Titel:
Zweckentfremdungsverbot: Abgrenzung von Wohnnutzung zur Fremdenbeherbergung
Normenkette:
BayZwEWG Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 3 Abs. 2, Art. 4
Leitsätze:
1. Ist im Rahmen eines zweckentfremdungsrechtlichen Verfahrens eine weitere Sachverhaltsaufklärung zu der Frage, ob trotz der für Fremdenverkehrsnutzung typischen beherbergungsmäßigen Ausstattung und Rundum-Versorgung einer Wohnung eine WG vorliegt, nicht möglich, handelt es sich um ein non liquet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein non liquet geht aufgrund des nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZwEWG kraft Gesetz bestehendem repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt zulasten des Wohnungsinhabers. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Küche und Gemeinschaftsflächen dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, kommt es für die Frage, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt, maßgeblich auf das zugrunde liegende Nutzungskonzept und das konkrete Geschäftsmodell des Vermieters im Einzelfall dafür an. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Abgrenzung hängt jeweils vom Einzelfall ab, wobei es für die Entscheidung der Behörde auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ankommt, dessen Voraussetzungen bei einer Nutzungsuntersagung als Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung noch fortbestehen müssen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweckentfremdung (M. Hellip*), Abgrenzung Wohngemeinschaft zu Boardinghouse, Nutzungsuntersagung, Beweisvereitelung, Non liquet und Amtsermittlung, Zweckentfremdung, Wohngemeinschaft, Boardinghouse, Fremdenverkehrsnutzung, Küche, Gemeinschaftsflächen, Nutzungskonzept, Einzelfall, Non liquet, Sachverhaltsaufklärung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 20.11.2023 – 12 ZB 22.80
VGH München, Urteil vom 15.07.2024 – 12 B 23.2195
Fundstelle:
BeckRS 2021, 31840
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020, mit dem sie unter Androhung eines Zwangsgeldes von jeweils 10.000,00 EUR zur Beendigung der Nutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung zur Fremdenbeherbergung und zur Wiederzuführung zu Wohnzwecken aufgefordert wurde.
2
Die Wohnung in der H. … straße in M. … besteht aus 6 Zimmern über zwei mit einer Treppe verbundenen Stockwerken mit Küche und 2 Bädern, insgesamt ca. 235 m², und wurde baurechtlich als Wohnraum genehmigt. Die Klägerin ist Mieterin der Wohnung und ausweislich der Akten die deutsche Firma eines internationalen Startups L. … Die L. … hat die Wohnung mit Gewerbemietvertrag vom 12. Februar 2019 vom Eigentümer angemietet. Ausweislich § 4.1 des Gewerbemietvertrags ist die Untervermietung gestattet und ausweislich § 7.1 der Umbau erlaubt. Bereits mit Baugenehmigung vom 15. September 2011 wurde dem Eigentümer der Anbau vorgesetzter Balkone genehmigt; diese wurden nicht errichtet.
3
Die Klägerin hat im Rahmen ihres Geschäftsmodells mehrere Wohnungen im Stadtgebiet M. … angemietet und vermietet diese Wohnungen zimmerweise, wobei den Untermietern nach eigenen Angaben großzügige Gemeinschaftsräume zur Verfügung gestellt werden. Die Klägerin beschreibt ihr Geschäftsmodell als Transformation bisher gebräuchlicher Wohnformen zu neuen Wohnkonzepten, bezeichnet als Co-Living. Es soll eine Gemeinschaft, insbesondere bei Zuzug in eine fremde Stadt für internationale Bewohner geschaffen werden, um diesen ein Heimatgefühl zu vermitteln. Nach Angaben der Klägerin sind die Zimmer, die Gemeinschaftsräume und die Küche möbliert. Eigene Sachen können jedoch mitgebracht werden. Die Zimmer sind nach dem Co-Living-Konzept unversperrt, Schlüssel stehen jedoch zur Verfügung. Zum Zeitpunkt des Bescheiderlass gab es umfangreiche Serviceleistungen, die die Klägerin stellte. Ein Reinigungsdienst putzte die Gemeinschaftsräume (zweimal die Woche) und auf Wunsch die privaten Zimmer (einmal die Woche). Ebenfalls zur Verfügung gestellt und von der Klägerin nachgefüllt wurde die Basisgrundausstattung einer Versorgung in Küche, Bad und Toilette mit Klopapier, Spülmaschinentabs, Tee, Kaffee, Gewürzen, Seife, Öl, Kerzen etc. Ursprünglich wurden auch Bettwäsche und Handtücher als Grundausstattung zur Verfügung gestellt; ein Wechsel erfolgte nicht.
4
Nach Bescheiderlass und während des Klageverfahrens änderte die Klägerin nach ihren Angaben das Nutzungskonzept ihres Geschäftsmodells für alle Wohnungen in M. … In der mündlichen Verhandlung erläuterte ihr Bevollmächtigter die Einzelheiten des geänderten Nutzungskonzepts, wonach die gesamten Serviceleistungen in allen M. … Wohnungen vollständig eingestellt worden seien. Die Mieter der hier verfahrensgegenständlichen Wohnung hätten auch den Putzdienst gewechselt. Die Miete sei reduziert worden.
5
Ausweislich der vor Bescheiderlass im Verwaltungsverfahren vorgelegten Mietverträge zwischen der Klägerin und einzelnen Mietern zum Zeitpunkt Dezember 2019/Januar 2020 wurden die Mietverträge unbefristet zu einer pauschalen Monatsmiete (warm) inkl. Strom, Heizung und Internet abgeschlossen. Die Mietverträge enthalten einen Hinweis auf den Gewerbemietvertrag und die daraus folgenden Rechte und Pflichten; die Klägerin wird als Generalmieter bezeichnet. Die Möblierung der Zimmer und der Gemeinschaftsflächen sind in einer Anlage 3 aufgeführt. Gemäß § 1 Abs. 3 des Mietvertrags werden die Gemeinschaftsflächen im Rahmen der Wohngemeinschaftsnutzung mitvermietet. Nach § 2 Abs. 1 der Mietverträge konnte das Mietverhältnis erstmals 6 Monate nach Mietvertragsbeginn mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden. Z.B. hat für Zimmer 5 mit 14 m², vermietet ab dem 14.3.2019 (Bl. 43 Behördenakte -BA-), die monatliche Miete insgesamt 1.000,- EUR betragen, wobei eine Nebenkostenpauschale von 200,- EUR darin enthalten war. Insgesamt haben ausweislich der Mietverträge die Gesamtmieteinnahmen der Klägerin ohne die jeweils 200,- EUR betragende Nebenkostenpauschale für den Zeitpunkt Dezember 2019/Januar 2020 für die damals vermieteten fünf Zimmer insgesamt 5.550,- EUR netto monatlich betragen. Ihrerseits hatte die Klägerin an den Eigentümer eine Miete von 3.780,- EUR, davon 285,- EUR Nebenkostenpauschale zu zahlen.
6
Vor Erlass des verfahrensgegenständlichen Bescheids hat die Beklagte am 26. November 2019 und am 23. Juni 2020 Ortseinsichten durchgeführt. Am 26. November 2019 hat eine Mitarbeiterin der Klägerin eine Besichtigung der Wohnung ermöglicht und Wohnungszuschnitt sowie Nutzung erläutert. Am 23. Juni 2020 hat eine Bewohnerin das Betreten der Wohnung ermöglicht. Nach Auskunft der anwesenden Bewohner waren aktuell 5 Zimmer vermietet, die Bewohner waren alle im Besitz von befristeten Visa- und Aufenthaltserlaubnissen zu Arbeitszwecken und stammten aus verschiedenen Ländern. Auf die umfangreiche Fotodokumentation in der Behördenakte (Bl. 251 ff. BA) wird verwiesen.
7
Der Eigentümer der Wohnung nahm im Rahmen der Anhörung am 20. Juli 2020 Stellung (Bl. 293 ff. BA). Die Wohnung sei über 7 Monate unvermietbar gewesen, da sie über keinen Aufzug verfüge. Weder als Ganzes noch aufgeteilt in 2 Wohnungen sei jemand bereit gewesen, 2.500,- EUR zu bezahlen. Eine Zweckentfremdung durch die Mieterin läge nicht vor.
8
Der Bevollmächtigte der Klägerin nahm im Rahmen der Anhörung mit Schriftsatz vom 24. Juli 2020 Stellung (Bl. 384 ff. BA) und übersandte eine Aufstellung aller Mietverhältnisse für sämtliche Wohnungen in M. … Unter anderem wurde vorgetragen, dass eine Kündigung oder Auflösung der Mietverhältnisse vor Ablauf von 6 Monaten seit dem 22. Juli 2020 nicht mehr akzeptiert werde und dass dies auch früher nur die Ausnahme gewesen sei. Unter anderem auch wegen der Corona-Pandemie hätten mehrere Bewohner die WG vorzeitig verlassen. Ausweislich dieser Aufstellung der Mietverhältnisse und ihrer Beendigung haben die Untermieter in der Wohnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Durchschnitt ca. 6 Monate gewohnt. Die Mehrheit ist nach ungefähr 3 Monaten ausgezogen, einige Bewohner blieben dort fast zwei Jahre. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufstellung Bezug genommen.
9
Mit Bescheid vom 27. August 2020 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden (Ziff. 1) sowie dazu, den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der Überlassung für Zwecke der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziff. 2). Für den Fall, dass die Anordnung in Ziff. 1 des Bescheids nicht binnen 4 Wochen erfüllt werde, wurde ein Zwangsgeld i.H.v. 10.000,- EUR angedroht (Ziff. 3). Für den Fall, dass der Anordnung in Ziff. 2 des Bescheids nicht binnen 3 Monate ab Zustellung des Bescheids Folge geleistet werde, wurde ein Zwangsgeld ebenfalls i.H.v. 10.000,- EUR angedroht (Ziff. 4). Der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit sei erfüllt, Art. 4 Zweckentfremdungsgesetz (ZwEWG) i.V.m. §§ 4 und 5 Zweckentfremdungssatzung (ZeS), da die Wohnung regelmäßig seit mindestens März 2019 an Personen überlassen werde, die sich lediglich vorübergehend, hauptsächlich für die Dauer ihres Arbeitseinsatzes in M. … aufhielten. Die Einzelzimmervermietung nach dem Co-Living-Konzept der Antragstellerin sei eine gewerbliche Zimmervermietung im Sinne des Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS und damit eine Zweckentfremdung, da der Wohnraum mehr als insgesamt 8 Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt werde. Eine reguläre Wohnnutzung läge nicht vor. Die 6 Einzelzimmer würden nur kurzfristig angemietet. Das Nutzungskonzept sei auf einen häufigen Nutzerwechsel ausgerichtet. Die Unterkunft solle danach lediglich als Übergangslösung genutzt werden. Die Wohnform der Antragstellerin werde von den Nutzern nur vorübergehend in Anspruch genommen, bis eine Wohnung zum dauerhaften Wohnen gefunden werden konnte oder solange der befristete Aufenthalt zu Zwecken der Beschäftigung gedauert habe. Über die Belegung der einzelnen Zimmer entscheide die Antragstellerin. Die Bewohner hätten keinen Einfluss auf künftige Mitbewohner. Die Zimmer seien relativ klein und die Möblierung werde vollständig gestellt. In Küchen und Badezimmer befänden sich kaum private Gegenstände, wie es z.B. in einer Wohngemeinschaft üblich sei. Die sehr kleinen Wohneinheiten würden zu überdurchschnittlich hohen Preisen vermietet. Es würden umfangreiche hotelähnliche Serviceleistungen erbracht. Eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit fehle auch deshalb, da die privaten Räume im Rahmen des Gemeinschaftskonzepts nicht abgeschlossen werden sollten. Wegen der Einzelheiten wird auf die umfangreiche Begründung des Bescheids Bezug genommen (Bl. 444 BA).
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Mit Schriftsatz vom 2. September 2020 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Klage erhoben und beantragte zuletzt,
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Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 wird aufgehoben.
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Zur Begründung der Klage und ergänzt durch Schriftsätze vom 23. Oktober 2020, 23. März 2021, 30. März 2021, 16. Juni 2021 und 5. Juli 2021 in diesem, im Antragsverfahren (M 9 S 20.4417, 12 C 21.564) und in einem Beschwerdeverfahren gegen einen gerichtlichen Beweisbeschluss (12 C 21.1835) wurde vorgetragen, dass das Co-Living-Konzept ein Wohnen als Wohngemeinschaft sei. Das Wohnkonzept sei mittlerweile nach Bescheiderlass geändert worden. Der Reinigungsdienst sei eingestellt worden. Die Erstausstattung mit Bettwäsche und Handtüchern werde nicht mehr vorgenommen. Die Basisausstattung mit Verbrauchsgütern wie Klopapier, Seife, Kaffee, Tee etc. gebe es ebenfalls nicht mehr. Auf dem Klingelschild stehe weiterhin nur die Klägerin, weil nicht ausreichend Platz für alle Namen da sei. Die Mieter würden jetzt bei der Neuvermietung einbezogen. Als Mindestmietzeit seien jetzt vertraglich sechs Monate festgelegt und die Kündigungsfrist sei an die gesetzliche Regelung (drei Monate statt einem) angepasst worden. Die Miete sei pro Kopf um 175 Euro reduziert worden. Die Mieter organisierten ihre gemeinschaftlichen Tätigkeiten und die Versorgung selbst. Weiterhin gelte, dass wegen des Gemeinschaftsgefühls als WG das Konzept vorsehe, dass die Zimmer nicht abgeschlossen seien; Schlüssel gäbe es jedoch. Die Bruttomiete werde monatlich bezahlt. Eine vorzeitige Mietbeendigung werde in M. … seit dem 22. Juli 2020 nicht mehr akzeptiert. Die Mieter erhielten eine Wohnungsgeberbescheinigung und wollten ihren Lebensmittelpunkt wegen der Arbeit nach M. … verlegen. Die Quote der kürzeren Aufenthalte betrage 30 bis 40%, von den 18 Mietern seit März 2019 bis März 2021 seien nur sechs aus verschiedenen Gründen vorzeitig ausgezogen. Die Einlassung im Rahmen der Anhörung über vorzeitige Mietbeendigungen wegen nachträglich eingetretener Umstände sei im Bescheid nicht berücksichtigt worden. Eine Fristverlängerung wegen Problemen bei der Akteneinsicht sei abgelehnt und dann dennoch mehr als 6 Wochen mit dem Bescheid gewartet worden. Es bestehe eine Wohnnutzung und der Bescheid sei abwägungsfehlerhaft. Die Mieter hätten einen privaten Wohnraum und Gemeinschaftseinrichtungen mit sehr viel Platz und Komfort zu einem insgesamt angemessenen Pro-Kopf-Preis. Die Anmietung erfolge entsprechend dem Nutzungskonzept zum Umzug und zur dauerhaften Verlegung des Hauptwohnsitzes nach M. … Das Mietkonzept sei insgesamt auf einen dauerhaften Verbleib, d.h. mehr als 6 Monate mit einem unbefristeten Mietvertrag angelegt. Die Mieter meldeten sich mit Hauptwohnsitz in M. … an. Unter Zugrundelegung der 6 Monate, die im Steuerrecht akzeptiert würden, werde eine frühere Beendigung des Mietverhältnisses nicht mehr akzeptiert. Die Beklagte habe im Übrigen nicht nachgewiesen, dass die Mieter andere Hauptwohnsitze im Sinne eines Lebensmittelpunktes hätten. Der Bescheid sei insgesamt zu unbestimmt, ermessenfehlerhaft und die Maßnahmen seien unverhältnismäßig, da die Klägerin die Mietverhältnisse nicht beendigen könne. Wegen der Bußgelder sei die wirtschaftliche Existenz bedroht und es werde etwas rechtlich Unmögliches verlangt. Ein öffentliches Interesse an der Nutzungsuntersagung bestehe nicht, da die Mieter in M. … Wohnraum benötigten und ansonsten ggf. an den Stadtrand verdrängt würden. Insgesamt verstoße die Beklagte gegen das Gebot eines fairen Verwaltungsverfahrens und betreibe Schikane. Die Beklagte habe Gesprächsangebote abgelehnt und bestehe auf Durchführung von Ermittlungen durch Ortseinsichten, um den Einzelfall zu prüfen. Nach Kenntnis der Klägerin sei die Planung der Mieter, regelmäßig 1 Jahr dort zu wohnen, es erfolge keine Überprüfung der Visa. Auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Zweckentfremdung bei Nichtverlegung des Wohnsitzes, des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zu einer Wohnnutzung durch Sprachschüler vor Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots und des Oberverwaltungsgerichts Berlins zum Begriff des Wohnens werde hingewiesen.
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Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 23.3.2021,15.6.2021 und 28.6.2021
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Das nach Bescheiderlass geänderte Nutzungskonzept sei neu und werde mit Nichtwissen bestritten, da bisher keine Prüfung ermöglicht worden sei. Es seien bis zum Bescheiderlass in großem Umfang fremdenverkehrstypische Leistungen zur Versorgung erbracht worden. Eine Wohngemeinschaft habe ebenfalls nicht vorgelegen, da kein gezielt ausgewähltes Zusammenleben als Gemeinschaft bestanden habe und kein Mitspracherecht bei der Auswahl der Mitbewohner bestand. Korrigiert werde, dass eine Frau C. P., anders als im Bescheid ausgeführt, ebenfalls nach 3 Monaten bereits am 31. Januar 2020 ausgezogen sei. Das Co-Living-Konzept sei als Übergangsform nach einem Umzug nach München und als vorübergehende Unterkunft bei einer begrenzten Aufenthaltsdauer als Nutzungskonzept eine Fremdenbeherbergung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS. Die Mietverhältnisse seien in ca. einem Drittel der Fälle nach 3 bis 5 Monaten beendet worden. Die Bewohner hätten zum Teil lediglich befristete Visa für einen vorübergehenden Aufenthalt zu Arbeitszwecken. Die Zimmer seien klein und der Preis hoch. Eine hinreichend private Rückzugsmöglichkeit fehle bei offenen Zimmertüren. Der Vorwurf des unfairen Verfahrens werde zurückgewiesen, da das Recht zum Betreten gesetzlich festgelegt sei. Ausweise seien freiwillig vorgelegt worden. Die Betretenszeit gegen 8.00 Uhr morgens entspräche dem Umstand, dass die Bewohner alle arbeiten. Auch das Konzept anderer entsprechender Anbieter werde als Verstoß gegen Zweckentfremdungsrecht betrachtet und etwas Gegenteiliges sei nie gesagt worden.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 1. Juni 2021 die Beweiserhebung durch Augenschein angeordnet. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat dagegen sofortige Beschwerde erhoben und mitgeteilt, dass die fünf Bewohner, die nicht durch ihn vertreten würden, dem Beweisbeschluss nicht zustimmten. Das Gericht hat mit Schreiben vom 1. Juli 2021 die jeweiligen Mieter der Wohnung um Zustimmung zum Betreten der Gemeinschaftsräume im Rahmen des Augenscheins gebeten; diese haben dies mit gemeinsamen Schreiben, datiert bereits vom 25. Juni 2021, Absendeort B. …, abgelehnt.
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Der Augenschein konnte nicht durchgeführt werden und musste vor dem Betreten des Hauses abgebrochen werden, da der anwesende Bevollmächtigte der Klägerin erneut die Durchführung der Beweiserhebung abgelehnt hat und ein Zutritt nicht möglich war.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und den Angaben der Klägerseite über die Änderung des Nutzungskonzepts ist die Klage bereits unzulässig (I.). Ungeachtet dessen wäre die Klage auch unbegründet (II.). Die Weigerung der Klägerseite und der Bewohner, ein Betreten der Wohnung im Rahmen des mit Beweisbeschluss vom 1. Juni 2021 angeordneten gerichtlichen Augenscheins zuzulassen, geht zu Lasten der Klägerseite (II.1.). Dies hat zur Folge, dass die zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung und die Anordnung der Wiederzuführung zu Wohnzwecken mit Bescheid vom 27. August 2020 rechtmäßig ist (II.2.). Die Beschwerdeentscheidung des BayVGH im Eilverfahren beruhte lediglich auf einer summarischen Einschätzung nach Aktenlage (II.3.) und sonstige Gründe, die zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheids führen könnten, sind nicht ersichtlich (II.4.). Die Anfechtungsklage war deshalb abzuweisen, § 113 Abs. 1 VwGO.
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I. Die Klage gegen den Bescheid vom 27. August 2020 ist bereits unzulässig, da der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung des Gerichts über die erhobene Anfechtungsklage fehlt.
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1. Die Klägerin hat ihr bisheriges Nutzungskonzept, das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde lag, mittlerweile nach eigenen Angaben geändert und hält nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und ihren detailreichen Ausführungen im Termin an dem früheren Konzept für ihre Objekte in M. … dauerhaft nicht mehr fest. Eine gerichtliche Überprüfung dieser behaupteten Änderung des Nutzungskonzepts hat die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter allerdings vereitelt, da sie gegenüber ihren Mietern nicht ihr Betretungsrecht zur Ermöglichung des gerichtlichen Augenscheins geltend gemacht hat. Dieses widersprüchliche Verhalten führt dazu, dass der Anfechtungsklage jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Als besondere Umstände, die das Rechtschutzbedürfnis entfallen lassen können, kommt sowohl der Wegfall des objektiven als auch des subjektiven Interesses an einer gerichtlichen Entscheidung in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 - 9 C 44/87 -, BVerwGE 81, 164-170, Rn. 9). Vorliegend ist nach dem prozessualen Verhalten der Klägerin zumindest das subjektive Interesse an der Entscheidung über die Anfechtungsklage entfallen. Denn wenn das dem Bescheid zugrundeliegende Nutzungskonzept durch die Klägerin nicht mehr betrieben wird ist nicht erkennbar, welches rechtlich schützenswerte Interesse an der gerichtlichen Überprüfung noch besteht. Der Bescheid ist dann wegen inhaltlicher Überholung gegenstandslos geworden, da die ihm innewohnende Steuerungsfunktion entfallen und seine Aufhebung sinnlos ist (BVerwG U.v.25.9.2008 - 7 C 5/08; Schoch/Schneider, VwGO § 113, Stand Feb.2021, Rn.112; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn.102); er ist nur noch Grundlage der Kostenentscheidung. Trotz umfassender Erörterung des geänderten Nutzungskonzepts und eingehender Erläuterung in der mündlichen Verhandlung, dass und warum über das aktuelle Nutzungskonzept neu entschieden werden sollte, hat der Bevollmächtigte der Klägerin an der Anfechtungsklage festgehalten. Der Klageantrag wurde auch nicht gem.§ 113 Abs. 4 VwGO umgestellt und es wurde nicht dargelegt, welches rechtliche Interesse die Klägerin an einer Entscheidung des Gerichts über den Bescheid noch hat, da sie offensichtlich nach den Ausführungen ihres Bevollmächtigten ihrer Verpflichtung aus dem Bescheid nachkommen will und nach Bescheiderlass ihr Geschäftsmodell für alle Wohnungen in München dauerhaft geändert hat.
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2. Hinsichtlich des neuen Nutzungskonzept, das zu dem hier für die Anfechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlass im August 2020 noch nicht existierte, liegt ebenfalls keine zulässige Klage vor, da ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
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a.) Zum einen ist das neue Nutzungskonzept nicht Verfahrensgegenstand der hier vorliegenden Anfechtungsklage, da es der Nutzungsuntersagung mangels Existenz nicht zugrunde lag. Verfahrensgegenstand der Anfechtungsklage ist nur die dem Bescheid zugrunde liegende Sach- und Rechtslage.
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b) Zum anderen hatte die Beklagte bisher keine ausreichende Möglichkeit, das geänderte Geschäftsmodell mit dem neuen Nutzungskonzept zu prüfen. Bis zur mündlichen Verhandlung lagen nur die seit März 2021 geltenden geänderten Mietverträge mit den fünf Untermietern vor, wonach durch Nachtrag zum Mietvertrag die Kündigungsfristen an die gesetzliche Rechtslage nach dem BGB angepasst wurden sowie das Ergebnis der Befragung eines Untermieters vom 30.Juni 2021, der die Angaben der Klägerin über das geänderte Nutzungskonzept für die hier verfahrensgegenständliche Wohnung bestätigte, jedoch keine Besichtigung ermöglichte und dies bereits vorher mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 25. Juni 2021 als Mitunterzeichner mitgeteilt hatte. Die Klägerin hat nach der Untersagung der Nutzung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung und Anordnung der Wiederbelegung zu Wohnzwecken durch den Bescheid der Beklagten vom 27.8.2020 die Änderungen ihres Nutzungskonzepts erstmals in der mündlichen Verhandlung ausführlich vorgestellt und ausführlich erklärt, dass diese Änderungen für alle Objekte in M. … auf Dauer durchgeführt werden. Bis zur mündlichen Verhandlung war weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass ein neues Nutzungskonzept für das gesamte Geschäftsmodell eingeführt wurde und nicht nur vorübergehend für die verfahrensgegenständliche Wohnung zur Vermeidung der Vollstreckung. Die Beklagte hatte deshalb bis dahin keine Gelegenheit zur Prüfung der geänderten Sach- und Rechtslage und in der mündlichen Verhandlung dazu erklärt, dass sie aus diesem Grund die Behauptungen der Klägerseite nur mit Nichtwissen bestreiten könne.
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Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage besteht nur dann, wenn der Rechtssuchende ein berechtigtes Interesse daran hat, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil er sein Ziel nicht auf einem einfacheren, billigeren Weg erreichen kann. Dazu gehört auch, dass bei einer Änderung der Sachlage zunächst die zuständige Behörde mit der Angelegenheit befasst wird und über den Fortbestand der Nutzungsuntersagung bei Änderungen entscheiden kann. Ein rechtliches Interesse daran, dass ein Gericht über den Fortbestand der Nutzungsuntersagung trotz nachträglicher Änderung der tatsächlichen Umstände entscheidet, besteht erst, wenn diese Prüfung der Behörde nicht zu einer Entscheidung im Sinne der Klägerseite führt.
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II. Ungeachtet der fehlenden Zulässigkeit und ohne dass es hier vorliegend darauf ankommt ist die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27.8.2020 darüberhinaus auch unbegründet.
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1. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung liegt eine „non liquet“ Situation vor, die wegen der Vereitelung der Beweiserhebung nach der Überzeugung der Kammer unter Zugrundelegung der Grundsätze der freien Beweiswürdigung im Verwaltungsprozess, § 108 VwGO, zu Lasten der Klägerin geht.
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a) Die Durchführung der Beweiserhebung durch Augenschein des Gerichts hat die Klägerin im Einvernehmen mit den fünf Untermietern vereitelt. Trotz eines Beweisbeschlusses der Kammer im gerichtlichen Verfahren hat die Klägerin die Besichtigung der Wohnung durch das Gericht nicht zugelassen und ihr Betretungsrecht nicht ausgeübt. Das gesetzlich nach Art. 4 ZwEWG bestehende Betretungsrecht einer Wohnung durch die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten verpflichtet die Klägerin als Mieterin ebenso wie die Untermieter der Wohnung als unmittelbare Besitzer nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im Verwaltungsprozess. Als Vermieterin hat die Klägerin ausserdem die zivilrechtliche Berechtigung, die Wohnung zu betreten und ihre Mieter müssen dies als vertragliche Nebenpflicht zum Mietvertrag dulden, §§ 241 Abs. 2, 242 BGB (AG München, U.v. 28.7.2020 - 473 C 6285/20 mit weiteren Nachweisen). Es bestehen keine Zweifel daran, dass eine durch ein Gericht angeordnete Beweiserhebung durch Augenschein ein solcher berechtigter Grund ist. Aus der Tatsache, dass die Untermieter das Betreten der Gemeinschaftsräume bereits schriftlich abgelehnt haben bevor das Gericht sie überhaupt gefragt hat und dass als Absendeort des Schreibens Berlin genannt wird steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin ihre Untermieter diesbezüglich zumindest ermuntert hat. Zugunsten der Mieter geht die Kammer davon aus, dass diese mit der hiesigen Rechtsordnung nicht vertraut sind. Für die Bevollmächtigten der Klägerin gilt dies nicht.
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b) Die Missachtung des Beweisbeschlusses hat zur Folge, dass nach den Grundsätzen der Beweiswürdigung im Verwaltungsprozess unter Berücksichtigung des hier kraft Gesetz angeordneten Verbots mit Befreiungsvorbehalt, Art. 1 Abs. 1 S.1 ZwEWG iVm § 5 Abs. 1 ZeS die Nichterweislichkeit der bestrittenen Tatsachen zu Lasten der Klägerin geht, da eine weitere Amtsermittlung wegen fehlender Mitwirkung auf Klägerseite nicht möglich war. Nach den Grundsätzen des Verantwortungsbereichs sind Tatsachen von demjenigen nachzuweisen, in dessen Verantwortungsbereich und Sphäre sie fallen. Bei Nichtaufklärbarkeit von Tatsachen wegen fehlender Mitwirkung geht dies zu Lasten desjenigen, aus dessen Verantwortungsbereich sie stammen (Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO,5. Auflage 2018, § 108 VwGO Rn.135). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung, ob trotz der nach überwiegender höchstrichterlicher Rechtsprechung für Fremdenverkehrsnutzung typischen beherbergungsmäßigen Ausstattung und Rundum-Versorgung eine WG vorliegt, war aus Gründen in der Sphäre der Klägerin im Gerichtsverfahren nicht möglich. Diese Feststellungen hat die Klägerseite verhindert. Ihre Behauptungen sind vielleicht wahr und vielleicht nicht wahr, der Sachverhalt existiert möglicherweise, möglicherweise aber auch nicht, weshalb eine „non liquet“ Situation besteht. Wenn wie hier in der Situation des non liquet ungewiss ist, ob die für eine Änderung erforderlichen Tatsachen vorhanden sind oder nicht, präferiert die beweislastrechtliche Grundregel den status quo. (Dawin in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 108 Rn.87, 97). Dies bedeutet bei dem hier nach Art.1 Abs. 1 S.1 ZwEWG kraft Gesetz bestehendem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt, dass die Nichterweislichkeit der Tatsache zu Lasten desjenigen geht, der eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15.Aufl.2019, § 86 Rn.5).
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c) Im Rahmen der Amtsermittlung konnte auf die Beweiserhebung durch Augenschein auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und nach Aktenlage aus folgenden Gründen nicht verzichtet werden:
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aa) Nach Aktenlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist nach wie vor lediglich bekannt, wer die aktuellen Mieter sind und seit wann sie in der hier verfahrensgegenständlichen Wohnung wohnen. Die für die rechtliche Beurteilung der zweckentfremdungsrechtlichen Nutzungsuntersagung und Wiederbelegungsanordnung entscheidungserheblichen näheren Umstände waren im Rahmen der Amtsermittlung nicht in gleich geeigneter Weise feststellbar. Es gehört zum prozessualen Grundwissen, das bloße Behauptungen einer Partei zur richterlichen Überzeugungsbildung im Verwaltungsprozess nicht ausreichen und dass der Augenschein ein zulässiges sowie geeignetes Beweismittel ist, wenn es um die örtlichen Verhältnisse geht.
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bb) Weiterhin offen und bestritten ist die Größe der Gemeinschaftsfläche (50 oder 100 qm). Die in der mündlichen Verhandlung vorhandenen und vorgelegten Pläne und Fotografien lassen die Größe gar nicht und die Anordnung der Flächen nur ungefähr erkennen. Die Erörterung anhand der Pläne ergab keine Klarheit. Da sich die Gemeinschaftsflächen über zwei Stockwerke, verbunden mit einer Treppe, erstrecken ist die Größe sowie die Anordnung für die Beurteilung eines Wohnens in Gemeinschaft von Bedeutung.
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cc) Bestritten und ungeklärt ist weiterhin die Ausstattung der Küche und der Gemeinschaftsflächen. Die vorgelegten Fotografien über die sparsam möblierten Räumlichkeiten geben keinen hinreichenden Aufschluss, da sie nicht erkennen lassen, ob überhaupt dort gewohnt wird. Es ist nicht feststellbar, dass die über zwei Stockwerke im Gang und Treppenhaus angeordneten Flächen mehr sein können als eine Gelegenheit zum Sitzen und Abstellen oder ob es sich tatsächlich um zum Wohnen nutzbare Gemeinschaftsflächen handelt. Ebenso lassen die Fotografien keinen Schluss darauf zu, ob die Küche überhaupt von irgendjemanden benutzt wird.
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dd) Offen ist nach wie vor, ob die Wohnung tatsächlich im Sinne einer eigenen Häuslichkeit bewohnt wird, da die vorgelegten Fotografien weitgehend leere und unpersönliche Räume zeigen, ähnlich z.B. dem Katalogbild einer Ferienwohnung. Maßgeblich für die Einordnung, ob eine Wohnung tatsächlich bewohnt oder nur als temporäre Unterkunft genutzt wird ist nach den Erfahrungen des Gerichts in erster Linie ein Augenschein. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung und ist offenkundig, dass ein bewohnter Eindruck nur durch das Vorhandensein von eigenen Gebrauchsgegenständen und Gebrauchsspuren entsteht, die für jedermann offensichtlich erkennbar sind, der einen eigenen Haushalt hat.
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3. Unterstellt, die Klage wäre zulässig, geht diese Nichterweislichkeit zu Lasten der Klägerseite und die Klage ist unbegründet. Da eine weitere Sachaufklärung aus Gründen in der Sphäre der Klägerin nicht möglich war ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung von einer gewerblichen Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken trotz einer mittlerweile im Durchschnitt etwas längeren, aber weiterhin befristeten Verweildauer der Bewohner auszugehen. Die Nutzungsuntersagung und Anordnung der Wiederbelegung zu Wohnzwecken nach dem Zweckentfremdungsrecht sind unter Berücksichtigung dieser Unaufklärbarkeit rechtmäßig.
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a) Rechtsgrundlage der angeordneten Untersagung der Nutzung zur Fremdenbeherbergung und der Anordnung zur Wiederbelegung zur Wohnnutzung ist Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz -ZwEWG-) i.V.m. § 13 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) vom 11. Dezember 2017; die aufgrund der Änderung vom 4. November 2019 (MüABl. S.452) ab dem 1. Januar 2020 geltende Fassung betraf nicht § 13 ZeS. Zweifelsfrei liegt Wohnraum im Sinne von § 3 ZeS vor. Die Wohnung wurde als Wohnraum genehmigt und nach Angaben des Wohnungseigentümers auch so genutzt.
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b) Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts, Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 ZeS, liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen vorliegt und nach dem Nutzungskonzept so angeboten wird. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines bestimmten Zwecks, aber einen vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt wird (BayVGH, B.v. 1.8.2016 - 12 CS 16.969). Dies ist aber auch dann der Fall, wenn der Aufenthalt zu einem bestimmten Zweck zwar von längerer Dauer ist, die angebotenen Leistungen und die Ausstattung jedoch beherbergungsgleich sind und die Vermietung der Deckung eines vorübergehenden Sonderbedarfs der Mieter dient (VG Berlin U v.4.3.2020 - 6 K 420.19). Maßstab ist zunächst die tatsächliche Möglichkeit und eine gewisse Dauer der eigenen Häuslichkeit in der Wohnung im Sinne einer Heimstatt im Alltag in Abgrenzung zu einer flexiblen, vorübergehenden Unterkunft ohne Verlegung des Lebensmittelpunkts in diese Unterkunft. Dafür entscheidend ist zunächst das Nutzungskonzept und das konkrete Geschäftsmodell des Wohnungsgebers sowie als Indiz die Nachhaltigkeit des Aufenthalts der Bewohner, wenn im konkreten Fall das Nutzungskonzept nicht eindeutig ist oder nicht umgesetzt wurde (VG Berlin, U. v. 4.3.2020 - 6 K 420.19). Wenn, wie hier, eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Küche und Gemeinschaftsflächen dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, kommt es maßgeblich auf das zugrunde liegende Nutzungskonzept und das konkrete Geschäftsmodell des Vermieters im Einzelfall dafür an, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt, da das Nutzungskonzept einem Boardinghouse gleicht oder ob es sich um eine Wohngemeinschaft der Nutzer handelt, die dort über einen längeren Zeitraum zumindest zeitweilig ihren Lebensmittelpunkt und sich entsprechend häuslich eingerichtet haben, da sie die Wohnung als ihre Heimstatt im Alltag betrachten (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.4.2019 - OVG 5 S 24.18; VG Berlin U.v.4.3.2020- - 6 K 420.19 und U.v.11.3.2020 - 6.L 441.19). Anknüpfungspunkt für eine Verlegung des Lebensmittelpunktes können die Regelungen des Bundesmeldegesetzes und des Umsatzsteuergesetzes als weiteres Indiz sein, die an eine Dauer von einem halben Jahr anknüpfen; soweit in der Rechtsprechung bayerischer Gerichte drei Monate als ausreichend angesehen wurden ist dies der Anlehnung an gesetzliche Regelungen anderer Bundesländer geschuldet. Ein Wohnheim ist nach § 3 Abs. 1 Satz 2 ZeS Wohnraum. Der Betrieb eines Boardinghouse ist bei entsprechender Hotelähnlichkeit nach ständiger Rechtsprechung ein Fremdenverkehrsbetrieb und gekennzeichnet durch ein Serviceangebot sowie eine flexible Mietdauer. Die Nutzung einer Wohnung durch eine Wohngemeinschaft zählt unter den Wohnbegriff, wenn ein entsprechendes Nutzungskonzept vorliegt und gelebt wird. Typisch dafür ist, dass mehrere Personen in einer Wohnung zusammenleben und sich Küche, Bad und die Kosten teilen. In Abgrenzung zur Zimmervermietung mit geteiltem Bad und Küchenmitbenutzung ist wesentlich, dass ein gemeinsamer Raum vorhanden ist, der gemeinsam bewohnt wird und in dem gelebt wird. Typisch für eine Wohngemeinschaft ist auch, dass die WG-Mitglieder Einfluss darauf haben, wer mit ihnen zusammenwohnt. Es gibt normalerweise im Interesse des Vermieters und der einzelnen Mieter einen Mietvertrag, der eine entsprechende WG-Nutzung vorsieht. Von einer WG kann außerdem nur ausgegangen werden, wenn die Bewohner unter Verzicht auf Teile ihrer Privatsphäre und Eigenständigkeit ein gemeinschaftliches Leben organisieren, Küche und Bad gemeinsam nutzen und sich selber versorgen um vor allem Wohnkosten zu sparen und nicht alleine zu leben.
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c) Die Abgrenzung hängt jeweils vom Einzelfall ab, wobei es für die Entscheidung der Behörde auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ankommt, dessen Voraussetzungen bei der hier vorliegenden Nutzungsuntersagung als Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung noch fortbestehen müssen. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben ein Co-Living-Konzept betrieben, dass sie selber als „Transformation bisher gebräuchlicher Wohnformen zu neuen Wohnkonzepten“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein gewerbliches Geschäftsmodell der zimmerweisen Vermietung möblierter Wohnungen an unterschiedliche Mieter, die überwiegend neu in der Stadt sind, mit Gemeinschafträumen, gemeinsamer Küche und gemeinsamen Bad zu einer erheblichen Inklusivmiete und nach dem zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Nutzungskonzept mit umfangreichem Service sowie der Bereitstellung einer ferienwohnungsähnlichen Grundausstattung und Versorgung mit den Verbrauchsgütern des täglichen Lebens. Die vorgelegten Mietverträge in ihrer ursprünglichen Form haben durch die kurzen Kündigungsfristen dem Modell einer kurzfristigen Vermietung entsprochen, weshalb nach § 549 Abs. 2 Nr.1 BGB die Mietpreisbremse und die Mieterschutzbestimmungen für dieses Konzept keine Rolle gespielt haben. Die Ausstattung und die Serviceleistungen waren hotelähnlich und gingen über eine möblierte Vermietung weit hinaus, da nach dem ursprünglichen Konzept der Antragstellerin die Grundversorgung mit Verbrauchsgütern des täglichen Lebens in Küche und Bad (Salz, Pfeffer, Öl, Essig, Zucker, Klopapier Seife etc) gestellt und diese monatlich aufgefüllt werden. Die begrenzte Aufenthaltszeit von unter drei Monaten eines Teils der Mieter und die Inserate, die sich ausdrücklich an Interessenten mit Wohnsitz im Ausland wenden, die neu zu einem bestimmten Aufenthaltszweck nach M. … kommen sind ein gewichtiges Indiz für das Nutzungskonzept einer vorübergehenden Unterkunft für Nutzer, die entweder keine Wohnnutzung suchen, also dem Wohnungsmarkt Wohnraum entziehen, oder Nachfrager auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt bleiben, weil sie weiter hin eine Wohnung suchen (VG Berlin U.v.4.3.2020 - 6 K 420.199).
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4. Dem Beschluss des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschwerdeverfahren vom 5.5.2021 (12 CS 21.564) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Die nach summarischer Prüfung im Eilverfahren getroffenen Feststellungen entsprechen nicht den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Parteien und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung. Die Rechtsache wirft auch nicht lediglich Rechts- oder Tatsachenfragen auf, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen lassen (BVerwG B.v.2.6.2021 - BVerwG 5 BN 1.21), da hier bereits die tatsächlichen Grundlagen strittig sind und deshalb von einer Beweiserhebung durch Augenschein mit anschließender mündlicher Verhandlung nicht abgesehen werden konnte. Die enge Anlehnung der Beschwerdeentscheidung an die Rechtsprechung des VG und OVG Berlin übersieht, dass die Landesgesetze unterschiedlich sind. Soweit sich dem Senat nicht erschließt, warum umfangreiche Serviceleistungen und die Bereitstellung von Essen und Verbrauchsgütern des täglichen Lebens untypisch für einen eigenen Haushalt sind (RN.10) besteht darin nicht nur ein deutlicher Widerspruch zu der herrschenden Rechtsprechung u.a. des erkennenden Senats, sondern erschließt sich auch außerhalb der rechtstheoretischen Diskussionen dem durchschnittlichen Erwachsenen nicht, der regelmäßig für die Eigenversorgung selbstständig verantwortlich ist.
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5. Ohne dass es hier darauf ankommt wird abschließend auch darauf hingewiesen, dass keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verwaltungsverfahren bestehen. Das Zweckentfremdungsrecht berechtigt die Beklagte zum Betreten von Wohnungen. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass Ortseinsichten sowie eine Befragung der Bewohner und die Anfertigung von Fotografien mit deren Einverständnis ein geeignetes Beweismittel sind. Soweit sich Mieter dadurch belästigt fühlen, ändert dies nichts an der Rechtslage und betrifft vor allem das Mietverhältnis zwischen den Mietern und der Klägerin; die Kammer ist ungeachtet dessen nicht der Auffassung, dass es ein unzumutbares Verwaltungsvorgehen ist, wenn bei Berufstätigen morgens gegen 8.00 Uhr an einem Werktag geklingelt wird.
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Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin im Verwaltungsverfahren ein Gespräch mit der Beklagten wünschte, sind diesbezügliche Irritationen durch die mündliche Verhandlung ausgeräumt worden.
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Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin einen Verstoß der Beklagten gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem Vorlageverfahren vom 22. September 2020 (C 724/18 und C 727/18) sieht, geht diese Annahme fehl. Es trifft nicht zu, dass der Europäische Gerichtshof nur bei einer Nichtverlegung des Wohnsitzes eine Zweckentfremdung angenommen hat; vielmehr hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine dem Zweckentfremdungsrecht entsprechende Regulierung des Wohnungsmarktes durch die Mitgliedsstaaten zulässig ist. Die Verlegung oder Nichtverlegung des Wohnsitzes war nicht Verfahrensgegenstand, sondern faktische Grundlage der Vorlage. Auch der Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg führt zu keinem anderen Ergebnis, da es sich dort um einen Fall vor Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots handelte (VGH BW v. 6.8.2020 - 3 S 1493/20).
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Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m §§ 708ff ZPO.