Inhalt

OLG München, Beschluss v. 03.11.2021 – 31 Wx 166/21, 31 Wx 179/21
Titel:

Prüfungsumfang des Nachlassgerichts im Rahmen eines Eröffnungsverfahrens betreffend eine letzwillige Verfügung

Normenketten:
FamFG § 59 Abs. 1, § 348 Abs. 1
BGB § 2102 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Prüfung des Nachlassgerichts im Rahmen eines Eröffnungsverfahrens betreffend letztwillige Verfügungen ist von vornherein allein auf die summarische Prüfung hinsichtlich des Vorliegens einer letztwilligen Verfügung beschränkt. (Rn. 8)
2. Für eine inhaltliche Prüfung des Regelungsinhalts und -umfangs letztwilliger Verfügungen ist im Eröffnungsverfahren ist kein Raum (Rn. 9)
Eine Beschwerdeberechtigung iSd § 59 Abs. 1 FamFG gegen die Entscheidung, ein Testament nicht zu eröffnen, besteht, soweit eine Erbenstellung aus dem zu eröffnenden Testament abgeleitet wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Testamentseröffnung, Prüfungsumfang, summarische Prüfung, Beschwerdeberechtigung
Vorinstanz:
AG Miesbach, Beschluss vom 21.12.2020 – 2 VI 739/19
Fundstellen:
FGPrax 2021, 280
FamRZ 2022, 659
ErbR 2022, 156
RPfleger 2022, 135
NotBZ 2022, 218
BWNotZ 2021, 463
RNotZ 2022, 122
ZEV 2022, 41
NJW-RR 2022, 10
BeckRS 2021, 33182
LSK 2021, 38555

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Miesbach - Nachlassgericht - vom 21.12.2020 wird aufgehoben.
2. Das Amtsgericht Miesbach - Nachlassgericht - wird angewiesen, das von den Ehegatten H… und L… W… am 18.5.1982 vor dem Notar Dr. K… H… z… B… errichtete gemeinschaftliche Testament (UR.Nr. 182/1982) zu eröffnen.

Gründe

I.
1
Gegenstand der Beschwerdeverfahren ist die Entscheidung des Nachlassgerichts, in der es die Eröffnung des von dem Erblasser und seiner vorverstorbenen Ehefrau aus erster Ehe errichteten notariell errichteten gemeinschaftlichen Testaments vom 18.5.1982 zurückgewiesen hat.
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1. Die von den Beschwerdeführerinnen gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts eingelegten Beschwerden sind zulässig (vgl. dazu Gierl in: Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Auflage <2019> § 348 FamFG Rn. 10).
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a) Die Beschwerdeführerinnen sind beschwerdeberechtigt im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG, da sie jeweils eine Erbenstellung aus dem nach ihrer Auffassung zu eröffnendem gemeinschaftlichem Testament vom 18.5.1982 ableiten. Außerdem bedingt die Nichteröffnung der letztwilligen Verfügung eine Verletzung des von ihnen behaupteten Erbrechts insofern, als ein Erbe grundsätzlich sein Erbrecht auch durch Vorlage eines eröffneten eigenhändigen Testaments belegen kann, wenn dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist (vgl. Gierl in: Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Auflage <2019> § 348 Rn. 1).
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b) Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass zwischen den Beteiligten die Frage umstritten ist, ob sich die Erbfolge nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 18.5.1982 bestimmt oder ob der Erblasser im Nachgang dazu in rechtlicher Hinsicht die Möglichkeit hatte, - wie erfolgt - erneut zu testieren und der Streit Gegenstand einer vor dem Zivilgericht rechtshängigen Erbenfeststellungsklage ist. Die mit der Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments einhergehenden etwaigen Rechtsfolgen im Rechtsverkehr werden durch das zivilrechtliche Streitverfahren allein nicht völlig aufgehoben.
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2. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung des Beschlusses des Nachlassgerichts vom 21.12.2020 samt Anweisung des Nachlassgerichts, das gemeinschaftliche Testament vom 18.5.1982 gemäß § 348 Abs. 1 FamFG zu eröffnen.
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a) Zu Unrecht ist das Nachlassgericht im Wege der Auslegung der in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Anordnungen zu dem Ergebnis gelangt, dass das bereits beim Sterbefall der vorverstorbenen Ehefrau eröffnete gemeinschaftliche Testament nach dem Ableben des Erblassers deswegen nicht mehr zu eröffnen sei, da es ausschließlich Regelungen der Vor- und Nacherbfolge enthalte, jedoch keine Regelung für den hier inmitten stehenden zweiten Erbfall betreffend den nachverstorbenen Erblasser.
7
b) Im Hinblick auf die von den Ehegatten getroffenen Regelungen (u.a. gegenseitige Einsetzung zum Vorerben samt Einsetzung ihrer aus der Ehe hervorgegangen Kinder als deren Nacherben samt deren Einsetzung als Erben bei gleichzeitigem Versterben der Ehegatten sowie Einsetzung der Abkömmlinge als deren Ersatznacherben bzw. Ersatzerben samt Pflichtteilsklausel betreffend Ersterbfall) ist im Wege der Grundsätze der individuellen Auslegung zu prüfen, ob der Überlebende die Dritten auch hinsichtlich seines eigenen Nachlasses als Ersatzerben für den vorverstorbenen Ehegatten eingesetzt hat, bzw. ob gegebenenfalls der Anwendungsbereich des § 2102 Abs. 1 BGB eröffnet ist (vgl. zu der Problematik näher NK-Erbrecht/Gierl 5. Auflage <2018> § 2102 Rn. 6 m.w.N.). Insofern stellt sich gerade die Frage, ob die Ehegatten die Erbfolge nach dem letztversterbenden Erblasser bereits in dem hier inmitten stehenden gemeinschaftlichen Testament vom 18.5.1982 abschließend geregelt haben.
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c) Die Beantwortung dieser Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Prüfung des Nachlassgerichts im Rahmen des hier inmitten stehenden Eröffnungsverfahrens von vornherein allein auf die summarische Prüfung des Vorliegens einer letztwilligen Verfügung beschränkt ist, da die Eröffnung den Beteiligten erst die Prüfung der Wirksamkeit und des Inhalts der Verfügung ermöglichen soll (Gierl in: Burandt/Rojahn a.a.O. § 348 FamFG Rn. 2). Erst im Erbscheinserteilungsverfahren hat das Nachlassgericht darüber zu befinden, ob ein Schriftstück ein Testament ist und welches Testament von mehreren als maßgebend anzusehen ist. Demgemäß ist vom Nachlassgericht jedes Schriftstück zu eröffnen, bei dem auch nur die entfernte Möglichkeit besteht, dass es eine letztwillige Verfügung des Erblassers sein könnte (Keidel/Zimmermann FamFG 20. Auflage <2020> § 348 Rn. 12).
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Diese Voraussetzungen liegen hier bereits deswegen vor, da der Erblasser in dem gemeinschaftlichen Testament im Jahre 1982 letztwillige Verfügungen für den Fall seines Ablebens getroffen hat. Für eine inhaltliche Prüfung der letztwilligen Verfügungen des Erblassers in dem gemeinschaftlichen Testament vom 18.5.1982 auf ihren Regelungsinhalt und -umfang durch das Nachlassgericht war daher im Eröffnungsverfahren von vornherein kein Raum.
II.
10
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Kostenerstattung sind nicht gegeben.
III.
11
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):

…, JAng Übergabe an die Geschäftsstelle Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 03.11.2021.