Titel:
Schadensersatz wegen unzulässiger Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Diesel-Fahrzeugs mit 3,0-Liter-Dieselmotor (Audi A7)
Normenkette:
BGB § 31, § 826
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: OLG München BeckRS 2021, 31796; BeckRS 2021, 32277; BeckRS 2021, 32276; BeckRS 2021, 32267; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; LG München I BeckRS 2021, 32309; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; LG Landshut BeckRS 2021, 15304; LG Ingolstadt BeckRS 2021, 19616. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Rückruf des Kraftfahrtbundesamts für Audi-Fahrzeuge mit 3.0 l Diesel-Motoren, der ausdrücklich feststellt, dass für diese Motoren eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer schadstoffmindernden, sogenannten schnellen Motoraufwärmung, die nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringt, nachgewiesen ist, rechtfertigt in deliktsrechtlicher Hinsicht eine Gleichbehandlung mit den EA 189-Motoren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu typischen Detailfragen aus Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; Verzugszinsen; Annahmeverzug; 1,3 Geschäftsgebühr als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. (Rn. 26, 27, 28 und 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Dieselmotor, Audi AG, unzulässige Abschalteinrichtung, Aufheizstrategie, schnelle Motoraufwärmung, Gesamtlaufleistung, Nutzungsentschädigung, Rückruf, Kraftfahrtbundesamt
Fundstelle:
BeckRS 2021, 32313
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 41.914,79 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A7 (2967 ccm/240 kW/326 PS) mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 20.11.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.663,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 an die Klagepartei zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 41.914,79 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal.
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Die Klagepartei erwarb das streitgegenständliche Gebrauchtfahrzeug der. Marke Audi A7 am 17.03.2017 von der Niederlassung der Beklagten … zum Preis von 50.790,00 € (Anlage K 1). Das Fahrzeug wies bei der Übergabe einen Kilometerstand von 11.410 km auf.
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Das KBA hat bei der Überprüfung des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Mit Bescheid vom 23.01.2018 hat es angeordnet, dass bei allen betroffenen Fahrzeugen eine Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware vorgenommen wird.
4
Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei wurde die Beklagte erfolglos zur Rückabwicklung Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs und unter Klageandrohung unter Fristsetzung bis spätestens 19.11.2020 aufgefordert (Anlage K13).
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Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom Kläger genutzt. Der Kilometerstand betrug am 11.05.2021 53.102 km.
sein Fahrzeug sei von einer Manipulation der Abgaswerte betroffen. Eine im Fahrzeug im Zeitpunkt des Verkaufs installierte Software führe im Ergebnis zu einer Motorsteuerung, die Prüfsituationen erkenne und dann den Stickoxidausstoß (NOx-Werte) verringere. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen. Es erfolge eine unterschiedliche Emissionsbehandlung je nachdem, ob sich das Fahrzeug in der Prüfstandsanordnung oder im Normalbetrieb befindet, dort wiederum gestuft nach Temperaturabhängigkeit (Thermofenster). Im Prüfbetrieb werde die Abgasrückführungsquote über das AGR - Ventil substantiell erhöht und die die für das SCR - Kat System vorgesehene Adblue Versorgung auf die maximale Abgabemenge hochgefahren. Eine solche Steuerung sei Teil eines Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007. Die Emissionen würden kontrolliert und gesteuert: Die Motorsteuerung, die anhand der Parameter den Prüfzyklus erkenne, schalte im Normalbetrieb die Abgasrückführung, die der Kontrolle der Emissionen und der Reduzierung des Schadstoffausstoßes diene, ab. Ebenfalls würden bei den mit SCR - Kat versehenen Fahrzeugen die AdBlue - Zufuhr bis auf Null heruntergefahren.
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Von all diesen Vorgängen habe der Kläger beim Kauf keine Kenntnis gehabt.
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Die Klägerseite ist im Kern ihres Vorbringens der Auffassung, dass ihr gegenüber der Beklagtenseite ein Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des mit einer Dritten geschlossenen Kaufvertrags durch Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Pkws zustehe, weil die Beklagte sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und betrogen habe. Bei seiner Kaufentscheidung sei es dem Kläger auf Umweltfreundlichkeit und Wertstabilität angekommen. Durch die installierte Manipulationssoftware sei er darüber getäuscht worden, dass er ein umweltfreundliches Auto fahre, welches einen stabilen Wiederverkaufswert habe. Der Kläger hätte, wenn er von den Manipulationen gewusst hätte, das Fahrzeug nicht erworben. Er sei daher schon durch den Vertragsschluss geschädigt. Es handle sich um eine rechtswidrige Abschalteinrichtung, da jegliche Motorsoftware auf dem Prüfstand dieselben Funktionen aufzuweisen habe wie beim Betrieb des Fahrzeugs auf der Straße. Durch das update sei der Mangel nicht beseitigt worden. Durch die Manipulation habe das Fahrzeug auch einen Wertverlust erlitten. Es bestünden daher Ansprüche aus §§ 826, 823 BGB, 263 StGB.
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Die Klägerseite beantragt:
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, ab die Klagepartei 50.790,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.337,53 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A7 (2967 ccm/240 kW/326 PS) mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 20.11.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.547,36 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 an die Klagepartei zu zahlen.
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Die Beklagtenseite beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Dabei trägt die Beklagte im Wesentlichen vor:
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Ein Schadensersatzanspruch bestehe - trotz der Entscheidung des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 - nicht, da das streitgegenständliche Fahrzeug über einen Motor des Typs V-TDI (EU 6) verfügt und deshalb nicht vom sog. „Abgas-Skandal“ betroffen ist, der sich auf Motoren des Typs EA 189 (EU 5) bezieht. Für einen Schadensersatzanspruch sei auch nicht ausreichend, dass das Kraftfahrtbundesamt die Steuerung als unerlaubte Abschalteinrichtung eingestuft hat.
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Zutreffend sei, dass das KBA die Auffassung vertreten habe, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Nach Auffassung des KBA sei beim Audi A7 Sportback 3.0 V6 TDI die Bedatung der vom KBA beanstandeten Softwarebestandteile zu ändern bzw. aufzuweiten, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenverkehr zu gewährleisten. Dies werde durch eine entsprechende Anpassung der Motorsteuerungssoftware sichergestellt. Unzutreffend sei aber, dass das KBA das Vorliegen von vier oder mehr unzulässigen Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug festgestellt habe.
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Im übrigen bestreitet die Beklagtenpartei im Wesentlichen, gegenüber der Klägerseite eine Täuschung, die für den Abschluss des mittelbar streitgegenständlichen Fahrzeugerwerbs ursächlich gewesen ist, begangen zu haben. Sittenwidrige Handlungen lägen auf Beklagtenseite nicht vor.
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Die Beklagte sei an den Vertragsverhandlungen nicht beteiligt gewesen. Die Angaben in den Prospekten seien zutreffend. Dass es dem Kläger auf Umweltfreundlichkeit angekommen sei, sei nicht glaubhaft, zumal das Fahrzeug über ein Leergewicht von ca. 2 Tonnen und eine Leistung von 326 PS verfüge. Das Fahrzeug könne tatsächlich ohne Einschränkungen im Straßenverkehr genutzt werden. Es sei stets technisch sicher und fahrbereit gewesen. Ein Widerruf der EG-Typgenehmigung drohe nicht. Ein Wertverlust trete nicht ein. Es gäbe weder jetzt noch später eine Vermögensbeeinträchtigung auf Klägerseite.
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Ergänzend wird zu den Einzelheiten des weiteren Sachvortrags sowie insbesondere den vertretenen Rechtsauffassungen der Parteien und den diesbezüglich ausgetauschten Argumenten auf die zur Akte genommenen Schriftsätze nebst den zugehörigen Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
18
Insbesondere ist das Landgericht Würzburg sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG zuständig und örtlich gem. § 32 ZPO zuständig.
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Die Klage ist auch überwiegend begründet.
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Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19) besteht ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus §§ 826, 31 BGB in Fällen, in denen das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Danach steht es wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.
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Diese Rechtsprechung erging zwar zum Motorentyp EA 189 (EU 5). Grundlage war allerdings, dass die betreffenden Motoren eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielten, was vom Kraftfahrtbundesamt in einem Rückrufbescheid festgestellt war. Ebenso liegt der Fall hier. Es liegt ein Rückruf des Kraftfahrtbundesamts für Audi 3.0 l Diesel vom 23.01.2018 vor. Dort ist ausdrücklich festgestellt, dass für diese Motoren ebenso - auch für das hier streitgegenständliche Modell A 7 - eine unzulässige Abschalteinrichtung nachgewiesen ist. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmung springt bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibt diese NOx-Schadstoffminderung. Dies ist letztlich ebenso als Prüfstandserkennung zu qualifizieren wie beim Motor EA 189 (vgl. LG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2020, Az. 16 O 2113/19).
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b) Zwar kann beim Gebrauchtwagenkauf nach Aufdeckung des Dieselskandals im September 2015 nicht mehr von einer Täuschung der Käufer und damit von einer sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB ausgegangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20). Dies betrifft jedoch nur die dort benannten Fahrzeugtypen. Die Mitteilung, dass von dem „Abgasskandal“ auch Modelle Audi A7 mit 3I-Hubraum betroffen sind, erfolgte durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in Form einer Pressemitteilung erst im Januar 2018.
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Der Kläger muss auch nicht vortragen und beweisen, dass er das Fahrzeug bei Kenntnis der Manipulationen nicht gekauft hätte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung und den sich für die Art des konkreten Geschäfts ergebenden Erfahrungssätzen ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwerben will, dem eine Betriebsbeschränkung oder Betriebsstillegung droht (BGH a.a.O.).
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c) Die vorgenommenen Manipulationen stellen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, die der Beklagten auch zuzurechnen ist. Die Zurechnung ist ebenso zu bewerten wie im Fall, welcher der Entscheidung des BGH vom 25.05.2020 (a.a.O.) zugrunde liegt. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitgliedes des Vorstands von der strategischen Entscheidung, trägt der beklagte Hersteller die sekundäre Dartegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen (BGH, a.a.O.). Diesbezüglich ist nicht ausreichend von Beklagtenseite vorgetragen.
25
d) Allerdings gelten die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB (BGH, a.a.O.). Der Kläger muss sich deshalb Nutzungsersatz anrechnen lassen.
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Dieser wird berechnet aufgrund der Formel
Kaufpreis (50.790,00) × gefahrene Kilometer (41.692): voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (238.590),
wobei bei Dieselfahrzeugen wie dem vorliegenden von einer Gesamtlaufleistung i.H.v. 250.000 km ausgegangen werden kann. Damit ergibt sich ein Betrag i.H.v. 8.875,21 €, den sich der Kläger als Nutzungsvorteil anrechnen lassen muss. Damit sind von der Beklagten 41.914,79 € nebst Verzugszinsen zurückzuerstatten. Soweit die vorgenannte Nutzungsentschädigung die klägerseits abgezogene Nutzungsentschädigung (7.337,53 €) überstieg, unterlag die Klage der Abweisung.
27
e) Der Kläger hat zudem Anspruch auf Verzugszinsen gem. §§ 280, 286, 288 BGB.
28
2. Da ein Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags besteht, ist auch festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
29
3. Der Kläger kann auch Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, allerdings nur unter Berücksichtigung einer 1,3 Geschäftsgebühr von der Beklagten verlangen. Dass es sich um eine Angelegenheit größeren Umfangs und hoher Schwierigkeit handelt, hat der Kläger dabei nicht ausreichend vorgetragen.
30
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich danach wie folgt:
„Gegenstandswert: 44.174,40 €
1,3 Geschäftsgebühr:
|
1.414,40 €
|
Auslagenpauschale
|
20,00 €
|
Umsatzsteuer 16 %
|
229,50 €
|
Summe:
|
1.663,90 €
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31
In Höhe der Differenz zum klägerischen Antrag zum Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unterlag die Klage daher der Abweisung
32
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Klägerseite nur geringfügig unterlegen war.“
33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.