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LG München I, Endurteil v. 23.02.2021 – 23 O 10949/20
Titel:

Abschließende Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern in Bedingungen der Betriebsschließungsversicherung

Normenketten:
IfSG § 6, § 7, § 28
AVB-BSV § 2
BGB § 307 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ist der Versicherungsfall Betriebsschließung von seiner Auslösung durch die "im Folgenden genannten", SARS-CoV-2 nicht umfassenden Krankheitserreger abhängig, so besteht bei einer coronabedingten Untersagung kein Versicherungsschutz. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der neben einer Aufzählung von Krankheitserregern, die eine Betriebsschließung auslösen, enthaltene Hinweis auf die §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes ist keine dynamische Verweisung. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung, die den Versicherungsfall auslösende Krankheitserreger namentlich aufzählen und zugleich auf die §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes verweisen, sind nicht intransparent.  (Rn. 29 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Infektionsschutz, Dynamische Verweisung, Corona, Betriebsschließung, Gaststätte, Aufzählung, Krankheiten, Krankheitserreger, Intransparenz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 22.10.2021 – 25 U 1534/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.05.2022 – IV ZR 425/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2022 – IV ZR 425/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 3284

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf ... festgesetzt.  

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin aus einer Betriebsschließungsversicherung.
2
Die Klägerin betreibt den Gastronomiebetrieb ... Sie unterhielt bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer ... eine Profi-Schutz Sach-Versicherung mit einem Betriebsschließungsbaustein.
3
Nach dem Nachtrag 2 zum Versicherungsschein, Änderungsbeginn ..., umfasst der Ver sicherungsschutz die Betriebsart: Gaststätte (nicht Bar, Diskothek, Tanzlokal). Der Versicherungsumfang ist beschrieben mit:
„Schäden durch Betriebsschließung (ZBSV 08)
beim Auftreten meldepflichtiger Infektionskrankheiten oder Krankheitserreger nach dem Infektionsschutzgesetz (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen…“
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Die Zusatzbedingungen (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 2008) § 2 Ziffer 1. beschreiben die versicherten Gefahren und den Versicherungsumfang nach § 2 Ziffer 1a wie folgt:
„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionsschutzkrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; …“
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Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger sind nach § 2 Ziffer 2 a) und b) ZBSV 08 die „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Es schließt sich eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern an. Weder die Krankheit COVID-19 noch der Coronavirus SARS-CoV-2 sind darin genannt.
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Nach § 3 ZBSV 08 ersetzt der Versicherer im Fall eine Schließung nach § 2 Nr. 1 a den Ertragsausfallschaden bis zu einer Haftzeit von 30 Tagen und den Schaden an Vorräten und Waren.
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Mit der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 (Anlage K 6) wurden mit Wirkung vom 21.03.2020 Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt. Ausgenommen wurde die Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen. Dies galt für den Außenbereich bis zum 18.05.2020 und für den Innenbereich bis zum 25.05.2020.
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Die Klägerin schloss ab 21.03.2020 ihren Gastronomiebetrieb.
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Zwischen den Parteien ist der Eintritt eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls streitig.
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Die Klägerin trägt vor, sie habe die versicherte Präsenzrestauration ab dem 21.03.2020 ge schlossen. Mit einem To-Go- und /oder mit einem CateringGeschäft habe sie keinen Umsatz erzielen können.
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Der Versicherungsfall sei eingetreten, nach den Versicherungsbedingungen sei SARS-CoV-2 / der Covid-19 Virus eine versicherte Krankheit. Die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen seien als allgemeine Geschäftsbedingungen im Lichte der §§ 305 ff. BGB auszulegen. Bei Unklarheiten in den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen, wie vorliegend der Fall, käme die für die Klägerin günstigste Auslegung zur Anwendung. Danach stelle die Schließung des klägerischen Betriebes wegen der Corona-Pandemie einen Versicherungsfall dar.
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Von dem ihrer Ansicht nach vereinbarten Haftungsbetrag i.H.v. ... zieht die Klägerin das von dem Arbeitsamt für die Schließungszeit erhaltene Kurzarbeitergeld ab und fordert noch ... Weiter verlangt sie den Ersatz für anlässlich der Schließung weggeworfene Waren in Höhe von ...
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Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ... nebst Zinsen in Höhe von 5,0 Prozent punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12.05.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ... nebst Zinsen in Höhe von 5,0 Prozent- punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12.05.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von ... freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, das Coronavirus sei nicht in den Versicherungsbedingungen genannt und daher nicht Bestandteil des abschließenden Katalogs der in den Bedingungen im Einzelnen ausdrücklich bezeichneten versicherten Krankheiten und Krankheitserreger.
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Der versicherte Betrieb sei nicht geschlossen worden, die allgemeinen Maßnahmen seien keine bedingungsgemäßen Betriebsschließungen, die faktischen Einschränkungen würden nicht ausreichen.
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Auch sei die Höhe des Betriebsschließungsschadens nicht schlüssig dargelegt. Schließlich müsse sich die Klägerin weitere staatliche Leistungen aus den Corona-Soforthilfeprogrammen anrechnen lassen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom ... Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat aus der abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die beantragten Versicherungsleistungen. Die durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 angeordneten Maßnahmen gehören nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren.
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Die in den unstreitig einbezogenen Zusatzbedingungen (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 2008) in § 2 a) und b) aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend. Das Coronavirus und die durch dieses Virus ausgelösten Krankheiten gehören nicht zu den in den Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern.
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Die Kammer folgt hierbei den zutreffenden Entscheidungen des Landgericht Stuttgart, Urteil vom 29.10.2020, AZ: 35 O 32/20, und des Landgericht Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020, AZ: 13 O 2068/20, zu den identischen Versicherungsbedingungen.
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Danach sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedinungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10.04.2019, AZ: IV ZR 59/18).
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Die vorliegenden Versicherungsbedingungen verweisen hinsichtlich des Versicherungsumfangs in § 2 Nr. 1 ZBSV 2008 auf meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger i.S.v. Nr. 2. Dort sind die Krankheiten und Krankheitserreger im Einzelnen aufgezählt. Durch diese Aufzählung wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass eben nur bei Betriebsschließungen aufgrund der genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, dann hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
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Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil vor der Aufzählung das Wort „namentlich“ verwendet wird. Zwar macht die Klägerin zutreffend geltend, dass das Wort „namentlich“ im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Synonym für die Wörter „hauptsächlich“, „vor allem“ oder „insbesondere“ verwendet wird. Durch die konkrete Satzstellung kann man dem Wort aber diese Bedeutung nicht geben, da dann der gesamte Satz keinen Sinn ergeben würde. Dies wird deutlich, wenn man an Stelle des Worts „namentlich“ ein oben genanntes Synonym einsetzt. Daher war es für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass das Wort „namentlich“ nicht als „insbesondere“ sondern als „mit Namen bezeichnet“ zu verstehen ist.
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Auch die Nennung der §§ 6 und 7 IfSG führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Eine dynamische Verweisung ist damit nicht verbunden, da es in diesem Falle einer Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht bedurft hätte. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf die Normen, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen. Daher kann ein Versicherungsnehmer auch nicht davon ausgehen, dass sämtliche von § 6 und § 7 IfSG erfassten Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von § 6 und § 7 IfSG umfassten Bereich verweist, nachdem die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Erkrankungen versichert haben wollte, nicht aber alle möglichen Infektionskrankheiten, die zukünftig noch auftreten können.
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Schließlich kann der Versicherungsnehmer aus dem Ausschluss von Prionenerkrankungen nicht entnehmen, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Zwar weist die Klägerin insoweit zutreffend darauf hin, dass ein solcher Ausschluss für eine nicht abschließende Aufzählung spräche, wenn der Ausschluss Krankheiten und Krankheiterreger umfassen würde, die in der Aufzählung nicht enthalten sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann aber im vorliegenden Fall nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder durch mehrere in der Aufzählung genannten Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen auch keine Schlüsse ziehen.
28
Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
29
Die Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Regelung des Versicherungsumfanges durch die namentliche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass entweder nur alles oder nichts versichert werden könnte.
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Auch ist die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar mag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die medizinischen Fachbegriffe nicht kennen. Die Bedeutung kann aber durch die Nutzung eines medizinischen Wörterbuches erschlossen werden. Dies ist ausreichend. Ansonsten wären alle Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf in der Allgemeinheit nicht bekannte Krankheitsbegriffe verweisen, wegen Intransparenz unwirksam.
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Die Klausel ist auch nicht etwa deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch nicht ausgehöhlt.
32
Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Auch gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für die bei Vertragsschluss unbekannten Krankheiten und Krankheitserreger. Damit ist der Umstand, dass die COVID19 - Krankheit nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.5.2020 namentlich als Krankheit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG aufgenommen wurde, aufgrund der abschließenden Auflistung für das streitgegenständlichen Verfahren unbeachtlich.
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Die Kammer vermag aus diesen Gründen der nicht rechtskräftigen Entscheidung einer anderen Kammer des Landgericht München I, Urteil vom 22.10.2020, AZ: 12 O 5868/20, nicht zu folgen. In dem Urteil wurde entschieden, dass eine annähernd gleichlautende Klausel eines anderen Versicherers wegen eines Verstoßes gegen das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende Transparenzgebot unwirksam sei.
34
Da die Klägerin keinen Anspruch auf die beantragten Versicherungsleistungen hat, kann sie auch keine Verzugszinsen und keine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanspruchen.
35
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
36
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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Der Streitwert bemisst sich aus den Leistungsanträgen 1. und 2.