Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens (gelegentlicher Cannabiskonsum) – Untätigkeitsklage
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
VwGO § 75
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 6 S. 2, Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anl. 4 Nr. 9.2.2
Leitsätze:
1. Die Behördenpraxis, ein Widerspruchsverfahren von der Widerspruchsbehörde zur Abhilfe an die Ausgangsbehörde zurückzugeben, darf vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu einer faktischen Aussetzung des Rechtsschutzes führen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es begründet Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber als gelegentlicher Konsument von Cannabis mit einer Fahrt unter Cannabiseinfluss gegen das Trennungsgebot verstoßen hat. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (vgl. u.a. VGH München BeckRS 2017, 157879 Rn. 20, 25, 26 mwN). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. IRd Beweiswürdigung, ob der Betroffene mehr als einmal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert hat, ist vor dem Hintergrund des äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch von der Polizei kontrolliert wird, die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte und plausible Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss. Dabei ermöglichen die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC die Beurteilung, ob ein für einen bestimmten Zeitraum eingeräumter Konsum von Cannabis für die Konzentration ursächlich gewesen sein kann, die in einer später gewonnenen Blutprobe vorhanden war, oder ob entweder kurz vor der Fahrt nochmals oder aber häufig Cannabis konsumiert worden ist (VGH München BeckRS 2021, 7419 Rn. 23, 26 mwN). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus der Formulierung in § 11 Abs. 6 S. 2 FeV, dass die Behörde dem Betroffenen in der Beibringungsaufforderung die für die Untersuchung in Betracht kommende(n) Stelle oder Stellen angibt, folgt nicht, dass sie sämtliche in näherer Umgebung des Betroffenen liegenden und in Betracht kommenden Stellen angeben muss, ebenso wenig lässt sich dem Wortlaut entnehmen, wie viele einzelne Stellen ausreichend sein sollen oder nicht. Das Gericht teilt ausdrücklich nicht die Auffassung des VG Oldenburg (BeckRS 2010, 55031), dass alle für den Betroffenen in einer zweistündigen Autofahrt erreichbaren Begutachtungsstellen ausdrücklich in der Begutachtungsanordnung genannt werden müssten (so auch VGH München BeckRS 2018, 19973 Rn. 12). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens, gelegentlicher Cannabiskonsum, Benennung von amtlich anerkannten Begutachtungsstellen, Widerspruchsverfahren nicht abgeschlossen, Rückgabe eines Widerspruchverfahrens zur Abhilfe, effektiver Rechtsschutz, Eignungszweifel, Verstoß gegen das Trennungsgebot, Beweiswürdigung, substantiierte und plausible Darlegung, Abbauverhalten von THC, Beibringungsaufforderung, Angabe von Begutachtungsstellen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.01.2022 – 11 ZB 21.2744
Fundstelle:
BeckRS 2021, 30549
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der 1997 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B und L.
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1. Mit Schreiben vom 8. November 2019 übersandte das Amt für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart dem Landratsamt A. (nachfolgend: Landratsamt) eine Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 8. November 2019 über eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG zur Kenntnis und weiteren Veranlassung zuständigkeitshalber. Aus den beigezogenen Akten des Ordnungswidrigkeitenverfahrens geht hervor, dass der Kläger als Fahrzeugführer eines Pkw am 3. Januar 2018 gegen 12:10 Uhr auf dem Rastplatz P. der BAB 3, Fahrtrichtung Frankfurt, angehalten und kontrolliert worden war. Der Kläger habe laut des polizeilichen Berichts vom 3. Januar 2018 einen lethargischen Eindruck gemacht, gerötete und wässrige Augen gehabt. Nach Einnahme von Alkohol und Betäubungsmitteln befragt habe er angegeben, dass er vor ca. einer Woche Cannabis konsumiert habe und gelegentlicher Konsument sei. Der freiwillige Drogenschnelltest reagierte positiv auf THC. Bei Durchsuchung der Person des Klägers und des Fahrzeugs konnten Konsumutensilien (Longpapers) gefunden werden. Die toxikologische Untersuchung der Blutentnahme war positiv auf THC (1,4 ng/ml), Hydroxy-THC (1,4 ng/ml) und THC-Carbonsäure (49 ng/ml). Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Mainz kommt in seinem Befundbericht vom 23. Februar 2018 zu dem Ergebnis, dass die in der Blutprobe festgestellten Cannabinoidkonzentrationen auf eine engerfristige Cannabisaufnahme hinwiesen und ein Cannabiseinfluss zum Blutentnahmezeitpunkt in Betracht komme. Im sich darauf anschließenden Ordnungswidrigkeitenverfahren gab der Kläger an, er sei eine Woche vor der Kontrolle auf einer Party gewesen und habe dort einen Kuchen gegessen, ohne zu wissen, dass dort Betäubungsmittel eingebacken gewesen seien; erst am nächsten Tag habe ein Freund ihm davon erzählt. Wie lange diese im Blut seien, wisse er nicht. Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts Linz am Rhein vom 21. März 2019 (Az.: ...) wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße in Höhe von 600,00 EUR verurteilt worden. Das Urteil ist seit dem 5. April 2019 rechtskräftig.
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Auf diesen Sachverhalt bezugnehmend forderte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 auf, gemäß § 46 Abs. 3, § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bis zum 10. Februar 2020 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Abklärung des künftigen Trendvermögens vorzulegen. Es solle die Frage geklärt werden: „Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass der Kläger zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?“ Aus den vorliegenden Unterlagen könne ein gelegentlicher Konsum belegt werden. Aufgrund des Vorfalls am 3. Januar 2018 sei nachgewiesen, dass der Kläger nicht bereit oder nicht in der Lage gewesen sei, den Drogenkonsum von der Verkehrsteilnahme zu trennen. Ob die Gefahr weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss bestehe, könne aus Gründen der Verkehrssicherheit nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden. Es solle durch das Gutachten nicht geklärt werden, ob der Kläger seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiedererlangt habe, sondern ob er derzeit zum Führen von Kraftfahrzeug noch geeignet sei. Es wurde eine konkrete, nämlich die nächstgelegene Begutachtungsstelle (TÜV S. L. Service GmbH in A.) benannt und darauf hingewiesen, dass der Kläger sich bei einer beliebigen Begutachtungsstelle seiner Wahl untersuchen lassen könne. Auf die Folgen einer nicht bzw. nicht fristgerechten Vorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV wurde hingewiesen. Die Anordnung wurde dem Kläger am 11. Dezember 2019 zugestellt.
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Mit Schreiben vom 12. Dezember 2019 zeigten die Bevollmächtigten des Klägers ihre Vertretung an und erbaten, eine Liste von amtlich anerkannten Gutachterstellen in Hessen und Bayern im Rhein-Maingebiet zu übermitteln, da der Kläger sich nicht bei der genannten Begutachtungsstelle untersuchen lassen wolle. Darüber hinaus wiesen sie darauf hin, dass in der Anordnung vom 2. Dezember 2019 zur Angabe des gelegentlichen Konsums und dessen Bedeutung jegliche Ausführungen fehlten und alleine die Tatsache von festgestellten THC-Werten im Blut nicht für die Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens ausreiche. Der festgestellte Konsum solle Anfang Januar 2018 erfolgt sein, die Verurteilung sei aber seit mehr als acht Monaten rechtskräftig. Demnach habe sich der Kläger seit fast zwei Jahren bewährt. Worin nunmehr die mögliche Gefahr für den Straßenverkehr liegen solle, ergebe sich nicht ohne weiteres. Darüber hinaus habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt, dass in den konsumierten Backwaren THC sei.
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Das Landratsamt hielt dem mit Schreiben vom 24. Dezember 2019 entgegen, dass die Behörde mit Übermittlung des Sachverhalts durch die Landeshauptstadt Stuttgart im November 2019 ohne schuldhaftes Zögern die Überprüfung der Fahreignung des Klägers eingeleitet habe. Der gelegentliche Konsum ergebe sich daraus, dass der Kläger zum einen angegeben habe, eine Woche vor der Kontrolle am 3. Januar 2018 THC zu sich genommen zu haben, während die an diesem Tag festgestellten Werte von THC und Hydroyxy-THC im Blut nur den Schluss zuließen, dass der Kläger kurzfristig vor der Polizeikontrolle ein weiteres Mal Cannabis konsumiert haben müsse. Damit lägen zwei Konsumakte vor, die Form der Suchtstoffaufnahme sei nicht relevant. Im Übrigen seien bei der Verkehrskontrolle Betäubungsmittelutensilien (Longpapers) aufgefunden worden, was für einen Betäubungsmittelkonsum fernab von Lebensmitteln spreche. Die Wahl einer Begutachtungsstelle für Fahreignung stehe dem Kläger frei, er könne unabhängig von der vorgeschlagenen TÜV S. L. Service GmbH in A. eine sonstige Begutachtungsstelle auswählen. Eine aktuelle Aufstellung möglicher Untersuchungsstellen könne online bezogen werden.
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Mit Erklärung vom 8. Januar 2020 erklärte sich der Kläger mit einer Untersuchung durch die Begutachtungsstelle für Fahreignung TÜV L. Service GmbH H. in F. a. M. (TÜV Hessen) einverstanden. Mit E-Mail vom 3. Februar 2020 teilte der Kläger mit, dass er bislang weder von der Begutachtungsstelle noch vom Landratsamt eine Rückmeldung erhalten habe und er bat, die Übersendung an die Begutachtungsstelle schnellstmöglich zu veranlassen. Daraufhin wurde ihm mit E-Mail vom 4. Februar 2020 seitens des Landratsamt mitgeteilt, dass die Fahrerlaubnisakte am 14. Januar 2020 an die Begutachtungsstelle geschickt worden sei und er sich an die Begutachtungsstelle wenden solle. Mit weitere E-Mail vom 9. Februar 2020 beantragte der Kläger eine Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens unter Verweis auf die Terminsbestätigung der Begutachtungsstelle, wonach er seinen Begutachtungstermin am 3. März 2020 habe. Ausweislich eines Aktenvermerks des Landratsamts wurde nach einem Telefonat mit dem TÜV Hessen vom 28. Februar 2020 die Frist bis 25. März 2020 verlängert. Mit Schreiben vom 17. März 2020 sandte der TÜV Hessen die Fahrerlaubnisakte irrtümlich zunächst an die Stadt A. zurück, welche die Akte dem Landratsamt am 21. April 2020 vorlegte.
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Mit Schreiben vom 22. April 2020 forderte das Landratsamt den Kläger auf, das Fahreignungsgutachten spätestens bis zum 7. Mai 2020 vorzulegen. Nachdem dies nicht geschah hörte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2020 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Mit Schreiben vom 23. Mai 2020 seines Bevollmächtigten ließ der Kläger mitteilen, dass er zwischenzeitlich seinen Hauptwohnsitz nach Augsburg verlegt habe und eine (weitere) Fristverlängerung beantragen, da eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar sei, nachdem der Kläger seit über zwei Jahren beanstandungsfrei gefahren sei. Eine Fristverlängerung lehnte das Landratsamt ab und wies darauf hin, dass der Kläger melderechtlich in Augsburg nicht registriert sei.
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2. Mit kostenpflichtigem Bescheid vom 3. Juni 2020 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und gab ihm auf, den am 6. August 2015 ausgehändigten Führerschein, Führerscheinnummer …, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Nr. 2). Ziffern 1 und 2 wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 3) und dem Kläger für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht (Nr. 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Kläger habe sich aufgrund nicht fristgerechter Vorlage des zu Recht geforderten Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 FeV als nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, sodass ihm die Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV zu entziehen gewesen sei. Das medizinisch-psychologische Gutachten sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV angefordert worden, um die Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund des Vorfalls vom 3. Januar 2018 auszuräumen. Zweck der Anordnung sei gewesen, zu klären, ob der Kläger zukünftig den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeuges sicher trennen könne. Die Anordnung sei auch verhältnismäßig gewesen. Tatsachen, die die Annahme rechtfertigten, dass im vorliegenden Fall abweichend von den Vorgaben gemäß der Nr. 1 und Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu entscheiden wäre, lägen nicht vor und seien auch nicht vorgetragen. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 FeV.
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Der Bescheid wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 15. Juni 2020 zugestellt. Mit E-Mail vom 17. Juni 2020 forderten die Bevollmächtigten erneut eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, da der Kläger zwischenzeitlich nach Augsburg gezogen sei. Daraufhin holte das Landratsamt von der Stadt Augsburg die Zustimmung zur Beendigung des Verfahrens gemäß § 73 Abs. 2 FeV, welche am 18. Juni 2020 erteilt wurde.
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Der Kläger ließ zugleich am 17. Juni 2020 Widerspruch erheben und die Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Kosten beantragen. Zur Begründung wurde unter Vorlage einer Anmeldebestätigung der Stadt Augsburg vom 28. Mai 2020 (Einzugsdatum: 1.3.2020; Anmeldedatum: 28.5.2020) vorgetragen, dass das Landratsamt örtlich unzuständig gewesen sei. Der Bescheid sei daher rechtswidrig und aufzuheben. Die Vorlage des Führerscheins erfolge ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.
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Das Landratsamt entgegnete mit Schreiben vom 18. Juni 2020, dass die zuständige Stadt Augsburg mit Nachricht vom 18. Juni 2020 dem Landratsamt A. die Zustimmung gemäß § 73 Abs. 2 FeV zur abschließenden Bearbeitung der Fahrerlaubnisentziehung erteilt habe. Zwar sei der Bescheid unter Verstoß gegen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit erfolgt (Art. 44 Abs. 3 Nr. 11 BayVwVfG). Dieser Fehler sei jedoch nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, da über die Sache selbst richtig entschieden worden sei. Es wurde Frist zur Rücknahme des Widerspruchs bis zum 25. Juni 2020 eingeräumt. Eine weitere Äußerung erfolgte zunächst nicht. Erst mit Schreiben vom 21. Juli 2020 erinnerte der Bevollmächtigte des Klägers an das Verfahren, sodann half das Landratsamt dem Widerspruch nicht ab und legte ihn der Regierung von Unterfranken am 4. August 2020 vor. Mit Schreiben vom 20. August 2020 teilte dies das Landratsamt den Bevollmächtigten des Klägers mit.
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Mit Schreiben vom 22. Oktober 2020 legte die Regierung von Unterfranken gegenüber dem Landratsamt ihre Rechtsauffassung dar, wonach die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden könne und gab die Fahrerlaubnisakte zur erneuten Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an das Landratsamt zurück.
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3. Am 4. Januar 2021 ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes A. vom 3. Juni 2020 erheben und beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 3. Juni 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, über den eingelegten Widerspruch sei bis dato nicht entschieden und im Wesentlichen vorgebracht, der Bescheid sei rechtswidrig. Die Ausgangsbehörde sei unzuständig zum Erlass des Bescheids gewesen, da der Kläger nach Augsburg gezogen sei, was sich auf der vorgelegten Anmeldebescheinigung ergebe. Im Übrigen fehlten jegliche Ausführungen zur Angabe des gelegentlichen Konsums und dessen Bedeutung, denn alleine das festgestellte THC rechtfertige nicht die Aufforderung zur Erstellung eines Gutachtens. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung besitze einen besonders großen Eingriffscharakter. Im Übrigen seien die Angaben offenbar unter Einfluss von THC gemacht worden, sodass fraglich sei, ob die Angaben des Klägers zutreffend gewesen seien. Der Mandant im Zeitpunkt des Konsums nicht gewusst, dass er Betäubungsmittel konsumiere, da die Betäubungsmittel in Backwaren eingebracht gewesen seien und auf einer Party gestanden zur freien Verfügung hätten. Überdies soll der Konsum Anfang Januar 2018 erfolgt sein, neuere Tatsachen gebe es nicht. Nachdem im Rahmen der Aburteilung der Ordnungswidrigkeit kein Fahrverbot verhängt worden sei, treffe die jetzige Entziehung der Fahrerlaubnis den Kläger aus heiterem Himmel. Der Kläger sei auf seine Fahrerlaubnis angewiesen und dies sei als Härtefall zu berücksichtigen. Im Übrigen habe die Verwaltungsbehörde den Kläger um seinen Anspruch auf rechtliches Gehör gebracht, da sie das Angebot zur Einsicht des Mietvertrages der Augsburger Wohnung nicht wahrgenommen und stattdessen auf der Vorlage eines Gutachtens bestanden habe.
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Der Beklagte, vertreten durch das Landratsamt A., beantragte,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Ausführungen des verfahrensgegenständlichen Bescheides verwiesen. Der Kläger habe gegenüber den kontrollierenden Polizeibeamten am 3. Januar 2018 angegeben, ungefähr eine Woche zuvor Cannabis konsumiert zu haben. In Zusammenschau mit den sich bei der Blutentnahme ergebenden THC-Werten könne von einem gelegentlichen Cannabiskonsum ausgegangen werden. Die Führerscheinstelle der Landeshauptstadt Stuttgart habe den Vorgang mit Schreiben vom 8. November 2019 an das Landratsamt A. verwiesen. Soweit die örtliche Unzuständigkeit bemängelt werde, habe sich der Kläger erst am 28. Mai 2020 rückwirkend zum 1. März 2020 in Augsburg angemeldet. Die Stadt Augsburg habe im Übrigen zugestimmt, die bereits eingeleitete Entziehung der Fahrerlaubnis fortzusetzen.
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Auf Nachfrage des Gerichts teilte die Regierung von Unterfranken am 22. Januar 2021 mit, dass sie den Widerspruch an das Landratsamt A. in das Abhilfeverfahren zurückgegeben hätten, und der Widerspruch bislang nicht wieder zur Entscheidung vorgelegt worden sei.
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Mit weiteren Schriftsatz vom 26. Januar 2021 teilte das Landratsamt mit, dass auch unter Einbeziehung des Schreibens der Regierung von Unterfranken vom 20. Oktober 2020 an der Entziehung festgehalten werde, da eine Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht gesehen werde. Auf den Schriftsatz wird verwiesen.
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4. Mit Beschluss vom 29. Januar 2021 wurde der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt (Az.: W 6 S 21.26). Die Beschwerde hiergegen war erfolglos (BayVGH, B.v. 23.7.2021 - 11 CS 21.515). Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens teilte die Regierung von Unterfranken mit Schriftsatz vom 5. März 2021 mit, dass sich mit Rückgabe des Vorgangs in das Abhilfeverfahren an das Landratsamt am 22. Oktober 2020 die vorrangige Zuständigkeit der Ausgangsbehörde ergeben habe und sich damit die bisherige Nichtabhilfeentscheidung des Landratsamts erledigt habe, sodass aus Sicht der Regierung von Unterfranken nunmehr eine neue (Nicht-)Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde zu treffen sei.
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Mit Beschluss vom 27. August 2021 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Mit Schriftsatz vom 14. bzw. 20. September 2021 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung einverstanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 S 21.26, sowie die beigezogene Behördenakte wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten auf deren Durchführung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet und bleibt daher ohne Erfolg.
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Die Klage ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass sie sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheides vom 3. Juni 2020) sowie die Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheides) richtet. Denn mit Abgabe des Führerscheins hat sich die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheides erledigt, Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG.
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1. Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, obwohl über den vom Kläger am 20. Juni 2020 erhobenen Widerspruch bislang nicht entschieden wurde.
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Grundsätzlich ist während eines - wie hier - statthaften und noch offenen Widerspruchsverfahrens die Erhebung einer Klage unstatthaft, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Widerspruchsbehörde über den Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat, § 75 Satz 1 VwGO. Dann ist die Erhebung einer Anfechtungsklage zulässig, ohne dass es einer Entscheidung über den Anfechtungswiderspruch bedürfte, da das Klagebegehren auf die Aufhebung der behördlichen Entscheidung gerichtet ist. Gleiches gilt, wenn die Behörde zu erkennen gibt, dass sie in der Sache keine Entscheidung treffen wird. Für die Beurteilung des Gerichts, ob die Klage (schon) zulässig ist, kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 75 Rn. 11). In der Sache handelt es sich bei § 75 VwGO um eine zusätzliche Prozessvoraussetzung (Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 1).
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Vorliegend hat die Regierung von Unterfranken ausweislich ihres Schreibens vom 22. Oktober 2020 die Sachprüfung abgeschlossen und unter Verweis auf ihre Rechtsauffassung das Verfahren zur Abhilfe an das Landratsamt zurückgegeben. Diese Behördenpraxis ist nicht unüblich, gerade angesichts der Tatsache, dass eine Befugnis zur Abhilfe im gesamten Widerspruchsverfahren besteht, da die Verwaltung eine Einheit bildet. Die Abgabe der Ausgangsbehörde an die Widerspruchsbehörde führt im Rahmen des Devolutiveffekts nur zu einer konkurrierenden Zuständigkeit von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde, ein Entscheidungsmonopol der Widerspruchsbehörde gibt es nicht (vgl. Dolde/Porsch in Schoch/Schneider, VwGO, 40. EL Feb. 2021, § 72 Rn. 7). Jedoch ist zu beachten, dass es sich bei der Rückgabe an die Ausgangsbehörde um ein Verwaltungsinternum handelt, das nicht nach außen erkennbar wird. Folglich bleibt aus Sicht des Widerspruchsführers die ihm gegenüber als eine Gesamtheit auftretende Verwaltung untätig, sollte über einen längeren Zeitraum auf seinen Widerspruch hin und der Abgabe an die Widerspruchsbehörde - wie hier - nichts weiter geschehen. Es ist zu betonen, dass das Gericht nicht die behördliche Praxis kritisiert, dass die Widerspruchsbehörde das Verfahren an die Ausgangsbehörde zurückgibt. Jedoch ist diese Praxis vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG zu sehen und darf nicht zu einer faktischen Aussetzung des Rechtsschutzes führen, indem der Betroffene rechtlos gestellt wird, während er auf eine Entscheidung der Verwaltung als Einheit über seinen Rechtsbehelf wartet. Denn aufgrund § 75 VwGO darf der Widerspruchsführer die bloße Untätigkeit der Behörde nicht als stillschweigenden negativen Widerspruchsbescheid auslegen (Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 1a). Folglich muss die Widerspruchsbehörde, will sie das Hineinwachsen in die Untätigkeit i.S.v. § 75 VwGO vermeiden, den Fortgang des zurückgegebenen Verfahrens engermaschig überwachen als im vorliegenden Fall, wo eine Wiedervorlage erst drei Monate nach Rückgabe an die Ausgangsbehörde verfügt wurde.
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Damit wurde nicht in angemessener Zeit und ohne sachlichen Grund nicht in der Sache entschieden. Ungeachtet dessen hat die Regierung von Unterfranken in ihrem Schriftsatz vom 5. März 2021 erkennen lassen, dass eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde nicht zu erwarten ist, sodass die Erhebung einer Untätigkeitsklage in jedem Falle zulässig ist.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammenhängend die Anordnung der Herausgabe des Führerscheins rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens auf Grundlage der § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV war rechtmäßig, sodass der Schluss auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gezogen werden durfte. Das Landratsamt A. durfte mit Zustimmung der zwischenzeitlich zuständig gewordenen Stadt Augsburg das Verwaltungsverfahren fortsetzen, Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG.
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2.1. Das Landratsamt A. war zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses zwar nicht mehr nach § 73 Abs. 2 Satz 1 FeV, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) BayVwVfG zuständig, da der Kläger seinen Hauptwohnsitz zum 1. März 2020 nach Augsburg verlegt hatte. Die zuständige Stadt Augsburg hat jedoch ausdrücklich der Fortführung des Verwaltungsverfahrens durch das Landratsamt A. zugestimmt, sodass die Abweichung von der örtlichen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG legitimiert war (vgl. zum Ganzen und zum Verhältnis zu § 73 Abs. 2 FeV BayVGH, B.v. 20.2.2007 - 11 CS 06.2029, sowie B.v. 23.7.2021 - 11 CS 21.515). Es ist unschädlich, dass die Legitimierung erst nach Erlass des Bescheids vom 3. Juni 2020 erfolgte. Da sich die örtliche Zuständigkeit nicht in der Sache ausgewirkt hat (Art. 46 BayVwVfG), konnte die Zustimmung gemäß Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 5, Art. 44 Abs. 3 Nr. 1 BayVwVfG nachgeholt werden. Selbst wenn man dies nicht als eine Mitwirkungshandlung im Sinne von Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 BayVwVfG sehen wollte, wurde vorliegend das Verfahren durch Erhebung des Widerspruchs i.S.d. Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG fortgeführt, sodass die örtlich zuständige Behörde ihre Zustimmung zur Verfahrensfortführung erklären konnte (vgl. im Einzelnen BayVGH, B.v. 23.7.2021 - 11 CS 21.515, Rn. 18).
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2.2. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt (BVerwG, U.v. 9.6.2005 - 3 C 25/04 - DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.6.2008 - 11 ZB 08.1123 - juris). Im Hinblick darauf, dass eine Gutachtensanordnung mit erheblichen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht und/oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit verbunden ist, aber nicht isoliert mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2012 - 11 ZB 12.1596 - ZfSch 2013, 177). In materieller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Untersuchung vor allem voraus, dass sie den Grundsätzen der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2008 - 11 C 08.1030 - juris).
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Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Fahreignung begründen. Der Kläger ist nach eigener Angabe gegenüber der Polizei am 3. Januar 2018 gelegentlicher Konsument von Cannabis und hat mit seiner Fahrt unter Cannabiseinfluss gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 verstoßen, was Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründet (vgl. BayVGH, U.v. 21.9.2017 - 11 BV 17.685 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 11.4.2019 - 3 C 25.17 - juris Rn. 15 f.). Gelegentlicher Konsum von Cannabis i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 liegt vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 - 3 C 3.13 - NJW 2015, 2439 = juris Rn. 20 ff.; BayVGH, U.v. 21.9.2017 - 11 BV 17.685 - juris Rn. 20). Der Kläger hat bei der Fahrt am 3. Januar 2018 unstreitig THC und dessen Metaboliten im Blut gehabt, was eine Einnahme kurz vor der Fahrt nachweist. Denn die Nachweisbarkeit von THC im Serum nach Einzelkonsum beträgt lediglich sechs bis zwölf Stunden, ebenso wie beim Metabolit 11-OH-THC (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung - Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 322). Darüber hinaus muss sich der Kläger an seinem Aussageverhalten gegenüber den Polizeibeamten festhalten lassen, er habe zuletzt eine Woche zuvor konsumiert und sei gelegentlicher Konsument. Darauf hat sich das Landratsamt gestützt, sodass es nicht zutrifft, es würden jegliche Ausführungen zu einem gelegentlichen Konsum fehlen.
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Überdies wurde zu keinem Zeitpunkt im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Klageverfahren vom Kläger bestritten, diese Aussage getätigt zu haben. Soweit sich dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) im Beschwerdeverfahren 11 CS 21.515 entnehmen lässt, dass diese Aussagen im Beschwerdeverfahren widerrufen worden sein sollten, schließt sich das Gericht jedenfalls der Auffassung des BayVGH an. Soweit der Bevollmächtigte also darauf verweist, der Kläger habe zum Zeitpunkt seiner Angaben am 3. Januar 2018 unter THC-Einfluss gestanden, sodass die Angaben zweifelhaften Erkenntniswert hätten, ist dies unerheblich. Denn der THC-Wert lag ausweislich der Blutprobe bei 1,4 ng/ml, die damit keine außergewöhnlich hohen Werte vorwies und der Kläger offenbar leistungsfähig genug war, um am Straßenverkehr teilzunehmen und sogar auf der Bundesautobahn unterwegs zu sein. Das spätere Aussageverhalten des Klägers im Ordnungswidrigkeitenverfahren, er habe in der Woche vor dem Vorfall unwissentlich in Backwaren eingebrachte Betäubungsmittel konsumiert, und das Untermauern mit einer unauffälligen Urinprobe mehr als ein Jahr (März 2019) später, erachtet das Gericht für eine Schutzbehauptung, insbesondere weil es nicht mit den im Blut des Klägers nachgewiesenen Cannabinoiden sowie dessen drogentypischen Auffälligkeiten zum Zeitpunkt der Polizeikontrolle zu vereinbaren ist. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten schafft der bloße Zeitablauf keinen Vertrauenstatbestand. Dies gilt umso mehr, als das Urteil gegen den Antragteller erst im April 2019 rechtskräftig geworden ist. Dass im Urteil des Amtsgerichts Linz am Rhein vom 21. März 2019 kein Fahrverbot verhängt worden ist, spielt für die hier verfahrensgegenständliche Frage der Fahreignung keine Rolle.
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Diese Umstände in Zusammenhang mit dem Vorfall vom 3. Januar 2018 hat das Landratsamt bei der Gutachtensanordnung vom 2. Dezember 2019 vollumfänglich wiedergegeben, als Anknüpfungspunkt herangezogen und die sich daraus ergebenden Zweifel ausgeführt. Damit ist die Anlassbezogenheit gewahrt, denn es ist für den Kläger eindeutig erkennbar, an welche Umstände bzw. Tatsachen die Behörde ihre Fahreignungszweifel anknüpft. Dass die spätere Einlassung des Klägers, er habe unwissentlich in Lebensmittel eingebackene Betäubungsmittel zu sich genommen, für eine Schutzbehauptung und damit nicht für relevant gehalten wird, ergibt sich bereits indirekt aus der Anordnung. Es ist nicht erforderlich, dass die Behörde sich bereits im Rahmen der Anordnung eines Gutachtens mit jedem Vorbringen des Betroffenen dezidiert auseinandersetzt. Im Übrigen ist im Rahmen der Beweiswürdigung, ob der Betroffene mehr als einmal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert hat, vor dem Hintergrund des äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch von der Polizei kontrolliert wird, die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte und plausible Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss. Dabei ermöglichen die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC die Beurteilung, ob ein für einen bestimmten Zeitraum eingeräumter Konsum von Cannabis für die Konzentration ursächlich gewesen sein kann, die in einer später gewonnenen Blutprobe vorhanden war, oder ob entweder kurz vor der Fahrt nochmals oder aber häufig Cannabis konsumiert worden ist (BayVGH, B.v. 23.3.2021 - 11 CS 20.2643, BeckRS 2021, 7419, m.w.N.).
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Die Fragestellung war aus Sicht des Gerichts anlassbezogen, verhältnismäßig und insbesondere zutreffend formuliert. Insoweit teilt das Gericht nicht die Bedenken der Widerspruchsbehörde hinsichtlich des Hinweises in der Gutachtensanordnung, demnach die Wiedererlangung der Fahreignung des Klägers vorliegend nicht zu prüfen sei. Zwar hat die Behörde im Entziehungsverfahren grundsätzlich auch immer zu berücksichtigen und ggf. zu prüfen, ob ein Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung möglicherweise wiedererlangt hat. Dies setzt aber denknotwendig voraus, dass es zumindest möglich erscheint, dass er seine Fahreignung verloren haben könnte. Hierfür bestehen vorliegend - im Gegensatz zur der von der Widerspruchsbehörde herangezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg (B.v. 21.9.2018 - Au 7 S 18.1338) zugrundeliegenden Konstellation - keine Anhaltspunkte. Es ist lediglich bekannt, dass der Kläger als gelegentlicher Konsument einmal gegen das Trennungsgebot verstoßen hat. Hieraus lässt sich nicht in feststehender Weise ableiten, dass der Kläger seine Fahreignung in der Vergangenheit verloren haben könnte, denn weder bestehen Anhaltspunkte für einen regelmäßigen (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) oder einen Mischkonsum von Cannabis (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) oder Konsum von sonstigen Drogen (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Der ergänzende Hinweis des Landratsamts in der Anordnung soll offenkundig zur Klarstellung dienen, dass es ausschließlich auf die Frage des Trennvermögens ankommt, und dient damit der Eingrenzung des Untersuchungsumfangs der Begutachtungsstelle. Dies ist nicht zu beanstanden.
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Die Begutachtungsanordnung leidet schon deshalb nicht an einem formalen Mangel nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV, da das Landratsamt in der Begutachtungsanordnung vom 2. Dezember 2019 lediglich eine konkrete Begutachtungsstelle in A. benannt hat. Zu den Anforderungen an die Beibringungsaufforderung gehört unter anderem, dass die Behörde dem Betroffenen nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV die für die Untersuchung in Betracht kommende Stelle oder Stellen angibt. Aus dieser Formulierung folgt nicht, dass die Behörde sämtliche in näherer Umgebung des Betroffenen liegenden und in Betracht kommenden Stellen angeben muss, ebenso wenig lässt sich dem Wortlaut entnehmen, wie viele einzelne Stellen ausreichend sein sollen oder nicht. Das Gericht teilt ausdrücklich nicht die Auffassung des VG Oldenburg (B.v. 10.8.2010 - 7 A 1458/10 - juris), dass alle für den Betroffenen in einer zweistündigen Autofahrt erreichbaren Begutachtungsstellen ausdrücklich in der Begutachtungsanordnung genannt werden müssten (so auch BayVGH, B.v. 8.8.2018 - 11 CS 18.1494). In der heutigen Zeit, in der so gut wie ein jeder Bürger über das Internet Zugang zu einer unbegrenzten Anzahl an Informationen hat, erscheint es nicht erforderlich, eine Vielzahl der in Betracht kommenden, ggf. um den Hauptwohnort des Betroffenen liegende Stellen aufzählen zu müssen. So ist es nicht selten, dass der Betroffene aus in seiner Privat- oder beruflichen Sphäre liegenden Gründen eine Begutachtungsstelle fernab seines gemeldeten Hauptwohnsitzes bevorzugt. Darüber hinaus können im Internet, z.B. unter www.bast.de, die aktuellen Listen abgerufen werden, aus denen sich der Betroffene eine Begutachtungsstelle heraussuchen kann. Die Google-Suche mit dem Begriff „amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung“ ergibt knapp 20.000 Treffer und gleich auf der ersten Seite der Suchergebnisse taucht die Webseite der Bundesanstalt für Straßenwesen auf, auf der die Begutachtungsstellen nach PLZ sortiert eingesehen werden können. Sollte ein Kraftfahrer tatsächlich über keinen Internetzugang verfügen, kann er sich an die Behörde wenden, die ihm dann eine aktuelle Liste oder einen Auszug daraus ausdrucken kann. Durch die Nennung zumindest einer konkreten Begutachtungsstelle als Beispiel wird für den Betroffenen erkennbar, welche Art von Stelle verlangt wird. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vorgetragen, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle zu finden. Vielmehr hat er den TÜV Hessen als amtlich anerkannte Begutachtungsstelle ausfindig gemacht und beauftragt.
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Entscheidend ist, dass aus der Begutachtungsanordnung klar hervorgeht, dass der Betroffene gerade nicht an die von der Behörde genannte Stelle gebunden ist. Dies ist hier erfüllt.
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Sonstige Mängel der Gutachtensanordnung sind weder dargelegt noch ersichtlich. Nachdem der Kläger das zu Recht geforderte Gutachten nicht innerhalb der (verlängerten) Frist vorgelegt hat, durfte die Behörde in rechtmäßiger Weise auf seine Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV schließen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis war daher genauso wie die geforderte Abgabe des Führerscheins rechtmäßig.
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3. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.