Titel:
Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus trotz nicht erheblicher Anlasstaten
Normenketten:
StGB § 20, § 63, § 113, § 123 Abs. 1, § 185, § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
GewSchG § 4 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auch dann möglich, wenn die Anlasstaten zwar nicht erheblich sind, jedoch bei fehlender Behandlung der vorliegenden paranoiden Schizophrenie künftig gleichartige (wie hier Nachstellung) oder gar erheblichere Taten zu erwarten sind. (Rn. 190 – 210) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Straftaten ist auch nicht dadurch gemindert, dass der Täter trotz der seit 13 Jahren bestehenden Erkrankung bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. (Rn. 198 und 199) (Rn. 209 und 210) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung, psychiatrisches Krankenhaus, Schuldunfähigkeit, paranoide Schizophrenie, nicht erhebliche Anlasstaten, Stalking, Gefährlichkeitsprognose, langjährige Straffreiheit
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 28.07.2021 – 1 StR 190/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 28972
Tenor
1. Die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.
2. Die Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften:
Entscheidungsgründe
I. Persönliche Verhältnisse
1
Die Beschuldigte wurde am … geboren, wo sie bei ihren Eltern als deren einziges Kind aufwuchs.
2
Sie wurde nach dem Kindergarten regulär beschult, war eine gute Schülerin und erwarb die Hochschulreife.
3
An der Polytechnischen Hochschule in C./U. erwarb die Beschuldigte einen Abschluss als Diplomingenieurin für Elektrotechnik und promovierte im Anschluss hieran in diesem Fach.
4
Die Eltern der Beschuldigten waren an derselben Universität in C./U. tätig und hatten dort ebenfalls Elektrotechnik studiert.
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Am 28.11.1998 reisten die Eltern der Beschuldigten nach Deutschland aus, nachdem die Wirtschaft in der Ukraine rasant nach unten ging.
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Die Beschuldigte kam am 16.12.2001 aus der Ukraine nach Deutschland.
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In den Jahren 2005/2006 absolvierte die Beschuldigte Fortbildungskurse. Sie arbeitete ca. 2 bis 3 Jahre im IT-Bereich, zunächst noch ohne Programmiertätigkeit. Ab dem Jahr 2010 arbeitete sie in der Softwareentwicklung.
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Seit dem 01.11.2017 war die Beschuldigte bei einer IT-Beratung in M., der … in der Softwareentwicklung tätig. Ihr Gehalt wurde mit 75.000 EUR brutto jährlich vereinbart. Sie wurde noch in der Probezeit entlassen.
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Die Beschuldigte und ihre Eltern lebten in München in gegenüberliegenden Wohnungen im Anwesen Strehlanger 15. Die Mutter der Beschuldigten verstarb am 14.03.2020 an Krebs. Der Vater der Beschuldigten, der seit seinem 15. Lebensjahr an Morbus Bechterew leidet, ist jetzt 83 Jahre alt, schwerbehindert, erlitt vor 2 Jahren einen Wirbelsäulenbruch und wird tagsüber in seiner Wohnung von einem professionellen Pflegedienst betreut. Abends und ggf. nachts kümmerte sich die Beschuldigte um ihn.
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Die Beschuldigte nimmt seit dem Jahr 2005 das Medikament Zeldox 60 mg ein, bei welchem ihr bekannt ist, dass es sich um ein Neuroleptikum handelt. Die Beschuldigte erklärt ausdrücklich, nicht an paranoider Schizophrenie zu leiden, sondern Zeldox 60 mg wegen seiner stabilisierenden Wirkung zu nehmen, und weil es besser für die Konzentration sei.
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Die Beschuldigte war nie verheiratet und hat keine Kinder.
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Die Beschuldigte raucht nicht. Illegale Drogen konsumierte die Beschuldigte nie. Die Beschuldigte hat kein Alkoholproblem.
13
Die Beschuldigte hat keine schweren körperlichen Erkrankungen, Operationen oder Unfälle erlitten, insbesondere nicht mit Schädel- und/oder Hirnverletzungen.
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Die Beschuldigte ist bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
15
1. Die Beschuldigte und der Geschädigte … waren seit dem 01.11.2017 Arbeitskollegen. Die Beschuldigte wurde noch in der Probezeit entlassen.
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Seit dem 28.03.2018 erschien die Beschuldigte immer wieder an der früheren gemeinsamen Arbeitsstelle in der M. straße ... in M. und wollte mit dem Geschädigten …sprechen. Trotz Aufforderung, dies zu unterlassen, und trotz Erteilung eines Hausverbots am 24.09.2018 durch den hierzu Berechtigten, den Zeugen … erschien die Beschuldigte immer wieder dort. Die Beschuldigte sprach den Geschädigten … bei diesen Gelegenheiten insbesondere darauf an, dass sie ein Kind von ihm haben und eine Beziehung mit ihm eingehen wolle.
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Der Geschädigte … fühlte sich erheblich gestresst durch das Verhalten der Beschuldigten, was sich unter anderem durch Magenschmerzen, erhöhten Puls, Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten bemerkbar machte. Er baute Überstunden ab und fuhr von der Arbeit nach Hause, oder er schlich sich aus dem Büro, um der Beschuldigten nicht begegnen zu müssen.
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Die Beschuldigte schrieb dem Geschädigten … darüber hinaus fast täglich E-Mails und SMS. Im Zeitraum vom 28.03.2018 bis zum 28.11.2018 sendete die Beschuldigte dem Geschädigten …insgesamt 131 E-Mails und SMS.
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Sie stellte sich auch in die Nähe der Wohnung des Geschädigten … an den L. Platz und kontaktierte ihn von dort aus per SMS.
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Am 29.11.2018 erging durch das Amtsgericht München, Az. 532 F 11358/18, ein Beschluss nach § 1 GewSchG, wonach die Beschuldigte es befristet bis 29.05.2019 unter anderem zu unterlassen hatte, mit dem Geschädigten … in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Dieser Beschluss wurde der Beschuldigten am 30.11.2018 durch Einlegung in den zu ihrer Wohnung im Strehleranger 15 in München gehörigen Briefkasten auch zugestellt. Dennoch schickte die Beschuldigte dem Geschädigten S. weiterhin insgesamt 31 SMS und 22 E-Mails.
21
Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.
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Darüber hinaus hält die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten.
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2. Am 30.10.2018 gegen 14:55 Uhr betrat die Beschuldigte das Bürogebäude M. straße ... in M., obwohl ihr für dort - wie sie auch wusste - ein wirksames Hausverbot erteilt worden war.
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Gegen 15:00 Uhr wurden … und … beide Angehörige der Zivilen Einsatzgruppe der Polizeiinspektion 44 in M. (M.), zu dem vorbezeichneten Bürogebäude gerufen. Die Polizeibeamten wiesen sich der Beschuldigten gegenüber mittels Dienstausweises aus. Die Beschuldigte weigerte sich trotz Aufforderung, das Gebäude zu verlassen, und verlangte, zu … vorgelassen zu werden. Daraufhin nahmen … und … die Beschuldigte an den Oberarmen und führten sie hinaus. Die Beschuldigte riss sich los, um erneut ins Gebäude zu gehen. Erneut griffen die Polizeibeamten nach den Armen der Beschuldigten, um sie zu fesseln. Die Beschuldigte sperrte sich, indem sie mit ihren Händen ihre Handtasche umklammerte und sich damit in eine „Embryostellung“ begab, als sie zur Fesselung zu Boden gebracht wurde, um die Diensthandlung zu erschweren.
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Dann wurde die Beschuldigte zum Dienstfahrzeug gebracht, um mit ihr zur Dienststelle zu fahren. Das Fahrzeug wurde vom Zeugen … gelenkt.
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Im Dienstfahrzeug saß die Beschuldigte mit vor dem Körper gefesselten Händen hinten rechts, die Zeugin … links daneben. Es kam während der Fahrt zu einer Rangelei zwischen der Zeugin … und der Beschuldigten, weil die Beschuldigte etwas aus ihrer Tasche holen wollte.
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Der Zeuge … hielt das Dienstfahrzeug an und wendete durch das hintere Fenster bei der Beschuldigten den Kopfkontrollgriff an, bei welchem eine Hand von unten an die Nase drückt und die andere Hand von hinten den Kopf hält. Daraufhin spuckte die Beschuldigte den Zeugen … vom Fahrzeuginneren aus völlig überraschend an, um ihre Missachtung auszudrücken.
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Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.
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3. Am 13.11.2018 gegen 15:00 Uhr betrat die Beschuldigte das Bürogebäude M. straße ... in M., obwohl ihr für dort - wie sie auch wusste - ein wirksames Hausverbot erteilt worden war.
30
Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.
III. Fehlende Schuldfähigkeit
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Die Beschuldigte ist an paranoider Schizophrenie (ICD-10: F20.0) erkrankt.
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Zur Zeit der Begehung der vorstehend unter II. 1., 2. und 3. festgestellten Taten bestand bei der Beschuldigten im Rahmen der paranoiden Schizophrenie eine floride psychotisch-paranoide Symptomatik mit inhaltlichen Denkstörungen, Halluzinationen, Ich-Störungen, Beeinträchtigungs- und Beziehungserleben und formalen Denkstörungen.
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Aufgrund dieser krankhaften seelischen Störung war bei der Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten die Fähigkeit aufgehoben, das Unrecht ihrer Taten einzusehen. Ihre Einsichtsfähigkeit war aufgehoben im Sinn von § 20 StGB.
IV. Feststellungen zu den weiteren Tatvorwürfen aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft vom 09.11.2020, Az. 262 Js 142495/20
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1. Am 20.03.2020 gegen 21:45 Uhr fuhr der Zeuge … der seit dem Jahr 2014 im Anwesen … mit seiner Familie eine Wohnung im 3. OG bewohnt, zusammen mit seiner Schwester mit dem Aufzug ins Erdgeschoss. Die Beschuldigte sprach ihn im Treppenhaus darauf an, wer seine Schwester sei, und was sie hier mache.
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Der Zeuge … und seine Schwester verließen das Haus.
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2. Am 21.03.2020 gegen 20:30 Uhr hielt sich die Beschuldigte im Treppenhaus des Anwesens … auf. Sie hielt einen länglichen, schwarzen, ca. 30 cm langen Gegenstand aus Metall in der Hand. Als der Zeuge … vom Gassigehen mit seinem Hund in das Anwesen zurückgekehrt war, sah er die Beschuldigte im unbeleuchteten 2. OG stehen. Sie ging in seine Richtung die Treppe hinauf. Die Beschuldigte hatte die Hand mit dem metallischen Gegenstand in keiner Weise zum Schlag erhoben.
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Der Zeuge … atte jedoch bereits zu früheren Zeitpunkten gesehen, dass die Beschuldigte mit dem metallischen Gegenstand u.a. gegen die Wandkacheln des Treppenhauses geschlagen hatte. Der Zeuge … befürchtete, die Beschuldigte könnte ihn schlagen wollen, und ging in seine Wohnung.
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3. Am 06.07.2020 gegen 20:45 Uhr traf der Zeuge … im Treppenhaus des Anwesens … mit der Beschuldigten zusammen.
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I. Die Feststellungen unter A. I. zu den persönlichen Verhältnissen der Beschuldigten beruhen auf ihren glaubhaften Angaben in der Hauptverhandlung sowie auf ihren ergänzenden Angaben gegenüber dem Sachverständigen … bei der psychiatrischen Exploration am 29.04.2019.
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Ihre Angaben zur Tätigkeit bei der Firma … wurden zudem durch den Zeugen … bestätigt.
41
Ihre Angaben zum Gesundheitszustand ihres Vaters, des Zeugen … wurden durch dessen Einvernahme in der Hauptverhandlung glaubhaft bestätigt. Dieser erklärte insbesondere, nach dem Krebstod seiner Frau am 14.03.2020 kümmere sich tagsüber ein ambulanter Pflegedienst um ihn, da er schwerbehindert sei. Alle Gelenke des Halses, der restlichen Wirbelsäule und der Hüfte seien verknöchert und ohne Beweglichkeit. Er könne weder sitzen noch sich bücken, sondern nur kurz stehen und im Übrigen liegen. Seine Tochter, die auf Kredit Wohnungen für sich selbst sowie ihn und seine Frau auf derselben Etage auf Kredit gekauft habe, kümmere sich auch um ihn und helfe ihm sehr. Der Pflegedienst komme nur bis 19 Uhr. Danach kümmere sich seine Tochter um ihn. Wohl aufgrund des Stresses bei der Arbeit habe sie manchmal unerklärliche Handlungen gemacht. Bei ihm habe sich aber niemand beschwert, dass sie jemanden verletzt oder geschlagen habe.
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Die Feststellung, dass die Beschuldigte bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, beruht auf der in der Hauptverhandlung verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 08.05.2020.
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II. Zu den Tatvorwürfen aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft München vom 09.11.2020, Az. 262 Js 142495/20, erklärte die Beschuldigte, … und … hätten die Anzeigen nicht geschrieben. Das sei alles gelogen … spreche kaum Deutsch, weshalb die Anzeige in der Akte nicht von ihm sein könne.
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Mit … habe sie nur sprechen wollen. Er wohne in der Wohnung über der Wohnung ihrer Eltern.
45
Ihre Mutter habe an Krebs gelitten und plötzliche akustische Störungen gehabt. Im August/September 2019 habe es außerdem elektronische Einflüsse auf ihre Mutter in der Wohnung gegeben, was zu einer rasanten Entwicklung von Metastasen geführt habe.
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Auf ihr Klingeln habe eine Schwester oder Cousine von … geöffnet. … sei herausgekommen, habe aber nicht mit ihr sprechen wollen, sondern sie beschimpft, ins Gesicht geschlagen und mehrfach nach ihr getreten. Er habe sie auch später im Treppenhaus angegriffen, woraufhin sie die Polizei in Riem angerufen habe. Als die Polizei gekommen sei, habe … sie beschuldigt, seine schwangere Frau angegriffen zu haben. Sie habe gesagt, dass das nicht stimme, sondern dass sie von ihm angegriffen worden sei. Er sei Boxer und stärker als sie.
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Über das Gesundheitsamt sei sie nach Haar gebracht worden, obwohl ihre Anzeige nicht dabei gewesen sei, und obwohl die Beschuldigungen von … und … gelogen gewesen seien.
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Am 20.03.2020 sei sie um 17 Uhr nach Hause gekommen und sofort zu ihrem Vater gegangen, um die Beerdigung der Mutter zu besprechen. Ab 20 Uhr sei sie in ihrer eigenen Wohnung gewesen.
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Am 21.03.2020 sei sie ab 20 Uhr zu Hause gewesen und nicht mehr rausgegangen.
50
Zu den Tatvorwürfen betreffend den Zeugen … aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 28.02.2020, Az. 262 Js 103952/19, erklärte die Beschuldigte, sie habe … zuletzt am 02.08.2019 gesehen. Am 02.06.2019 habe sie nur einen Satz mit … gesprochen.
51
… sei ab November 2017 ihr Teamleiter bei der Arbeit gewesen. Sie habe bei einer IT-Beratung gearbeitet, und er sei der Leiter des Programmierungsteams für Softwareentwicklung im Wirtschaftsbereich gewesen. Er habe sie zusammen mit seinem Vorgesetzten eingestellt.
52
Sie hätten sich gut verstanden. Sie seien zum Essen gegangen, auch zusammen mit Dritten. Er habe sie „angemacht“. Er habe Probleme mit seiner Frau gehabt, die dann plötzlich schwanger gewesen sei.
53
Im Januar 2018 sei ihr wegen Krankheit gekündigt worden. Nach der Kündigung habe sie noch ca. drei bis vier Mal mit … gesprochen. Er und sein Vorgesetzter … hätten sie zu einem Gespräch wegen Nebenangelegenheiten in die Firma geladen, die noch zu regeln gewesen seien.
54
Der Abteilungsleiter … habe ein Hausverbot ausgesprochen. … habe ihr nie ein Hausverbot erteilt und ihr nie gesagt, er wolle sie nicht mehr sehen und keinen Kontakt mehr mit ihr haben.
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Ab März 2020 habe sie ihm nicht mehr geschrieben.
56
Eine Gewaltschutzanordnung vom 29.11.2028 habe sie nicht bekommen.
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Sie habe SMS geschrieben, … aber nicht gesehen. Sie habe nicht gewusst, wo er wohnt. Sie sei nie bei ihm zu Hause gewesen.
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Zu den Tatvorwürfen betreffend die Zeugen … und … aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 28.02.2020, Az. 262 Js 103952/19, erklärte die Beschuldigte, die Polizisten hätten sie ins Auto gesetzt und gefesselt. Sie habe eine Tasche mit Geschenken für die Kinder von … in der Hand gehabt. Sie habe ihre Mutter anrufen wollen. Neben ihr im Auto habe die Polizistin gesessen. Sie habe das Handy und die Tasche gewollt. Der Polizist habe das Auto angehalten, das Fenster geöffnet, sie mit dem Kopf gegen die Nackenlehne gestoßen und sie mit Fingerdruck ruhiggestellt. Sie habe sich nicht wehren können und dann gespuckt.
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Zu den Tatvorwürfen des Hausfriedensbruchs erklärte die Beschuldigte, nach dem Hausverbot sei sie vier Mal in der Firma gewesen. Zweimal sei die Polizei gekommen. Wenn … gekommen wäre und ihr gesagt hätte, er wolle nichts mit ihr zu tun haben, wäre sie nicht mehr gekommen.
60
Der unter A. II. 1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen … und ….
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Der Zeuge … gab insbesondere an, er kenne die Beschuldigte. Sie sei ab November 2017 als IT-Beraterin und IT-Entwicklerin bei der … angestellt gewesen, wo er ihr Teamleiter gewesen sei. Anfangs habe sie ihre Arbeit gut gemacht. Sie seien auch im Kollegenkreis zum Mittagessen gegangen, aber nie nur zu zweit.
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Nach einigen Wochen hätten sich seltsame, wirre Dinge in ihrem Verhalten und ihren Äußerungen gezeigt, die keinen Bezug zu Personen oder Ereignissen in der Firma gehabt hätten. Sie habe von „Hochgeschwindigkeitsspielen“ gesprochen, die in der Firma gespielt würden. Im Februar 2018 sei sie mehrfach plötzlich stehengeblieben, als ob man auf eine „Pause-Taste“ gedrückt hätte.
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Die Beschuldigte habe angefangen, ihn zu stalken. Sie habe ihm gesagt, sie wolle ein Kind von ihm.
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Am 21.02.2018 habe sie sich krankgemeldet. Sie habe ihm bereits vorher erzählt, dass sie seit Jahren eine katatone Schizophrenie habe. Die Beschuldigte sei dann noch in ihrer Probezeit entlassen worden. Nach der Kündigung habe ihm die Beschuldigte fast täglich E-Mails auf seinen Arbeitsrechner geschickt, außerdem SMS auf sein privates Handy. Sie habe ihn ständig angerufen. Obwohl er sie mehrfach gebeten habe, das zu unterlassen, habe sie diese Aktionen fortgesetzt. Er habe ihr oft gesagt und geschrieben, dass er keinen Kontakt mit ihr wolle, und dass sie ihn in Ruhe lassen solle. Sehr bald habe er Antworten auf ihre E-Mails und SMS völlig unterlassen, da sie keinerlei Erfolg zeigten. Stattdessen sei er geflüchtet, wenn sie ihr Kommen in der Firma angekündigt habe, wobei ihm Kollegen geholfen hätten, sich unbemerkt von ihr aus dem Bürogebäude zu schleichen.
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Viele ihrer SMS seien völlig wirr gewesen, viele hätten sich auch darauf bezogen, dass sie ein Kind von ihm wolle und ihn deshalb sehen müsse. Die Beschuldigte sei auch mehrfach wieder in die Firma gekommen, so dass schließlich auch die Polizei gerufen worden sei.
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Das Nachstellen durch die Beschuldigte habe bei ihm starken psychischen Stress ausgelöst, der auch körperliche Folgen gehabt habe, insbesondere Schlafstörungen, erhöhter Puls, Konzentrationsschwierigkeiten und auch Magenschmerzen. Ihn habe sehr belastet nicht zu wissen, was sie mit ihm vorhatte. Er habe durchaus überlegt, ihre Nummer bzw. E-Mailadresse zu sperren, um die Kontaktversuche ihrerseits zu unterbinden. Er habe das nicht getan, weil es ihm letztlich lieber gewesen sei, zu wissen, wo sie sie aufhielt oder was sie gerade unternehmen wollte, als ihr z.B. beim Verlassen der Wohnung oder des Büros plötzlich ohne Vorwarnung gegenüberzustehen, möglicherweise in ein Messer zu laufen oder gar plötzlich ein Kind zu vermissen.
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Auch nach der von ihm beantragten und vom Gericht erlassenen Gewaltschutzanordnung habe sie ihm noch 31 SMS und 22 E-Mails geschickt. Insgesamt seien es über 200 SMS und E-Mails gewesen.
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Sie habe auch seine Privatadresse in Erfahrung gebracht, nachdem sie ihn bereits vorher vom L. Platz aus - von wo er regelmäßig die U-Bahn genommen habe - per SMS kontaktiert und aufgefordert habe, dorthin zu kommen. Seine Privatadresse habe die Beschuldigte wohl sogar mit dem gerichtlichen Beschluss erhalten, obwohl er das nicht gewollt habe; sein Zettel sei drauf gewesen. Die Beschuldigte habe ihm den Erhalt der Gewaltschutzanordnung am 30.11.2018 per SMS mitgeteilt.
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Einmal habe sie bei ihm zu Hause an der Tür geklingelt. In der Annahme, es sei die Post, habe er geöffnet und sich ihr gegenübergesehen. Insgesamt sei sie mindestens dreimal bei ihm zu Hause gewesen, einmal nachts um ca. 22 Uhr. Sie sei mit dem Taxi gekommen, habe geklingelt und sich dann versteckt.
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Unter anderem am 14.08., 21.08., 24.09., 01.10., 04.10., 15.10., 22.10., 24.10., 30.10. und 13.11.2018 sei sie in der Firma aufgetaucht. Dort habe sie manchmal stundenlang am Aufzug gestanden.
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Am 08.04.2019 sei sie erneut bei ihm daheim aufgetaucht. Davon habe er Fotos gemacht.
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Danach habe er keine Aufzeichnungen mehr geführt.
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Er wisse aber noch, dass sie im Juli 2019 nur noch ca. 10 E-Mails an ihn in die Firma geschrieben habe.
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Bei seiner zweiten polizeilichen Zeugenvernehmung am 04.03.2019 habe er alle Protokolle hierzu vorgelegt.
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Er habe bei der Polizei wegen Nachstellung Strafantrag gestellt.
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Der Zeuge …ar bereits zu Beginn seiner Vernehmung äußerst aufgewühlt. Er weinte und zitterte. Erst nach erheblichen Anstrengungen gelang es ihm, seine Fassung wiederzuerlangen.
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Zur Erläuterung seiner psychischen Verfassung gab der 44 Jahre alte IT-Fachmann an, er habe diese Frau verdrängen wollen, was ihm eigentlich zuletzt ganz gut gelungen sei. Wenn die Frau aus seinem Leben weg sei, gehe es ihm einige Monate später wieder besser, auch ohne ärztliche Behandlung, die er nicht in Anspruch genommen habe. Er habe das selbst bewältigen wollen, was ganz gut gegangen sei.
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Jetzt, wo er sie erneut sehe, komme jedoch alles wieder hoch. Die Beschuldigte habe ihn nicht direkt bedroht, aber er habe ständig Angst gehabt, dass etwas passiert, insbesondere auch mit seiner Familie. Seine Kinder seien 2 und 5 Jahre alt gewesen, und in Kenntnis der Schizophrenie der Beschuldigten und ihrer wiederholten Aussage, sie wolle ein Kind von ihm, habe er sich um die Kinder große Sorgen gemacht. Seine ganze Familie habe Angst vor ihr gehabt. Sie hätten z.B. auch im Kindergarten Bescheid gesagt, dass wegen der Beschuldigten aufgepasst werden solle.
79
Der habe sie als Bedrohung eingeschätzt, auch wenn sie ihm gegenüber nicht gewalttätig geworden sei. Dies habe vor allem darauf beruht, dass sie ihm nachgestellt habe, dass sie ein Kind von ihm gewollt habe - wofür sie ihm 1 Million Euro angeboten habe - und dass sie psychisch krank sei.
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Diese Erläuterung des Zeugen …st nach Überzeugung der Kammer nachvollziehbar und glaubhaft.
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Ungeachtet der emotionalen Aufgewühltheit war der Zeuge … erkennbar ernsthaft bestrebt, die Erkrankung der Beschuldigten zu berücksichtigen und insbesondere keine Angaben zu machen, an die er sich im Einzelnen nicht mehr erinnerte. Seine Aussage war von keinem Belastungseifer geprägt, sondern von dem Bemühen um Sachlichkeit.
82
Die Kammer erachtet deshalb die Aussage des Zeugen … für vollumfänglich glaubhaft.
83
Der Zeuge … der u.a. das Objekt … als Hausmeister betreut, sagte glaubhaft aus, er kenne die Beschuldigte, weil sie das Objekt trotz eines Hausverbots immer wieder aufgesucht habe, weshalb es Beschwerden und Polizeieinsätze gegeben habe. Der Chef … habe ein Hausverbot ausgesprochen, und er als Hausmeister ebenso.
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Nach ihrer Entlassung sei sie noch ca. 30 bis 40 Mal da gewesen, auch einige Male nach Ausspruch des Hausverbots. Sie habe oft auf der Parkbank im Innenhof gesessen und gewartet, seines Erachtens auf Herrn … Er wisse nicht, was sie von Herrn … gewollt habe und wie sie an dessen Privatadresse gekommen sei.
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Seiner Erinnerung nach habe das im Jahr 2019 aufgehört.
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Der Zeuge … erklärte ferner, ihm gegenüber sei die Beschuldigte nie aggressiv geworden.
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Der unter A.II.2. festgestellte Sachverhalt beruht auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen … und … die den Tathergang wie festgestellt schilderten.
88
Die Zeugin …gab hierzu insbesondere an, sie sei am 30.10.2018 zusammen mit ihrem Kollegen … als Zivilstreife wegen eines Hausfriedensbruchs gerufen worden. Der Hausmeister … habe sie zur Beschuldigten geführt, die vor einem Aufzug gestanden sei und vor sich hin gestarrt habe. Sie hätten ihr die Dienstausweise gezeigt. Nachdem die Beschuldigte trotz ihrer Aufforderung nicht hinausgegangen sei, hätten sie sie hinausgeführt. Die Beschuldigte habe plötzlich kehrtgemacht und zurückgewollt. Nachdem ihr die Fesselung angedroht worden sei, sie aber nicht reagiert habe, sei sie zur Fesselung zu Boden gebracht worden, wobei sie sich mit ihrer Tasche in eine „Embryostellung“ begeben habe.
89
Auf Nachfrage habe der örtliche Chef bejaht, dass das Hausverbot gegen die Beschuldigte noch bestehe. Dann sei die Beschuldigte zum Dienstfahrzeug gebracht worden.
90
Im Dienstfahrzeug sei es zu einer Rangelei zwischen ihr und der Beschuldigten gekommen, weil die Beschuldigte etwas aus ihrer Tasche habe holen wolle. Die Beschuldigte habe nicht gesagt, was sie mit der Tasche machen wollte, auch nichts von einem Anruf bei ihrer Mutter.
91
Der Kollege … habe das Dienstfahrzeug angehalten und durch das hintere Fenster bei der Beschuldigten den Kopfkontrollgriff angewendet, bei welchem eine Hand von unten an die Nase drückt und die andere Hand von hinten den Kopf hält. Die Beschuldigte sei dann aus dem Fahrzeug geholt worden. Ihr sei erklärt worden, dass sie mit zur Dienststelle müsse. Dann sei Ruhe gewesen. Ein Spucken hatte die Zeugin … nicht beobachtet.
92
Den Zustand der Beschuldigten beschrieb die Zeugin … als verwirrt, in sich gekehrt und still. Sie habe kaum gesprochen, kaum reagiert und keinen Anhaltspunkt für Alkohol- oder Drogenkonsum gegeben. Sie habe nur einmal gesagt, … solle herunterkommen und ihr sagen, dass er nichts mit ihr zu tun haben wolle.
93
Der Zeuge … sagte ebenfalls glaubhaft aus, er und … seien als zivile Streife wegen eines Hausfriedensbruchs zur … gerufen worden. Sie hätten auf Verlangen der Beschuldigten den Dienstausweis vorgezeigt. Da die Beschuldigte das Anwesen trotz Aufforderung nicht verlassen habe, hätten sie sie mit unmittelbarem Zwang hinausgeführt. Schließlich habe sie gefesselt werden müssen, nachdem sie sich zunächst losgerissen und es danach eine Rangelei gegeben habe.
94
Im Dienstfahrzeug habe es zwischen der Beschuldigten und seiner Kollegin eine Rangelei gegeben, weil die Beschuldigte etwas aus ihrer Tasche habe holen wollen. Die Beschuldigte habe mit vor dem Körper gefesselten Händen hinten rechts gesessen, seine Kollegin … links daneben. Er selbst sei der Fahrer des Dienstfahrzeuges gewesen. Er habe angehalten und bei der Beschuldigten den Kopfkontrollgriff angewendet. Daraufhin habe sie ihn vom Fahrzeuginneren aus völlig überraschend angespuckt.
95
Er habe deshalb Strafantrag gestellt.
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Danach sei die Beschuldigte zur Dienststelle gebracht worden. Die Beschuldigte sei wohl wegen eines Mannes namens …n dem Anwesen … gewesen, mit dem sie eine Aussprache gewollt habe. Der Mann habe eine Beziehung mit ihr vehement verneint.
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Auch der … der Hausmeister des Objektes … bestätigte, am 30.10.2018 sei eine Zivilstreife der Polizei gekommen und habe die Beschuldigte des Hauses verwiesen und sie hinausgebracht.
98
Vorher sei ca. 10 Minuten lang auf sie eingeredet worden, aber sie sei nicht rausgegangen.
99
Die Beschuldigte habe sich losgerissen, als sie zum Haupteingang hinausgebracht werden sollte. Es habe ein Gerangel gegeben, als die Polizei sie fesseln wollte und zu Boden brachte. Die Beschuldigte habe sich aber nicht mit Schlägen gegen die Beamten gewehrt.
100
Der unter A. II. 3. festgestellte Sachverhalt beruht auf der glaubhaften Aussage des Zeugen … der angab, der Hausmeister habe die Polizei verständigt, weil eine ehemalige Angestellte trotz eines Hausverbots wieder da sei. Der Hausmeister habe ihn und seinen Kollegen … in den Innenhof geführt, wo sich die Beschuldigte aufgehalten habe. Er und sein Kollege seien uniformiert gewesen. Als die Beschuldigte sie gesehen habe, sei sie eilig weggegangen. Sie sein ihr gefolgt, hätten sie belehrt und vernommen. Die Beschuldigte habe verwirrt gewirkt. Aus seiner Sicht sei fraglich, ob sie wirklich verstanden habe, was gesagt worden sei. Sie sei jedoch dem Platzverweis nachgekommen.
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Nachdem Herr … auf telefonische Nachfrage bestätigt habe, dass die Beschuldigte ihm nachstelle, sei sie zur Abklärung des Vorwurfs der Nachstellung mit zur Dienststelle genommen worden. Phasenweis sei ein normales Gespräch mit ihr möglich gewesen. Bei der Frage nach einer psychischen Erkrankung sei sie ausgewichen und habe nur unklar geantwortet. Dann habe sie unvermittelt gefragt, warum sie angezeigt werde.
102
Der Zeuge … bestätigte, dass die Beschuldigte auch am 13.11.2018 trotz des Hausverbots erneut im Anwesen … war.
103
III. Die Feststellungen unter A. III., insbesondere zu der psychischen Erkrankung der Beschuldigten und ihrer bei Tatbegehung krankheitsbedingt aufgehobenen Einsichtsfähigkeit im Sinn von § 20 StGB, beruhen auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F..
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Der Sachverständige … Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, führte unter Bezugnahme auf sein schriftliches Gutachten vom 21.01.2020 und seine ergänzende schriftliche gutachterliche Stellungnahme vom 05.08.2020 (Sonderband „Gutachten“) aus, dass sich sein Gutachten stütze auf das Studium der ihm übersandten Verfahrensakten, die ihm zur Verfügung stehenden Arztbriefe des Klinikums Region Hannover GmbH vom 07.09.2007, des Klinikums H. L. vom 28.09.2005, des k.-I.-A.-Klinikums M.-O. vom 09.04.2018 und vom 04.10.2019, den Notfallblatt-Befundbericht der Dermatologischen Klinik der LMU vom 05.04.2019, die telefonische Unterredung mit der Beschuldigten im Zeitraum vom 07.03.2019 bis 02.05.2019, die am 29.04.2019 durchgeführten persönlichen Exploration und Untersuchung der Beschuldigten und die zusätzlichen Erkenntnisse der Hauptverhandlung.
105
Danach sei bei der Beschuldigten bereits im Jahr 2005 eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20.0) diagnostiziert und vom 23.08.2005 bis zum 26.09.2005 stationär behandelt worden. Nach der Therapie mit Risperidon und einer anschließenden Umstellung auf eine Depotmedikation sei eine Rückläufigkeit der psychotischen Symptomatik berichtet worden, jedoch bei völlig fehlender Krankheitseinsicht.
106
Im Jahr 2007 sei eine erneute stationäre Behandlung vom 29.07. bis zum 10.09. erfolgt, nachdem die Beschuldigte ihre vorherige ambulante Behandlung abgebrochen habe. Im Arztbrief werde eine erneute psychotische Dekompensation mit anfangs völlig fehlender Krankheitseinsicht berichtet. Nach anfänglicher Zwangsmedikation sei eine gewisse Krankheitseinsicht erzielt worden, verbunden mit der Bereitschaft zur Einnahme von Ziprasidon und Haloperidol.
107
Die Beschuldigte habe sich in München seit Mai 2014 in ambulanter fachärztlicher Behandlung bei … befunden, wo ihr das Medikament Ziprasidon (Zeldox) verordnet worden sei. Nach Angaben der Beschuldigten sei sie bis Juli 2018 bei …in Behandlung gewesen.
108
Die nächste stationär-psychiatrische Behandlung sei im Jahr 2018 dokumentiert, nämlich vom 26.02.2018 bis zum 09.04.2018 im k.-I.-A.-Klinikums M.-O.. Es sei ihr erster Aufenthalt dort gewesen. Die sei die Diagnose einer katatonen Schizophrenie (ICD-110: F20.2) gestellt worden. Die begleitenden Sanitäter hätten berichtet, man habe die Beschuldigte mutistisch in einer Ecke des Büros vorgefunden. Sie sei wohl bereits seit mehreren Wochen im Büro auffällig gewesen. Es bestehe eine bekannte Schizophrenie, sie sei bei … in Behandlung und unter Zeldox 60 mg wohl lange stabil gewesen.
109
Zur Fremdanamnese sei im Arztbrief vom 09.04.2018 ferner festgehalten, dass nach Auskunft der Eltern die Beschuldigte seit 3 Wochen ihre Medikamente abgesetzt habe. Sie schlafe schlecht, habe nachts Angst und habe Dinge geäußert wie „Alles wird mit Kameras gefilmt“, weshalb sie sich nicht mehr umziehen oder waschen könne. Sie habe berichtet, Stimmen zu hören, aus den Fenstern beobachtet zu werden, und dass auf der Arbeit die Kollegen mit ihr spielten.
110
Bei der Aufnahme sei der formale Gedankengang der Beschuldigten massiv verlangsamt gewesen. Sie sei bewusstseinsgetrübt, mit Verdacht auf akustische Halluzinationen, stark abgelenkt, im Affekt starr, gequält wirkend, psychomotorisch stark reduziert und ohne Gestik sowie kaum mit Mimik gewesen. Es habe keine Krankheitseinsicht bestanden und nur eine geringe Behandlungsbereitschaft.
111
Im Verlauf habe die Beschuldigte auch paranoide Wahninhalte geäußert, nämlich dass sie gefilmt und abgehört werde.
112
Die verordnete antipsychotische Medikation mit Haloperidol habe sie abgelehnt, so dass auf ihren ausdrücklichen Wunsch die Umstellung auf die vorbekannte antipsychotische Medikation mit Ziprasidon erfolgt sei. Die Einnahme sei nur unregelmäßig und teilweise erfolgt, so dass nur eine beginnende Stabilisierung und Besserung der Symptomatik erreicht worden sei. Erst eine schließlich mögliche Umstellung auf Olanzapin habe eine deutliche Entaktualisierung der psychotischen Symptomatik und eine weitere affektive Stabilisierung bewirkt. Am 09.04.20018 sei die Entlassung im teilremittierten Zustand erfolgt mit Olanzzapin als Entlassungsmedikation. Die Beschuldigte habe erklärt, eine ambulante Weiterbehandlung bei … vornehmen zu wollen.
113
Letzteres sei aber nur bis Juli 2018 der Fall gewesen.
114
Danach sei die Beschuldigte nach ihren Angaben nur einmal etwa im März 2019 in einer anderen psychiatrischen Praxis in M. gewesen.
115
Aus dem Notfallblatt-Befundbericht der Dermatologischen Klinik der LMU vom 05.04.2019 ergebe sich, dass die Beschuldigte über sich verschlechternden Hautausschlag geklagt habe, der durch die Bestrahlung mit verschiedenen Strahlen zu Hause verursacht werde. Außerdem werde sie vom BND überwacht.
116
Bei der am 29.04.2019 durchgeführten persönlichen Exploration und Untersuchung der Beschuldigten habe diese angegeben, die Polizeibeamten würden alle lügen, … ihr ehemaliger Teamleiter, sei ein steuerbarer Mensch, der sie teste und ihre Wohnung überwache. Er steuere sie, pflanze ihr Stimmen in den Kopf und könne ihre Gedanken beeinflussen. Das habe sie schon mehrfach bei der Polizei angezeigt. Die Gedanken würden über den PC überwacht. Sie habe sich dort bei Herrn … melden sollen, da sie Mitarbeiter dort hinbestellt hätten.
117
Die Beschuldigte habe keinerlei Krankheitseinsicht gezeigt. Bei ihr sei eine psychische Erkrankung auszuschließen. Eher handele es sich um eine Weltverschwörung, bei der sie eine wesentliche Rolle als Testperson spiele. Deshalb werde sie mit verschiedenen Methoden und unterschiedlichen Geräten angesteuert und abgehört, um Erkenntnisse der technischen Möglichkeiten zu erlangen. Sie sei seit 2018 Testperson für künstliche Intelligenz, was andere Leute - so auch die bayerische Polizei - mangels ausreichender Kenntnis nicht nachvollziehen könnten.
118
Sie habe noch Kontakt zu Herrn … Sie schreibe ihm, aber er antworte nicht. Das sei aber ebenfalls gesteuert.
119
Der Sachverständige … führte zusammenfassend aus, dass bei der Beschuldigten mit Sicherheit eine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) besteht, die bereits im Jahr 2005 zu einem stationär-psychiatrischen Aufenthalt führte.
120
Bei der von ihm durchgeführten Exploration (und ebenso bei den zeitnah dazu geführten Telefonaten mit der Beschuldigten) habe sich bestätigt, dass nach wie vor eine floride psychotisch-paranoide Symptomatik bestand.
121
Auch bei dem der Exploration nachfolgenden stationär-psychiatrischen Aufenthalt im k.-I.-A.-Klinikums M.-O. vom 05.09 bis zum 04.10.2019 sei laut dem Arztbrief vom 04.10.2019 erneut die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie mit akuter Exazerbation gestellt worden. Während dieser zivilrechtlichen Unterbringung habe die Beschuldigte insbesondere eine hohe Wahndynamik mit Verfolgungswahn gezeigt, begleitet von Aggressivität und einem Mangel an Krankheitsgefühl und Krankheitseinsicht.
122
Die Medikation mit Ziprasidon 60 mg habe nur eine unzureichende antipsychotische Wirksamkeit gezeigt. Erst die Umstellung auf Olanzapin habe zu einer allmählichen Entaktualisierung der psychotischen Symptomatik, einer affektiven Stabilisierung und einer gewissen Krankheitseinsicht geführt.
123
Aus einem weiteren Arztbrief des k.-I.-A.-Klinikums M.-O. zu dem stationär-psychiatrischen Aufenthalt der Beschuldigten vom 21.03.2020 bis zum 06.04.2020 ergebe sich erneut die gleiche Diagnose, auch wenn hier der Tod der Mutter sicherlich ein sehr belastender Faktor gewesen sei.
124
Für den Zeitraum der festgestellten Taten des Jahres 2018 sei aufgrund der vorliegenden medizinischen Dokumentationen und Erhebungen sowie der ergänzenden Erkenntnisse aus der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung, insbesondere der Angaben der Zeugen zum psychischen Zustand der Beschuldigten, davon auszugehen, dass bei der Beschuldigten im Rahmen der bestehenden paranoiden Schizophrenie eine floride psychotisch-paranoide Symptomatik mit inhaltlichen Denkstörungen, Halluzinationen, Ich-Störungen, Beeinträchtigungs- und Beziehungserleben und formalen Denkstörungen vorgelegen habe.
125
Aufgrund dieser krankhaften seelischen Störung sei bei der Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten die Fähigkeit aufgehoben gewesen, das Unrecht ihrer Taten einzusehen.
126
Ihre Einsichtsfähigkeit sei aufgehoben gewesen im Sinn von § 20 StGB.
127
Die Kammer schließt sich den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen … aus eigener Überzeugungsbildung uneingeschränkt an. Die Erwägungen des Sachverständigen … stehen im Einklang mit den sonstigen getroffenen Feststellungen, insbesondere zu dem psychischen Zustand der Beschuldigten bei Tatbegehung, wie er von den in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen glaubhaft geschildert wurde.
128
In der Hauptverhandlung konnte sich die Kammer zudem ein eigenes Bild vom psychischen Zustand der Beschuldigten machen.
129
Die Beschuldigte zeigte einerseits ein sehr gutes und präzises Gedächtnis, insbesondere auch für Zahlen und Details. Andererseits zeigten sich deutliche Realitätsverkennungen.
130
Zum Zeugen … erklärte sie, das sei nicht der Mensch, der sie bei … eingestellt habe. Vielleicht sei der Zeuge ein Buder von … aber ganz sicher nicht … selbst. Der Zeuge habe die Stimme von … gehabt, sei aber ein 15 bis 20 Kilogramm schwererer Bruder von …wohl sogar sein Zwillingsbruder. Auch der Hausmeister habe bestätigt, dass ein falscher … in der Hauptverhandlung dagewesen sei.
131
Auch während der Vernehmung des Zeugen …rief sie aus, das sei nicht der Hausmeister …
132
Zum Zeugen … erklärte sie am ersten Tag der Hauptverhandlung, sie sehe ihn heute zum ersten Mal. Am dritten Tag der Hauptverhandlung erklärte die Beschuldigte erneut, das sei nicht. … Das sei eine andere Person gewesen, die auch Russisch verstehe.
133
Während der Vernehmung des Zeugen … rief die Beschuldigte, sie kenne ihn nicht, habe ihn noch nie gesehen und kenne auch seinen Namen nicht.
134
IV. Der unter A. IV. 1. festgestellte Sachverhalt beruht auf der Aussage des Zeugen … soweit dieser gefolgt werden konnte.
135
Der Zeuge … gab insoweit an, er sei mit seiner Schwester mit dem Aufzug gefahren und habe dann mit ihr das Haus verlassen. Im Haus habe die Beschuldigte ihn angesprochen und gefragt, wer seine Schwester sei, was sie hier mache, und was sie hier zu suchen habe.
136
Soweit der Beschuldigten mit der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 09.11.2020, Az. 262 Js 142495/20, darüber hinaus zur Last gelegt wurde, zur festgestellten Zeit am festgestellten Ort mit einem Schlüsselbund in der erhobenen Faust auf den Zeugen … losgegangen zu sein, um diesen mit den zwischen ihren Fingern herausragenden Schlüsseln zu verletzen, was nur durch die Flucht des Zeugen … verhindert worden sei, wurde dies in der Hauptverhandlung nicht zur Überzeugung der Kammer bestätigt.
137
Aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen … steht fest, dass der Zeuge … den behaupteten Angriff lediglich anlässlich eines Polizeieinsatzes am Abend des Folgetages berichtete.
138
Der Zeuge … der den Zeugen …nach dem Polizeieinsatz am 21.03.2020 im Anwesen … vernommen hatte, sagte glaubhaft aus, ein Nachbar des Mitteilers … der Zeuge … habe nach ihrem Eintreffen erklärt, bei ihm sei es gestern auch so gewesen. Er habe mit seiner Schwester das Haus verlassen wollen. Die Beschuldigte sei mit einem Schlüssel in der Faust dagestanden und habe auf ihn losgewollt. Er sei dann mit seiner Schwester geflüchtet.
139
Der Zeuge … habe es ihm mit einem Schlüsselbund in der Faust so gezeigt, dass ein Schlüssel in der Mitte der Faust nach vorne gestanden habe. Trotz Nachfragen habe der Zeuge … ein „Losgehen“ der Beschuldigten auf ihn aber nicht näher beschrieben. Er habe nur behauptet, die Beschuldigte habe auf ihn losgehen wollen. Nach den Angaben des Zeugen … habe es sich eher so dargestellt, dass die Beschuldigte mit einem Schlüsselbund in der Hand dastand und von „Verstrahlung“ usw. redete, was beim Zeugen … … wohl ein schlechtes Gefühl ausgelöst habe.
140
Der Zeuge … berichtete weiter, nach seiner Erinnerung sei der Zeuge … an diesem Abend hochgradig aufbrausend gewesen. Er habe auch angekündigt, „die Sache selbst in die Hand zu nehmen, wenn die Justiz nichts macht“, so dass er belehrt worden sei, dass es so nicht gehe, und dass er Selbstjustiz zu unterlassen habe.
141
Der Zeuge … achte bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung zwar sehr deutlich zum Ausdruck, dass er sich von den Verhaltensauffälligkeiten der Beschuldigten - als Folge ihrer psychischen Erkrankung - beeinträchtigt und auch bedroht fühlt. Er erklärte, es habe viel Ärger mit der Beschuldigten gegen, auch Feuerwehr- und Polizeieinsätze, oft auch nachts.
142
Er gab jedoch an, sich an weitere Details eines Vorfalls vom Abend des 20.03.2020 nicht mehr erinnern zu können, insbesondere nicht an einen tätlichen Angriff der Beschuldigten mit einem Schlüsselbund.
143
Auch auf mehrfache Nachfragen, sowohl seitens der Kammer als auch seitens der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, wich er wortreich jeder Präzisierung seiner Aussage aus.
144
Er erklärte, es habe einige Vorfälle gegeben, wo die Beschuldigte mit Schlüsseln gedroht habe. Es habe einige Vorfälle gegeben, wo die Beschuldigte mit Schlüsseln auf ihn und auf andere Nachbarn losgegangen sei. Er könne sich nicht alles merken, auch nicht das Datum. Er habe schon alles bei der Polizei erzählt. Er habe auch viel Videomaterial, wo die Frau zu sehen sei. Als seine Frau schwanger gewesen sei, habe die Beschuldigte bei ihnen geklingelt, mittags, ca. um 16 Uhr, und behauptet, sie würden sie verstrahlen.
145
Der Papa der Beschuldigten tue ihm leid. Der Papa wolle seine Tochter draußen haben.
146
Der Zeuge … bestätigte schließlich, dass er mit einem Rechtsanwalt … der für die Beschuldigte tätig sei, wegen einer Entschädigungszahlung in Kontakt stehe. Er habe 2018 seinen Beruf aufgeben müssen, um seine Familie zu schützen, da seine Frau nicht mehr allein rausgegangen sei, um die Wäsche zu machen u.ä., und zwar aus Angst vor der Beschuldigten. Jetzt, wo die Beschuldigte weg sei, habe er sich erholt und sei wieder berufstätig. Er habe ca. dreimal mit Rechtsanwalt … elefoniert, zuletzt etwa letzte Woche. Rechtsanwalt … habe ihn gefragt, was er sich vorstelle, und ihn zu einer Zahl gedrängt. Er habe seine Vorstellung wegen des Jobverlusts und der anderen Dinge mit 20.000 bis 25.000 EUR genannt.
147
Der Zeuge … bestätigte auf Vorhalt des Verteidigers zudem, mit einer E-Mail vom 25.01.2021 an Rechtsanwalt … eine Summe von 25.000 EUR vorgeschlagen zu haben.
148
Der Verteidiger der Beschuldigten erklärte hierzu, Rechtsanwalt … vertrete seines Wissens die Beschuldigte. Rechtsanwalt … habe ihm - in sehr verklausulierten Formulierungen - vor wenigen Tagen telefonisch bestätigt, dass im Fall eines Geldflusses seitens des Zeugen … eine der Beschuldigten sehr gewogene Aussage vor Gericht erfolgen könnte.
149
Die - für die Kammer logisch nicht nachvollziehbare - Erklärung der Zeugen … selbst zu der aus seiner Sicht angeblich angestrebten Einigung mit Rechtsanwalt …ing dahin, dass der Zeuge … seine Aussagen bei der Polizei nicht revidierte, aber dem Gericht vorgeschlagen hätte, dass die Beschuldigte wieder raus zu ihrem Papa könne, wenn durch ein Gutachten bestätigt würde, dass sie wieder gesund sei.
150
Abgesehen davon, dass eine Entlassung der Beschuldigten aus dem psychiatrischen Krankenhaus in keiner Weise von den Vorstellungen des Zeugen …abhängt, ist seine Aussage aufgrund der vorstehend dargestellten Umstände nicht geeignet, zur Überzeugung der Kammer rechtswidrige Taten der Beschuldigten zu seinem Nachteil zu begründen.
151
Der unter A. IV. 2. festgestellte Sachverhalt beruht auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen … und …
152
Der Zeuge … gab an, als stellvertretender Dienststellenleiter der PI 24 München-Perlach kenne er die Beschuldigte schon seit ca. 4 bis 4 ½ Jahren dienstlich. Sie habe Polizeieinsätze im dreistelligen Bereich ausgelöst, sei es durch Anrufe der Nachbarn, sei es durch eigene Anrufe, mit denen sie KGB-Wanzen, radioaktive Strahlen usw. gemeldet habe. Bei der PI 24 sei es schon so festgelegt gewesen, dass bei Einsätzen bei der Beschuldigten immer mit zwei Streifen gefahren werden sollte.
153
Am 21.03.2020 um 20:35 Uhr sei er zusammen mit … und einer weiteren, ebenfalls uniformierten Streife erneut im Anwesen … in M. im Einsatz gewesen.
154
Das Anwesen …sei ein Hochbau mit mehreren Stockwerken in einer Sackgasse in N.. Das Anwesen sei nicht gerade schön. Sie hätten dort schon Urin und Kot im Treppenhaus vorgefunden.
155
Beim Eintreffen der Streifen am 21.03.2020 hätten ihnen Bewohner des Hauses berichtet, dass die Beschuldigte schon seit Stunden an das Geländer und die Wände des Treppenhauses schlage. Es habe auch eine gefährliche Körperverletzung im Raum gestanden.
156
Er und drei weitere uniformierte Kollegen hätten dann an der Tür der Beschuldigten geklingelt und geklopft, woraufhin die Beschuldigte einen Spalt breit geöffnet habe. Die Beschuldigte habe ihn schon gekannt und mit seinem Namen angesprochen. Die Beschuldigte habe die Tür dann mit dem Fuß wieder zudrücken wollen, um sie am Betreten der Wohnung zu hindern. In der Wohnung habe er Schuhlöffel aus Metall am Boden liegen sehen. Wohl mit diesen habe die Beschuldigte im Treppenhaus auf den Putz gehauen, weil dort jemand nach ihrer Überzeugung Wanzen versteckt habe.
157
Zum Zustand der Beschuldigten gab der Zeuge …an, er halte die Beschuldigte für eine hochintelligente Frau, die aber „Aussetzer“ habe. Sie habe immer wieder vom KGB, vom Abhören mit Wanzen und von radioaktiven Strahlen berichtet, außerdem, dass sie mit Strahlen fremdgesteuert werde. Sie habe mehrere Geigerzähler in der Wohnung gehabt.
158
Am Abend des 20.03.2020 sei sie schließlich fixiert und ins I.-A.-Klinikum gebracht worden.
159
Der Zeuge …gab ferner an, die meisten Einweisungen der Beschuldigten in die Psychiatrie seien über das Gesundheitsamt erfolgt, ohne dass Straftaten vorgelegen hätten.
160
Er selbst hätte es rigoros angezeigt, wenn die Beschuldigte Straftaten begangen hätte. Es habe aber keine Verletzungen bei den jeweils eingesetzten Polizeibeamten gegeben und auch keine strafrechtlich relevanten Widerstandshandlungen, auch wenn die Verbringung in die Psychiatrie regelmäßig mit der Anwendung von unmittelbarem Zwang verbunden gewesen sei. Der Zustand der Beschuldigten sei aber nach seinem Eindruck schlimmer geworden, die „Schlagzahl“ habe sich gewissermaßen erhöht. Er habe befürchtet, dass die Gefahr für die ernsthafte Verletzung von Personen ansteigt, wenn die Beschuldigte nicht eine Zeitlang ins psychiatrische Krankenhaus kommt.
161
Die Zeugin … kannte die Beschuldigte nach ihrer glaubhaften Aussage ebenfalls schon vor dem Einsatz vom 21.03.2020. Sie sei seit ca. 6 Jahren bei der Pl 24 und kenne die Beschuldigte seit ca. 3 Jahren.
162
Sie berichtetet, sie seien am 21.03.2020 gerufen worden, weil jemand randaliert haben solle.
163
Der Hausbewohner … den sie in dessen Wohnung als Zeugen vernommen habe, habe ihr gesagt, die Beschuldigte sei mit einem langen Gegenstand auf ihn zugegangen, als er in das Haus zurückgekehrt sei. Die Beschuldigte habe auf dem Treppenabsatz gestanden, etwas auf Russisch gesagt, was er nicht verstanden habe, und sei dann unmittelbar mit dem Gegenstand auf ihn zugegangen. Der Gegenstand sei ca. 30 cm lang gewesen und habe metallisch ausgesehen. Die Beschuldigte habe den Gegenstand nicht hochgehalten, sondern nur in der Hand vor dem Körper gehalten. Der Zeuge … habe befürchtet, die Beschuldigte wolle ihn damit schlagen.
164
Es sei unklar geblieben, ob dieser Gegenstand einer der Schuhlöffel in der Wohnung der Beschuldigten gewesen sei.
165
Die Wohnung des Zeugen … sei wegen seines Umzugs schon fast leer gewesen. Er habe gesagt, er ziehe um, weil es seine Familie nicht mehr aushalte. Angesprochen auf den ersten Versuch einer Vernehmung des Zeugen … am ersten Verhandlungstag ohne Dolmetscher, die wegen dessen unzureichender deutscher Sprachkenntnisse abgebrochen werden musste, war sich die Zeugin … nicht mehr sicher, ob sie Deutsch oder Englisch mit dem Zeugen … gesprochen hatte.
166
Mit der Beschuldigten habe es viele Vorfälle gegeben. Anfangs sei das noch recht harmlos gewesen, mit angeblichen Bestrahlungen und Belästigungen der Nachbarn. Nach ihrem Eindruck habe sich die Intensität und Zahl der Vorfälle gesteigert, zumal am 21.03.2020 eine gefährliche Körperverletzung im Raum gestanden habe. Der Zustand der Beschuldigten sei am 21.03.2020 auch sehr verwirrt gewesen.
167
Ein Nachbar … habe zudem mitgeteilt, am Vortag sei etwas Ähnliches passiert, da habe sie einen Schlüsselbund gehabt.
168
Der Zeuge … wurde am dritten Tag der Hauptverhandlung unter Zuziehung eines Dolmetschers für die griechische Sprache vernommen.
169
Er hatte nach seiner glaubhaften Aussage vom 10.09.2019 bis zum 31.03.2020 im 3. OG des Anwesens …in München gewohnt. Er gab an, er sei wegen der Beschuldigten von dort weggezogen.
170
Am 21.03.2020 sei die Beschuldigte etwa ab 14 Uhr sehr unruhig geworden und habe zu stören begonnen. Gegen 20:15 Uhr sei er mit dem Hund Gassi gegangen. Bei seiner Rückkehr habe die Beschuldigte im unbeleuchteten 2. Stockwerk gestanden. Sie habe einen länglichen, schwarzen, ca. 30 cm langen metallischen Gegenstand in der Hand gehabt und sei mit diesem die Treppe hochgekommen. Er habe befürchtet, dass sie ihn schlagen wolle, sei deshalb in seine Wohnung gelaufen und habe die Polizei angerufen.
171
Eine Polizistin habe auch Englisch gesprochen. Dieser habe er alle Details erzählt. Es sei so viel passiert. Seit November habe sie immer wieder mit einem Metallgegenstand gegen die Wandkacheln im Treppenhaus geschlagen, außerdem gegen Wände und Heizungsrohre. Man habe am Klang gehört, dass der Gegenstand metallisch gewesen sei. Am 21.03.2020 habe sie nach seinem Eindruck denselben Gegenstand in der Hand gehabt. Als sie damit die Treppe heraufgekommen sei, habe er nicht darauf gewartet, ob sie ihn damit schlagen würde, sondern sei gleich in seine Wohnung gegangen. Sie habe den Gegenstand in der Hand gehalten, aber er wisse nicht mehr genau, in welcher Weise. Er wisse auch nicht mehr, ob etwas bzw. was sie gesagt habe, als sie die Treppe heraufgekommen sei.
172
Bei Begegnungen auf der Treppe habe es immer bedrohlich geklungen, weil die Beschuldigte geglaubt habe, er und seine Frau überwachten sie. Sein Gefühl der Bedrohung sei aus allem, was sich von November 2019 bis März 2020 ereignet habe, entstanden. So habe die Beschuldigte im Dezember 2019 in seine Wohnung eindringen wollen, weil sie geglaubt habe, sie hätten dort Überwachungsgeräte. Die Beschuldigte habe oft einen Geigerzähler benutzt, der sehr laute Geräusche mache. Den Geigerzähler habe er etwa im Januar 2020 im Treppenhaus selbst gesehen und im Übrigen gehört. Den Geigerzähler habe sie auch am 20.03.2020 benutzt. Sie sei damit hoch und runter im Haus und an den Wänden der Wohnung entlang. Die Beschuldigte habe ihnen regelmäßig unterstellt, Überwachungsgeräte zu haben, und habe dies immer wieder in ihrer Wohnung überprüfen wollen. Die Beschuldigte habe nur beim ersten Mal höflich gefragt und sei gegangen, als sie dies abgelehnt hätten. Später habe sie auch mit Kraft seine Wohnungseingangstür aufdrücken wollen, was an der Türkette und an seinem Gegendruck gescheitert sei.
173
Damit steht nach allen Zeugenaussagen nur fest, dass es zu einer Begegnung zwischen der Beschuldigten und dem … im Treppenhaus kam, und dass der … wegen der ihm bekannten psychischen Auffälligkeiten der Beschuldigten einen etwaigen Angriff befürchtete.
174
Dass die Beschuldigte unmittelbar zu einem tätlichen Angriff ansetzte, konnte dagegen genauso wenig festgestellt werden wie ihre Absicht zu einem derartigen Angriff.
175
Der unter A. IV. 3. festgestellte Sachverhalt beruht auf der Aussage des Zeugen … soweit dieser gefolgt werden konnte.
176
Der Zeuge …gab insoweit nur an, seine Angaben bei der Polizei zum Vorfall am 06.07.2020, 20:45 Uhr, seien richtig gewesen. Er könne sich nicht an alles erinnern, auch nicht an Daten.
177
Sonstige konkrete Angaben machte der Zeuge … - ungeachtet seiner ebenso wortreichen wie weitschweifigen Aussage - nicht. Auf wiederholte Nachfrage erklärte er lediglich, er sei von der Beschuldigten definitiv einmal angespuckt worden.
178
Zur Würdigung der Aussage des Zeugen … wird im Übrigen vollumfänglich auf die vorstehende Beweiswürdigung zu A. IV. 1. Bezug genommen.
179
Damit konnte nicht zur Überzeugung der Kammer bewiesen werden, dass die Beschuldigte den Zeugen … am 06.07.2020 gegen 20.45 Uhr im Treppenhaus des Anwesens … anspuckte, um ihre Missachtung auszudrücken.
180
Die Beschuldigte hat rechtswidrig die objektiven Tatbestände der vorsätzlichen Nachstellung in Tateinheit mit einem Vergehen nach § 4 Satz 1 Nr. 1 Gewaltschutzgesetz (A. II. 1.) sowie des Hausfriedensbruchs in zwei Fällen (A. II. 2. und 3., in einem Fall (A. II. 2.) in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung gemäß §§ 113 Abs. 1, 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4, 185, 194, 123, 52, 53 StGB verwirklicht.
181
Die Beschuldigte kann hierwegen nicht bestraft werden, weil sie im Zeitpunkt der Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten schuldunfähig i.S.d. § 20 StGB war.
182
Durch die unter A. IV. 1. bis 3. festgestellten Handlungen hat die Beschuldigte keinen der ihr mit der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft vom 09.11.2020, Az. 262 Js 142495/20, zur Last gelegten Straftatbestände erfüllt.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
183
Die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus war anzuordnen. Die Voraussetzungen des § 63 StGB sind vorliegend erfüllt. Die Beschuldigte hat im Zustand der Schuldunfähigkeit rechtswidrige Taten begangen. Eine Gesamtwürdigung der Beschuldigten und ihrer Taten ergibt, dass von ihr gerade infolge ihres Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
184
Die Beschuldigte hat im Zustand der Schuldunfähigkeit die unter A. II. 1., 2. und 3. festgestellten rechtswidrigen Taten begangen.
185
Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen unter A. und B. Bezug genommen.
186
Von diesen Anlasstaten sind unter den konkret vorliegenden Umständen die die unter A. II. 2. und 3. festgestellten Taten nicht als erheblich im Sinn von § 63 StGB anzusehen.
187
Bei den beiden Fällen des Hausfriedensbruchs (A. II. 2. und 3.) ergibt sich dies bereits ohne Weiteres aus dem geringen Straffrahmen von Geldstrafe bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe nach § 123 Abs. 1 StGB.
188
Die im Fall A. II. 2. tateinheitlich begangene tätliche Beleidigung (Anspucken des Zeugen … ist im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht und liegen damit ebenfalls unter der Erheblichkeitsschwelle des § 63 StGB.
189
Der im Fall A. II. 2. zusätzlich tateinheitlich begangene Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB ist im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht.
190
Auch wenn Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzuordnen sind, gehören Aggressions- und Gewaltdelikte - jedenfalls außerhalb des Bagatellbereichs - regelmäßig zu den erheblichen Taten. Generell ist jedoch auf die konkreten Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen (BGH NStZ-RR 2018, 304, m.w.N.).
191
Bei Taten zum Nachteil von Polizeibeamten im Einsatz hatte die Kammer ferner zu erwägen, dass Angriffe gegen Personen, die professionell mit derartigen Konfliktsituationen umgehen, dafür entsprechend geschult sind und in der konkreten Situation über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen, möglicherweise weniger gefährlich sind (BGH, Beschluss vom 19.01.2017, Az. 4 StR 595/16, m.w.N.).
192
Im konkret vorliegenden Fall war insoweit zu berücksichtigen, dass die Widerstandshandlungen der Beschuldigten nach den übereistimmenden und glaubhaften Aussagen der Zeugen … und … nicht über ein sich sperren, sich losreißen und sich sträuben hinausgingen. Beide Zeugen beschrieben die Widerstandshandlungen als „Rangelei“. Im Fall des Zeugen …kam tateinheitlich noch das Anspucken aus dem Dienstfahrzeug hinzu, das seinerseits aber im Höchstmaß nur mit 2 Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Den Zeugen … und … war es nach ihren übereinstimmenden Aussagen problemlos möglich, den Widerstand der Beschuldigten zu überwinden, zuletzt durch den geschulten polizeilichen Kopfkontrollgriff. Keiner der eingesetzten Polizeibeamten wurde von der Beschuldigten verletzt. Vielmehr verneinten die Zeugen … und … ausdrücklich Schläge durch die Beschuldigte.
193
In der konkreten Gesamtbetrachtung waren die Widerstandshandlungen der Beschuldigten gegen die Polizeibeamten nicht als gefährlich zu bewerten.
194
Dies gilt umso mehr, als es nach der glaubhaften Aussage des Zeugen … bei Einsätzen der PI 24 im Zusammenhang mit der Beschuldigten im inzwischen dreistelligen Bereich keine Verletzungen bei den jeweils eingesetzten Polizeibeamten gab und auch keine strafrechtlich relevanten Widerstandshandlungen, auch wenn die Verbringung der Beschuldigten in die Psychiatrie regelmäßig mit der Anwendung von unmittelbarem Zwang verbunden gewesen sei.
195
Die Kammer ist jedoch aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die von der Beschuldigten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Nachstellung (Tat A. II. 1.) im konkret vorliegenden Fall - insbesondere wegen der Intensität, der Dauer und der Folgen der Tat - eine erhebliche Anlasstat im Sinn von § 63 StGB ist, und dass von der Beschuldigten gerade infolge ihres Zustandes zukünftig vergleichbare erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.
196
Die Kammer hat bei ihren Erwägungen berücksichtigt, dass Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne Weiteres dem Bereich der erheblichen Straftaten im Sinne des § 63 StGB zuzurechnen sind (BGH NStZ-RR 2017, 308, unter Verweis auf BVerfG BeckRS 2013, 54084).
197
Die Kammer hat bei ihren Erwägungen ferner berücksichtigt, dass somit nach der Rechtsprechung des BGH eine Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB als Anlasstat einer Unterbringung nach § 63 StGB für sich gesehen nicht als erhebliche Straftat anzusehen ist, da sie im Höchstmaß mit nur drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, und dass eine Unterbringung bei einer nicht erheblichen Anlasstat nur unter den Voraussetzungen von § 63 S. 2 StGB in Betracht kommt, wobei es gegen eine Gefährlichkeit des Beschuldigten spricht, wenn die Nachstellungshandlungen über einen längeren Zeitraum nicht zu einer erheblichen körperlichen oder seelischen Schädigung der Tatopfer geführt haben (redaktionelle Leitsätze zu BGH Beschl. v. 24.1.2017 - 3 StR 421/16, zitiert nach BeckRS 2017, 106307).
198
Die Kammer hat bei der im Rahmen des § 63 StGB vorzunehmenden Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Vorlebens der Beschuldigten, ihrer Persönlichkeit und der von ihr begangenen Anlasstat insbesondere berücksichtigt, dass die Beschuldigte trotz ihrer bereits jahrelangen psychischen Erkrankung in keiner Weise vorbestraft ist, dass keine Verfahrenseinstellungen wegen Schuldunfähigkeit im Bundeszentralregister vermerkt sind, und dass sich auch im Übrigen in der Hauptverhandlung keine Erkenntnisse zu physischer Aggressivität der Beschuldigten gegenüber Dritten ergaben.
199
Die Kammer hat jedoch auch berücksichtigt, dass der Geschädigte … durch die Nachstellung der Beschuldigten ganz erheblich psychisch und auch physisch beeinträchtigt wurde, auch wenn eine schwere Gesundheitsschädigung im Sinn von § 238 Abs. 2 StGB als Folge der Nachstellung nicht festgestellt werden konnte.
200
Der beruflich und familiär etablierte, zudem keineswegs schwächlich oder schüchtern wirkende Zeuge … erlitt beim Wiedersehen mit der Beschuldigten in der Hauptverhandlung ein derartiges Aufflammen seiner damaligen Belastungssituation, dass er zunächst heftig in Tränen ausbrach. Er berichtete absolut glaubhaft, dass er einige Monate nach dem Ende der Nachstellungen die Sache selbst gut in den Griff bekommen habe, ohne ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jetzt komme alles wieder hoch. Die Nachstellung durch die Beschuldigte habe bei ihm starken psychischen Stress ausgelöst, verbunden mit körperlichen Folgen, insbesondere Schlafstörungen, erhöhtem Puls, Konzentrationsschwierigkeiten und auch Magenschmerzen.
201
Dass für ihn hierbei vor allem die Ungewissheit belastend wirkte, was die Beschuldigte mit ihm und/oder auch seiner Familie vorhatte, ist für die Kammer ohne weiteres nachvollziehbar.
202
Auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen … ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass von der Beschuldigten in einem nicht oder nur unzureichend behandeltem Zustand - wie vor der verfahrensgegenständlichen Tatbegehung - mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig Taten mit vergleichbarer Intensität und vergleichbaren Tatfolgen für die Geschädigten zu erwarten sind, und darüber hinaus auch deutlich schwerwiegendere Taten.
203
Der psychiatrische Sachverständige … führte insoweit aus, dass sich in der Hauptverhandlung deutlich gezeigt habe, dass die paranoide Schizophrenie mit florider psychotischer Symptomatik bei der Beschuldigten nach wie vor besteht.
204
Die Beschuldigte sei dringend behandlungsbedürftig, zeige aber weder Krankheitseinsicht noch Compliance.
205
Vergleichbare Taten wie die zum Nachteil des Zeugen … seien von der Beschuldigten in unbehandeltem Zustand jederzeit wieder zu erwarten. Wenn sich an Schizophrenie erkrankte Menschen bei Bestehen einer floriden Symptomatik bedroht fühlten, gingen sie zur Abwehr dieser Bedrohungen gewissermaßen auch „in Vorleistung“, so dass sogar eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehe, dass zukünftig etwas passiere, was an Schwere über die Anlasstaten der Beschuldigten hinausgehe.
206
Die Beschuldigte trete durch wahnhafte Beziehungsideen in Kontakt zu bestimmten Personen, wie bereits zum Zeugen … zur Bundeskanzlerin und zur gesamten Bundesregierung. Diese Beziehungsideen - und als Folge Handlungen zur Kontaktaufnahme, aber auch zur „Gefahrenabwehr“ - seien von der Beschuldigten zukünftig ebenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten. Beziehungsideen, Beeinträchtigungsgedanken oder auch ein „Liebeswahn“ blieben unbehandelt nur im besten Fall kontinuierlich.
207
Somit seien die Voraussetzungen für eine Unterbringung gem. § 63 StGB aus psychiatrischer Sicht erfüllt.
208
Die Beschuldigte ist auch „für die Allgemeinheit gefährlich“ i.S.d. § 63 StGB, da sich die verfahrensgegenständliche Nachstellung - und auch die zukünftig zu erwartenden Taten - in psychotischer Verkennung der Realität gegen eine beliebige Person richtete, die der Beschuldigten nur im Rahmen ihrer Berufstätigkeit begegnete.
209
Bei der Gesamtwürdigung nach § 63 StGB und in Vornahme der gemäß § 62 StGB bei Anordnung jeder Maßregel vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsprüfung hat sich die Kammer den belastenden Charakter der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und das gegen das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit abzuwägende Freiheitsrecht der Beschuldigten deutlich vor Augen geführt.
210
Insoweit hat die Kammer nicht außer Acht gelassen, dass die nicht vorbestrafte Beschuldigte nicht ausschließbar erstmals im Leben mit im Zusammenhang mit ihrer psychischen Erkrankung stehenden Straftaten auffällig wurde, und dass die verfahrensgegenständlichen Nachstellung zu keinen bleibenden schweren Gesundheitsschäden bei dem Geschädigten S. geführt hat.
211
Der Zeug …rach zwar im Sitzungssaal in Tränen aus, hatte große Mühe, sich zu fassen und erklärte, es komme alles wieder hoch, wenn er diese Frau sehe. Der Zeuge … hatte jedoch keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen und gab an, er habe nach einigen Monaten gut mit dem Erlebten umgehen können und auch keine körperlichen Beschwerden mehr gehabt.
212
Letztlich konnten jedoch die vorgenannten Aspekte nicht zu einer Ablehnung der Unterbringung der Beschuldigten gem. § 63 StGB führen. Die Kammer erachtet die Unterbringung der Beschuldigten für verhältnismäßig und geboten.
Keine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung
213
Die Unterbringung der Beschuldigten konnte nicht gem. § 67 b Abs. 1 Satz 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, da keine besonderen Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann.
214
Wie der Sachverständige … ausführte, ist die Beschuldigte nach wie vor nicht ausreichend krankheitseinsichtig. Die Beschuldigte lehnt eine angemessene Medikation ab, obwohl in der Vergangenheit mit Olanzapin bereits eine deutliche Verbesserung ihres Krankheitsbildes erreicht worden sei. Idealerweise sei eine Depotmedikation anzustreben, die jedenfalls derzeit an der fehlenden Einwilligung der Beschuldigten und der auch zukünftig notwendigen, aber nicht vorhandenen Compliance scheitere.
215
Die wird zusätzlich bestätigt durch die Angaben der sachverständigen Zeugin … die als Diplom-Psychologin im I.-A.-Klinikum T./V. tätig ist und glaubhaft über den Verlauf der einstweiligen Unterbringung der Beschuldigten dort seit dem 19.08.2020 berichtete.
216
Die Zeugin gab an, sie selbst kenne die Beschuldigte seit Anfang September 2020, als sie zu ihr auf die Station gekommen sei. Die Beschuldigte halte sich tagsüber regelmäßig im Fernsehraum auf, wo sie - nach ihrer Erklärung - „beratend mit der Bundesregierung und Bundeskanzlerin Dr. M. tätig“ sei. Die Beschuldigte habe auf der Station anfangs in der Regel ein rotes Basecap und darüber ein zusammengefaltetes Handtuch auf dem Kopf getragen, um sich „vor Strahlung zu schützen“. Derzeit trage sie auf der Station in der Regel eine schwarze Mütze und ggf. ein gefaltetes Handtuch darüber zum „Schutz vor Strahlung“.
217
Im I.-A.-Klinikum T./V. sei die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gestellt worden.
218
Die Beschuldigte nehme zwar seit Beginn des Aufenthalts dort täglich 60 mg Ziprasidon ein (Handelsname: Zeldox 60 mg), was auch durch Spiegelkontrollen überprüft werde. 60 mg Ziprasidon seien aber erkennbar nicht ausreichend, um eine Besserung des Zustands der Beschuldigten herbeizuführen. Die psychotische Symptomatik sei im Wesentlichen gleichbleibend.
219
Die Beschuldigte verweigere die Zustimmung zu jeglicher sonstigen Medikation. Olanzapin oder andere Medikamente habe sie mit der Begründung abgelehnt, sie brauche das nicht und könne damit auch nicht mehr arbeiten.
220
Die Beschuldige zeige keine Krankheitseinsicht. In Gesprächen sei sie zu ihrer Krankheit und zu einer anderen Medikation nicht erreichbar. Die Beschuldigte habe lediglich beim Bericht über ihre Krankengeschichte erwähnt, dass sie früher einmal Olanzapin genommen habe, das sie damals gebraucht habe, jetzt aber nicht mehr, da sie jetzt fit sei.
221
Ein Antrag auf Zwangsmedikation sei zwischenzeitlich im Hinblick auf die anstehende Hauptverhandlung gerichtlich abgelehnt worden.
222
Während der letzten Monate habe es nur zwei geringfügige Zwischenfälle mit der Beschuldigten gegeben. Im Oktober 2020, als sie noch ein Zimmer mit einer nicht einfachen Mitpatientin geteilt habe, habe es einen Konflikt wegen späten Duschens gegeben, bei welchem die Beschuldigte die Badezimmertür zugehalten und die Mitpatientin nicht herausgelassen habe. Anfang November 2020 habe die Beschuldigte eine erhöhte Anspannung gezeigt und sei gegenüber dem Pflegepersonal verbal aggressiv geworden, als die Fernsehanlage defekt gewesen sei. Es sei aber niemand verletzt worden. Es habe keine körperlichen Übergriffe gegeben, eher Drängen, einen Fuß in der Tür und ähnliches.
223
Die Beschuldigte sei anfangs aufgeregter und fordernder gewesen. Eventuell auch durch eine gewisse Gewöhnung sei sie jetzt ruhiger. Soweit erkennbar, habe sie sich im IAK Taufkirchen/Vils in niemanden verliebt, habe niemanden verfolgt und auch nie auf ihren früheren Arbeitgeber oder frühere Arbeitskollegen Bezug genommen.
224
Die Kammer konnte sich durch die eigenen Äußerungen der Beschuldigten im Rahmen der Hauptverhandlung auch persönlich davon überzeugen, dass der Beschuldigten jegliche Krankheitseinsicht und - als Folge hieraus - eine auch nur annähernd ausreichende Behandlungsbereitschaft fehlt.
225
Die Beschuldigte erklärte ausdrücklich, nicht an paranoider Schizophrenie zu leiden. Sie habe ein sehr gutes Gedächtnis und keine paranoide Schizophrenie. Sie nehme zwar seit nunmehr 16 Jahren das Medikament Zeldox 60 mg ein, ein mittleres Neuroleptikum, jedoch nur wegen seiner stabilisierenden Wirkung, und weil es besser für die Konzentration sei.
226
Sie nehme Zeldox 60 mg weiterhin ein. In der Klinik in Taufkirchen hätten sie keinen Arzt. Frau … sei eine geschulte Physiotherapeutin, und eine Frau … habe sie dort nie gesehen. Sie wisse auch nicht, ob diese überhaupt ein ärztliches Diplom habe.
227
Während der Vernehmung der Zeugin … erklärte die Beschuldigte erneut, sie denke, sie sei nicht krank. Warum solle sie krank sein?
228
Da gegen die Beschuldigte eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wurde, trägt sie die Kosten des Verfahrens, §§ 464, 465 StPO.