Inhalt

Vergabekammer Ansbach, Beschluss v. 30.03.2021 – RMF-SG21-3194-6-6
Titel:

Vergabe aufgrund unangemessen niedrigen Angebots

Normenketten:
GWB § 97 Abs. 6, § 127, § 160 Abs. 2
VgV § 58, § 60
Leitsätze:
1. In Bezug auf eine ungenügende Preisaufklärung hat nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH (NZBau 2017, 230) der Mitbewerber einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber trifft, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot angenommen werden kann. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vergabeunterlagen müssen im Rahmen der ex-ante Transparenz für einen Bieter durchschaubar sein, wobei alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, präzise und eindeutig formuliert werden müssen, sodass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Rechtsverletzung des Antragstellers und ein drohender Schaden gem. § 160 Abs. 2 GWB liegt bereits dann vor, wenn der Vortrag des Antragstellers ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren. (Rn. 76) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Angebot, Zuschlagerteilung, Zuschlagkriterium, Preisaufklärung, Nachprüfungsantrag, Transparenz, Rechtsverletzung, Ermessen, Schaden
Fundstellen:
LSK 2021, 28917
BeckRS 2021, 28917
ZfBR 2021, 799

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist. Bei Fortbestehen der Vergabeabsicht hat die Vergabestelle das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragstellers.
3. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsteller wird für notwendig erklärt.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt … €.
Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit

Tatbestand

1
1. Die Vergabestelle schrieb eine Rahmenvereinbarung „Friedhofs- und Bestattungsleistungen für die Friedhöfe … im offenen Verfahren europaweit aus. Die Laufzeit der Rahmenvereinbarung wurde vom ….2021 bis zum ….2025 bestimmt.
2
Ausweislich der Vergabeakte lag die Auftragswertschätzung bei …- € pro Jahr.
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2. In der Auftragsbekanntmachung wurde festgelegt, dass der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium sei.
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In den Vergabeunterlagen traf die Vergabestelle bezüglich der Zuschlagskriterien folgende Festlegungen:
11. Wertungskriterien
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Angebote von Unternehmen, die die geforderten Eignungskriterien erfüllen, werden gewertet Unter Zugrundelegung des nachfolgend beschriebenen Verfahrens wird der Zuschlag nach § 58 Abs. 1 VgV in Verbindung mit § 127 GWB auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, mithin auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt.
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Neben dem Preis fließt auch das nachstehend aufgeführte Wertungskriterium der örtlichen Präsenz mit zwei Unterpunkten und der hierfür ausgewiesenen Gewichtung in die Wertung ein. Gehen Sie im Rahmen der Ausarbeitung Ihres Angebots mittels vorgegebenem Word-Formular bitte auf dieses Wertungskriterium ein.
12. Erwartungshorizont
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In den Vergabeunterlagen findet sich u.a. folgendes Formblatt zur örtlichen Präsenz, welches die Bieter in Rahmen der Angebotslegung ausfüllen mussten:
8
In den Besonderen Vertragsbedingungen zur Rahmenvereinbarung legte die Vergabestelle unter A8) folgende Bedingung fest:
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8.) Die Leistungen sind unverzüglich nach Erhalt des Bestattungsauftrages zu erbringen. Der Auftragnehmer muss jederzeit (auch an Sonn- und Feiertagen) erreichbar und zur unverzüglichen Leistungserbringung (z.B. bei „Polizeileichen“ Präsenz am Friedhof innerhalb max 1 Stunde) bereit sein
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3. Der Antragsteller stellte vor Angebotsabgabe u.a. folgende Fragen:
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4. Antragsteller und Beigeladene gaben fristgerecht ein Angebot ab. Weitere Bieter beteiligten sich nicht am Vergabeverfahren.
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5. Ausweislich eines Aktenvermerkes vom … setzten sich am…drei Vertreter der Vergabestelle mit einem Vertreter des die Vergabestelle beratenden Ingenieurbüros in Rahmen einer Videokonferenz mit der Frage auseinander, ob das Angebot der Beigeladenen ungewöhnlich niedrig sei.
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Insbesondere aufgrund ihrer Marktkenntnis und unter Berücksichtigung der Preise, die der Antragsteller im Jahr 2019 von der Vergabestelle für die vergleichbare Dienstleistung in Rechnung stellte, kam das Wertungsgremium der Vergabestelle zum Ergebnis, das die Angebotspreise der Beigeladenen auskömmlich seien.
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6. Mit Bieterinformationsschreiben vom 22.01.2021 teilte die Vergabestelle dem Antragsteller mit, dass sein Angebot nicht berücksichtigt werden könne und die Vergabestelle beabsichtige, den Zuschlag am 02.02.2021 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Als Grund für die Nichtberücksichtigung des Angebots des Antragstellers gab die Vergabestelle an, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter in der Gesamtbewertung von den maximal zu vergebenden Punkten die volle Punktzahl erreicht habe. Der Antragsteller habe lediglich … Punkte erzielen können. Die Vergabestelle schlüsselte auch in der Bieterinformation auf, wie viele Preispunkte bzw. wie viele Punkte der Antragsteller bei den nichtpreislichen Wertungskriterien erzielt hat.
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7. Aufgrund einer Anfrage des Antragstellers vom 22.01.2021 teilte die Vergabestelle am 26.01.2021 ergänzend mit, wer dem Vergabegremium angehörte und dass die Zuschlagskriterien durch diese stimmberechtigten Mitglieder des dreiköpfigen Vergabegremiums nach einem einheitlichen Punktesystem jeweils mit Punkten von 0-5 bewertet worden seien. Weitere Begründungen zu den vorgenommenen Wertungen seien nicht veranlasst.
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8. Mit Schriftsatz vom 27.01.2021 rügten die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers die Nichtberücksichtigung seines Angebotes für den Zuschlag und den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen.
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9. Die Vergabestelle wies mit Schreiben vom 28.01.2021 die Rüge zurück. Zwar habe die Vergabestelle keine Preisaufklärung beim Zuschlagsbieter vorgenommen. In enger Abstimmung mit der Kämmerei sei das Rechtsamt der Vergabestelle zur Auffassung gelangt, dass das Angebot der Beigeladenen nicht ungewöhnlich niedrig erscheine. Die Vergabestelle verfüge über jahrzehntelange Erfahrung auf dem Gebiet des Bestattungswesens und könne auch die Preisentwicklung einschätzen - nicht zuletzt über die jahrelange Geschäftsbeziehung zum Antragsteller und den von ihm noch im Jahr 2019 veranschlagten Preis. Auch im Vergleich mit den Friedhofs- und Bestattungsleistungen umliegender Gemeinden sei die Angebotslegung des Mitbieters als marktüblich anzusehen. Bezüglich der Rügen in Bezug auf die hoheitlichen Aufgaben/wettbewerbliche Neutralität teilte die Vergabestelle mit, dass der Antragsteller bereits im Rahmen der Bieter- und Bewerberfragen diese Punkte vorgetragen und die entsprechenden Antworten der Vergabestelle ohne weitere Reaktion zur Kenntnis genommen habe. Aus diesem Grund sei der behauptete Vergabeverstoß gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nummer 3 GWB präkludiert.
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10. Mit Schriftsatz vom 01.02.2021 stellten die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers einen Antrag auf Nachprüfung und beantragten:
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller wird für notwendig erklärt.
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Zur Begründung trugen die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vor, dass das Angebot der Beigeladenen unangemessen niedrig und daher von der Wertung gemäß § 60 VgV auszuschließen sei.
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Außerdem habe es die Vergabestelle versäumt, eine Angebotsaufklärung gegenüber dem Zuschlagsbieter trotz des erheblichen Preisabstandes vorzunehmen.
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Die Wertung der Angebote verstoße gegen § 127 GWB, § 58 VgV. Die Wertungsentscheidung des Vergabegremiums könne nicht nachvollzogen werden, da die Vergabestelle bis dato nicht ihre Erwägungen dem Antragsteller mitgeteilt habe.
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Im Übrigen seien die Zuschlagskriterien bzw. Leistungskriterien intransparent und es sei nicht ersichtlich, wie die maximale Punktzahl erzielt werden könne. Der in den Vergabeunterlagen formulierte Erwartungshorizont stehe im Widerspruch zu einer Schulnoten-Skala. Es sei nicht nachvollziehbar, auf was es der Auftraggeberin bei der Wertung der Leistungskonzepte angekommen sei. Zudem stehe das Zuschlagskriterium „Erreichbarkeit für Angehörige“ nicht im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand. Außerdem sehe der Vertrag das Leistungsziel „Erreichbarkeit für Angehörige“ nicht vor und stehe im Widerspruch zum bestattungsrechtlichen Neutralitätsgebot des Erfüllungsgehilfen.
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Gegen das wettbewerbsrechtliche Neutralitätsgebot werde zudem an mehreren Stellen des Rahmenvertrages verstoßen. Die bayerische Bestattungsbekanntmachung (BestBek) sehe jedoch in Ziffer 1.4.3 ausdrücklich vor, dass der Auftraggeber die Verträge so zu gestalten habe, dass der Unternehmer aus seiner Tätigkeit im hoheitlichen Bereich nicht missbräuchlich wettbewerbswidrige Vorteile erlangen könne. An diese Vorgaben habe sich der Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zu halten (vergleiche Ziffer 1.4.2. BestBek).
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11. Mit Schriftsatz vom 15.02.2021 beantragten die Verfahrensbevollmächtigten der Vergabestelle:
I. der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
II. der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Antragsgegnerin.
III. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
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Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da der Antragsteller keine Chance auf Zuschlagserteilung habe. Hinsichtlich der Rüge der behaupteten Rechtswidrigkeit fehle es dem Antragsteller auch an der Antragsbefugnis, weil die BestBek keine vergaberechtliche Vorschrift im Sinne von § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB darstelle. Darüber hinaus wäre der Antragsteller auch damit gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert.
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Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Der Angebotspreis der Beigeladenen sei umfassend geprüft und angemessen. Rein vorsorglich habe die Vergabestelle nach Einreichung des Nachprüfungsantrages den Angebotspreis der Beigeladenen nochmals aufgeklärt. Dies sei auch während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens möglich, da der öffentliche Auftraggeber in jeder Phase des Vergabeverfahrens Versäumnisse nachholen könne. Die Beigeladene wurde aufgefordert, Einzelpositionen aufzuklären, die erheblich von der Preisstruktur des Antragstellers abwichen. Auf den entsprechenden erweiterten Vergabevermerk werde verwiesen.
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Die Konzeptbewertung sei ordnungsgemäß anhand der bekannt gemachten Unterkriterien durchgeführt worden.
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Alle Wertungskriterien hätten auch einen Bezug zu den Vergabeunterlagen.
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Bei der Darstellung des Erwartungshorizonts unter Ziffer 12 der Aufforderung zur Angebotsabgabe sei ein redaktioneller Fehler enthalten. Gemäß Ziffer 11 sollte bezüglich des zweiten Unterkriteriums („Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten“) lediglich die Erreichbarkeit außerhalb der Geschäftszeiten dargestellt werden und nicht die Erreichbarkeit für Angehörige. Dies wäre auch für die Bieter aus dem Gesamtzusammenhang erkennbar gewesen. Dies führe jedoch nicht zur Intransparenz des Bewertungskriteriums. Vielmehr sei dieser offensichtliche Fehler für die Bieter erkennbar gewesen. Kein Bieter sei auf die Erreichbarkeit der Angehörigen außerhalb der Geschäftszeiten eingegangen, so dass davon ausgegangen werden könne, dass die Bieter dieses Missverständnis erkannten. Der Fehler sei somit nicht zu Lasten der Bieter gegangen.
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Selbst wenn der Bieter die Maximalpunktzahl für das Konzept erzielt hätte, könnte er den Punkteunterschied zur Beigeladenen nicht aufholen.
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12. Am 24.02.2021 hat die Vergabekammer wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten die Entscheidungsfrist gem. § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB bis einschließlich 16.04.2021 verlängert.
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13. Mit Schriftsatz vom 04.03.2021 tragen die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vor, dass ein Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen gegen § 60 Abs. 1 VgV verstoßen würde. Die erst während des Nachprüfungsverfahrens durchgeführte Preisaufklärung könne den erheblichen Preisabstand zwischen dem Angebot des Antragstellers und der Beigeladenen nicht aufklären. Der Antragsteller habe einen Anspruch darauf, dass die Vergabestelle eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber treffe, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliege. Es sei zu vermuten, dass das Aufklärungsersuchen nur formelhaft und ohne Bezug auf die Besonderheiten der ausgeschriebenen Dienstleistungen erfolgt sei. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung könne bereits deshalb nicht vorliegen.
33
Die Vergabestelle sei im Rahmen des Aufklärungsersuchens nicht auf das bestattungsrechtliche Neutralitätsgebot eingegangen. Aufgrund des bestehenden Preisabstandes sei es nicht ausgeschlossen, dass die Beigeladene aus ihrer Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe Aufträge für den Geschäftszweig seines Bestattungsinstituts erwarte. Es sei somit auch nicht ausgeschlossen, dass derartige Erwägungen in die Angebotskalkulation der Beigeladenen eingeflossen sind.
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Die Vergabestelle habe nicht die preisbildenden Leistungen, die nicht unmittelbar aus dem Preisblättem des Leistungsverzeichnisses hervorgehen (z.B. Organisation und Begleitung der Bestattungszeremonie, Leistungsbereitschaft auch an Sonn- und Feiertagen etc.), entsprechend gewürdigt. Es müsse vermutet werden, dass die Beigeladene diese Leistungen in ihrer Angebotskalkulation nicht berücksichtigt habe.
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Die Erklärungsansätze der Vergabestelle vor der nachträglich durchgeführten Preisaufklärung seien nicht geeignet, die Zweifel an der Angemessenheit des Angebotspreises der Beigeladenen zu entkräften. Auch mit einer durch die Vertragsdauer begründeten Sicherheit könne der Angebotspreis der Beigeladenen mit einem Preisabstand von über … % zum Antragsteller nicht begründet werden.
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In der öffentlichen …sitzung vom 17.02.2021 habe die Vergabestelle die Kosten für die Dienstleistungen durch Dritte für das Jahr 2020 mit ….000,- € beziffert und für die Jahre 2021 bis 2023 habe die Stadt ….000,- € pro Jahr angesetzt. Somit sei die Angebotswertschätzung der Vergabestelle realistisch und der darunterliegende Angebotspreis der Beigeladenen unauskömmlich.
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Die Vergabestelle verkenne, dass die Verletzung des Neutralitätsgebotes in den besonderen Vertragsbedingungen die Verletzung von vergaberechtlichen Vorschriften nach sich ziehe. Dem Verordnungsgeber sei bewusst gewesen, dass Bieter versuchen werden, mit besonders günstigen Angebotspreisen den Auftrag zu erhalten, um dann im Rahmen der Auftragsdurchführung das Aufeinandertreffen mit Angehörigen unternehmerisch als Bestattungsunternehmer zu nutzen. Deshalb sei Ziffer 1.4.2 der BestBek in das Bestattungsrecht aufgenommen worden.
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Der Antragsteller habe Anspruch darauf, dass der Zuschlag nicht auf ein Angebot erteilt wird, das der Auftragnehmer nur durch unlautere Verhaltensweisen herbeiführen könne (vgl. Horn in Müller-Wrede, VgV/UVgO, 2017, § 60 Rn. 56).
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Der Vortrag des Antragstellers sei auch nicht gem. § 160 Abs. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Es fehle an der Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes infolge einer rechtlichen Bewertung als Vergabeverstoß. Erst nach Einholung von anwaltlichen Rat sei für den Antragsteller erkennbar gewesen, dass die Vergabeunterlagen nicht nur gegen das Neutralitätsgebot verstoßen würden, sondern dass auch Ziffer 1.4.2 BestBek nicht beachtet werde.
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Das Zuschlagskriterium Erreichbarkeit für Angehörige stehe nicht in Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand und verstoße daher gegen § 127 Abs. 3 Satz 1 GWB. Soweit die Vergabestelle nun vortrage, es handle sich um einen redaktionellen Fehler, so sei dies ersichtlich falsch. In Ziffer 12 der Aufforderung zur Angebotsabgabe und der dort dargestellten Tabelle sei die Erreichbarkeit für die Angehörigen an 3 Stellen ausdrücklich als Unterkriterium festgelegt worden. Auch im Informationsschreiben gemäß § 134 Abs. 1 GWB habe die Vergabestelle das Kriterium „Erreichbarkeit für die Angehörigen“ ausdrücklich erwähnt.
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Zudem dokumentiere die Vergabestelle, dass sie nun von einem bekanntgemachten Zuschlagskriterium abgerückt sei und damit gegen § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB verstoße. Hinsichtlich des fehlenden Auftragszusammenhangs des Wertungskriteriums „Erreichbarkeit für die Angehörigen“ sei der Antragsteller auch nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nummer 3 GWB präkludiert. Erst nach Einholung von Rechtsrat sei für den Antragsteller erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Wertungskriterium „Erreichbarkeit für die Angehörigen“ nicht nur um einen Verstoß gegen das bestattungsrechtliche Neutralitätsgebot handle.
42
Von der fehlerhaften Wertung der Konzepte sei bereits deshalb auszugehen, da die Ermessensausübung nicht nachvollziehbar dokumentiert worden sei. Es sei nicht ersichtlich, dass sich das Wertungsgremium tatsächlich inhaltlich mit der Wertung der Konzepte auseinandergesetzt habe. Der Bewertungsmaßstab gem. Ziffer 13 der Aufforderung zur Angebotsabgabe enthalte keine Begründung oder nehme Bezug auf die Unterkriterien „Erreichbarkeit für die Angehörigen vor Ort“ und „Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten“.
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Der in Ziffer 13 zur Aufforderung zur Angebotsangabe dargestellte Bewertungsmaßstab sei nicht in Einklang zu bringen mit Ziffer 12 der Aufforderung zur Angebotsangabe und dem dort dargestellten Erwartungshorizont. Während in Ziffer 12 eine volle Punktzahl für eine detaillierte Wiedergabe der dort dargestellten Unterkriterien vorgesehen sei, hänge die Punktebewertung nach Ziffer 13 davon ab, ob anhand der Ausführungen erwartet werden könne, ob und inwieweit die Leistungsziele erreicht würden.
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Die Rüge der Intransparenz der Wertungskriterien sei nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da die Feinheiten der aktuellen Rechtsprechung zur Bewertung von Konzepten von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter nicht gefordert werden können.
45
Der Antragsteller sei - entgegen der Auffassung der Vergabestelle - antragsbefugt. Die Rechtsverletzung des Antragstellers, aus der sich der ihm drohende Schaden ergebe, beziehe sich nicht allein auf die Ausgestaltung der Wertungskriterien zum Leistungskonzept, sondern überdies auf die unzulängliche Preisprüfung der Vergabestelle. Selbst bei einer isolierten Betrachtung der konzeptbezogenen Rügen bestehe die Antragsbefugnis des Antragstellers. Durch die intransparenten, in sich widersprüchlichen und ohne Auftragszusammenhang aufgestellten Kriterien sei der Antragsteller gehindert gewesen, ein besseres Angebot abzugeben.
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Das Vergabeverfahren sei auch nicht gemäß § 8 VgV dokumentiert worden. Insbesondere müsse davon ausgegangen werden, dass das Vergabeverfahren nicht fortlaufend und damit chronologisch dokumentiert worden sei. Es müsse auch durch die Dokumentation belegt sein, dass die einzelnen Entscheidungen auf den öffentlichen Auftraggeber zurückgehen und nicht durch dessen Bevollmächtigten getroffen wurden. Ob vorliegend die Vergabestelle eigenverantwortlich entschieden habe, könne der Dokumentation nicht entnommen werden, da die Vergabedokumentation auf dem Briefpapier des Verfahrensbetreuers ausgefertigt sei.
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Aus der Vergabedokumentation gehe nicht hervor, ob und inwieweit die Vergabestelle Vorkehrungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten getroffen habe. Nach Kenntnissen des Antragstellers sei ein …mitglied der Vergabestelle in gerader Linie mit einem Mitarbeiter des Zuschlagsbieters verwandt. Nach Kenntnissen des Antragstellers sei das …mitglied in der Sitzung, in der die Vergabeentscheidung getroffen wurde, anwesend gewesen.
48
Durch die mangelhafte Dokumentation sei der Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Es könne nicht überprüft und festgestellt werden, ob sich die Vergabestelle im Rahmen ihres Wertungsspielraums bewegt und eine sachlich richtige Entscheidung getroffen habe oder sich von unsachlichen, vergaberechtswidrigen Gesichtspunkten habe leiten lassen (vergleiche OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2014 - 15 Verg 10/13).
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16. Am 11.03.2021 wurde die Fa. … zum Verfahren beigeladenen.
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17. Mit Schriftsatz vom 17.03.2021 trägt die Vergabestelle vor, dass entgegen dem Sachvortrag des Antragstellers der Beigeladenen aufgegeben worden sei, die auffälligen Einzelpreise, die den Preisunterschied zum Angebot des Antragstellers begründeten, aufzuschlüsseln. Dieser Forderung sei die Beigeladene nachgekommen. Ziel der Preisaufklärung sei es, dem betroffenen Bieter die Chance zu geben, die Seriosität seiner Angebotskalkulation nachzuweisen. Die Vergabestelle habe keinen Grund, die Kalkulationsansätze der Beigeladenen anzuzweifeln.
51
Soweit der Antragsteller bezüglich der Unauskömmlichkeit auf die Haushaltsansätze der Vergabestelle Bezug nehme, umfasse die entsprechende Position im Haushaltsplan nicht nur die zu erwartenden Zahlungen an den jeweiligen Friedhofsdienstleister, sondern sei zudem auch großzügig angesetzt.
52
Ohne Verdachtsmomente gegenüber der Beigeladenen, die sich auch während der Interimsbeauftragung bisher immer tadellos verhalten habe, dürfe die Vergabestelle keine Mutmaßungen anstellen, dass die Beigeladene das auferlegte Neutralitätsgebot verletzen würde.
53
Entgegen der Behauptung des Antragsstellers sei die Zuschlagsentscheidung gem. § 58 Abs. 5 VgV ordnungsgemäß getroffen worden. Soweit der Antragsteller einen Interessenkonflikt vorgetragen habe, weil ein …mitglied, das in gerader Linie mit einem Mitarbeiter der Beigeladenen verwandt sei, an der Abstimmung mitgewirkt habe, liege kein Verstoß gegen Art. 49 BayGO vor. Außerdem müsse gem. Art. 49 Abs. 4 BayGO die Stimme eines Befangenen abstimmungserheblich sein.
54
Eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm liege bei Ziffer 1.4.3. BestBek nicht vor. Die Argumentation des Antragstellers zeige, dass die Vertragsausführung nach Abschluss des Vergabeverfahrens betroffen sei und nicht das vergaberechtliche Verfahren. Eine allgemeine Mutmaßung, es würde die Beigeladene versuchen, den Auftrag mit besonders günstigen Angebotspreisen zu erhalten und dann den Versuch unternehmen, daraus wettbewerbswidrige Vorteile zu ziehen, reiche nicht aus, um eine vergaberechtliche Brückennorm zu konstruieren.
55
Ein nachträgliches Abrücken vom Unterkriterium „Erreichbarkeit für Angehörige“ habe nicht, wie der Antragsteller im Schriftsatz vom 04.03.2021 behauptet habe, stattgefunden. Der redaktionelle Fehler beziehe sich ausschließlich auf das zweite Unterkriterium „Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten“. Der Schreibfehler sei auf jeden Fall nicht zu Lasten der Bieter gegangen.
56
18. Mit Schriftsatz vom 24.03.2021 vertiefen die Verfahrensbevollmächtigten ihren Sachvortrag. Insbesondere tragen sie vor, dass die vorgenommene Preisaufklärung nicht sachgerecht sei.
57
19. In der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Auf das diesbezügliche Protokoll wird verwiesen.
58
Der Antragsteller bleibt bei seinen schriftsätzlich vorgetragenen Anträgen vom 01.02.2021
59
Die Vergabestelle stellt ihre schriftsätzlich vorgetragenen Anträge vom 15.02.2021.

Gründe

60
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig und insoweit begründet. Durch die widersprüchlichen leistungsbezogenen Wertungskriterien zur örtlichen Präsenz, die auch kalkulationsrelevant sein können, und aufgrund der unzureichend durchgeführten Preisaufklärung gem. § 60 VgV ist der Antragsteller in seinen Rechten verletzt.
61
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
62
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 S. 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
63
b) Der Vergabestelle ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.
64
c) Bei den ausgeschriebenen Friedhof- und Bestattungsleistungen handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 4 GWB.
65
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
66
e) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Er hat im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass er ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. In Bezug auf die ungenügende Preisaufklärung hat nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss v. 31.01.2017, X ZB 10/16) der Mitbewerber einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber trifft, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot angenommen werden kann. Zudem hat der Antragsteller die intransparenten Wertungs- und Zuschlagskriterien gerügt, die nicht mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen würden. Für die Zulässigkeit genügt eine schlüssige Behauptung. Diese Rechtsfrage, ob der Antragsteller tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist, ist eine Frage der Begründetheit und wird insoweit dort geprüft.
67
f) Präkludiert ist der Antragsteller mit seinen Rügen, dass das Wertungskriterium „Erreichbarkeit für die Angehörigen“ gegen das Neutralitätsgebot verstoßen würde bzw. dass die Besonderen Vertragsbedingungen der Vergabeunterlagen gegen die BestBek verstoßen würden. Der Antragsteller hat mit seinen beiden Bieterfragen vom 05.11.2020 deutlich gemacht, dass ihm die Problematik der Neutralitätspflicht eines … Erfüllungsgehilfen in Bezug auf die ausgeschriebenen Dienstleistungen bekannt ist und er Verstöße gegen die BestBek und des UWG als möglich erachtet. Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB hätte der Antragsteller zehn Tage nachdem ihm die vermeintlichen Verstöße aufgefallen sind, eine entsprechende Rüge erheben müssen. Der Antragsteller kann nicht lediglich entsprechend umformulierte Fragen einreichen, sich mit den Antworten der Vergabestelle zufriedengeben und erst nachdem ihm das bekannt gegebene Wertungsergebnis nicht entspricht, diese vermeintlichen Vergabeverstöße wieder ins Nachprüfungsverfahren einführen. Der Antragsteller hat in der Laiensphäre die rechtliche Problematik erfasst. Der Einwand der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, dass der Antragsteller nur den Verstoß gegen die BestBek und gegen das UWG erkannte habe, aber nicht die Vergaberechtwidrigkeit, ist verfehlt, da der Antragsteller die BestBek bzw. das UWG als vergaberechtliche Anknüpfungsnorm selbst anführt, die Voraussetzung ist, damit ein behaupteter Verstoß im Nachprüfungsverfahren geprüft werden kann.
68
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn keine Präklusion insoweit vorliegen und die Vergabekammer grundsätzlich die BestBek bzw. das UWG als vergaberechtliche Anknüpfungsnorm ansehen würde, die Vergabekammer eine Prüfungskompetenz insoweit im konkreten Nachprüfungsverfahren nach derzeitiger Einschätzung nicht annehmen würde (siehe dazu OLG München, Beschl. vom 20.01.2020, Verg 19/19). Der Beschleunigungsgrundsatz des Nachprüfungsverfahren würde es im konkreten Fall nicht zulassen, dass vermeintliche Verstöße gegen das UWG bzw. die BestBek im Nachprüfungsverfahren geklärt werden können. Die diffizilen Rechtsfragen zum Neutralitätsgebot im Bestattungsrecht und daraus abgeleitete (mögliche) Verstöße gegen das UWG können unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes nicht in einem Nachprüfungsverfahren ausreichend geprüft werden.
69
g) Dagegen nicht präkludiert ist der Antragsteller, soweit er im Rahmen des Nachprüfungsverfahren gerügt hat, dass das Wertungskriterium „Örtliche Präsenz“, insbesondere das Unterkriterium „Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten,“ intransparent sei. Die Widersprüchlichkeit dieses Wertungskriteriums in Bezug auf die Erreichbarkeit für die Angehörigen außerhalb der üblichen Sprechzeiten, die erst im Nachprüfungsverfahren offenbar wurde, führt nach Auffassung der Vergabekammer letztendlich dazu, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurückversetzt werden muss. Nach Auffassung der Kammer sind hier keine Gesichtspunkte erkennbar, dass der Antragsteller die Widersprüchlichkeit dieses Wertungskriteriums erkannt hat. Entgegen dem Vortrag der Vergabestelle war dieser Umstand auch nicht Gegenstand einer Bieterfrage.
70
h) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags war auch die 15-Tages-Frist gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die dem Antragsteller nach der Rügezurückweisung zur Verfügung stand.
71
i) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
72
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
73
a) Der Antragsteller ist in seinen Rechten verletzt, weil das Wertungskriterium „örtliche Präsenz“ mit den beiden Unterkriterien „Erreichbarkeit für die Angehörigen“ und „Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten“ intransparent und keiner eindeutigen Auslegung zugänglich ist. Entgegen der Auffassung der Vergabestelle handelt es sich auch nicht um einen offensichtlichen Fehler. Die Vergabeunterlagen müssen im Rahmen der ex-ante Transparenz für einen Bieter durchschaubar sein. Alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen klar, präzise und eindeutig formuliert werden, so dass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen (Schneevogl in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB (Stand: 21.08.2018), Rn. 41).
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Die Vergabestelle hat in der rechten Spalte in den Vergabeunterlagen unter Ziffer 12 „Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten“ konkretisiert, dass der Bieter anzugeben habe, inwieweit seine Erreichbarkeit für die Angehörigen außerhalb der üblichen Sprechzeiten gewährleistet sei. Nachdem in den Besonderen Vertragsbedingungen unter A8 der Auftragnehmer zur Leistungsbereitschaft innerhalb einer Stunde verpflichtet ist, kann nach Auffassung der Vergabekammer nicht von einer offensichtlichen Unrichtigkeit ausgegangen werden. Vielmehr sind verschiedene Interpretationsmöglichkeiten möglich. Nachdem eine „polizeiliche Präsenz“ innerhalb einer Stunde schon vertraglich unter A8 des Besonderen Vertragsbedingungen vereinbart war, ist nach Auffassung der Vergabekammer durchaus die Auslegung denkbar, dass die Vergabestelle bei diesem Unterkriterium sehr wohl auf die Erreichbarkeit für die Angehörigen außerhalb der üblichen Sprechzeiten abstellen und entsprechend bewerten wollte. Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass diese zusätzliche Erreichbarkeit für die Angehörigen neben der Rufbereitschaft gem. A8 der Besonderen Vertragsbedingungen für ihn kalkulationsrelevant sei. Soweit keine Erreichbarkeit für die Angehörigen außerhalb der üblichen Sprechzeiten von der Vergabestelle verlangt sei, könnte er diesen Umstand entsprechend bei einer erneuten Kalkulation berücksichtigen.
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Zudem weist die Kammer darauf hin, dass das entsprechende Formblatt für das zweite Unterkriterium, das die Bieter im Rahmen ihrer Angebotslegung ausgefüllt abgeben mussten, nicht die Präsenzzeiten außerhalb der üblichen Sprechzeiten, sondern während der üblichen Sprechzeiten abfragte. Allein diese Unrichtigkeit könnte für sich gesehen evtl. noch als offensichtlicher Fehler berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit der oben dargestellten Problematik, dass vertraglich bereits eine polizeiliche Präsenzpflicht vereinbart war, ist nicht erkennbar, worauf es der Vergabestelle bei diesem Leistungskriterium ankommt.
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Eine Rechtsverletzung des Antragstellers und ein drohender Schaden gem. § 160 Abs. 2 GWB liegt bereits dann vor, wenn der Vortrag des Antragstellers ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (BGHZ 169, 131, 141).
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Nachdem der Antragsteller vorgetragen hat, dass er seine Kalkulation überprüfen würde, wenn eine Erreichbarkeit für die Angehörigen außerhalb der Sprechzeiten nicht gefordert sei, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich seine Chancen auf den Zuschlag erhöhen könnten. Aus diesem Grund muss dem Antragsteller in jedem Fall nach Überarbeitung der Vergabeunterlagen die Möglichkeit eingeräumt werden, erneut ein Angebot abzugeben. Es kommt daher nicht darauf an, dass der Antragsteller mit seinem derzeitigen Angebot die Beigeladene nicht vom ersten Rang verdrängen kann. Entscheidend ist, dass der Antragsteller im Rahmen einer zweiten Chance neu kalkulieren darf und ein entsprechend wirtschaftliches Angebot abgeben kann.
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Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nicht nur die Vergabeunterlagen überarbeitet werden müssen, sondern auch der neue Termin für die Angebotsfrist im EU-Amtsblatt veröffentlich werden muss, erachtet die Vergabekammer eine Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Auftragsbekanntmachung für erforderlich.
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b) Zudem ist die Vergabestelle auch mit der Preisaufklärung im Februar 2021 nicht ihrer Verpflichtung gem. § 60 Abs. 3 VgV nachgekommen, die Angebotspreise der Beigeladenen ausreichend und ermessensgerecht aufzuklären.
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Der Antragsteller hat detailliert vorgetragen, dass neben der reinen Grabmachertätigkeit der Bieter vielfältig und umfangreich gemäß den besonderen Vertragsbedingungen zusätzliche Leistungen erbringen muss, die nicht zusätzlich vergütet werden. Neben den Kosten der Grabherstellung hat die Vergabestelle nach Auffassung der Vergabekammer unzureichend aufgeklärt, ob und in welche Höhe die Beigeladene diese zusätzlichen Leistungen nach den Besonderen Vertragsbedingungen kalkuliert hat. Die durchgeführte Preisaufklärung der Vergabestelle bei der Beigeladenen war hier nach Auffassung der Vergabekammer unzureichend. Die Vergabestelle müsste die Kalkulation für die Dienstleistungen, die nicht extra vergütet werden, genauer abfragen und könnte erst dann eine Prognose erstellen, ob zu erwarten ist, ob mit einer vertragsgerechten Ausführung durch die Beigeladene zu rechnen wäre. Nachdem die Bieter aber ein neues Angebot abgeben dürfen, entfällt (zunächst) diese Verpflichtung zur weiteren Preisaufklärung.
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Auch die vorgenommenen Preisvergleiche mit den umliegenden Gemeinden entbinden die Vergabestelle hier nicht von einer weiteren Aufklärung, da der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass in den umliegenden Gemeinden bei der Grabherstellung keine zusätzlichen Leistungen durch den Auftragnehmer zu erbringen seien.
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Die Begründung, die Beigeladene könne aufgrund der längeren Vertragslaufzeit günstiger kalkulieren und dass sie den Aufwand aufgrund der Interimsbeauftragung besser einschätzen könne, erscheint im konkreten Fall zu oberflächlich, die Preisaufklärung als ausreichend anzusehen.
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Nachteilig wirkt sich auch aus, dass den Vergabeakten keine Auftragswertschätzung beiliegt, die zudem auch wesentlich höher angesetzt ist als der derzeitige Angebotspreis der Beigeladenen.
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c) Nachdem der Antragsteller eine Verletzung seiner Rechte und einen drohenden Schaden glaubhaft machen konnte, kommt es auf die gerügten Dokumentationsmängel und den Interessenkonflikt nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Dokumentation und Wertung des Leistungskonzeptes ordnungsgemäß erfolgt ist. Nachdem sich die Vergabestelle bei der Abwicklung des Vergabeverfahrens der Unterstützung eines beratenden Ingenieurbüros bedient, sollte zukünftig genauer die Abstimmung zwischen Vergabestelle und Beraterbüro dokumentiert werden und auch Unterlagen wie die Auftragswertschätzung der Vergabeakte beigefügt werden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
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a) Die Vergabestelle trägt die Verfahrenskosten, weil sie mit ihrem Antrag unterlegen ist, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
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b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber dem Antragsteller ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
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c) Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst. Da sich die Beigeladene nicht am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat, ist es nicht sachgerecht, sie an den Verfahrenskosten zu beteiligen. Im Umkehrschluss werden der Beigeladenen möglicherweise entstandene Aufwendungen nicht erstattet.
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d) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für den Antragsteller notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, sodass es dem Antragsteller nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
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e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Angebotssumme des Antragstellers und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von …- €
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f) Die Vergabestelle ist gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung) von der Zahlung der Gebühr befreit. Der geleistete Kostenvorschuss von … € wird dem Antragsteller nach Bestandskraft dieses Beschlusses zurücküberwiesen.