Titel:
Liposuktionsbehandlung nicht beihilfefähig
Normenketten:
BBhV § 6 Abs. 3 S. 1, § 51 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 5
BBG § 78
Leitsatz:
Liposuktionsbehandlungen sind zur Behandlung eines Lipödems wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beihilfefähigkeit einer Liposuktionsbehandlung, wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode (hier: verneint), keine Indikation, Beihilfe, Liposuktion, wissenschaftlich allgemein anerkannt, Indikation
Fundstelle:
BeckRS 2021, 31118
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Anerkennung von Aufwendungen für eine geplante Liposuktionsbehandlung der Ober- und Unterschenkel als beihilfefähig.
2
Die Klägerin ist Beamtin der Bundesagentur für Arbeit (BA). Mit Email vom 15.12.2019 begehrte sie die Kostenübernahme für ambulante Liposuktionen. Dies lehnte das BA-Service-Haus (BA-SH) mit Bescheid vom 15.01.2020 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das BA-SH zur Prüfung der medizinischen Notwendigkeit der Aufwendungen für eine Liposuktionsbehandlung (Ober- und Unterschenkel beidseits) anonymisiert ein ärztliches Gutachten nach Aktenlage eingeholt habe. Der Gutachter komme in seiner Stellungnahme vom 15.01.2020 zu dem Ergebnis, dass keine medizinische Indikation für eine Liposuktionsoperation bestehe. Diesem Gutachten schließe sich die Feststetzungsstelle an.
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In dem nach Aktenlage erstellten ärztlichen Gutachten des Dr. … (Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Thoraxchirugie/Chirurgische Intensivmedizin) vom 15.01.2010 heißt es, dass die klinischen Beschwerden mit Druckgefühl an den Beinen, Schmerzen an den Beinen, spontan auftretenden Hämatomen auf den sieben fotografischen Aufnahmen nicht erkennbar seien. Auch sei eine Disproportion zwischen schlankem Oberkörper und voluminöser unterer Körperhälfte auf diesen Fotoaufnahmen nicht ersichtlich. Erkennbar sei eine angedeutete Bauchdeckenfettsucht, eine angedeutete Vermehrung der Fettgewebssilhouette im Bereich des Gesäßes und der Oberschenkel. Die Achillessehnenlogen seien frei, die Fußrücken nicht gestaut. Eine erkennbare Aufstauung oder Weichteilmehrung im Bereich der Oberarme sei ebenfalls nicht ersichtlich. Unter Verweis auf die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in der aktuell gültigen Fassung stelle das Lipödem eine meist progrediente Erkrankung dar, die durch eine symmetrische Unterhautfettgewebsmehrung überwiegend der unteren, selten der oberen Extremitäten gekennzeichnet sei. Die Krankheit trete fast ausschließlich bei Frauen jenseits der Pubertät auf. Allerdings sei immer eine vorliegende Disproportion zwischen schlankem Oberkörper und voluminöser unterer Körperhälfte darzustellen. Die Veränderungen würden immer symmetrisch auftreten, wobei spezielle Verteilungsmuster charakteristisch seien. Die Fettgewebsmehrungen könnten vom Beckenarm bis zu den Sprunggelenken reichen und seien somit homogen über das ganze Bein verteilt (Säulenbein) oder würden sich muffartig gegenüber dem normal erscheinenden distalen Extremitätenteil hiervon absetzen (Türkenhosenphänomen). Zu diesem umfassend beschriebenen Krankheitsbild des Lipödems bestünden mehrere Differentialdiagnosen, so z. B. die Lipohypertrophie oder das distale Lymphödem bzw. die benigne symmetrische Lipomatose. Erstgenannte Veränderung der Lipohypertrophie sei keine Erkrankung, sondern allenfalls eine der Adipositas assoziierte Variante der Körperform. Die vorgelegten fotografischen Aufnahmen ließen die für die diagnostische Beurteilung des Lipödems charakteristischen Kriterien vermissen. Es bestehe eine angedeutete Stamm- und Bauchdeckenfettsucht und keine erkennbare Disproportion zwischen schlankem Oberkörper und voluminöser unterer Körperhälfte. Die aufgrund der beim Lipödem vorhandenen symptomatischen Blutergüsse durch Gefäßfragilität seien auf den vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar, weder aktuell noch als narbige Veränderung infolge einer früheren Hautunterblutung. Bezüglich der unteren Extremitäten bestünden weder ein Türkenhosenphänomen noch ein Säulenbein. Eine medizinische Indikation für eine Liposuktionsbehandlung sei nicht erkennbar.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 12.02.2020 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.01.2020. Diesen Widerspruch wies das BA-SH mit Bescheid vom 26.03.2020 zurück.
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Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 30.04.2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 15.01.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2020 zu verpflichten, die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine Liposuktionsbehandlung (Ober- und Unterschenkel beidseits) anzuerkennen und
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die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der ablehnende Bescheid vom 15.01.2020 und der Widerspruchsbescheid vom 26.03.2020 rechtswidrig und daher aufzuheben seien. Die Beklagte sei verpflichtet, die Beihilfefähigkeit der Liposuktionsbehandlung anzuerkennen. Mit fachärztlichem Gutachten der LipoClinic vom 18.11.2019 sei bescheinigt worden, dass bei der Klägerin diagnostisch gesichert ein Lipödem vorliege und aus medizinischer Sicht eine Therapie durch Lipo-Dekompression indiziert sei, da die bis dahin unternommenen alternativen Behandlungsmethoden nur symptomatische Wirkung gezeigt hätten. Der operative Eingriff solle insbesondere die Entstehung von Folgeerkrankungen verhindern. Der Inhalt des fachärztlichen Gutachtens der LipoClinic vom 18.11.2019 werde durch die Anamnese des Facharztes für Innere Medizin, Dr. …, vom 23.09.2019 bestätigt. Das seitens der Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten beschränke sich auf eine Beurteilung nach Aktenlage und sei durch einen hierfür nicht spezialisierten Arzt, Herrn Dr. …, der Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Thoraxchirurgie und chirurgische Intensivmedizin sei, erstellt worden. Dieser gelange lediglich anhand von Bildmaterial zu der Annahme, dass typische Veränderungen und erkennbare Disproportionen zwischen Oberkörper und unterer Körperhälfte nicht vorhanden seien. Allein hieraus schließe er, dass eine medizinische Indikation für eine Liposuktionsbehandlung nicht erkennbar sei. Dieser Rückschluss, getroffen durch einen Arzt für Chirurgie, sei falsch und widerspreche klar der eindeutigen Anamnese der LipoClinic und des behandelnden Facharztes für Innere Medizin, Dr. … Sowohl die LipoClinic als auch Dr. … würden ausführen, dass anhaltende rezidivierende Schmerzen, Spannungsgefühl und Berührungsempfindlichkeit vorlägen. Auf diese Thematik gehe die Begutachtung nach Aktenlage durch Herrn Dr. … nicht ansatzweise ein. Auf dieser Basis sei die Entscheidung der Beklagten nicht tragfähig. Entsprechend der eindeutigen Anamnese des Herrn Dr. … liege ein Lip-Lymphödem Stadium II vor, bei welchem der operative Eingriff medizinisch angezeigt und notwendig sei. Mithin seien die Aufwendungen beihilfefähig. Allein der Umstand, dass nicht äußerst ausgeprägte äußere Erscheinungen eines typischen Lipödems vorlägen, führe nicht dazu, dass die Erkrankung selbst nicht bestehe. Im Gegenteil sei das Lip-Lymphödem Stadium II zweifelsfrei diagnostiziert.
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Für die Beklagte beantragt die Bundesagentur für Arbeit mit Schriftsatz vom 02.06.2020,
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass nach § 6 Abs. 1 der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig seien. Insoweit gelte § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) entsprechend. Danach müsse eine Behandlung notwendig sein, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Folglich seien nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zu § 6 BBhV, Nr. 6.1.1, Leistungen lediglich auf Verlangen, wie z. B. medizinisch-ästhetische Leistungen (sogenannte Schönheitsoperationen), nicht notwendig, weil kein therapiebedürftiger krankheitswerter Zustand vorliege. Das seitens der Beihilfestelle eingeholte ärztliche Gutachten vom 15.01.2020 sei zu dem Ergebnis gelangt, dass eine medizinische Notwendigkeit nicht vorliege. Aus der Gutachtenlage ergebe sich daher nach Auffassung der Beihilfestelle der Beklagten keine weitere Veranlassung. Der pauschale Angriff der Klägerin gegen die gutachterlichen Feststellungen könne nicht durchgreifen. Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters seien nicht ersichtlich. Allein das Bestreiten der Bindungswirkung des Gutachtens der ... C. GmbH, erstellt von Herrn Dr. …, aufgrund der Beurteilung nach Aktenlage vermöge kein Abweichen von der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb vorliegend eine nochmalige persönliche Begutachtung der Klägerin hätte erfolgen sollen. Zudem hätten dem Gutachter zum Zeitpunkt der Begutachtung alle von der Klägerin beigebrachten Unterlagen vorgelegen. Soweit nicht jede Ausführung der behandelnden Ärzte der Klägerin in dem Gutachten des Herrn Dr. … aufgegriffen worden sei, sei dies möglicherweise auf die fehlende Entscheidungsrelevanz zurückzuführen. Die nach Begutachtung seitens der Klägerin beigebrachte Unterlage des behandelnden Arztes Dr. … vom 26.01.2020 beinhalte nach Auffassung der Beklagten keine neuen Symptome, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden. Die Kostenübernahme sei daher zu Recht abgelehnt worden.
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Mit Schriftsatz vom 02.06.2020 erklärte die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 19.06.2020 verzichtete der Klägerbevollmächtigte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Weiter führte er aus, dass eine solche vor Erhebung eines entsprechenden gutachterlichen Befundes nicht erforderlich erscheine. Die seitens der Beklagten eingeholte gutachterliche Stellungnahme sei nicht tragfähig, da sie nicht durch einen Facharzt der betreffenden „Disziplin“ erstellt worden sei; Dr. … sei kein Facharzt für Gefäßerkrankungen. Auch seien wesentliche Aspekte wie anhaltender rezidivierender Schmerz, Spannungsgefühl und Berührungsempfindlichkeit sowie spontane Hämatome durch Herrn Dr. ... nicht beachtet worden. Dabei handele es sich jedoch um wesentliche Aspekte für die Notwendigkeit der Aufwendungen im beihilferechtlichen Sinne. Die widersprüchlichen gutachterlichen Äußerungen seien nur durch eine entsprechende gerichtlich angeordnete Begutachtung aufklärbar.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Behördenakte, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Entscheidungsgründe
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Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Bescheid der Beklagten vom 15.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Liposuktionsbehandlungen sind zur Behandlung eines Lipödems bereits wissenschaftlich nicht anerkannt (dazu unter 1). Im Übrigen läge bei der Klägerin - die wissenschaftliche Anerkennung des betreffenden Verfahrens unterstellt - schon keine medizinische Indikation für die begehrte Liposuktion vor (dazu unter 2).
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1. Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig.
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Aufwendungen sind dem Grunde nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dienen. Dabei setzt die Notwendigkeit von Aufwendungen für Untersuchungen und Behandlungen grundsätzlich voraus, dass diese nach einer wissenschaftlich anerkannten Methode vorgenommen werden, § 6 Abs. 4 Satz 1 BBhV. Eine Behandlungsmethode ist wissenschaftlich allgemein anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Mehrheit in der medizinischen Wissenschaft, namentlich den Wissenschaftlern der betreffenden medizinischen Fachrichtung, für die Behandlung der jeweiligen Krankheit, d.h. zu ihrer Heilung oder zur Linderung von Krankheitsfolgen, als geeignet und wirksam angesehen wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.3.1984 - 2 C 2.83 - juris Rn. 3; U.v. 29.6.1995 - 2 C 15.94 - juris; B.v. 15.7.2008 - 2 B 44.08 - juris Rn. 4; NdsOVG, U.v. 25.5.2004 - 5 LB 15/03 - juris Rn. 22). Das setzt Folgendes voraus: Um „anerkannt“ zu sein, muss einer Behandlungsmethode von dritter Seite - also von anderen als dem/den Urheber(n) - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zu Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um „wissenschaftlich“ anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um „allgemein“ anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Somit ist eine Behandlungsmethode dann „wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt“, wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.1995 - 2 C 15.94 - juris Rn. 16; NdsOVG, U.v. 14.9.2004 - 5 LB 141/04 - juris Rn. 29).
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Von einer wissenschaftlich allgemein anerkannten Behandlungsmethode kann deshalb nur dann ausgegangen werden, wenn eine ausreichende Zahl zuverlässiger und wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen aus der Fachwelt vorliegt. Diese Aussagen müssen wiederum auf einer ausreichenden Anzahl von qualitativ überzeugend dokumentierten Behandlungsfällen beruhen, die den Erfolg der Behandlungsmethode objektivierbar machen. Zum Nachweis besonders geeignet sind deshalb methodisch hochwertige, kontrollierte klinische Studien. Liegen derartige Studien nicht vor, können andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien herangezogen werden. Schließlich sind im Sinne einer Gesamtbetrachtung wissenschaftlich fundierte Expertenmeinungen zu berücksichtigen (vgl. NdsOVG, U.v. 22.1.2013 - 5 LB 50/11 - juris Rn. 30).
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Gemessen daran kann die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems nicht als wissenschaftlich allgemein anerkannt angesehen werden (vgl. BSG, U.v. 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - juris; NdsOVG, U.v. 22.1.2013 - 5 LB 50/11 - juris Rn. 31; VG Köln, U.v. 2.2.2017 - 1 K 1983/16 - juris Rn. 21, 27). Es fehlt an klinischen Untersuchungen und Studien, die hinsichtlich ihrer Methodik wissenschaftlichen Ansprüchen genügen (vgl. NdsOVG, U.v. 22.1.2013 - 5 LB 50/11 - juris Rn. 31 m.w.N.). Auch die „S1-Leitlinie Lipödem“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) geht nach wie vor von einer konservativen Therapie als Standardtherapie aus (S. 12). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat zwar im Januar 2018 wegen der schlechten Studienlage zu den Vor- und Nachteilen einer Liposuktion beim Lipödem eine eigene Erprobungsstudie beschlossen (vgl. https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/811/). Auch können Patientinnen, die an einem Lipödem im Stadium III leiden, zukünftig unter bestimmten Bedingungen mit einer Liposuktion ambulant oder stationär zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden. Allerdings ist der Einschluss der Methode zunächst bis zum 31.12.2024 befristet, da bis zu diesem Zeitpunkt die Ergebnisse der vom G-BA in die Wege geleiteten Erprobungsstudie beim Lipödem erwartet werden. Sobald die Studienergebnisse vorliegen, wird der G-BA abschließend zur Methode für alle Stadien der Erkrankung entscheiden. Mithin kann auch der seitens der Gesetzlichen Krankenversicherung nunmehr praktizierten Übung der Kostenübernahme bei Patientinnen und Patienten mit einem Lipödem des Stadiums III nicht entnommen werden, dass Liposuktionsbehandlungen im Falle eines Lipödems wissenschaftlich anerkannt wären. Selbst wenn man einen wissenschaftlichen Standard in Behandlungsfällen beim Lipödem Stadium III annehmen würde, könnte dies der Klägerin - bei der nach den Ausführungen der sie behandelnden Ärzte ein Lipödem des Stadiums II vorliegen soll - nicht zum Erfolg ihrer Klage verhelfen.
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Ein Anspruch der Klägerin folgt schließlich nicht aus der durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten und in § 78 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) normierten beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn. In der verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Beihilfe in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört (vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225; BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 5 C 3.12 - juris). Die Gewährung von Beihilfe findet jedoch ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. BVerfG, B.v. 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 - BVerfGE 83, 89). Entscheidet sich der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch Zahlung von Beihilfen nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutreten, so muss er gewährleisten, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine ihm zumutbare Eigenversorgung nicht absichern kann; eine lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht jedoch nicht. Die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht hindert den Dienstherrn grundsätzlich nicht, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. Der Dienstherr kann grundsätzlich bestimmte Behandlungsmethoden ganz oder teilweise von der Beihilfe ausschließen, solange er dadurch den Maßstab des medizinisch Gebotenen nicht unterschreitet (BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 5 C 3.12 - juris m.w.N.). Dementsprechend verlangt die Fürsorgepflicht von dem Dienstherrn nur in Ausnahmefällen, die Kosten einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode zu erstatten. Die Verpflichtung besteht dann, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit - z. B. unbekannter Genese - noch nicht herausgebildet hat, wenn im Einzelfall - z. B. wegen einer Gegenindikation - das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist. Unter diesen Voraussetzungen wird ein verantwortungsbewusster Arzt auch solche Behandlungsmethoden in Erwägung ziehen, die nicht dem allgemeinen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, aber nach ernst zu nehmender Auffassung noch Aussicht auf Erfolg bieten und die Aussicht besteht, dass eine solche Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt wird (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1995 - 2 C 15.94 - juris Rn. 20f.; NdsOVG, B.v. 14.9.2004 - 5 LB 141/04 - juris Rn. 31; U.v. 22.1.2013 - 5 LB 50/11 - juris Rn. 34).
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Auch unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die geplanten Aufwendungen der Klägerin für eine Liposuktion nicht beihilfefähig. Für das Lipödem steht mit der kombinierten physikalischen Entstauungstherapie - bestehend insbesondere aus einer manuellen Lymphdrainage sowie einer Kompressionstherapie - eine die Beschwerden lindernde bzw. beseitigende Therapie zur Verfügung, die wissenschaftlich allgemein anerkannt ist. Zwar beseitigt diese konservative Therapie das Lipödem nicht. Dies gilt jedoch gleichermaßen für die seitens der Klägerin geplante Liposuktion, die das krankhaft vermehrte Fettgewebe lediglich reduziert. Auch insoweit handelt es sich - wie bei der konservativen Therapie - nicht um eine kausale Therapie, sondern um eine Behandlung der belastenden Folgen der Erkrankung (vgl. NdsOVG, U.v. 22.1.2013 - 5 LB 50/11 - juris Rn. 35f.).
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Bei der Bewertung der wissenschaftlichen Anerkennung einer Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems war nicht - wie von Klägerseite schriftsätzlich angeregt - ein Sachverständigengutachten einzuholen. Unter Zugrundelegung des derzeitigen Standes der Wissenschaft, insbesondere angesichts des Fehlens klinischer Studien zum längerfristigen Nutzen von Liposuktionsbehandlungen, ist jedenfalls festzuhalten, dass die längerfristige Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlung in den einschlägigen Fachkreisen zumindest uneinheitlich beurteilt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Einholung der Meinung eines einzelnen Sachverständigen kein geeignetes Beweismittel zur Klärung der maßgeblichen Frage. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass vorliegend auch keine Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung über den Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO bestand. Denn die Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung gilt im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge. Zwar gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 6.9.2011 - 9 B 48.11 - NVwZ 2012, 376 Rn. 10; U.v. 28.11.1962 - 4 C 113.62 - BVerwGE 15, 176 [176]). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Beweisantrag - wie hier - vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 - 1 B 15.13 - juris Rn. 7; B.v. 29.3.1979 - 7 B 27.78).
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2. Im Übrigen geht das Gericht unter Zugrundelegung der überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des seitens der Festsetzungsstelle eingeholten Gutachtens vom 15.01.2020 davon aus, dass die Klägerin schon nicht an einem Lipödem Stadium II leidet.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die medizinische Notwendigkeit von Aufwendungen für eine ärztliche Behandlung grundsätzlich der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, auch wenn regelmäßig der Beurteilung des verordnenden Arztes zu folgen sein wird, weil dieser über die erforderliche Sachkunde verfügt (BVerwG, U.v. 27.3.2012 - 2 C 46.10 - Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 23 Rn. 13 m.w.N.).
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Die zur Entscheidung über die Notwendigkeit von Aufwendungen berufene Festsetzungsstelle (§ 51 Abs. 1 Satz 1 BBhV) darf demnach zwar davon ausgehen, dass Aufwendungen, die auf einer ärztlichen Behandlung oder Verordnung beruhen, aufgrund der Sachkunde des Arztes in der Regel auch als medizinisch geboten zu betrachten sind. Dies nimmt der Festsetzungsstelle jedoch weder das Recht noch entbindet es sie davon, in Zweifelsfällen die medizinische Notwendigkeit einer (weiteren) Überprüfung zu unterziehen. Hat die Festsetzungsstelle aufgrund bestimmter tatsächlicher Umstände Zweifel an der Notwendigkeit geltend gemachter Aufwendungen und kann sie mangels eigener Sachkunde diese Zweifel nicht ausräumen, darf sie etwa Gutachten einholen oder Sachverständige heranziehen (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BBhV) und kann gegebenenfalls auf der Grundlage einer solchen Sachverhaltsaufklärung die medizinische Notwendigkeit von Aufwendungen trotz vorhergehender ärztlicher Verordnung verneinen (vgl. BVerwG, B.v. 22.8.2018 - 5 B 3/18 - juris Rn. 10).
24
Dies zugrunde gelegt hat die Beklagte vorliegend ein ärztliches Gutachten zur medizinischen Indikation einer Liposuktionsoperation in Auftrag gegeben. Der begutachtende Chirurg verwies in seinen Ausführungen vom 15.01.2020 zunächst auf die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in der aktuell gültigen Fassung, wonach das Lipödem eine meist progrediente Erkrankung darstelle, die durch eine symmetrische Unterhautfettgewebsmehrung überwiegend der unteren, selten der oberen Extremitäten gekennzeichnet sei. Die Krankheit trete fast ausschließlich bei Frauen jenseits der Pubertät auf. Allerdings sei immer eine vorliegende Disproportion zwischen schlankem Oberkörper und voluminöser unterer Körperhälfte darzustellen. Die Veränderungen würden symmetrisch auftreten, wobei spezielle Verteilungsmuster charakteristisch seien. Die Fettgewebsmehrungen könnten vom Beckenarm bis zu den Sprunggelenken reichen und sich somit homogen über das ganze Bein verteilen (Säulenbein) oder aber sich muffartig gegenüber dem normal erscheinenden distalen Extremitätenteil hiervon absetzen (Türkenhosenphänomen). Die fotografischen Aufnahmen der Klägerin ließen die für die diagnostische Beurteilung des Lipödems charakteristischen Kriterien vermissen. Es bestehe eine angedeutete Stamm- und Bauchdeckenfettsucht und keine erkennbare Disproportion zwischen schlankem Oberkörper und voluminöser unterer Körperhälfte. Die aufgrund der beim Lipödem vorhandenen symptomatischen Blutergüsse durch Gefäßfragilität seien auf den vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar, weder aktuell noch als narbige Veränderung infolge einer früheren Hautunterblutung. Bezüglich der unteren Extremitäten bestehe weder ein Türkenhosenphänomen noch ein Säulenbein. Daher sei eine medizinische Indikation für eine Liposuktionsbehandlung nicht erkennbar.
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Diesen überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des ärztlichen Gutachters schließt sich die Kammer an. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch die Entscheidung darüber, ob ein - weiteres - Gutachten eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts (§ 98 VwGO i.V.m. §§ 404, 412 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn die bereits vorliegenden Gutachten nicht den ihnen obliegenden Zweck zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinn kann ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2014 - 14 ZB 11.2115 - juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 17.11.2015 - 14 ZB 15.1283 - juris Rn. 12). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Soweit der Klägerbevollmächtigte darauf hinweist, das Gutachten sei nur nach Aktenlage erstellt worden, legt er nicht dar, inwieweit es dadurch mangelhaft sein könnte. Es wird insbesondere nicht gerügt, dass dem Gutachter nicht alle zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit erforderlichen Unterlagen vorgelegen haben. Auch kann den Ausführungen der Klägerseite nicht entnommen werden, dass mit einer körperlichen Untersuchung der Klägerin durch den ärztlichen Gutachter ein weiterer Erkenntnisgewinn verbunden gewesen wäre. Auch soweit von Klägerseite die Sachkunde des Gutachters in Zweifel gezogen wird, sind belastbare Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Der begutachtende Mediziner ist Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Thoraxchrirugie und chirurgische Intensivmedizin. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss geht davon aus, dass zur Indikationsstellung und Durchführung der Liposuktion Fachärztinnen und Fachärzte für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie sowie andere operativ tätige Fachärztinnen und Fachärzte berechtigt sind (vgl. § 5 Abs. 2 des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - SGB V - bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III). Mithin verfügt auch der hier tätig gewordene Chirurg über die erforderliche Sachkunde, zumal er seiner Begutachtung die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in ihrer aktuell gültigen Fassung zugrunde gelegt hat.
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Soweit der Klägerbevollmächtigte schließlich darauf verweist, dass die LipoClinic in ihrem Fachärztlichen Gutachten vom 18.11.2019 sowie der die Klägerin behandelnde Facharzt für Innere Medizin in seiner Stellungnahme vom 23.09.2019 zu der Diagnose eines Lipödems Stadium II bei der Klägerin gelangt seien, kann er auch mit dieser Argumentation nicht durchdringen. Denn den Einschätzungen der behandelnden Ärzte kommt im Vergleich zu dem von der Festsetzungsstelle eingeholten ärztlichen Gutachten ein geringerer Beweiswert zu. Dies hat seinen Grund in der Neutralität und Unabhängigkeit des beauftragten Gutachters. Im Gegensatz zum behandelnden Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen seines Patienten zu ihm zu erhalten, nehmen beauftragte Gutachter ihre Beurteilungen von ihrer Aufgabenstellung her unbefangen und unabhängig vor und stehen sowohl dem Beamten wie auch der Dienststelle gleichermaßen fern (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.10.2002 - 1 D 3.02 - und v. 11.10.2006 - 1 D 10.05 - beide juris).
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch die Beklagte vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.