Titel:
Erfolglose Klage gegen Rundfunkbeitrag: Kein Eingriff in Arbeitnehmerfreizügigkeit
Normenketten:
AEUV Art. 45
RBStV § 2, § 4
Leitsatz:
Die Heranziehung zu dem Rundfunkbeitrag steht nicht in Widerspruch zu europäischem Recht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die in Art. 45 ff. AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. In der Erhebung des Rundfunkbeitrags im privaten Bereich, die an das Innehaben einer Wohnung anknüpft, liegt schon kein Eingriff in das Recht der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Selbst, wenn man das Vorliegen eines Eingriffs unterstellen würde, wäre dieser wegen zwingender Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. (Rn. 35 und 39)
Schlagworte:
Vereinbarkeit der Rundfunkbeitragspflicht im privaten Bereich mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach dem Recht der Europäischen Union, Rundfunkbeitrag, Wohnung, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Härtefall, privater Bereich, doppelte Inanspruchnahme
Fundstelle:
BeckRS 2021, 31513
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage zuletzt noch gegen einen Rundfunkbeitragsfestsetzungsbescheid und dessen Vollstreckung.
2
Unter der Beitragsnummer … war der Kläger ab dem 1. Januar 2013 bei dem Beklagten zum Rundfunkbeitrag angemeldet. Im Zeitraum von Januar 2013 bis Dezember 2016 bewohnte er eine Wohnung in der …, …; ab Dezember 2016 bewohnte er gemeinsam mit Frau … eine Wohnung in der …, … Die Wohnung in … wurde von dem Beklagten mit Ablauf des Monats Dezember 2016 abgemeldet. Für die Wohnung in … bezahlte Frau … die Rundfunkbeiträge.
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In den Jahren 2015 bis 2017 erließ der Beklagte folgende Festsetzungsbescheide:
- Festsetzungsbescheid vom 2. März 2015; festgesetzt wurden Rundfunkbeiträge für die Wohnung in der …, … und den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 30. November 2014, insgesamt 421,54 EUR (darin enthalten ein Säumniszuschlag von 8,- EUR).
- Festsetzungsbescheid vom 1. April 2015, festgesetzt wurden Rundfunkbeiträge für die Wohnung in der …, … und den Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis 28. Februar 2015, insgesamt 61,94 EUR (darin enthalten ein Säumniszuschlag von 8,- EUR).
- Festsetzungsbescheid vom 1. Februar 2016, festgesetzt wurden Rundfunkbeiträge für die Wohnung in der …, … und den Zeitraum vom 1. März 2015 bis 30. November 2015, insgesamt 165,98 EUR (darin enthalten ein Säumniszuschlag von 8,- EUR).
- Festsetzungsbescheid vom 4. März 2016, festgesetzt wurden Rundfunkbeiträge für die Wohnung in der …, … und den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis 29. Februar 2016, insgesamt 60,50 EUR (darin enthalten ein Säumniszuschlag in Höhe von 8,- EUR).
- Festsetzungsbescheid vom 2. September 2016, festgesetzt wurden Rundfunkbeiträge für die Wohnung in der …, … und den Zeitraum vom 1. März 2016 bis 31. August 2016, insgesamt 113,- EUR (darin enthalten ein Säumniszuschlag in Höhe von 8,- EUR).
- Festsetzungsbescheid vom 2. Oktober 2017, festgesetzt wurden Rundfunkbeiträge für die Wohnung in der …, … und den Zeitraum vom 1. September 2016 bis 31. Dezember 2016, insgesamt 78,- EUR (darin enthalten ein Säumniszuschlag in Höhe von 8,- EUR).
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Gegen die Festsetzungsbescheide vom 2. März 2015, 1. April 2015, 1. Februar 2016 und 4. März 2016 legte der Kläger mit Schreiben vom 31. März 2015, 1. Mai 2015, 29. Februar 2016 und 5. April 2016 Widerspruch ein. Gegen die Festsetzungsbescheide vom 2. September 2016 und 2. Oktober 2017 ging der Kläger nicht vor.
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Mit Schreiben vom 2. Januar 2018 beantragte der Beklagte bei der Gerichtsvollzieherverteilerstelle des Amtsgerichts … die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen über eine Forderung von 926,67 EUR. Neben den Beitragsforderungen aus den oben genannten Festsetzungsbescheiden in Höhe von 900,96 EUR waren weitere 25,71 EUR für nicht beigetriebene Vollstreckungskosten aus einem Vollstreckungsersuchen vom 1. August 2016 enthalten. Mit Schreiben vom 20. Januar 2018 wurde der Kläger durch den zuständigen Obergerichtsvollzieher zur Zahlung der Hauptforderung zuzüglich Gerichtsvollzieherkosten in Höhe von 47,65 EUR innerhalb von zwei Wochen aufgefordert. Für den Fall der nicht vollständigen Zahlung wurde der Kläger zur Abgabe der Vermögensauskunft geladen. Mit Schreiben vom 13. Februar 2018 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten, die Forderung sei fehlerhaft berechnet worden, da der Rundfunkbeitrag für Dezember 2016 von Frau … beglichen worden sei.
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Mit Schreiben vom 14. Februar 2016, das am selben Tag bei Gericht einging, erhob der Kläger
„Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO"
zu dem Amtsgericht … Daneben beantragte er, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, den Streitwert auf 250,- EUR festzusetzen, einen Normenkontrollantrag bei dem Bundesverfassungsgericht zu stellen und ein Vorabentscheidungsverfahren bei dem Europäischen Gerichtshof einzuleiten mit der Frage, ob der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV verletze.
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Der Kläger steht auf dem Standpunkt, für den Monat Dezember 2016 habe der Beklagte mehrfach den Rundfunkbeitrag verlangt. Von Januar 2013 bis Dezember 2016 habe er (der Kläger) sich zeitweise in Portugal aufgehalten. Sein Lohn habe nur knapp über dem deutschen Sozialhilfesatz gelegen. Wegen seines Aufenthalts habe er keine Sozialleistungen beziehen können. Dies folge aus § 24 SGB XII. Lediglich aus diesem Grund habe er keine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht verlangen können. Die Systeme des Rundfunkbeitragsrechts und des Sozialhilferechts widersprächen sich an dieser Stelle in unauflösbarer Weise. Dies könne nicht rechtmäßig sein. Es müsse überprüft werden, ob die Beweislastumkehr des § 2 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages rechtmäßig sei. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag mit europäischem Recht in Einklang stehe.
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Der Beklagte beantragte Klageabweisung und Abweisung des Eilantrags.
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Der Beklagte führte zur Begründung aus, Frau … entrichte seit 1. Dezember 2016 die Beiträge für die Wohnung in … Der Kläger habe aber bis zum 15. Dezember 2016 noch in … gewohnt, weshalb er für die Wohnung in … im Dezember 2016 noch rundfunkbeitragspflichtig gewesen sei. Es sei nicht ersichtlich, worauf sich die Klage sonst noch beziehe.
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Mit Beschluss vom 5. März 2018 hat das Amtsgericht … den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen und zur Begründung dargelegt, der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten stehe nicht offen. Eine gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde wurde von dem Landgericht … mit Beschluss vom 16. April 2018 als unbegründet zurückgewiesen.
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Das Gericht hat den Eilantrag des Klägers (geführt unter dem Aktenzeichen AN 6 E 18.00926) mit Beschluss vom 21. August 2018 abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Soweit sich der Kläger gegen die Vollstreckung der Festsetzungsbescheide vom 2. September 2016 und 2. Oktober 2017 wende, sei sein Antrag als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) zulässig, aber unbegründet. Die Rechtmäßigkeit der (bestandskräftigen) Bescheide werde im Vollstreckungsverfahren nicht mehr überprüft. Die Vollstreckungsvoraussetzungen lägen vor, daher sei ein Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht glaubhaft gemacht worden. Hinsichtlich der übrigen Bescheide sei der Eilantrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage (§ 80 Abs. 5 VwGO) zulässig, da die übrigen Bescheide nicht bestandskräftig seien. Es sei nicht ersichtlich, dass Widerspruchsbescheide ergangen seien. Der Antrag sei im Ergebnis unbegründet, da die Klage in der Hauptsache nur geringe Erfolgsaussichten habe. Ein (auch längerer) Auslandsaufenthalt stehe der Rundfunkbeitragspflicht nicht von vorneherein entgegen. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger in dieser Zeit seine Wohnung in … aufgegeben habe. Im Übrigen sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger allein wegen seines Auslandsaufenthalts nicht sozialhilfeberechtigt gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Eine gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. Oktober 2018 (Az.: 7 CE 18.1987) als unzulässig verworfen.
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Auf gerichtliche Anfrage hin teilte der Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 2021 mit, dass Widerspruchsbescheide nicht in der Beitragsakte ersichtlich seien, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass über die Widersprüche des Klägers nach wie vor nicht entschieden worden sei.
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Auf weitere Anfrage des Gerichts vom 26. August 2021 teilte der Beklagte am selben Tag mit, dass die Zwangsvollstreckung bereits abgeschlossen sei.
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In der mündlichen Verhandlung am 27. August 2021 nahm der Kläger seine Klage zurück, soweit sie gegen die Festsetzungsbescheide des Beklagten vom 1. April 2015, 1. Februar 2016, 4. März 2016, 2. September 2016 und 2. Oktober 2017 und deren Vollstreckung gerichtet war. Diesbezüglich hat das Gericht das Verfahren durch Beschluss vom 27. August 2021 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen AN 6 K 21.01596 eingestellt. Im Übrigen beantragte der Kläger, den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. März 2015 aufzuheben und ihm die bereits entrichteten Rundfunkbeiträge sowie die ihm in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten zurückzuerstatten.
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Ergänzend zu den bereits schriftlich vorgetragenen Gründen führte der Kläger aus: Er habe sich von Ende Mai 2013 bis Ende Oktober 2013 in Portugal aufgehalten. In dieser Zeit habe er den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht empfangen können. Er habe die Rundfunkgebühren für den portugiesischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie dort üblich, über die Stromrechnung gezahlt. Damit habe er seine Pflicht getan. Soweit er von dem Beklagten zum Rundfunkbeitrag verpflichtet werde, handle es sich um eine unzulässige doppelte Inanspruchnahme. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2018 festgestellt, dass nur einmal ein voller Beitrag eingezogen werden dürfe. Zudem könne man nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann nicht rundfunkbeitragspflichtig sein, wenn der Rundfunkempfang objektiv unmöglich sei. Außerdem habe er in Portugal ein Einkommen erzielt, das so gering gewesen sei, dass es unter dem deutschen Sozialhilfesatz liege. Diesbezüglich habe er bereits einen Steuerbescheid aus dem Jahr 2013, wegen dessen Inhalts auf die Gerichtsakte verwiesen wird, vorgelegt und er könne bei Bedarf auch Kontoauszüge aus dieser Zeit beibringen. Einen Antrag auf Sozialhilfe habe er in Deutschland nicht gestellt, da dies aussichtslos gewesen sei. Einen Befreiungsantrag habe er 2013 nicht gestellt. Aus den genannten Gründen sei die Erhebung des Rundfunkbeitrages in seinem Fall auch nach dem Recht der Europäischen Union nicht zulässig. Ihm gehe es maßgeblich darum, sich gegen seine Rundfunkbeitragspflicht zu wenden. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Niederschrift in der Gerichtsakte verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Rundfunkbeitragsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Gegenstand der Klage ist nach der Teilklagerücknahme lediglich noch der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. März 2015. Nach der klarstellenden Antragstellung des Klägers in der mündlichen Verhandlung handelt es sich um eine Anfechtungsklage.
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Gemäß § 102 Abs. 2 VwGO konnte auch in Abwesenheit des Beklagten verhandelt und entschieden werden, da in der Ladung zum Termin mündlicher Verhandlung hierauf hingewiesen worden war.
19
II. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die Klage ist als Anfechtungsklage, verbunden mit einem Annexantrag auf Beseitigung der Folgen der Vollstreckung, zulässig. Insbesondere ist der zuletzt noch angegriffene Festsetzungsbescheid noch nicht bestandskräftig, da der Kläger fristgerecht Widerspruch einlegte, über den nach Angabe des Beklagten noch nicht entschieden wurde.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Festsetzungsbescheid vom 2. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Der Auslandsaufenthalt des Klägers im Jahr 2013 steht einer Pflicht, Rundfunkbeitrag zu leisten, vorliegend nicht entgegen. Gemäß § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Als Wohnungsinhaber wird jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV). Diese melderechtliche Vermutung kann nicht dadurch widerlegt werden, dass ein - auch längerer - Auslandsaufenthalt vorgetragen wird. Solange die Wohnung nicht ausdrücklich aufgegeben wurde, besteht für den Inhaber jederzeit die Möglichkeit, in die Wohnung zurückzukehren und sie zu nutzen (vgl. VG Aachen, U.v. 19.9.2016 - 8 K 1897/14 - BeckRS 2016, 52772). Für die Wohnnutzung, an die die Rundfunkbeitragspflicht anknüpft, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, nicht darauf an, wieviel Zeit der Inhaber in der Wohnung verbringt. Da es nach der Konzeption der Rundfunkbeitragspflicht im privaten Bereich unerheblich ist, ob Rundfunkempfangsgeräte bereitgehalten werden oder ob der Beitragspflichtige das Rundfunkangebot tatsächlich nutzen will, ist es konsequent, dass auch ein vorübergehender Verzicht auf die tatsächliche Nutzung der Wohnung während eines (längeren) Auslandsaufenthalts erst recht nicht zur Beitragsfreiheit führen kann. Eine Wohnung wird daher bereits immer dann bewohnt im Sinne des Rundfunkbeitragsrechts, wenn der Inhaber die Wohnung jederzeit zum tatsächlichen Wohnen nutzen kann, weil er die hierfür erforderliche Verfügungsgewalt innehat (vgl. zu alledem BVerwG, U.v. 9.12.2019 - 6 C 20.18 - NVwZ-RR 2020, 510 ff, 511).
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Der Kläger hat weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass er seine Wohnung in … während der Zeit seines Aufenthalts aufgegeben hat. Er war also auch während dieser Zeit in der Lage, die Wohnung jederzeit zu betreten und zu Wohnzwecken zu nutzen; die melderechtliche Vermutung ist vor diesem Hintergrund nicht widerlegt.
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b) Bei dem Kläger liegt auch keine unzulässige doppelte Inanspruchnahme zu dem Rundfunkbeitrag vor.
25
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Rundfunkbeitragspflicht im privaten Bereich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 - juris; vgl. BayVerfGH, U.v. 15.5.2014 - Vf. 8-VII-12 - BeckRS 2014, 52739; vgl. BVerwG, U.v. 19.9.2016 - 6 C 19.16 - BeckRS 2016, 53756; vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 - 7 B 15.2547, 7 B 15.2557 - BeckRS 2017, 120736). Das Gericht folgt dieser Auffassung in ständiger Rechtsprechung und sieht auch im vorliegenden Fall keinen Grund, hiervon abzuweichen.
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Lediglich die doppelte Heranziehung zu mehr als einem Rundfunkbeitrag für eine Hauptwohnung und eine Nebenwohnung wurde von dem Bundesverfassungsgericht als ab Juli 2018 verfassungswidrig angesehen. Der Vorteil der Möglichkeit des Rundfunkempfangs, für den der Rundfunkbeitrag geschuldet wird, erhöhe sich nicht, wenn eine weitere Wohnung genutzt wird Mit der Heranziehung einer Person in der Erstwohnung sei der Vorteil abgeschöpft. (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 - juris Rn. 106 ff).
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bb) Eine doppelte Abschöpfung desselben Vorteils liegt nicht vor. Der Kläger wurde lediglich einmal für eine Wohnung in Deutschland zu dem Rundfunkbeitrag herangezogen. Für den Vorteil, das Rundfunkprogramm der deutschen Rundfunkanstalten nutzen zu können, leistete der Kläger nur einmal eine Gegenleistung. Dass er in Portugal für den dortigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Gebühr oder einen Beitrag erbrachte, ändert daran nichts; die Möglichkeit das von den dortigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angebotene Programm zu nutzen, ist mit dem Vorteil, das Programm der deutschen Rundfunkanstalten nutzen zu können, nicht identisch, sondern von ihm zu unterscheiden.
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c) Der Kläger kann gegen den angefochtenen Feststellungsbescheid auch nicht geltend machen, wegen des Vorliegens eines besonderen Härtefalles sei er nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV von der Rundfunkbeitragspflicht im streitgegenständlichen Zeitraum freizustellen.
29
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein zur Beitragsbefreiung führender Härtefall im Sinne des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV auch bei Beitragsschuldnern vorliegen, „die ein den Regelleistungen entsprechendes oder geringeres Einkommen haben und nicht auf verwertbares Vermögen zurückgreifen können, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen sind.“ (BVerwG, U.v. 30.10.2019 - 6 C 10/18 - juris, Rn. 26). Verfügt ein Beitragsschuldner also über ein niedriges Einkommen, das zum Bezug von Sozialleistungen berechtigen würde, ist er aber, weil eine andere Voraussetzung der Bewilligung dieser Leistungen nicht vorliegt, von der Leistung ausgeschlossen, so kann dies zur Beitragsbefreiung führen. Ein niedriges Einkommen allein genügt jedoch nicht.
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Zudem genügt das bloße Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nicht, um die Aufhebung eines Festsetzungsbescheids zu erreichen. In der oben genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2019 wurde ein von der Klägerin im damaligen Verfahren angefochtener Festsetzungsbescheid nicht aufgehoben, da die Klägerin in dem Zeitraum, für den Rundfunkbeiträge festgesetzt wurden, nicht von der Beitragspflicht befreit war. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte, es sei diesbezüglich unerheblich, ob ein Anspruch auf Befreiung bestanden habe oder nicht. Erst, wenn rückwirkend eine Befreiung tatsächlich gewährt werde, seien die betreffenden Beitragsfestsetzungsbescheide aufzuheben (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2019 - 6 C 10/18 - juris, Rn. 9 ff., insbesondere Rn. 13).
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Der Kläger war für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht von dem Rundfunkbeitrag befreit und er hatte zuvor auch keinen rechtzeitigen Befreiungsantrag gestellt, über den noch mit der Folge einer rückwirkenden Befreiung entschieden werden könnte. Erst 2015, nach Erlass des hier noch streitgegenständlichen Festsetzungsbescheides, wies er auf die Umstände hin, die nach seiner Auffassung nun eine Befreiung begründen müssten. Auch wenn man diesen Vortrag im Rahmen seiner Widerspruchsschrift wohlwollend zugunsten des Klägers als Befreiungsantrag werten würde, wäre er nach der Regelung des § 4 Abs. 4 RBStV in der damals geltenden Fassung - nach § 4 Abs. 4 Sätze 1 und 2 RBStV in der damals geltenden Fassung war eine rückwirkende Befreiung nur in äußerst engen Grenzen (zwei Monate) möglich - für den Zeitraum Mai bis Oktober 2013 zu spät gestellt worden.
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Auf die Fragen, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 RBStV vorliegen und welches Einkommen der Kläger während seines Aufenthalts in Portugal tatsächlich erzielte, kommt es vorliegend damit nicht an.
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d) Die Heranziehung zu dem Rundfunkbeitrag steht vorliegend auch nicht in Widerspruch zu europäischem Recht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die in Art. 45 ff. AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit vor.
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Nach Art. 45 AEUV ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gewährleistet (Art. 45 Abs. 1 AEUV). Dies legt den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen abzuschaffen (Art. 45 Abs. 2 AEUV). Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist, vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen, das Recht der Arbeitnehmer gewährleistet, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben und nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt (Art. 45 Abs. 3 AEUV).
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aa) In der Erhebung des Rundfunkbeitrags im privaten Bereich, die an das Innehaben einer Wohnung anknüpft, liegt schon kein Eingriff in das Recht der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
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(1) Zum einen liegt keine unzulässige Ungleichbehandlung vor. Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV sind unmittelbare und mittelbare Ungleichbehandlungen von Arbeitnehmern in Bezug auf die Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen untersagt (vgl. Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 45 AEUV, Rn. 45). Eine direkte Diskriminierung ist dabei nur dann gegeben, wenn gleiche Sachverhalte ausdrücklich aufgrund der Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers unterschiedlich behandelt werden (vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 245). Art. 2 RBStV knüpft aber keineswegs an die Staatsangehörigkeit eines Arbeitnehmers an. Ebenso wenig liegt eine mittelbare Diskriminierung im Sinne einer Regelung, die an ein formal neutrales Kriterium anknüpft, aber im Ergebnis eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit herbeiführt, vor. Weder trifft die Regelung des Art. 2 RBStV mit ihrer Anknüpfung an das Innehaben einer Wohnung Arbeitnehmer, die aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland kommen noch deutsche Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat als Arbeitnehmer tätig sind, in besonderer Weise und benachteiligt sie in Bezug auf ihre Tätigkeit als Arbeitnehmer (vgl. zur indirekten Diskriminierung Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 253). Die Anknüpfung an eine Wohnung ist nicht geeignet, die Mobilität von Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union zu fördern oder zu erschweren (vgl. zu diesem Kriterium Khan/Wessendorf, in: Khan/Geiger/Kotzur, EUV/AEUV, 6. Auflage 2017, Art. 45 AEUV, Rn. 42). Im Übrigen sind die Gruppen der Arbeitnehmer, die einen Wohnsitz im Inland innehaben und solche, für die dies nicht zutrifft, aufgrund dieses - arbeitsmarktneutralen - Merkmals so hinreichend unterschieden, dass von einer Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte jedenfalls im Rahmen des Rundfunkbeitragsrechts nicht gesprochen werden kann, denn die eine Gruppe verfügt über den Vorteil, das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dort nutzen zu können, die andere Gruppe nicht.
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(2) Auch ein Eingriff in das Recht der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne einer Beschränkung ist mit der Rundfunkbeitragspflicht für den privaten Bereich nicht gegeben.
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In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der Literatur ist anerkannt, dass Art. 45 AEUV auch unverhältnismäßigen Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die keine Diskriminierungen sind, entgegensteht (vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 187). Ausgehend von dem Zweck der Grundfreiheiten, die Integration des Binnenmarktes zu gewährleisten (vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 196 f), werden aber nur solche Bestimmungen oder Maßnahmen von Art. 45 AEUV als Beschränkungen grundsätzlich untersagt, die geeignet sind, Unionsbürger an der Aufnahme oder der Ausübung eines Berufs in einem anderen Mitgliedstaat zu hindern (vgl. Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 45 AEUV, Rn. 52). Die Regelungen des Rundfunkbeitragsrechts weisen ihrer Zweckrichtung und ihrer Wirkung nach keinen Bezug zu dem Europäischen Binnenmarkt auf; es handelt sich nicht einmal um Modalitäten der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es handelt sich bei der Rundfunkbeitragspflicht letztlich allenfalls um eine allgemeine Standortbedingung, die der Arbeitnehmer in seine Überlegungen wohl einbeziehen mag, obwohl sie seine Tätigkeit als Arbeitnehmer nicht unmittelbar berührt, die aber gerade wegen dieses fehlenden Arbeitsmarktbezugs hingenommen werden muss und die nicht nachträglich mit Verweis auf die europäischen Grundfreiheiten modifiziert werden kann (vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 210). Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anerkannt, dass Arbeitnehmer nicht davon ausgehen können, dass ihre Standortentscheidung hinsichtlich öffentlicher Abgaben (zu denen auch nichtsteuerliche Abgaben wie der Rundfunkbeitrag zählen müssen) neutral oder für sie günstig ist (vgl. auch hierzu Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 210). Entscheidet sich also ein Arbeitnehmer, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union berufstätig zu sein, aber weiterhin in einem anderen Mitgliedstaat eine Wohnung zu unterhalten, so hat er die entsprechenden abgabenrechtlichen Regelungen gegen sich gelten zu lassen; wünscht er eine Beitragspflicht zu vermeiden, muss die Standortentscheidung entsprechend modifiziert werden. Die Rundfunkbeitragspflicht erscheint im Übrigen nicht geeignet, Unionsbürger daran zu hindern, in Deutschland eine Tätigkeit aufzunehmen, und sie ist ebenfalls nicht geeignet, deutsche Staatsangehörige daran zu hindern, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Tätigkeit als Arbeitnehmer auszuüben.
39
bb) Selbst wenn man das Vorliegen eines Eingriffs unterstellen würde, wäre dieser gerechtfertigt.
40
(1) Anerkannt ist, dass Eingriffe in die Arbeitnehmerfreizügigkeit, jedenfalls soweit es sich nicht um direkte Diskriminierungen handelt, gerechtfertigt werden können, wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls den Eingriff erforderlich machen (vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 327).
41
(2) Die mit dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag verfolgte Zweckrichtung, eine angemessene Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern, auf die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Übrigen einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch haben, wäre jedenfalls als zwingendes Erfordernis des Gemeinwohls in diesem Sinne zu werten. Die Sicherung eines pluralistischen, nicht kommerziellen Rundfunks ist als schützenswertes öffentliches Anliegen zu werten (vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand 72. Ergänzungslieferung Februar 2021, Art. 45 AEUV, Rn. 380), dem hohe Bedeutung beizumessen ist und dem im vorliegenden Zusammenhang der Vorrang einzuräumen ist, da es sich bei der Rundfunkbeitragspflicht lediglich um eine Modalität handelt, die mit der Entscheidung, im Inland eine Wohnung innzuhaben, einhergeht, die Belastung verhältnismäßig gering ist und Doppelbelastungen, wie oben ausgeführt, auszuschließen sind.
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cc) Zusammenfassend steht das Gericht auf dem Standpunkt, dass weder eine relevante Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern noch ein auch nur ansatzweiser Binnenmarktbezug der Rundfunkbeitragspflicht im privaten Bereich gegeben ist, die Rundfunkbeitragspflicht lediglich ein binnenmarktneutraler Umstand ist, den ein Arbeitnehmer, der eine Wohnung im Bundesgebiet innehat, vorfindet, der aber weder den Zugang zu dem noch den Abgang von dem deutschen Arbeitsmarkt betrifft oder auch nur tatsächlich erschwert, sodass schon eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht gegeben ist. Eine solche wäre jedoch aufgrund zwingender Erfordernisse des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Angesichts dieser klaren Rechtslage ist eine Vorlage zu dem Gerichtshof der Europäischen Union im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht angezeigt. Eine Pflicht zur Vorlage besteht nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nicht (vgl. hierzu Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 267 AEUV, Rn. 29 f.).
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3. Da die Klage nach alledem bereits im Anfechtungsantrag abzuweisen war, ist auch der Annexantrag auf Beseitigung der Vollzugsfolgen nicht begründet.
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III. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 161 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO.