klägers auf Neuverbescheidung im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
27
Nach allem war die Klage des Klägers daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da über den Asylantrag des Klägers zum für die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung und Antragstellung noch nicht bestandskräftig bzw. rechtskräftig entschieden worden war, handelt es sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2016 - 21 CS 16.30179 - juris Rn. 8 ff.; B.v. 17.10.2016 - 21 CS 16.30053 - juris Rn. 10 ff.). Gerichtskosten werden daher nicht erhoben (§ 83b AsylG).
28
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.