Titel:
Erfolgreiche Klage gegen das endgültige Nichtbestehen einer Bacherlorprüfung und auf Wiederholung eines Prüfungsmoduls
Normenketten:
GG Art. 12 Abs. 1
BayHSchG Art. 61 Abs. 3
Leitsätze:
1. Die Festlegung von Prüfungsstoff allein in einem Modulhandbuch, das nicht Teil der Studien- und Prüfungsordnung ist, verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG und gegen Art. 61 Abs. 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 BayHSchG. (Rn. 19 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die übergangsweise Anwendung derartiger Regelungen kommt nicht in Betracht, weil in Rechtsprechung und Literatur seit längerem anerkannt ist, das Prüfungsbestimmungen in Verwaltungsvorschriften nicht des verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
endgültiges Nichtbestehen der Bachelorprüfung, Modulprüfung, berufsbezogene Prüfung, Prüfungsrecht, Gesetzesvorbehalt, Prüfungsbestimmungen, Verwaltungsvorschriften
Fundstelle:
BeckRS 2021, 29614
Tenor
I. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 2. März 2020 sowie ihres Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2020 verpflichtet, die Klägerin erneut zur zweiten Wiederholungsprüfung im Modul Statistik zuzulassen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung und begehrt die Einräumung eines weiteren Prüfungsversuchs im Modul Statistik.
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1. Die Klägerin studiert seit dem WS 2015/2016 bei der Beklagten im Bachelorstudiengang Internationales Immobilienmanagement.
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Am 3. Februar 2020 nahm die Klägerin im Drittversuch an der Modulprüfung Statistik teil, was sie auf der Arbeit vermerkte.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Studien- und Prüfungsordnung für den Bachelorstudiengang Internationales Immobilienmanagement (SPO-IIM) vom 31. Juli 2012 in der Fassung der Änderung vom 10. August 2020 i.V.m. Nr. 1.7. der Übersicht über die Module, Fächer und Leistungsnachweise der theoretischen Studiensemester in der Anlage der SPO-IIM ist für das Modul Statistik eine schriftliche Prüfung mit einer Dauer von 120 Min festgelegt. Nähere Angaben zum Prüfungsinhalt enthält die Studien- und Prüfungsordnung nicht. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 Nr. 6 SPO-IIM ergeben sich die Studienziele und -inhalte der einzelnen Module aus dem Studienplan mit Modulhandbuch, der nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SPO-IMM vom Fakultätsrat beschlossen wird.
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Die Prüfung zum Modul Statistik war aufgeteilt in die beiden Teile „Deskriptive Statistik“ und „Induktive Statistik“, die von zwei unterschiedlichen Erstprüfern erstellt wurden, welche jeweils für den anderen Teil als Zweitprüfer fungierten. Bei beiden Prüfungsteilen waren für die einzelnen Teilaufgaben die erreichbaren Rohpunkte angegeben. Eine über die Angabe der bei den beiden Prüfungsteilen jeweils erreichten Gesamtpunkte (14,5 und 30,5 von jeweils 60 Punkten) hinausgehende Bewertung erfolgte im Rahmen der Korrektor nicht. Die Korrektur des Prüfungsteils „Destruktive Statistik“ enthält nur die Unterschrift der Erstprüferin. Die Korrektur des Prüfungsteils „Induktive Statistik“ wurde nicht unterschrieben.
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2. Mit Bescheid vom 2. März 2020 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden habe und exmatrikulierte die Klägerin zum 14. März 2020 mit der Begründung, dass sie in der Prüfung Statistik in der zweiten Wiederholung die Note „nicht ausreichend“ erzieht habe. Eine dritte Prüfungswiederholung sei nach § 10 Abs. 1 Satz 3 RaPO i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 3 APO ausgeschlossen.
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Hiergegen ließ die Klägerin am 27. März 2020 Widerspruch einlegen. Zur Begründung rügte sie, die Ausgestaltung der Prüfungserstellung und Prüfungsbewertung beinhalte mehrere Verfahrensfehler. Durch die Angabe der bei den einzelnen Aufgaben erreichbaren Rohpunkte sei für den Zweitprüfer eine eigenständige Bewertung des Schwierigkeitsgrads der Aufgaben ohne Verletzung des schutzwürdigen Vertrauens der Prüflinge auf die Verbindlichkeit der Punkteangaben nicht möglich. Darüber hinaus hätten beide Erstprüfer sämtliche Prüfungsaufgaben gemeinsamen erstellen sowie ein gemeinsames Bewertungsschema entwerfen müssen und nicht zugleich als Zweitprüfer fungieren dürfen.
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3. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Erstellung sowie Benotung der Prüfung sei ordnungsgemäß erfolgt. Die angegebenen Rohpunktevorschläge dienten lediglich der Orientierung der Prüflinge hinsichtlich ihrer Zeiteinteilung. Der Zweitprüfer sei an sie jedoch nicht gebunden. Es sei weder eine gemeinsame Erstellung aller Aufgaben durch die Erstprüfer noch ein gemeinsam entwickeltes Bewertungsschema erforderlich. Auch hätten die Erstprüfer jeweils als Zweitprüfer für den anderen Prüfungsteil fungieren dürfen. Im Übrigen sei die Prüferbestellung bereits vor Ablegung der Prüfung bekannt gewesen, so dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, die Besetzung unverzüglich zu rügen. Das Rügerecht sei daher verwirkt.
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II. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 6. Juli 2020, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, ließ die Klägerin Klage erheben.
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Zur Begründung ließ sie ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren vertiefen und ergänzend vortragen, es fehle an einer normativen Konkretisierung des prüfungsrelevanten Stoffes.
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Die Klägerin lässt zuletzt beantragen,
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Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 2. März 2020 sowie ihres Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2020 verpflichtet, die Klägerin erneut zur zweiten Wiederholungsprüfung im Modul Statistik zuzulassen.
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Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wurde das Vorbringen im Widerspruchsverfahren vertieft.
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Mit Beschluss vom 8. Juli 2020 wurde das Klagebegehren vom zugrunde liegenden Verfahren abgetrennt, soweit sich die Klägerin gegen die Exmatrikulation wendet, und unter dem Aktenzeichen W 2 K 20.870 fortgeführt. Dieses Verfahren wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung im zugrunde liegenden Verfahren ausgesetzt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 21. Juli 2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2020 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28. Mai 2020 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Die Klägerin hat einen Anspruch auf erneute Zulassung zur zweiten Wiederholungsprüfung im Modul Statistik.
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Die Regelung des prüfungsrelevanten Stoffes allein im Modulhandbuch, das nicht Teil der Studien- und Prüfungsordnung ist, verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG und gegen Art. 61 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG) in der Fassung vom 23. Mai 2006 (GVBl. S. 245), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. April 2021 (GVBl. S. 182).
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Bei der streitgegenständlichen Modulprüfung handelt es sich um eine berufsbezogene Prüfung, die in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufswahlfreiheit eingreift und daher den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügen muss. Berufsbezogene Prüfungen sollen Aufschluss darüber geben, ob die Prüflinge über diejenigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die einen Erfolg der Berufsausbildung und eine einwandfreie Berufsausübung erwarten lassen. Auf Grund des Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt es dem zuständigen Normgeber, den Prüfungszweck in Bezug auf den jeweiligen Beruf zu konkretisieren. Dieser muss darüber entscheiden, welche berufsbezogenen Kenntnisse und Fähigkeiten er für unverzichtbar hält und welche Anforderungen er an ihren Nachweis stellt und dies rechtssatzmäßig festlegen (BVerwG, U.v. 15.3.2017 - 6 C 46/15 - juris m.w.N.; Niehues/Fi-scher/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 374). Prüfungsbestimmungen in Verwaltungsvorschriften genügen den formellen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nicht (BVerwG, U.v. 15.3.2017 - 6 C 46/15 - juris).
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Für Hochschulprüfungen hat die normative Festlegung des Prüfungsstoffes auf Ebene der Prüfungsordnung der Hochschule zu erfolgen, in der gem. Art. 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BayHSchG der Zweck der Prüfung, die Gegenstände der Prüfung sowie die Anforderungen in der Prüfung zu regeln sind. Das Bayerische Hochschulgesetz ermächtigt nicht zur Subdelegation, d.h. die Prüfungsordnung muss die Regelungen grundsätzlich selbst treffen und darf sie nicht delegieren (BeckOK HochschulR Bayern/Aulehner, 21. Ed. 1.5.2021, BayHSchG Art. 61 Rn. 87). Eine Verlagerung detaillierterer Vorgaben aus der Prüfungsordnung hinaus in Regelwerke außerhalb der Satzungen, insbesondere in Modulhandbücher und Kursordnungen, die jederzeit und ohne Satzungsänderung abänderbar sind, ist daher nicht zulässig BeckOK HochschulR Bayern/Aulehner, 21. Ed. 1.5.2021, BayHSchG Art. 61 Rn. 91).
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Die Anforderungen an die Bestimmtheit der Regelungen über die Prüfungsinhalte steigen mit der Relevanz der Prüfung für den weiteren beruflichen Werdegang des Prüflings. Wenn schon der Misserfolg in einer studienbegleitenden Einzelfachprüfung die Zulassung zu weiteren notwendigen Fachprüfungen oder Abschlussprüfungen versperrt, müssen die normativen Vorgaben bereits für die Einzelfachprüfungen entsprechend intensive Steuerungskraft besitzen, so dass der Prüfungserfolg, nämlich die Eignung des Prüflings für den angestrebten Beruf, daran gemessen werden kann (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 375).
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Vorliegend ist in § 4 Abs. 1 Satz 1 SPO-IIM i.V.m. Nr. 1.7. der Übersicht über die Module, Fächer und Leistungsnachweise der theoretischen Studiensemester in der Anlage der SPO-IIM lediglich geregelt, dass im Modul Statistik eine schriftliche Prüfung mit einer Prüfungsdauer von 120 Minuten erfolgt. Eine nähere Konkretisierung des Prüfungsinhalts enthält die Studien- und Prüfungsordnung nicht. Im Hinblick auf die Bedeutung der Modulprüfung für den Bachelorabschluss erfüllt die bloße Angabe „Statistik“ nicht die Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Festlegung des Prüfungsstoffs. Ebenso wenig genügt es, dass die Studienziele und -inhalte des Moduls Statistik ausführlich im Modulhandbuch dargestellt sind, das nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SPO-IMM vom Fakultätsrat beschlossen wird. Da das Modulhandbuch nicht Bestandteil der Prüfungsanordnung ist, nimmt es an deren normativem Charakter nicht teil und kann zu einer Konkretisierung des prüfungsrelevanten Stoffes nicht beitragen (vgl. hierzu VGH Mannheim, U.v. 21.11.2017 - 9 S 1145/16 - juris; BeckOK HochschulR Bayern/Aulehner, 21. Ed. 1.5.2021, BayHSchG Art. 61 Rn. 91). Mithin fehlt es für die streitgegenständliche Modulprüfung an einer hinreichend bestimmten satzungsrechtlichen Festlegung des Prüfungsinhaltes.
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Für eine übergangsweise Heranziehung des Modulhandbuchs zur Bestimmung der Prüfungsinhalte nach den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung und Vermeidung noch verfassungsfernerer Zustände (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 15.3.2017 - 6 C 46/15 - juris) besteht vorliegend kein Raum. Die Notwendigkeit einer hinreichend bestimmten normativen Festlegung des Prüfungsstoffs für berufsbezogene Prüfungen ist in der Kommentarliteratur und Rechtsprechung seit langem anerkannt. Dass Prüfungsbestimmungen in Verwaltungsvorschriften den formellen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nicht genügen, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. März 2017 explizit klargestellt. Der Beklagten stand seitdem bereits ein ausreichend langer Zeitraum für eine Anpassung ihres Hochschulrechts zur Verfügung.
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Damit erweist sich die angegriffene Prüfungsentscheidung als rechtswidrig. Die Klägerin hat somit einen Anspruch auf erneute Prüfungsablegung.
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Auf die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler kommt es damit nicht mehr an. Gleiches gilt hinsichtlich der offenbar unterbliebenen Zweitkorrektor und fehlenden Begründung der Bewertung seitens der Prüfer, insbesondere bei Nichtbestehen, sowie die Kennzeichnung der Prüfungsarbeit als „Drittversuch“ durch die Klägerin.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Dies ist der Fall, wenn es dem Widerspruchsführer nach seinen persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte (BVerwG, B.v. 14.1.1999 - 6 B 118/98). Angesichts der Komplexität der Sach- und Rechtslage und der hohen Bedeutung der Bachelorprüfung für die Klägerin ist dies hier der Fall. Vom maßgeblichen Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei durfte die Klägerin die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.