Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 13.09.2021 – B 7 K 21.428
Titel:

Kein Verdienstausfallentschädigung nach § 56 IfSG wegen quarantänebedingten Ausfalls von Mitarbeitern

Normenketten:
IfSG § 56 Abs. 1, Abs. 5
Manteltarifvertrag für medizinische Fachangestellte (MTV) § 10
Leitsätze:
1. Am Tatbestandsmerkmal des Verdienstausfalles gemäß § 56 Abs. 1 IfSG fehlt es, wenn der Arbeitnehmer für die gesamte Dauer des in Rede stehenden Quarantänezeitraums einen Lohnfortzahlungsanspruch unmittelbar seinem Arbeitgeber gegenüber hat (hier aus dem Arbeitsvertrag iVm § 10 MTV). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die für den Verdienstausfall anlassgebende Quarantäneanordnung für einen Ansteckungsverdächtigen ist ein in der Person dieses Arbeitnehmers liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 10 MTV ist sachlich nicht auf Fälle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beschränkt, sondern greift auch in allen übrigen Fällen subjektiver Leistungshindernisse, jedoch unabhängig von deren Dauer. Die Norm ist eine „Alles-oder-Nichts“-Vorschrift, dh bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen tritt die Fortzahlungspflicht für den gesamten Zeitraum bis zur festgelegten Höchstgrenze ein. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigungsanspruch, Covid-19-Pandemie, subjektives Leistungshindernis, tarifvertraglicher Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber
Fundstelle:
BeckRS 2021, 31136

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 IfSG wegen quarantänebedingten Ausfalls seiner Mitarbeiterinnen zu erstatten.
2
Der Kläger betreibt eine ärztliche Praxis in … bei … Die Arbeitsverträge der dort für den Kläger tätigen Mitarbeiterinnen enthalten jeweils folgende Passage:
㤠14
Soweit in diesem Arbeitsvertrag Regelungen nicht enthalten sind, gelten die Bestimmungen der tariflichen Abschlüsse in der jeweils gültigen Fassung, die von der „Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Medizinischen Fachangestellten“ mit Berufsverbänden und Gewerkschaften vereinbart worden sind.“
3
Im Manteltarifvertrag für Medizinische Fachangestellte (MTV) findet sich folgender
㤠10
Die Medizinische Fachangestellte/Arzthelferin hat bei unverschuldetem Arbeitsversäumnis infolge eines in ihrer Person liegenden Grundes sowie bei durch Unfall verursachter Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung des Gehaltes in Höhe von 100% bis zum Ende der sechsten Woche.“
4
Im November 2020 wurde ein Patient des Klägers positiv auf Covid-19 getestet. Im Rahmen der Kontaktnachverfolgung dieses Patienten ermittelte das Landratsamt …, dass er im bereits infektiösen Stadium in der Praxis des Klägers gewesen war. Daher ordnete das Landratsamt … vom 26.11.2020 bis zum 06.12.2020 die häusliche Quarantäne für die Mitarbeiterinnen des Klägers …Z …, …S …, …W … und … B … an. Die Mitarbeiterin …G …, deren Testergebnis positiv ausfiel, musste sich vom 27.11.2020 bis zum 06.12.2020 in häusliche Quarantäne begeben. Informationen über Symptome bei ihr liegen nicht vor.
5
Die Mitarbeiterinnen des Klägers waren daher für den genannten Zeitraum an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert; die Praxis des Klägers blieb infolgedessen geschlossen.
6
Am 08.12.2020 beantragte der Kläger für seine Mitarbeiterinnen …Z …, … S …, … W …, … B … und … G … jeweils den Ersatz der Verdienstausfallentschädigungen nebst Sozialleistungen nach § 56 und § 57 IfSG in Höhe von insgesamt 3.399,79 EUR.
7
Mit gleichlautenden Bescheiden vom 12.03.2021 hinsichtlich der Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W … und … B … sowie vom 16.06.2021 hinsichtlich der Mitarbeiterin … G … lehnte die Regierung von Oberfranken die Anträge auf Erstattung der Verdienstausfallentschädigung ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass kein Verdienstausfall vorliege, soweit die Arbeitnehmerinnen bereits nach anderen gesetzlichen, tariflichen, betrieblichen oder individualrechtlichen Grundlagen einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hätten. Da den Arbeitnehmerinnen des Klägers im geltend gemachten Zeitraum Entgeltfortzahlung aufgrund tariflich vereinbarter Lohnfortzahlungsansprüche gewährt werde, könne für diesen Zeitraum keine zusätzliche Entschädigung bzw. Erstattung des Verdienstausfalls nach § 56 Abs. 1 IfSG geltend gemacht werden.
8
Mit am 12.04.2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten ließ der Kläger gegen sämtliche Bescheide Klage erheben. Er beantragt zuletzt,
1.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Verdienstausfallentschädigung für die Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W …, … B … und … G … in Höhe von insgesamt 3.399,79 EUR zu erstatten.
2.
Die Bescheide vom 12.03.2021 mit den Aktenzeichen
- …,
- …,
- … und
- …
sowie der Bescheid v. 16.03.2021 mit dem Az. … werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
9
Die Begründung der ablehnenden Bescheide greife nicht. Dem Kläger stehe der Anspruch in Höhe der geltend gemachten Beträge zu, weil die Arbeitnehmerinnen des Klägers keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Kläger als Arbeitgeber hätten. Von den in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen sei keine erfüllt: Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber liege zum einen nicht nach § 3 Abs. 1 EFZG vor, weil keine der Mitarbeiterinnen - auch nicht die positiv getestete … G … - erkrankt gewesen sei.
10
Ein Anspruch aus § 10 MTV bestehe deshalb nicht, weil die Norm zu Gunsten der Arbeitnehmer die kurze Frist des § 616 BGB überbrücke, wonach sich lediglich für „nicht erhebliche Zeit“ ein Zahlungsanspruch ergeben solle, während im EFZG ein sechswöchiger Anspruch enthalten sei. Ferner ergebe sich die beabsichtigte Zielrichtung des § 10 MTV aus der ausdrücklichen Erwähnung von „100%“: Im Jahr 1996 sei die Lohnfortzahlung durch die damalige schwarz-gelbe Koalition von 100% auf 80% gekürzt worden. Die im Herbst 1998 gebildete rot-grüne Regierung habe ihr Wahlkampfversprechen dann eingelöst, diese Kürzung rückgängig zu machen. Gleichwohl hätten Gewerkschaften durchgehend und anhaltend größten Wert darauf gelegt, durch tarifliche Regeln wie § 10 MTV einen Schutzschirm für etwaige erneute Änderungen des EFZG zu spannen und die hundertprozentige Entgeltfortzahlung tarifvertraglich zu sichern. § 10 MTV konstituiere jedoch keinen dem Grunde nach über die Bestimmungen des EFZG oder von § 616 BGB hinausgehenden Anspruch, denn ein in der Person liegender Grund erfordere ein subjektives persönliches Leistungshindernis. Nicht erfasst seien ausdrücklich objektive Leistungshindernisse, welche ihren Ursprung gerade nicht in der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers hätten. Dazu würden auch Epidemien wie Covid-19 gehören. Dadurch, dass anzunehmen sei, dass sich das Virus nicht nur durch unmittelbaren Kontakt verbreite, sondern auch durch Aerosole übertragen werde, genüge der bloße kurze Aufenthalt einer Person am selben Ort mit einer erkrankten Person. Dies sei jedoch ein Umstand, der aus dem gewöhnlichen Arbeitsalltag nicht hinwegzudenken und für den Einzelnen nicht beherrschbar sei. Wenn in einem Betrieb ein Corona-Verdachtsfall bekannt werde, genüge dies, um die gesamte Belegschaft in Quarantäne zu schicken. Dadurch, dass als Voraussetzung einer behördlichen Maßnahme ein „Verdacht“ ausreichend sei, sei angesichts des Infektionsgeschehens auch von einer Vielzahl an Betroffenen auszugehen, mit der Folge, dass die Betroffenheit kein individuelles, sondern ein globales Phänomen sei. Auch die behördliche Anordnung sei kein in der Person liegender Grund. Denn wenn ein Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig erkrankt sei, dann liege der Grund für die Unmöglichkeit der Leistungserbringung ja gerade nicht bei ihm, sondern bei der Behörde, welche ihm durch die Aussonderung die Arbeit versage.
11
Gleiches gelte für § 616 BGB. Dieser liege bereits dem Grunde nach nicht vor, weil es sich bei der Anordnung eben nicht um ein subjektives Leistungshindernis handele. Vorsorglich und hilfsweise bewege sich nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung der Rechtsbegriff der „nicht erheblichen Zeit“ zwischen zwei und maximal fünf Tagen, keinesfalls länger.
12
Insofern liege hier ein Verdienstausfall vor, welcher zur Anwendbarkeit des § 56 IfSG führe. Ergänzend werde auf das Urteil des LG Münster v. 15.04.2021 - 8 O 345/20 - hingewiesen. Auch die dortigen Arbeitnehmer seien während einer vierzehntägigen Quarantäne nicht erkrankt gewesen, weshalb das LG weder nach § 3 EFZG noch nach § 616 BGB einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber festgestellt habe. Dieser Fall sei dem hiesigen vergleichbar.
13
Vorsorglich werde beantragt,
die Berufung zuzulassen, da es sich hier um einen Fall grundsätzlicher Bedeutung und von erheblicher Tragweite über den Einzelfall hinaus handele.
14
Die Regierung von Oberfranken beantragt für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
15
Die Arbeitnehmerinnen des Klägers hätten keinen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 IfSG erlitten. Nach Auffassung des Beklagten handele es sich bei einer gegenüber einer bestimmten Person ausgesprochenen infektionsschutzrechtlich begründeten Absonderung gem. § 28 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 IfSG i.V.m. der Allgemeinverfügung Isolation um einen in der Person des Betroffenen liegenden Grund in Form eines subjektiven Leistungshindernisses. Ausreichend sei dabei, dass die Verhinderung der Arbeitsleistung auf persönlichen Lebensumständen beruhe. Im Falle der Anordnung eine Quarantäne gehe eine mögliche Gefahr von dem Betroffenen aus, die Quarantäne knüpfe also an einen personenbezogenen Gefahrverdacht an. Ausschließlich aus diesem Grund werde die Absonderung angeordnet, die sich nur an einzelne Betroffene und nicht an die Allgemeinheit richte. Die Tatsache, dass viele Teile der Bevölkerung von Quarantäneanordnungen betroffen seien, ändere hieran nichts. Die Absonderung der Arbeitnehmerinnen des Klägers stelle für diese mithin einen von ihnen nicht verschuldeten, jeweils in ihrer Person liegenden Grund für ein Arbeitsversäumnis dar, sodass der Vergütungsanspruch aus § 10 MTV für eine Zeit von sechs Wochen - und damit insbesondere den Zeitraum der jeweiligen häuslichen Quarantäne - fortbestehe. Der Kläger habe dementsprechend im beantragten Zeitraum das Gehalt seiner Mitarbeiterinnen fortzuzahlen gehabt. Ein Verdienstausfall sei den Mitarbeiterinnen damit durch die Absonderung nicht entstanden, sodass ein Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht bestehe. Folglich könne der Kläger auch keine Erstattung nach § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG beanspruchen.
16
Mit Beschluss der Kammer vom 23.08.2021 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt hatten.
17
Zum Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift und zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die elektronisch übersandte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

18
1. Gegenstand der Klage sind fünf Klagebegehren, gerichtet jeweils auf Erstattung der Verdienstausfallentschädigung für die Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W …, … B … und … G … Die Begehren konnten im Wege der objektiven Klagehäufung zusammen verfolgt werden, da sie sich jeweils gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch die Regierung von Oberfranken, richten, inhaltlich in engem sachlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen und jeweils das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth zuständig ist (§ 44 VwGO).
19
2. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung für seine Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W …, … B … und … G … (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
20
Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG besteht schon deswegen nicht, weil die Arbeitnehmerinnen des Klägers keinen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erlitten haben. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung (vgl. zur Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Rahmen des § 56 IfSG grundlegend: VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 - B 7 K 21.110 - juris) erhält, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt gem. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG hat bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Auf Antrag werden dem Arbeitgeber von der zuständigen Behörde die ausgezahlten Beträge erstattet (§ 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG).
21
Am Tatbestandsmerkmal des „Verdienstausfalles“ fehlt es, wen die Arbeitnehmer für die gesamte Dauer des in Rede stehenden Quarantänezeitraums (hier vom 26. bzw. 27.11. bis 06.12.2020) einen Lohnfortzahlungsanspruch unmittelbar ihrem Arbeitgeber gegenüber haben. So liegt es hier, weil die Mitarbeiterinnen des Klägers diesem gegenüber Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 10 MTV i.V.m. mit § 14 des jeweiligen Arbeitsvertrages haben. Die Voraussetzungen für eine Lohnfortzahlung nach § 10 MTV bestehen dem Grunde nach (dazu unter lit. a) und decken auf der Rechtsfolgenseite den gesamten Quarantänezeitraum ab (dazu unter lit. b).
22
a) Dass § 10 MTV über die Bezugnahmeklausel in § 14 der Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen des Klägers in den vorliegenden Fällen Vertragsbestandteil ist, steht außer Frage und wird auch klägerseits nicht in Abrede gestellt. Auf der Tatbestandsseite der Norm steht als Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch, dass es seitens der Medizinischen Fachangestellten zu einem unverschuldeten Arbeitsversäumnis infolge eines in ihrer Person liegenden Grundes gekommen ist (auf die Tatbestandsalternative der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit kommt es ersichtlich nicht an). Beide Voraussetzungen - ein in der Person liegender Grund und fehlendes Verschulden - finden sich inhaltsgleich in § 616 BGB. Hierzu hat die Kammer bereits mit Gerichtbescheid vom 05.05.2021 (B 7 K 21.210 - juris Rn. 29 f.) grundsätzlich entschieden, dass die für den Verdienstausfall anlassgebenden Quarantäneanordnungen für Ansteckungsverdächtige ein in der Person des jeweiligen Arbeitnehmers liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses sind (ebenso NdsOVG, B.v. 2.7.2021 - 13 LA 258/21 - juris Rn. 10 unter Bestätigung von VG Oldenburg, U.v. 26.4.2021 - 7 A 1497/21 - juris Rn. 16; VG Koblenz, U.v. 10.5.2021 - 3 K 108/21.KO - juris Rn. 26; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 2.7.2021 - 10 K 547/21 - juris Rn. 20).
23
Die Kammer führte insoweit aus:
„Die Quarantäne, die für die Arbeitnehmerin als Ansteckungsverdächtige angeordnet wurde, ist ein in der Person der Arbeitnehmerin liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses (wohl h.M, vgl. schon BGH, U.v. 30.11.1978 - III ZR 43/77 - juris Rn. 20; so auch z.B. Henssler in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 616 Rn. 25; Bieder in: BeckOK BGB, Stand 01.02.2020, § 616 Rn. 17; Meßling in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, Covid-19-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 19 Rn. 10; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 414 f.; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140; Noack, NZA 2021, 251, 253; a.A. z.B. Klein, NJ 2020, 377, 378; Sievers, jM 2020, 189, 190; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018 f.). Denn auch wenn die Pandemie als solche ein globales und gesamtgesellschaftliches Ereignis ist, ist der Anlass der Quarantäneanordnung im Einzelfall in hohem Grade von der betroffenen Person und den jeweiligen Umständen abhängig. Erst eine konkrete, infektionsgefährliche Situation im Sinne eines „Kategorie-I-Kontakts“ oder ein positives Covid-19-Testergebnis kann zur Einordnung einer Person als „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtiger“ oder „Krankheitsverdächtiger“ führen und sie damit zum Adressaten einer Isolierungsanordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 i.V.m. § 31 IfSG machen. Gerade die Beurteilung der jeweiligen Kontaktsituation auf der Tatbestandsseite im Hinblick darauf, in welchem Maße eine Übertragungsgefahr besteht, erfordert eine umfassende individuelle Beurteilung der Gegebenheiten anhand zahlreicher Kriterien, wie z.B. Dauer und räumliche Nähe des Kontakts, Lüftungsverhältnisse, das Tragen von Masken etc. (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html, Stand 21.04.2021). Die bloße Möglichkeit, dass von einer gefährlichen Kontaktsituation im Einzelfall mehrere Personen betroffen sein können (z.B. durch eine Anreicherung infektiöser Aerosole im Raum) lässt das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Beurteilung der Infektionsgefahr für jeden Betroffenen nicht entfallen, ändert demgemäß auch nichts am Charakter der Quarantäneanordnung als individualisiertem, einzelfallabhängigen Verwaltungsakt und führt - mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Folgen - mithin auch ersichtlich nicht zu einem objektiven Charakter des daraus resultierenden Leistungshindernisses (nicht überzeugend daher Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623, 625 f.).“
24
Diese Ausführungen sind in den vorliegenden Fällen hinsichtlich der als Ansteckungsverdächtige abgesonderten Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W … und … B … sowie der als (in Ermangelung bekannter Symptome) Ausscheiderin abgesonderten … G … in gleicher Weise gültig.
25
Weitere Tatbestandsmerkmale enthält § 10 MTV nicht. Insbesondere fehlt im Vergleich zu § 616 BGB das Tatbestandsmerkmal der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“. Die zeitliche Höchstgrenze von sechs Wochen in § 10 MTV ist vielmehr, wie bei § 3 EFZG, klar ersichtlich auf der Rechtsfolgenseite verortet (vgl. zur Abgrenzung VG Bayreuth, GB v. 5.5.2021 - B 7 K 21.210 - juris Rn. 40). § 10 MTV verbindet insofern den Tatbestand des § 616 BGB mit der Rechtsfolge, wie sie sich auch bei § 3 EFZG ergibt. Die Anspruchsgrundlage ist sachlich - anders als § 3 EFZG - nicht auf Fälle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beschränkt, sondern greift - wie § 616 BGB - auch in allen übrigen Fällen subjektiver Leistungshindernisse, jedoch - anders als bei § 616 BGB - unabhängig von deren Dauer. Vielmehr ist die Norm - wie § 3 EFZG - eine „Alles-oder-Nichts“-Vorschrift, d.h. bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen tritt die Fortzahlungspflicht für den gesamten Zeitraum bis zur festgelegten Höchstgrenze ein (vgl. zu der vergleichbaren Vorschrift des § 19 des Berufsbildungsgesetzes - BBiG: VG Bayreuth, GB v. 19.5.2021 - B 7 K 21.80).
26
b) Die in Rede stehenden Quarantänezeiträume (26. bzw 27.11. bis 06.12.2020) liegen ersichtlich innerhalb der Höchstgrenze von sechs Wochen, für die die Fortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 10 MTV besteht. Auch ist den Arbeitnehmern hiernach der Arbeitslohn in voller Höhe auszuzahlen. Insofern verbleibt in keiner Hinsicht Raum für eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG.
27
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht.
28
4. Gründe für die vom Kläger angeregte Zulassung der Berufung liegen nicht vor. Namentlich liegt zur subjektiv-rechtlichen Eigenschaft der Quarantäneanordnung als Leistungshindernis bereits (auch ober-)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vor, die - soweit ersichtlich - in diesem Punk einheitlich ist. Die Frage, ob der Anspruch nach § 10 MTV auf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit beschränkt ist, beantwortet sich allein am (insoweit eindeutigen) Gesetzeswortlaut.