Titel:
Nicht ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats bei Wartezeitkündigung im öffentlichen Dienst
Normenketten:
BayPVG Art. 77 Abs. 3, Abs. 4
SGB XI § 167 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Kündigung ist nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Dabei ist von einer Nichtbeteiligung (und einer daraus abzuleitenden Unwirksamkeit) nicht nur dann auszugehen, wenn eine Beteiligung gänzlich unterblieben ist, sondern bereits dann, wenn der Arbeitgeber seine Mitteilungspflichten nicht ausreichend erfüllt hat. Als Beurteilungsmaßstab sind dabei die zu § 102 BetrVG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf die Anforderungen einer Mitteilungspflicht vor Ausspruch einer Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit wird zwar der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz durch die Anforderungen, die an eine Anhörung gestellt werden, nicht vorverlagert. Dennoch müssen die dem Personalrat mitgeteilten (substantiierbaren) Tatsachen richtig und vollständig sein, auch unter entsprechender Berücksichtigung der entlastenden Umstände. (Rn. 24 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wartezeit, Kündigung, Probezeitkündigung, Personalrat, Mitteilungspflichten
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 09.09.2021 – 3 Sa 284/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 28942
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 13.02.2020, zugegangen am 15.02.2020, nicht beendet worden ist.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Tarifbeschäftigte im sonstigen Verwaltungsdienst weiterzubeschäftigen.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 12.529,64.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/5, die Beklagte 4/5.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer in der gesetzlichen Wartezeit erklärten ordentlichen Kündigung sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin.
2
Die am 1994 geborene Klägerin ist bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrags vom 13.08.2019 (s. Kopie als Anlage K1 = Bl. 6 ff. d.A.) seit dem 01.09.2019 als Tarifbeschäftigte im sonstigen Verwaltungsdienst beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sieht eine sechsmonatige Probezeit vor. Auf demselben Arbeitsplatz (als Sachbearbeiterin Auskunft im Kommunalreferat der Beklagten, Abteilung Immobiliendienstleistung, Sachgebiet Zentraler Verwaltungsservice) war die Klägerin zuvor bereits vom 12.12.2018 bis zum 31.08.2019 als Leiharbeitnehmerin tätig. Die durchschnittliche monatliche Vergütung der Klägerin betrug zuletzt € 3.132,41 brutto. Bei der Beklagten als Dienststelle gemäß Art. 6 Abs. 5 Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) gibt es einen Personalrat und einen Gesamtpersonalrat. Der Arbeitsvertrag enthält eine Verweisung auf die für das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge des Öffentlichen Diensts.
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Die Personalabteilung der Beklagten hat im Intranet für die Organisationseinheiten Leitfäden, Checklisten und Vorlagen u.a. zur Personalführung während der Probezeit zusammengestellt. Ein Formular (s. Kopie als Anlage K5 = Bl. 15 d.A.) sieht dabei u.a. vor, dass die Organisationseinheit daran erinnert wird, mit der Dienstkraft
„ein Zwischengespräch zur Probezeit zu führen. Das Gespräch ist zwingend, findet regelmäßig zwei bis drei Monate nach Beginn der Probezeit statt und ist zu dokumentieren.“
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Ein solches Zwischengespräch ist mit der Klägerin nicht geführt worden.
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Im Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 05.02.2020 war die Klägerin an insgesamt 36 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. In einem Gespräch am 09.01.2020 wurde die Klägerin von ihrem Abteilungsleiter und ihrer Sachgebietsleiterin darauf hingewiesen, dass aufgrund ihrer „extrem hohen Ausfallzeiten“ die Nichtbewährung in der Probezeit festgestellt werden musste und deshalb die Kündigung während der Probezeit in die Wege geleitet werde. Bis zum Stichtag 20.12.2019 hätte sich ergeben, dass die Klägerin fast zu 49% Fehlzeiten im Vergleich zu den Arbeitszeiten aufzuweisen habe. Auf Rückfrage der Klägerin, dass diese Berechnung nicht stimmen könne, wurde ihr von ihrem Abteilungsleiter mitgeteilt, dass bei dieser Berechnung auch die von der Klägerin in der Probezeit genommenen neun Urlaubstage miteinberechnet worden seien. In diesem Gespräch sowie in einer schriftlichen Stellungnahme zu der beabsichtigten Probezeitkündigung (s. Kopie als Anlage K8 = Bl. 21 d.A.) verwies die Klägerin darauf, dass die Fehlzeiten aus kleineren Zeiträumen im Herbst, deren Ursachen mittlerweile beseitigt seien, und einer darauffolgenden langwierigen Grippeerkrankung resultierten. Sie fragte an, warum man nicht mit ihr ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt habe, wozu sie gerne bereit sei.
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Mit Anhörungsschreiben vom 10.02.2020, zugegangen am 10.02.2020 um 11:20 Uhr, wurde der bei der Beklagten gemäß Art. 80 BayPVG zuständige Gesamtpersonalrat über die mit Ablauf des 29.02.2020 beabsichtigte Probezeitkündigung u.a. wie folgt unterrichtet (s. Kopie als Anlage B3 = Bl. 59 ff. d.A.):
1. Bisheriger Verlauf des Arbeitsverhältnisses
2. Hohe Fehlzeiten von Frau A. während ihrer Beschäftigung bei der Agentur für Arbeit M-Stadt (Bl. 13-15)
Frau A. war im Zeitraum vom 01.09.2016 bis 31.08.2018 bereits im öffentlichen Dienst bei der Agentur für Arbeit M-Stadt beschäftigt.
Im Rahmen dieser Beschäftigung war sie im Kalenderjahr 2017 an mindestens 73 Tagen arbeitsunfähig erkrankt.
Das Arbeitsverhältnis mit der Agentur für Arbeit M-Stadt endete mit Ablauf des befristeten Vertrages zum 31.08.2018. Eine Verlängerung oder Entfristung des Arbeitsverhältnisses erfolgte nicht.
3.1 Hohe Fehlzeiten von Frau A. während ihrer Beschäftigung bei der M-Stadt (Bl. 4, 9 -10).
Frau A. weist seit ihrer Einstellung bei der M-Stadt am 01.09.2019 sehr hohe Fehlzeiten auf. Sie war an 36 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt und hat an 13 Tagen Urlaub während der Probezeit eingebracht. Demnach war Frau A. in einem Zeitraum von ca. fünf Monaten an insgesamt 49 Arbeitstagen nicht im Dienst (Stand: 05.02.2020).
Auffällig ist außerdem, dass die Kurzerkrankungen ohne Attest häufig zu Wochenbeginn (Montag und Dienstag) oder zum Wochenschluss (Donnerstag und/oder Freitag) auftreten (Bl. 10).
Aufgrund der hohen Fehlzeiten (Krankheit und Urlaub) von Frau A. war es nicht möglich, Frau A. ausreichend zu erproben und eine Feststellung über die Bewährung zu treffen. Es ist deshalb - unter Anbetracht der hohen Fehlzeiten - von einer Nichtbewährung in der Probezeit auszugehen.
Angesichts der hohen Fehlzeiten von Frau A. konnte seitens der Dienststelle keine Erprobung erfolgen und die Bewährung während der Probezeit nicht bestätigt werden. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Frau A. während der Probezeit ist somit unumgänglich und gerechtfertigt.
Auch die Ausführungen in der Stellungnahme von Frau A. sind nicht ausreichend, um die eklatant hohen Fehlzeiten zu rechtfertigen und die beabsichtigte Probezeitkündigung abzuwenden.
Insbesondere im Hinblick darauf, dass bei der vorherigen Beschäftigung im öffentlichen Dienst sowie während der Probezeit bei der M-Stadt bei Frau A.
hohe Fehlzeiten aufgetreten sind, ist wohl kaum davon auszugehen, dass nach Ablauf der Probezeit eine Verringerung der Fehlzeiten eintreten wird. Vielmehr kann erfahrungsgemäß mit einer Zunahme der Fehlzeiten nach Ablauf der Probezeit gerechnet werden.
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Mit Schreiben vom 12.02.2020 teilte der Gesamtpersonalrat mit, sich in seiner Sitzung am 12.02.2020 mit der Probezeitkündigung befasst zu haben und keine Einwendungen gegen die Probezeitkündigung zu erheben (s. Kopie als Anlage B4 = Bl. 65 d.A.). Die Zuleitung der Stellungnahme erfolgte sowohl in Papierform an das Büro des zuständigen Referenten, eingegangen im Büro des Referenten am 13.02.2020, als auch vorab per E-Mail an die zuständige Sachgebietsleiterin sowie das Gruppenpostfach. Von dort erfolgte die Weiterleitung der E-Mail an die zuständige Sachbearbeiterin der Personalabteilung. Die Beklagte legt als Anlagen B8 u. 9 eine von ihr so genannte „finalisierte Kündigungsverfügung“ vom 13.02.2020 nebst Kündigungsschreiben vor (s. Bl. 144 ff. d.A.).
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Mit Datum vom 12.02.2020 wurde der Klägerin unter dem Betreff „Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM); Einladung zu einem Fürsorgegespräch“ ein Schreiben einer „Fallmanagerin für das BEM“ übermittelt, das automatisch aufgrund einer standardisierten wöchentlichen Auswertung des internen SAP-Systems versandt worden war.
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Mit Schreiben vom 13.02.2020, der Klägerin zugegangen am 15.02.2020, erklärte die Beklagte der Klägerin die ordentliche Kündigung gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 TVöD während der Probezeit unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist von zwei Wochen mit Ablauf des 29.02.2020 (s. Kopie als Anlage K3 = Bl. 9 f. d.A.).
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Hiergegen ließ die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05.03.2020, eingegangen am selben Tag, beim Arbeitsgericht München Kündigungsschutzklage einreichen.
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Sie hält die Kündigung für unwirksam.
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Sie bestreitet, dass der Aussteller des Kündigungsschreibens das Schreiben des Gesamtpersonalrats noch vor Ausstellung der Kündigung zur Kenntnis genommen habe. Sie rügt die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats. Er sei ausweislich der Sachverhaltsdarstellung des Unterrichtungsschreibens nicht ordnungsgemäß informiert worden. Die von der Beklagten verwendete Redewendung „enorme Fehlzeiten“ sei unrichtig. Es werde nicht mitgeteilt, dass eine akute - zeitlich eingegrenzte - Belastungssituation diese Fehlzeiten hervorgerufen habe. Des Weiteren verstoße die Kündigung gegen Treu und Glauben, da die Beklagte gegen ihre eigenen internen Richtlinien, die verbindliche Vorgaben für die Personalführung während der Probezeit vorsähen, verstoße. Außerdem habe die Beklagte ein erforderliches BEM nicht durchgeführt bzw. erst angeboten, nachdem die Kündigung schon ausgesprochen worden sei. Dadurch, dass der Klägerin kein Zwischengespräch und kein BEM angeboten worden sei, sei ihr die Möglichkeit genommen worden, die Ursachen für die Fehlzeiten zu erklären. Diese Ursachen seien mittlerweile bereinigt. Im Rahmen des BEM hätte die Beklagte erkennen können, dass zukünftige Fehlzeiten komplett hätten vermieden werden können. Da das BEM schon vor Ausspruch der Kündigung zwingend nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX und nicht erst im zeitlichen Umfeld der Kündigung hätte durchgeführt werden dürfen, sei die Kündigung auch zur Unzeit erfolgt. Außerdem rügt die Klägerin eine Verletzung des Ultimaratio-Prinzips, da die Verlängerung der Probezeit aufgrund der vorgelegenen Sachgründe das deutlich mildere Mittel als die Kündigung gewesen wäre.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
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Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die schriftliche ordentliche Kündigung vom 13.02.2020, zugegangen am 15.02.2020, nicht beendet worden ist.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Tarifbeschäftigte im sonstigen Verwaltungsdienst weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagte beantragt
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Sie hält die Klage für unbegründet, da die Kündigung wirksam sei. Die Klägerin habe sich nach der subjektiven Einschätzung der Beklagten während der Probezeit nicht bewährt, da sie nicht die Anforderungen erfüllt habe. § 167 Abs. 2 SGB IX sei in der Probezeit nicht anwendbar. Dass die zuständige Organisationseinheit die im Intranet lediglich als Empfehlung dargestellten Richtlinien nicht befolgt habe, sei im Hinblick auf die Wirksamkeit der Kündigung unschädlich. Auch der Gesamtpersonalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Unterschrift des Unterzeichnungsberechtigten sei erst nach seiner Kenntnis von der Stellungnahme des Gesamtpersonalrats erfolgt. Im Übrigen habe die Beklagte dem Personalrat alle Umstände mitgeteilt, aus denen sie ihren subjektiven Kündigungsentschluss hergeleitet habe. Dies seien die hohen Fehlzeiten während der Probezeit gewesen und die Erwartung der Beklagten, dass die Fehlzeiten nach Ablauf der Probezeit erfahrungsgemäß noch zunehmen würden. In ihre Erwägungen habe die Beklagte miteinbezogen, dass die Klägerin in einem vorherigen Beschäftigungsverhältnis ebenfalls im öffentlichen Dienst bereits sehr hohe Fehlzeiten gezeigt hatte. Da eine Vollbeschäftigung im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses nicht auf die Wartezeit anzurechnen sei, habe die Beklagte ein etwaiges Verhalten der Klägerin während dieses vorherigen Leiharbeitsverhältnisses auch nicht in ihre Erwägungen zur Probezeitkündigung einbeziehen müssen, was sie auch nicht getan habe. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung beim Vorliegen belastender Tatsachen sei nicht auf Probezeitkündigungen anzuwenden, selbst dann nicht, wenn die Probezeitkündigung auf belastende Tatsachen gestützt werde. Auch dann seien bei einer Probezeitkündigung dem Personalrat ausschließlich die Gründe mitzuteilen, aus denen die Arbeitgeberin subjektiv ihren Kündigungsentschluss herleite. Aus dem Sinn und Zweck der Probezeit und der Freiheit der Arbeitgeberin, nur Mitarbeitende zu beschäftigen, die ihren Vorstellungen entsprechen, ergebe sich ein breites, nur durch das Verbot von Missbrauch und Willkür und bei Verstößen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben beschränktes Kündigungsrecht.
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Zum weiteren Sachvortrag der Parteien sowie zur Prozessgeschichte wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist auch begründet, sodass ihr in vollem Umfang stattzugeben war. Die ordentliche Kündigung vom 13.02.2020 ist wegen fehlerhafter Anhörung des Gesamtpersonalrats unwirksam und vermochte daher das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zu beenden. Daher steht der Klägerin auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu.
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Dem Feststellungsantrag der Klägerin war stattzugeben, da die während der gesetzlichen Wartezeit erklärte ordentliche Kündigung vom 13.02.2020 unwirksam ist; denn die Beklagte hat den Gesamtpersonalrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß i. S.d. Art. 77 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG angehört.
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1. Da die Klägerin mit ihrer am 05.03.2020 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Kündigungsschutzklage gegen die ihr am 15.02.2020 zugegangene Kündigung vom 13.02.2020 die Drei-Wochen-Frist gemäß § 4 KSchG gewahrt hat, ist die Kündigung jedenfalls nicht gemäß § 7 KSchG als wirksam anzusehen.
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2. Die Kündigung ist unwirksam, denn die Beklagte hat den Gesamtpersonalrat nicht i. S.d. Art. 77 Abs. 3 u. 4 BayPVG ordnungsgemäß beteiligt.
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a) Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der bei der Beklagten gebildete Gesamtpersonalrat - nicht etwa der dortige Personalrat - die zuständige i.S.d. Art. 80, 77 BayPVG zu beteiligende Stelle i.S.d. Art. 6 Abs. 5 BayPVG ist.
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b) Die von der Beklagten vorgenommene Beteiligung des Gesamtpersonalrats ist aber nicht ordnungsgemäß erfolgt. Nach Art. 77 Abs. 3 S. 1 BayPVG ist der Personalrat zu der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit anzuhören. Eine Kündigung ist nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Dabei ist von einer Nichtbeteiligung (und einer daraus abzuleitenden Unwirksamkeit) nicht nur dann auszugehen, wenn eine Beteiligung gänzlich unterblieben ist, sondern bereits dann, wenn der Arbeitgeber seine Mitteilungspflichten nicht ausreichend erfüllt hat. Als Beurteilungsmaßstab sind dabei die zu § 102 BetrVG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden (vgl. nur BAG, Urteil vom 22.04.2010 - 6 AZR 828/08, zit. nach Juris).
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(1) Danach gilt: Der Inhalt der Unterrichtung ist grundsätzlich subjektiv determi niert. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung des Betriebsrats (Personalrats) zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (vgl. nur BAG, Urteil vom 16.07.2015 - 2 AZR 15/15, Rz. 15 f.). Unvollständig ist der Sachverhalt bereits dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat (Personalrat) ihm bekannte Umstände vorenthält, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können; dies gilt nach dem BAG (a.a.O., dort Rz.19) bereits für solche Umstände, die für den eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren; umso mehr muss dies daher auch für Umstände gelten, die aus Sicht des Arbeitgebers für seinen Kündigungsentschluss tragend waren.
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Im Hinblick auf die Anforderungen einer Mitteilungspflicht vor Ausspruch einer Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit gilt es zwar nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG, Urteil vom 12.09.2013 - 6 AZR 121/12, Orientierungssätze 2 u. 4) zu beachten, dass der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz durch die Anforderungen, die an eine Anhörung gestellt werden, nicht vorverlagert wird. Deshalb ist insoweit hinsichtlich der Anforderungen zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen, zu differenzieren, wobei aber für die erste Konstellation - wie für den „Normalfall“ - gilt: Die Anhörung genügt den Anforderungen nur, wenn dem Betriebsrat (Personalrat) die zugrundeliegenden Tatsachen mitgeteilt werden.
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Dass diese Tatsachen dann - ebenso wie beim „Normalfall“ - richtig und vollständig sein müssen, auch unter entsprechender Berücksichtigung der entlastenden Umstände, unterliegt nach Ansicht der Kammer keinem Zweifel (anders wohl die Beklagte, die dieser bereits mit Hinweisbeschluss vom 25.01.2021 nahegelegten Schlussfolgerung offenbar unter Hinweis auf die Besonderheiten einer im öffentlichen Dienst ausgesprochenen Probezeitkündigung nicht zu folgen vermochte, Schriftsatz vom 11.02.2021, S. 2 f. = Bl. 163 f. d.A.).
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Demgegenüber führt eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte „bloß“ objektive Fehlinformation nicht für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung. Maßgeblich ist dabei, ob der Arbeitgeber „subjektiv gutgläubig“ ist und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan ist. Die Beweislast für seine Gutgläubigkeit trägt der Arbeitgeber (BAG v. 16.07.2015 a.a.O., Rz. 17 u. 20).
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(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Beklagte den Gesamtper sonalrat falsch, nämlich unvollständig - unter Vernachlässigung entlastender Tatsachen - und nicht subjektiv gutgläubig unterrichtet, was zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
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(a) Vorliegend hat sich die Beklagte unzweifelhaft darauf eingelassen, die Wartezeitkündigung nicht „bequem“ mit einem personenbezogenen Werturteil zu begründen; sie hat vielmehr ihre Kündigung auf substantiierbare Tatsachen gestützt: Sie hat behauptet, dass es ihr angesichts der hohen Fehlzeiten der Klägerin nicht möglich war - dem Zweck einer Probezeit entsprechend -, die Klägerin zu erproben und eine Bewährung zu bestätigen (vgl. nur Ziffer 6. des an den Gesamtpersonalrat gerichteten Unterrichtungsschreibens vom 10.02.2020). Zur Begründung ihrer Behauptung - keine ausreichende Möglichkeit zur Erprobung, daher keine Bewährung und daher Kündigungsnotwendigkeit - hat die Beklagte auf die „hohen Fehlzeiten (Krankheit und Urlaub)“ verwiesen (Ziffer 3.1 a.a.O.). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch die ihrer Meinung nach bestehende Anfälligkeit der Klägerin für hohe Fehlzeiten (dabei auch Urlaubstage mitzählend. . .) statistisch damit begründet, dass die Klägerin bei der Beklagten in einem Zeitraum von ca. fünf Monaten an insgesamt 49 Arbeitstagen nicht im Dienst gewesen sei (ebenda) und insoweit weiter dargelegt, dass die Klägerin (auch) im Zeitraum vom 01.09.2016 bis 31.08.2018 bereits im öffentlichen Dienst bei der Agentur für Arbeit beschäftigt gewesen und im Rahmen dieser Beschäftigung im Kalenderjahr 2017 an mindestens 73 Tagen arbeitsunfähig krank gewesen sei. Das Arbeitsverhältnis mit der Agentur für Arbeit M-Stadt habe mit Ablauf des befristeten Vertrages zum 31.08.2018 geendet, wobei eine Verlängerung unter Entfristung des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgt sei (Ziffer 2. a.a.O.).
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(b) Angesichts dieser Begründung hätte es nach Auffassung der Kammer zwingend nahegelegen, auch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auf ein und demselben (!) Arbeitsplatz unmittelbar (!) vor Antritt der Beschäftigung bei der Beklagten vom 12.12.2018 bis zum 31.08.2019 über ein Zeitarbeitsunternehmen bei der Beklagten beschäftigt war. Denn dann hätte sich - für den Gesamtpersonalrat - doch die Frage aufgedrängt, warum diese vorangegangene Tätigkeit - jedenfalls viel eher als die Tätigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit in M-Stadt - nicht auch Beurteilungsgrundlage für eine Erprobung gewesen ist. Eine Erklärung hierfür hätten beispielsweise weitere Fehlzeiten sein können - oder war es umgekehrt gerade so, dass geringe Fehlzeiten aus diesem Zeitraum dem Argument der hohen Fehlzeitenanfälligkeit zuwidergelaufen wären?
Das Argument der fehlenden Erprobungsmöglichkeit als bestimmendes Kündigungsmotiv wird überdies noch weiter relativiert durch den damit im Zusammenhang stehenden Umstand, dass ein für die Übernahme ausreichendes Mindestmaß an Erprobung durch die Vorbeschäftigung als Leiharbeitnehmerin schon stattgefunden haben muss.
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Der entlastende - aber dem Gesamtpersonalrat im Unterrichtungsschreiben vorenthaltene - Umstand der Vorbeschäftigung auf ein und demselben Arbeitsplatz im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses wird auch nicht dadurch entwertet, dass - worauf die Beklagte nun hingewiesen hat - Zeiten einer Vorbeschäftigung im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses nicht von Gesetzes wegen bei der gesetzlichen Wartezeit Anrechnung finden. Denn dieser richtige Hinweis auf die Rechtslage kann nicht davon ablenken, dass durch die objektiv falsche (hier: unvollständige) Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Personalratsanhörung nicht Genüge getan wurde: Der Gesamtpersonalrat war dadurch nicht mehr in der Lage, sachgerecht, d.h. ggf. zugunsten der Klägerin auf die Beklagte einzuwirken. Die „Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe“ (BAG v. 16.07.2015, a.a.O., Rz. 14) stellen sich so in einem völlig anderen Licht dar.
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(c) Im Hinblick auf die nun von der Beklagten zur Vermeidung der Unwirksamkeitsfolge darzulegenden und ggf. zu beweisenden subjektiven Gutgläubigkeit hat die Beklagte trotz rechtlichen Hinweises im gerichtlichen Auflagenbeschluss vom 25.01.2021 (I., 2.) keinen Vortrag geleistet. Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Kammer auch eine etwaige Berufung darauf, dass der Umstand der Vorbeschäftigung zumindest in einer der Anlagen des Unterrichtungsschreibens mittelbar Erwähnung gefunden hat (im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 06.02.2020 an die Beklagte per E-Mail, Anlage 6. des Unterrichtungsschreibens), weder für den Nachweis einer ausreichenden Unterrichtung noch für eine subjektive Gutgläubigkeit ausreichend erscheint. Der Verwender von Anlagen bezweckt eine Erläuterung bzw. den Nachweis im Haupttext dargelegter Behauptungen; umgekehrt hat der - zumal eilige - Leser die Kernbotschaft ggf. relativierende Darlegungen neuer Tatsachen ausschließlich im eigentlichen Haupttext zu gewärtigen.
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c) Das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen weiterer Unwirksamkeitsgründe konnte damit offengelassen werden. Entbehrlich war damit insbesondere auch der Beweisantritt der Beklagten durch die Einvernahme des zuständigen Personalreferenten über die Tatsache des Zeitpunkts seiner Unterschrift erst nach eingeholter abschließender Stellungnahme des Gesamtpersonalrats.
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Auch dem Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin war stattzugeben: Sie hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG, Großer Senat, in: AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht, Nr. 14) ist anerkannt, dass der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses hat, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses zwar zunächst ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses aber nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsschutzprozess ein die Unwirksamkeit feststellendes Urteil ergeht. Ab diesem Zeitpunkt kann - wie vorliegend - die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Derartige Umstände hat die Beklagte aber nicht dargelegt. III.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
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2. Für den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden Urteilsstreitwert wurden insgesamt vier Bruttomonatslöhne in Ansatz gebracht (§§ 42 Abs. 2 GKG, 3 ZPO).
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3. Gegen diese Entscheidung steht nur der beschwerten Beklagten das Rechtsmittel der Berufung nach näherer Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrungzu.