Titel:
Kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot für nigerianischen Asylbewerber
Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 3, § 4
Leitsätze:
1. Bei Erkrankungen mit einer großen Anzahl Betroffener im Zielstaat bestehen besonders hohe Anforderungen an die Feststellung krankheitsbezogener Abschiebungsverbote (BVerwG BeckRS 2007, 20389). Denn nach § 60 Abs. 7 S. 6 AufenthG sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen. (Rn. 37) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Der vom Asylbewerber geltend gemachte Bluthochdruck rechnet nach allgemeinkundigen Quellen zu besonders prävalenten und daher allgemeinen Gesundheitsgefahren, die einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen drohen. Bluthochdruck ist eine in Nigeria weit verbreitete Volkskrankheit. (Rn. 38) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Asyl, Nigeria, Wirtschaftliche Gründe, Bluthochdruck, Depression, nigerianischer Asylbewerber, nationales Abschiebungsverbot, Erkrankungen, Allgemeingefahr, Extremgefahr, Reisefähigkeit, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis
Fundstelle:
BeckRS 2021, 29661
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger verfolgt mit der Klage sein Asylbegehren weiter.
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Der 1969 geborene Kläger ist Staatsangehöriger Nigerias mit Volkszugehörigkeit Yoruba und christlichen Glaubens. Er reiste mit einem gültigen nigerianischen Pass und französischem Schengen-Visum vom … … 2013 zunächst auf dem Luftweg nach Frankreich und danach im September 2013 mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am … September 2013 stellte er - unter Angabe eines anderen Namens und eines anderen Geburtsdatums - einen Asylantrag.
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In der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … … 2016 gab er im Wesentlichen an, dass er einen Abschluss einer Polytechnischen Schule in Maschinenbau und einen Abschluss eines Technischen Instituts mit dem Schwerpunkt Fahrzeugbau habe. Er habe zunächst bei einer Firma im Motoren- und Generatorbau und später bei einer anderen Firma im Autobau gearbeitet. Nachdem er beide Arbeitsplätze verloren hatte, habe er sein gespartes Geld in eine Autowerkstatt investiert, um sich damit selbständig zu machen. Als er seine Werkstatt eröffnet gehabt habe, habe ihm der Besitzer des Gebäudes gekündigt. Er sei sehr frustriert gewesen und habe sich dann entschieden, Nigeria zu verlassen. Er wisse, dass das nicht für eine Anerkennung ausreiche. Er bitte aber in Deutschland bleiben zu dürfen, wie er krank sei. Wenn er nach Nigeria zurückgehen müsste, würde er sterben. Er nehme zurzeit viele Medikamente ein, die er sich in Nigeria nicht würde leisten können. Der Kläger gab eine Reihe von Medikamenten an, die er einnehmen müsse (Quetiapin, Mirtazapin, Amlodipin, Ibuprofen und Valsartan) und legte ein ärztliches Attest einer Gemeinschaftspraxis vom 10. Oktober 2016 über sein Krankheitsbild vor (Gemeinschaftspraxis Dr. F. und Dr. G). Das Attest nannte als Diagnosen: 1. Schwer einstellbarer art. Hypertonus, 2. Chronische Depression, 3. Chronische Niereninsuffizienz St. II, 4. H.p. positive Gastritis, 5. Beginge Prostatahyperplasie, 6. Anhaltender Spannungskopfschmerz und 7. Chronische Lumbalgie. Es enthielt noch folgenden Text: „Aufgrund der vorgeschädigten Psyche, des schwer einstellbaren Bluthochdrucks und der Somatisierungsstörung mit chronischen Kopf- und Kreuzschmerzen sollten sämtliche psychischen Belastungen vermieden werden“.
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Auf eine Anfrage des Bundesamts vom 24. März 2017 an die damalige Bevollmächtigte des Klägers hinsichtlich dessen Gesundheitszustands hin reichte diese - nach zuvor beantragter Fristverlängerung - mit Schreiben vom 24. April 2017 einen ärztlichen Verlaufsbericht vom 6. April 2017 (Neuropraxis M - Dr. H., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie; Diagnosen: 1. Mittelgradige depressive Episode, 2. Dysthemie) und ein weiteres ärztliches Attest der o.g. Gemeinschaftspraxis vom 30. März 2017 ein (mit den o.g. Diagnosen, Ausführungen zur Hypertonie und zur Depression; des Weiteren: „Eine kardiologische Abklärung erbrachte erfreulicherweise keinen pathologischen Befund, die leichtgradige Niereninsuffizienz konnte ebenfalls abgeklärt werden, hier handelt es sich um keinen therapiebedürftigen Befund“). Es werde versucht, von Dr. H. ein ausführliches Attest beizubringen. Hierfür werden Fristverlängerung bis 24. Mail 2017 beantragt.
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Mit Bescheid vom 12. Juni 2017, am 14. Juni 2017 per Einschreiben zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Vortrag, wegen wirtschaftlicher Probleme nach Deutschland gekommen zu sein, könne nicht zu Flüchtlingsschutz führen. Das Asylrecht solle politisch Verfolgte schützen, habe aber nicht die Aufgabe, all denen Aufnahme zu gewähren, die in ihrer Heimat in wirtschaftlich schlechter Lage leben müssten und hofften, in der Bundesrepublik Deutschland ihre Lebenssituation verbessern zu können.
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Der Kläger habe nicht geltend gemacht, dass ihm in seinem Herkunftsland die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe drohe noch sei dies anderweitig ersichtlich. Ihm drohe im Falle einer Rückkehr auch weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.
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Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.
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Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Artikel 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Antragsteller nach Rückkehr nicht in der Lage sein sollte, mithilfe einer Erwerbstätigkeit ein Einkommen zu erzielen, welches ihm mindestens das Existenzminimum sichere. Hierbei sei auch von Bedeutung, dass er hierbei nicht auf sich allein gestellt sein werde, da Verwandte im Heimatland lebten. Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland sei in die Prognose, ob eine Gefahr für Leib und Leben bestehe, mit einzubeziehen.
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Dem Kläger drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen würde. Dabei komme es nicht darauf an, von dem die Gefahr ausgehe und wodurch sie hervorgerufen werde. Es müsse jedoch über die Gefahren hinaus, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt sei, eine besondere Fallkonstellation gegeben sein, die als gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteige. Eine erhebliche konkrete Gefahr liege nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmere, sei in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen. Die Gefahr sei „erheblich“, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verändern würde und „konkret“, wenn der Asylbewerber alsbald nach seiner Rückkehr in den Abschiebestaat in diese Lage kommen würde, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten der Behandlung seines Leides angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte.
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Im Rahmen seiner Anhörung habe der Kläger ein ärztliches Schreiben der Dr. F. vom 10. Oktober 2016 beigereicht. Mit Schreiben des Bundesamts vom 24. März 2017 sei der Kläger aufgefordert worden, weitere Ausführungen hinsichtlich seiner Erkrankungen, deren Behandlungsbedürftigkeit und Medikation und den Folgen einer evtl. ausbleibenden Behandlung / Medikation darzulegen. Trotz zweimaliger Fristverlängerung zur Beantwortung seien keine weiteren Ausführungen erfolgt. Allein an der Nennung der Erkrankungen und der Vorlage der Medikamente, welche der Kläger eigenem Bekunden zufolge einnehme, sei im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland auch bei Ausbleiben einer evtl. notwendigen ärztlichen Behandlung / Medikation die Gefahr einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung nicht ersichtlich. Weitere Ausführungen seitens der Klägers, die ggf. eine andere Bewertung ersichtlich lassen würden, seien trotz Aufforderung unter Fristsetzung und zweimaliger Fristverlängerung nicht vorgetragen worden.
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Des Weiteren wurden die Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist sowie die Befristung des gesetzlichen Einreiseund Aufenthaltsverbots auf 30 Monate begründet.
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Die damalige Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom … Juni 2017, beim Verwaltungsgericht München per Telefax eingegangen am selben Tag, dagegen Klage erhoben und beantragt,
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I. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … Juni 2017 aufzuheben.
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II. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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III. hilfeweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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IV. hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz festzustellen.
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Die nunmehrige Bevollmächtigte des Klägers begründete die Klage mit Schriftsatz vom 14. Februar 2018 im Wesentlichen damit, dass für den Kläger aufgrund seiner Erkrankungen ein Abschiebungsverbot vorliege. Der Kläger leide unter anderem unter einer fachärztlich festgestellten Persönlichkeitsstörung auf dem Boden einer Dysthomie (Anlage 1: ärztliches Schreiben Dr. H. vom 1.2.2018). Er befinde sich bereits seit dem 12. August 2015 in medizinischer Behandlung bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. und nehme regelmäßig die Medikamente Venlafaxin und Mirtazapin ein (Anlage 2: fachärztliche Bescheinigung Dr. H. vom 3.12.2016). Ferner befinde er sich aufgrund starker Kopfschmerzen sowie ausgeprägten Gedächtnisschwundes in neurologischer Behandlung. Aktuelle Atteste würden nachgereicht. Eine Krankheitsbehandlung könne für den Kläger in seinem Heimatland ganz grundsätzlich aus Kostengründen nicht erreicht werden. Bei einem Abbruch der Behandlung würde sich das Krankheitsbild des Klägers daher mit Sicherheit wesentlich verschlechtern. Dies stelle eine lebensbedrohliche Gefahr dar. Der Kläger habe an Verwandtschaft in Nigeria neben seiner Mutter noch zwei Brüder und zwei Schwestern sowie seine zwei minderjährigen Söhne, die die Kindsmutter bei der klägerischen Mutter abgegeben hatte, nachdem sie den Kläger verlassen hatte. Seine Kinder lebten seitdem in einem kleinen Dorf bei der klägerischen Schwester und erwarteten Unterstützung durch den Kläger. Dies sei ihm bislang nur schwer möglich gewesen und werde in Zukunft nicht einfacher werden. Dies bedeute, dass der Kläger bei seiner Rückkehr zwar nicht auf sich allein gestellt sein würde, doch dass er von seiner Familie auch keine finanzielle Unterstützung erwarten könne. Seine Geschwister verfügten über wenige finanzielle Mittel und müssten ihre eigene Familie unterstützen. Seine Geschwister seien nicht in der Lage, dem Kläger eine Behandlung zu bezahlen. In Anbetracht der vorliegenden Erkrankung in Verbindung mit der Tatsache des Fehlens eines familiären Netzwerkes zur finanziellen Unterstützung des Klägers sei davon auszugehen, dass er alsbald nach seiner Rückkehr in eine existenzgefährdende Situation geraten dürfte. Der Kläger sei aufgrund seiner Depression und neurologischen Befunde aktuell nicht mehr arbeitsfähig und müsse zunächst seine Psyche wieder stabilisieren. Er sei nur sehr eingeschränkt in der Lage, die notwendige Initiative aufzubringen, sich durch eigene Arbeit eine Existenzgrundlage zu schaffen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass der Kläger aus seiner krankheitsbedingten Passivität nicht herausfinden und sich nicht auf die Strategie des Überlebens einlassen könne. Bis zum erfolgreichen Abschluss der Behandlung in Deutschland liege mithin ein Abschiebungsverbot vor, da nach den geschilderten Tatsachen mit einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bis zur Existenzgefährdung zu rechnen sei.
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Laut ärztlicher Bescheinigung vom 1. Februar 2018 sei der Kläger derzeit nicht reisefähig. Damit liege ebenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vor.
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Mit Beschluss vom 9. August 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schriftsatz vom 30. August 2021 wies die Bevollmächtigte des Klägers nochmals darauf hin, dass in Bezug auf das Heimatland des Klägers Nigeria ein Abschiebeverbot vorliege. Der Kläger sei weiterhin schwer erkrankt. Eine Rückkehr in seine Heimat würde eine Gefahr für Leib und Leben darstellen. Eine adäquate Behandlung würde dort nicht gewährleistet sein können. Auch würde der Kläger nicht in der Lage sein für sich und seine Familie ein Existenzminimum zu sichern.
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Der Kläger nehme seit Jahren Medikamente. Derzeit nehme er gemäß Verordnung seiner Ärztin jeden Abend Mirtazapin 30 mg und jeden Morgen Irbesartan comp basics 150 mg / 12,5 mg ein. Zusätzlich benötige er regelmäßig Ibuprofen 600 mg, insbesondere bei seinen häufig stark auftretenden Kopfschmerzen.
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Am 31. August 2021 wurde zur Sache mündlich verhandelt. Der Kläger wies auf das ärztliche Attest vom 1. Februar 2018 hin. Er erklärte weiter, dass er mittlerweile Arbeit gefunden habe. Er sei dann beschäftigt und nicht mehr so traurig. Auf Nachfrage des Gerichts bestätigt der Kläger, die im Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 30. August 2021 genannten Medikamente einzunehmen: Mirtazapin, Irbesartan und Ibuprofen. Er erklärte, wenn er diese Medikamente nehme, gehe es ihm besser.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Akte des Bundesamts und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 31. August 2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. August 2021 entschieden werden, obwohl auf Beklagtenseite niemand erschienen ist. Die Beteiligten sind ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Termin ordnungsgemäß geladen worden, verbunden mit dem Hinweis, dass im Falle des Nichterscheinens eines der Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz (AsylG) oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen ebenfalls nicht vor. Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und des festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine rechtlichen Bedenken.
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Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - i.V. m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
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Hinsichtlich des Nichtvorliegens der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie des ebenfalls Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend ist anzumerken, dass nach § 77 Abs. 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist. Unter diesem Aspekt ergeben sich jedoch weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht andere Bewertungen hinsichtlich des streitgegenständlichen Bescheids.
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Auch durch die weiteren Erläuterungen des Klägers bei seiner informatorischen Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die zu einer anderen Bewertung in der Sache hätten führen können. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der nunmehr aktuellen Erkenntnislage, insbesondere des zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020 (Stand: September 2020), der inhaltlich keine gegenüber dem zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses gültigen Bericht vom 21. November 2016 (Stand: September 2016) abweichenden Sachverhalte darstellt, soweit es die Situation des Klägers betrifft.
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Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
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Zunächst ist davon auszugehen, dass es dem Kläger trotz seines Alters möglich sein wird, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, die ihm (und seinen beiden Söhnen) eine ausreichende Existenzgrundlage bieten wird. Der Kläger hat eine für Nigeria weit überdurchschnittliche Bildung und sich zudem in Deutschland weitere Qualifikationen erworben bzw. ist dabei, dies im Rahmen seiner gegenwärtigen Arbeit zu tun. Dabei ist anzunehmen, dass er bis zu einer Arbeitsaufnahme durchaus auf die Unterstützung durch den in Nigeria bestehenden weiteren Familienverbund zählen kann.
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Dass der Kläger aufgrund einer Depression (derzeitige Medikation: Mirtazapin 30 mg) gehindert sein sollte, in Nigeria eine Arbeit zu finden und dieser nachzugehen, ist aufgrund der bislang vorgelegten ärztlichen Berichte und Atteste (auch denen, die das Bundesamt im Bescheid nicht erkennbar zur Kenntnis nimmt) nicht anzunehmen, weil diese nicht den Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entsprechen. Aus diesen geht schon nicht schlüssig und nachvollziehbar hervor, auf welcher Tatsachengrundlage die psychiatrischen Erkrankungen diagnostiziert worden sind. Das jüngste Attest - auf das der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat - datiert im Übrigen bereits auf den 1. Februar 2018. Aktuellere Atteste wurden - entgegen der Ankündigung im Schriftsatz vom 14. Februar 2018 - bis zur mündlichen Verhandlung am 31. August 2021 nicht nachgereicht. Tatsache ist es auch, dass der Kläger außerdem mittlerweile eine Arbeit aufgenommen hat.
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Hinsichtlich des Bluthochdrucks (derzeitige Medikation: Irbesartan comp basics 150 mg / 12,5 mg) gilt im Hinblick auf die Atteste vom 10. Oktober 2016 und 30. März 2017 zunächst sinngemäß das gleiche.
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Hinzu kommt, dass es sich bei der Gefahr, dass sich diese konkret geltend gemachte Erkrankung verschlechtert, um eine allgemeine bzw. Gruppengefahren handelt. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots für den Kläger deswegen scheitert daher auch an der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG.
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Bei Erkrankungen mit einer großen Anzahl Betroffener im Zielstaat bestehen besonders hohe Anforderungen an die Feststellung krankheitsbezogener Abschiebungsverbote (st. Rspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, 713 Rn. 16; U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - NVwZ 2007, 712 Rn. 16 m.w.N.; U.v.29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 9; VG München, U.v. 23.11.2018 - M 21 K 17.42562 - juris Rn. 33). Denn gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt befunden werden soll, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 27.5.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998, 973, 974). Fehlt es an einer solchen Leitentscheidung, kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann gewährt werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - NVwZ 2007, 712, 713 Rn. 16).
38
Der als behandlungsbedürftig geltend gemachte Bluthochdruck des Klägers gehört nach allgemeinkundigen Quellen zu diesen besonders prävalenten und daher allgemeinen Gesundheitsgefahren, die einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen drohen. Bluthochdruck (vgl. MedCOI Medical Country of Origin Information, 07/2017, S. 71) ist eine in Nigeria besonders weit verbreitete Volkskrankheit. Nach neueren Untersuchungen liegt bei über 50 Prozent der städtischen Erwachsenenbevölkerung eine Form des Bluthochdrucks vor (vgl. https://clinicalhypertension.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40885-019-0112-1, abgerufen am 25. Mai 2021). Diese Größenordnung verdeutlicht den Vorbehalt einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 bzw. § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. VG München, U.v. 23.11.2018 - M 21 K 17.42562 - juris Rn. 34).
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Danach könnte Abschiebungsschutz wegen dieser Erkrankung, mit der sich der Kläger derzeit in Deutschland in Behandlung befindet, in verfassungskonformer Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nur gewährt werden, wenn ihm nach seiner Rückkehr eine extrem zugespitzte Gefahr drohen würde. Dies ist jedoch nicht ersichtlich. Es lässt sich insbesondere den diesbezüglich vorgelegten Attesten nicht entnehmen, dass er sehenden Auges in den Tod geschickt oder konkret, d.h. alsbald drohenden schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert würde. Dass Bluthochdruck bei unzureichender Einstellung mittel- und langfristig zu Folgeerkrankungen führen und die Lebenserwartung verkürzen kann, genügt nicht. Eine (Extrem-) Gefahr im hier in Rede stehenden Sinn müsste sich alsbald nach der Rückkehr zu realisieren drohen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - NVwZ 2013, 1167, 1172 Rn. 38). Dem könnte im Übrigen auch dadurch vorgebeugt werden, dass der Kläger einen für eine Übergangszeit ausreichenden Medikamentenvorrat nach Nigeria mitnimmt.
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Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten allgemeinen Verhältnisse in Nigeria („Außerdem gäbe es in Nigeria überall Unsicherheit. Es gäbe dort eine schlechte Regierung, Boko Haram, Fulani Herdsmen, Kidnapping und Rituale.“) sind völlig vage und ohne jeglichen Bezug zu seiner persönlichen Situation, so dass sie rechtlich irrelevant sind.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Nach § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.