Titel:
Überprüfung der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO im Widerspruchsverfahren
Normenkette:
ZPO § 924, § 929 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die bloße Zustellung des Arrestbefehls im Parteibetrieb genügt zur Wahrung der Frist nach § 929 Abs. 2 ZPO nicht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Berufung des Schuldners auf den Fristablauf nach § 929 Abs. 2 ZPO ist missbräuchlich, wenn er die Einhaltung der Vollziehungsfrist aufgrund der Verschleierung von Vermögensverhältnissen arglistig vereitelt hat und er die so erlangte formale Rechtsposition missbräuchlich ausnutzt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arrestbefehl, Arrestantrag, Widerspruch, Vollziehungsfrist, Fristablauf, Verschleierung von Vermögensverhältnissen, formale Rechtsposition, Rechtsmissbrauch
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 30.09.2021 – 3 U 5812/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 29745
Tenor
Der Arrestbefehl vom 30.12.2020 wird aufgehoben. Der Arrestantrag vom 28.12.2020 wird zurückgewiesen.
Der Arrestkläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 82.898,98 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Arrestkläger begehrt gegen den Arrestbeklagten den Erlass eines Arrestes zur Sicherung von deliktischen Schadensersatzansprüchen, die ihn als Erwerber von Aktien der … gegen den Arrestbeklagten als Vorstandsvorsitzender der … zustünden.
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Am 22.07.2020 erließ das Amtsgericht München gegen den Arrestbeklagten Haftbefehl, der am gleichen Tag vollzogen wurde. Der Arrestbeklagte befindet sich derzeit immer noch in Untersuchungshaft. Nach einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I wird dem Arrestbeklagten zur Last gelegt, im Jahr 2015 zusammen mit anderen den Entschluss gefasst zu haben, Bilanzsumme und Umsatzvolumen der … durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sog. … aufzublähen, obwohl, wie dem Beklagten bekannt war, der … Konzern tatsächlich Verluste erzielte.
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Auf Antrag des Arrestklägers vom 28.12.2020 erließ das Landgericht München I am 30.12.2020 folgenden Arrestbefehl:
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1. Wegen und in Höhe einer Forderung des Antragstellers (Gläubiger) gegen den Antragsgegner in Höhe von 248.696,93 € sowie einer Kostenpauschale von 12.434,85 € wird der dingliche Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Antragsgegners (Schuldner) angeordnet.
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Der Arrestbefehl wurde dem Arrestbeklagten am 25.01.2021 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 09.04.2021 hat der Arrestbeklagte gegen den Arrestbefehl Widerspruch eingelegt.
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Der Arrestkläger ist der Auffassung,
der Arrestbefehl sei rechtmäßig und wirksam. Insbesondere sei der Arrestbefehl nicht mangels Vollzugs aufzuheben. Vorliegend habe der Arrestkläger alles Mögliche und ihm Zumutbare unternommen, um die Vollziehung des Arrestbefehls zu bewirken. Einem Antrag an den zuständigen Gerichtsvollzieher auf Vornahme einer Vollstreckungshandlung sei das Hindernis entgegengestanden, dass dem Arrestkläger aufgrund der Verschleierung von Vermögensverhältnissen durch den Arrestbeklagten keine pfändbaren Konten bekannt gewesen seien.
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Der Arrestkläger beantragt,
Der Widerspruch des Antragsgegners vom 09.04.2021 wird zurückgewiesen und der Arrestbefehl aufrechterhalten.
9
Der Arrestbeklagte beantragt,
- 1.
-
Der am 30.12.2020 vom Landgericht München I erlassene Arrestbeschluss wird aufgehoben.
- 2.
-
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass eines Arrestbeschlusses vom 28.12.2020 wird zurückgewiesen.
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Der Arrestbeklagte ist der Auffassung,
die Vollziehungsfrist sei erfolglos verstrichen. Der Arrestbeklagte könne nach Ablauf der Monatsfrist auch keine Vollziehungsmaßnahmen mehr ergreifen.
11
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselte Schriftsätze samt Analgen sowie die Sitzungsniederschrift vom 29.06.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Auf den Widerspruch des Arrestbeklagten war der erlassene Arrestbefehl vom 30.12.2020 aufzuheben und der Antrag vom 28.12.2020 zurückzuweisen.
13
Der Widerspruch ist zulässig, § 924 ZPO.
14
Der Widerspruch ist begründet, weil die Vollziehungsfrist abgelaufen ist (§ 929 Abs. 2, § 927 ZPO).
15
Unstreitig hat der Antragskläger keine Vollziehungsmaßnahmen aufgrund des streitgegenständlichen Arrestbefehls vorgenommen. Der Arrestkläger legt zwar einen Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher datierend auf den 05.01.2021 vor, dieser ist jedoch nicht unterschrieben. Die bloße Zustellung des Arrestbefehls im Parteibetrieb genügt zur Wahrung der Frist nach § 929 Abs. 2 ZPO nicht (BeckOK ZPO/Mayer ZPO § 929 Rn. 9).
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Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Fall nicht daraus, dass dem Arrestkläger aufgrund der Verschleierung von Vermögensverhältnissen durch den Arrestbeklagten keine pfändbaren Konten bekannt waren. Zwar ist die Berufung auf den Fristablauf missbräuchlich, wenn der Schuldner die Einhaltung der Vollziehungsfrist arglistig vereitelt hat (Zöller, 33. Auflage 2020, § 929 ZPO Rdn. 23; vgl. auch OLG Celle 9 U 126/86; OLG Frankfurt 6 U 188/15; OLG Frankfurt 6 U 123/20). Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht nur um die missbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition, vielmehr würde die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO vollständig ausgehebelt, wenn der Arrestbefehl aufrechterhalten würde. Denn der Antragskläger trägt nicht vor, dass mittlerweile eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme eingeleitet worden wäre oder dass ihm Vollziehungsmöglichkeiten auch nur bekannt wären.
17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
18
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.