Titel:
Kroatischer Staatsangehöriger, Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, Langjährige Haftstrafe, Schwerer Bandendiebstahl
Normenketten:
FreizügG/EU § 6
§ 7 FreizügG/EU Art. 6 GG Art. 8 EMRK
Schlagworte:
Kroatischer Staatsangehöriger, Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, Langjährige Haftstrafe, Schwerer Bandendiebstahl
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.10.2021 – 10 ZB 21.2298
Fundstelle:
BeckRS 2021, 30917
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen den Verlust seines Freizügigkeitsrechts verbunden mit einer 7-jährigen Wiedereinreisesperre.
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Der Kläger ist kroatischer Staatsangehöriger. Er wuchs in Kroatien bei seinen Eltern mit seiner älteren Schwester auf. Aus einer geschiedenen Ehe hat er eine Tochter. Nähere Angaben zum Leben des Klägers in Kroatien sind nicht bekannt. Der Kläger reiste erstmals Anfang 2016 ins Bundesgebiet ein, arbeitete zunächst bei einer Firma als Security Mitarbeiter, begann dann ab Mai 2016 in der Firma seiner Schwester als Security Mitarbeiter zu arbeiten. Nach kurzer Zeit zerstritten sie sich jedoch und der Kläger ging zurück nach Kroatien und eröffnete dort eine Taverne. Nach einer Versöhnung mit seiner Schwester reiste der Kläger am 28. November 2016 erneut ins Bundesgebiet ein und arbeitete in einem gemeinsam mit seiner Schwester in München eröffneten Restaurant als Kellner. Im März 2017 zerstritten sich die Geschwister erneut und der Kläger führte das Restaurant alleine weiter bis zur Kündigung des Pachtverhältnisses im Juni 2017 durch die Verpächterin aufgrund fehlender Zahlung der monatlichen Pacht.
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Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
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Urteil des Landgerichts München II vom 20. Juni 2018: Verurteilung wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten.
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Urteil des Landgerichts Landshut vom 9. März 2020: Verurteilung wegen schweren Bandendiebstahls in 3 Fällen jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts München II vom 20. Juni 2018 zu der Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 3 Jahren und 8 Monaten.
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Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 2. Juni 2017, 6. Juni 2017 und 7. Juni 2017 brach der Kläger gemeinsam mit seinen Mittätern in Einfamilienhäuser in Buchloe, Erding und Tutzing ein und entwendete dort diverse Wertgegenstände sowie Bargeld in einem Gesamtwert von insgesamt 7.958 EUR. Durch die Einbrüche entstand ein Sachschaden von insgesamt 5.732 EUR.
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Mit dem Urteil des Landgerichts München II wurde ein Einbruch am 27. Juli 2017 geahndet. Der Mittäter des Klägers brach dabei in ein Haus in Dachau ein und entwendete dabei Schmuckgegenstände und Bargeld. Dabei sprühte dieser Mittäter dem zu diesem Zeitpunkt im Haus anwesenden Sohn der Eigentümer Pfefferspray ins Gesicht, um seine Flucht zu ermöglichen. Der Kläger wartete eine Straße vom Tatort entfernt im Auto auf die Rückkehr des Mittäters, um den Abtransport der Beute sowie die anschließende Flucht zu ermöglichen.
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Der Kläger wurde in dieser Angelegenheit am 27. Juli 2017 festgenommen und saß anschließend durchgehend in Untersuchung- bzw. Strafhaft bis zur Entlassung am 24. Januar 2021.
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Der kroatische Zentralregisterauszug vom 26. September 2017 weist insgesamt 8 Eintragungen auf, die unter anderem Verurteilungen wegen schweren Diebstahls zu Freiheitsstrafen betreffen. Die Urteile umfassen einen Zeitraum von 2006 bis 2015, wobei aus dem Urteil vom 17. Dezember 2015 die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr noch zur Vollstreckung aussteht.
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Nach Anhörung des Klägers stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2020 den Verlust seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt fest (Ziff. 1) und befristete das Wiedereinreiseverbot auf 7 Jahre (Ziff.3). Zugleich drohte er die Abschiebung aus der Haft nach Kroatien an (Ziff. 4). Für den Fall, dass der Kläger vor einer Abschiebung aus der Haft entlassen wird, wurde eine Ausreisefrist von einem Monat ab Haftentlassung festgesetzt und die Abschiebung nach Kroatien angedroht (Ziff. 4).
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Der Beklagte stützte den Verlust des Freizügigkeitsrechts auf § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU, weil das Verhalten des Klägers eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Der Kläger sei Wiederholungstäter und es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger erneut zur Finanzierung seines Lebensunterhalts erhebliche Straftaten begehe. Auch die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK stünden einer Verlustfeststellung nicht entgegen.
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Mit Schriftsatz vom 6. August 2020 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage und beantragte,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde angeführt, der Kläger sei im Bundesgebiet sozial eingebunden. Ein schwerwiegender Grund im Sinne des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU sei nicht gegeben. Eine Wiederholungsgefahr sei beim Kläger nicht gegeben, da sich dieser im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und positiv entwickelt habe.
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Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 28. August 2020,
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Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU seien nicht gegeben. Der Kläger habe ein Daueraufenthaltsrecht nicht erworben. Vom Kläger gehe weiterhin die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten aus. Ein beanstandungsfreies Verhalten im Strafvollzug sei insoweit unbeachtlich.
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Zur mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2021 ist für die Klagepartei niemand erschienen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts-, die beigezogene Behördenakte, die beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Landshut zum Strafverfahren … sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2021 entschieden werden, obwohl für die Klagepartei niemand erschienen ist. Denn in der fristgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist nicht begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die vom Beklagten vorgenommene Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden, § 114 VwGO.
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1. Die nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtmäßig.
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Diesbezüglich wird auf die umfangreiche und zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 117 Abs. 5 VwGO.
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2. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen die Voraus setzungen des § 6 Abs. 1, 2 FreizügG/EU für die getroffene Verlustfeststellung vor.
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Entgegen dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, wonach die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden kann, nicht vor. Der Kläger, der erstmals im Jahr 2016 ins Bundesgebiet einreiste, hielt sich bis zu seiner Festnahme am 27. Juni 2017 sowie zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides nicht 5 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet auf, so dass ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU nicht entstanden ist.
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Es besteht auch weiterhin die konkrete Gefahr, dass der Kläger zur Finanzierung seines Lebensunterhalts erhebliche Straftaten im Bundesgebiet begehen wird, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren und somit die Gefahr besteht, dass er die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 45 Abs. 3 AEUV beeinträchtigen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sein kriminelles Verhalten, welches er bereits seit dem Jahr 2006 durch Begehung gleichartige Einbruchsdiebstähle in Kroatien gezeigt hat, nach kurzem Aufenthalt im Bundesgebiet fortgesetzt hat. Er ist somit Wiederholungstäter, der sich durch strafgerichtliche Urteile und verhängte und verbüßte Freiheitsstrafen (in Kroatien saß er ab Mitte 2013 2 Jahre und 4 Monate in Untersuchungs- bzw. Strafhaft) nicht beeindrucken lässt.
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Der Kläger hat sich auch entgegen dem Vorbringen seines Prozessbevollmächtigten während der Strafhaft nicht korrekt verhalten. Nach der Stellungnahme der JVA Bernau vom 28. April 2020 trat der Kläger zweimal disziplinarisch in Erscheinung. So hat er im Mai 2019 versucht, die Briefkontrolle zu umgehen und im Juni 2019 entwendete er Gewürze aus der Küche. Auch aus der Stellungnahme der JVA Bernau vom 3. September 2020 ist zu entnehmen, dass vom Kläger eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ausgeht, weshalb eine Behandlung gemäß § 456a StPO nicht befürwortet wurde.
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Eine soziale Integration ist dem Kläger im Bundesgebiet nicht gelungen. Er verfügt über keinen Arbeitsplatz und keine sonstigen Beziehungen im Bundesgebiet. Ob sich seine Schwester hier aufhält, ist nicht bekannt. Seine Mutter sowie die Tochter aus der geschiedenen Ehe leben in Kroatien. Dort hat er sich mit Ausnahme des Aufenthalts im Bundesgebiet seit 2016 durchgehend aufgehalten und ist auch sozial integriert.
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Die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Ermessenserwägungen berücksichtigen umfassend die klägerischen Belange. Im Klageverfahren sind keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
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Unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgehenden erheblichen Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Klägers die angeordnete Einreisesperre von 7 Jahren nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.