Inhalt

LG München I, Endurteil v. 23.02.2021 – 23 O 8381/20
Titel:

Corona-Deckungsschutz in der Betriebsschließungsversicherung

Normenkette:
VVG § 1
Leitsatz:
Besagt eine Klausel in der Betriebsschließungsversicherung, dass der Versicherer im Falle einer Betriebsschließung „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ Entschädigung leistet (§ 1 Nr. 1a AVB) und werden diese Krankheiten und Krankheitserreger anschließend mit dem Hinweis auf die „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ definiert und aufgezählt (§ 1 Nr. 2 AVB) ohne dass SARS-CoV-2/COVID-19 in dieser Aufzählung enthalten wären, so besteht kein Deckungsschutz bei einer Betriebsschließung wegen dieses Krankheitserregers bzw. dieser Krankheit.   (Rn. 25 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Corona, SARS-CoV-2, COVID-19, Infektionsschutzgesetz
Fundstelle:
BeckRS 2021, 3013

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 240.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin aus einer Betriebsschließungsversicherung.
2
Die Klägerin betreibt den Gastronomiebetrieb im , , in München. Montags ist Ruhetag (Anlage BLD 25). 
3
Sie unterhielt bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer eine Betriebsschließungsversicherung. Der Versicherungsschutz umfasst einen Schließungsschaden mit einer Tagesentschädigung von € für 30 Schließungstage. 
4
Gemäß § 1 Nr. 1a) leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionsschutzkrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt. Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger sind nach § 1 Nr. 2 a) und b) die „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Es schließt sich eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern an. Weder die Krankheit COVID-19 noch der Coronavirus SARS-CoV-2 sind darin genannt
5
Nach § 11 Nr. 1 ersetzt der Versicherer im Falle einer Schließung nach § 1 Nr. 1a) den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer. Tage, an denen der Betrieb auch ohne die behördliche Schließung geschlossen wäre, zählen nicht als Schließungstage.
6
Mit der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 wurden mit Wirkung vom 21.03.2020 Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt. Ausgenommen wurde die Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen. Dies galt für den Außenbereich bis zum 18.05.2020 und für den Innenbereich bis zum 25.05.2020. 
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Die Klägerin schloss ab 21.03.2020 ihren Gastronomiebetrieb. 
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Die Klägerin zeigte über ihren Versicherungsmakler unmittelbar nach der Schließung den Schadensfall an. Den Eingang der Schadenmeldung bestätigte die Beklagte mit E-Mail vom 25.03.2020 (Anlage K 2). 
9
Mit anwaltlichen Schreiben vom 25.05.2020 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die geschuldete Versicherungsleistung zu begleichen. 
10
Die Beklagte kündigte den Versicherungsvertrag mit der Klägerin unter Bezugnahme auf § 92 VVG, also wegen Eintritts eines Versicherungsfalls (E-Mail des Versicherungsmaklers der Klägerin vom 10.08.2020, Anlage K 5). 
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Zwischen den Parteien ist der Eintritt eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls streitig. 
12
Die Klägerin behauptet, sie habe ihren Betrieb unter Berücksichtigung von insgesamt sechs Ruhetagen für insgesamt 42 Tage geschlossen. Sie habe erst ab 24.04.2020 einen To-go-Service für spazierengehende Parkbesucher gestartet. 
13
Die Klägerin ist der Ansicht, der Versicherungsfall sei eingetreten, nach den Versicherungsbedingungen sei SARS-CoV-2 / Covid-19 eine versicherte Krankheit. Die Versicherungsbedingungen der Beklagten würden auf die jeweils aktuelle Fassung des IfSG abstellen (dynamische Verweisung). Jedenfalls handele es sich um eine unbestimmte Klausel, welche im Zweifelsfall zulasten der Beklagten ausgelegt werden müsse, § 305c Abs. 2 BGB. 
14
Gemäß § 1a VVG müsse die Beklagte im bestmöglichen Interesse zugunsten der Versicherungsnehmerin, also der Klägerin, handeln. Dies gelte auch für die Schadensbearbeitung. Die Beklagte gehe aufgrund ihrer Kündigung nach § 92 VVG selbst von einem Versicherungsfall aus. 
15
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 240.000,00 € nebst 9 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 30.04.2020 zu bezahlen. Sie wird weiter verurteilt, einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 1.464,45 € nebst 9 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen. 
16
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Die Beklagte behauptet, der versicherte Betrieb sei nicht geschlossen worden, die allgemeinen Maßnahmen seien keine bedingungsgemäßen Betriebsschließungen und die faktischen Einschränkungen würden nicht ausreichen
18
Die Klägerin habe einen Außerhausverkauf (Anlagen BLD 21 bis BLD 24) betrieben sowie Gutscheine (Anlagen BLD 8 bis BLD 17) und Kuchen (Anlage BLD 18) angeboten. Ab dem 25.04.2020 habe die Klägerin einen Kiosk betrieben (Anlagen BLD 19 und BLD 20). Die Schadenshöhe sei nicht schlüssig dargelegt. Die feste Taxe sei nicht bindend, da sie erheblich vom vereinbarten Schaden abweiche. Die Klägerin habe staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Höhe von 70 % des von ihr behaupteten Schadens erhalten, also insgesamt €, insbesondere Soforthilfen, Kurzarbeitergeld, aber auch sonstige staatliche Leistungen. 
19
Die Beklagte ist der Ansicht, der Coronavirus sei nicht in den Versicherungsbedingungen genannt und daher nicht Bestandteil des abschließenden Katalogs der in den Bedingungen im Einzelnen ausdrücklich bezeichneten versicherten Krankheiten und Krankheitserreger. Insoweit sei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. 
20
Die Betriebsschließungsversicherung versichere nur betriebsinterne Gefahren. Abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahmen seien nicht versichert.
21
Zumindest müsse sich die Klägerin weitere staatliche Leistungen aus den Corona-Soforthilfeprogramm anrechnen lassen. 
22
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.02.2021 Bezug genommen. 

Entscheidungsgründe

I.
23
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus der Betriebsschließungsversicherung keinen Anspruch auf die Bezahlung von 240.000,00 €. Denn der Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Die durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten Coronavirus gehören nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren. Die in § 1 Nr. 2 a) und b) aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend. Das Coronavirus und die durch dieses Virus ausgelösten Krankheiten gehören nicht zu den in den Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern.
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1. Die Kammer folgt hierbei den zutreffenden Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart, Urteil vom 29.10.2020, Az: 35 O 32/20, und des Landgerichts Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020, Az: 13 O 2068/20, zu den identischen Versicherungsbedingungen. Danach sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10.04.2019, AZ: IV ZR 59/18).
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a) Die vorliegenden Versicherungsbedingungen verweisen hinsichtlich des Verauf meldepflichtisicherungsumfangs in § 1 Nr. 1a) ge Krankheiten oder Krankheitserreger i.S.v. Nr. 2. Dort sind die Krankheiten und Krankheitserreger im Einzelnen aufgezählt. Durch diese Aufzählung wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass eben nur bei Betriebsschließungen aufgrund der genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, dann hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
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b) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil vor der Aufzählung das Wort „namentlich“ verwendet wird. Zwar macht die Klägerin zutreffend geltend, dass das Wort „namentlich“ im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Synonym für die Wörter „hauptsächlich“, „vor allem“ oder „insbesondere“ verwendet wird. Durch die konkrete Satzstellung kann man dem Wort aber diese Bedeutung nicht geben, da dann der gesamte Satz keinen Sinn ergeben würde. Dies wird deutlich, wenn man an Stelle des Worts „namentlich“ ein oben genanntes Synonym einsetzt. Daher war es für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass das Wort „namentlich“ nicht als „insbesondere“ sondern als „mit Namen bezeichnet“ zu verstehen ist.
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c) Auch die Nennung der §§ 6 und 7 IfSG führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Eine dynamische Verweisung ist damit nicht verbunden, da es in diesem Falle einer Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht bedurft hätte. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf die Normen, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen. Daher kann ein Versicherungsnehmer auch nicht davon ausgehen, dass sämtliche von § 6 und § 7 IfSG erfassten Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von § 6 und § 7 IfSG umfassten Bereich verweist, nachdem die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Erkrankungen versichert haben wollte, nicht aber alle möglichen Infektionskrankheiten, die zukünftig noch auftreten können.
28
d) Schließlich kann der Versicherungsnehmer aus dem Ausschluss von Prionicht entnehmen, nenerkrankungen in § 4 Nr. 4 dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder durch mehrere in der Aufzählung genannten Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen auch keine Schlüsse ziehen.
29
e) Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
30
f) Die Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Regelung des Versicherungsumfanges durch die namentliche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass entweder nur alles oder nichts versichert werden könnte.
31
g) Auch ist die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar mag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die medizinischen Fachbegriffe nicht kennen. Die Bedeutung kann aber durch die Nutzung eines medizinischen Wörterbuches erschlossen werden. Dies ist ausreichend. Ansonsten wären alle Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf in der Allgemeinheit nicht bekannte Krankheitsbegriffe verweisen, wegen Intransparenz unwirksam.
Die Klausel ist auch nicht etwa deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch nicht ausgehöhlt.
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h) Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für die bei Vertragsschluss unbekannten Krankheitserreger. Damit ist der Umstand, dass die COVID 19-Krankheit nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.05.2020 namentlich als Krankheit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG aufgenommen wurde, aufgrund der abschließenden Auflistung für das streitgegenständlichen Verfahren unbeachtlich.
33
i) Die Beklagte hat durch ihre Kündigung des Versicherungsvertrages nach § 92 VVG den Versicherungsfall nicht bestätigt. Denn die Beklagte verhielt sich widersprüchlich, indem sie weiterhin die Versicherungsprämie einzog (E-Mail vom 10.08.2020 vorgelegt als Anlage K 5). Ihrem Verhalten ist daher kein eindeutiger Erklärungswert zuzumessen.
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2. Die Kammer vermag aus diesen Gründen der nicht rechtskräftigen Entscheidung einer anderen Kammer des Landgerichts München I, Urteil vom 22.10.2020, Az: 12 O 5868/20, nicht zu folgen. In dem Urteil wurde entschieden, dass eine annähernd gleichlautende Klausel eines anderen Versicherers wegen eines Verstoßes gegen das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende Transparenzgebot unwirksam sei.
35
3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache kann die Klägerin auch keine Verzugszinsen und keine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanspruchen.
II.
36
Die Kostenentscheidung bestimmt sich nach § 91 ZPO.
III.
37
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
38
Der Streitwert bemisst sich nach dem Leistungsantrag gemäß §§ 3, 4 ZPO.