Titel:
Arrestgrund bei Straftat
Normenkette:
ZPO § 917
Leitsatz:
Es besteht regelmäßig ein Arrestgrund, wenn das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet. In einem solchen Fall ist die Annahme gerechtfertigt, der Täter werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arrestgrund, Straftat, Vollsterckungsvereitelung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 27.09.2021 – 3 U 3242/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 28916
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass eines Arrests wird zurückgewiesen.
2. Der Arrestkläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Arrestkläger kann die Vollstreckung des Arrestbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Arrestbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um einen Arrest wegen Schadensersatzansprüchen aufgrund eines Aktienkaufs.
2
Der Arrestkläger erwarb am 24.02.2000 50 Aktien der W AG zum Preis von 6.540,60 Euro. Der Arrestbeklagte war bis Mitte 2020 Vorstand der W AG. Mitte des Jahres 2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der W AG eröffnet. Das Amtsgericht München hat gegen den Arrestbeklagten Haftbefehl erlassen. Mit Pressemitteilung vom 20.07.2020 teilte die Staatsanwaltschaft München I mit, dass sie gegen den Arrestbeklagten Ermittlungen wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs, der Untreue, der unrichtigen Darstellung und der Marktmanipulation in mehreren Fällen führt. Hinsichtlich des Inhalts der Pressemitteilung wird auf die vorgelegte Anlagen verwiesen.
3
Die Staatsanwaltschaft München I hat beim Amtsgericht München im Rahmen des Ermittlungsverfahrens strafrechtliche Arreste zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe erwirkt.
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Der Arrestkläger begehrt Sicherung in Form des Arrests.
5
Der Arrestkläger trägt vor, der Arrestbeklagte sei im Jahr 2015 mit weiteren Mittätern übereingekommen, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der W AG durch das vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern aufzublasen. Das Unternehmen sollte finanzkräftige und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden. Entsprechend dem gemeinsamen Plan und in dem Wissen, dass angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro nicht existiert hätten, habe der Arrestgegner die Verhandlung verschiedener Kredite und ähnliche Geschäfte mit Investoren veranlasst.
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Der Arrestkläger trägt vor, dass wenn er von dem Verhalten des Arrestbeklagten gewusst hätte, er keine Aktien erworben hätte.
7
Der Arrestkläger meint, trotz der strafrechtlichen Arreste bestehe weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis. In mehreren Parallelverfahren seien Zahlungen der Verfahrenskosten durch den Arrestbeklagten erfolgt. Es entziehe sich jedoch der Kenntnis des Arrestklägers, woher dieses Vermögen stamme. Der Arrestbeklagte müsse vortragen und glaubhaft machen, dass die strafrechtlichen Arreste das komplette Vermögen erfassen würden. Der Vortrag hierzu sei nicht ausreichend.
8
Der Arrestkläger beantragt,
Wegen einer Forderung des Antragstellers gegen den Antragsgegner in Höhe von 6.540,60 EUR sowie einer Kostenpauschale von 327,03 EUR wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Antragsgegners angeordnet.
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Der Arrestbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass eines Arrests zurückzuweisen.
10
Der Arrestbeklagte trägt vor, infolge der strafrechtlichen Arreste sei das Vermögen des Arrestschuldners umfassend gepfändet. Die staatsanwaltschaftlichen Vollziehungsmaßnahmen würden gemäß § 111h Abs. 2 StPO ein gesetzliches Vollstreckungsverbot entfalten. Entgegenstehende Pfändungsbeschlüsse und Maßnahmen seien nichtig. Etwaige Arrestbeschlüsse könnten daher nicht vollzogen werden. Es bestünde daher kein Rechtsschutzbedürfnis für die Erwirkung zusätzliche Arreste. Ein Arrest „auf Vorrat“ für den Fall der Aufhebung staatsanwaltschaftlichen Arreste sei wegen der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht zulässig.
11
Der Beklagte habe zudem von einer angeblichen unrichtigen Darstellung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage keine Kenntnis gehabt.
12
Die Zahlungen von Verfahrenskosten in Parallelverfahren sei durch die Ehefrau des Arrestbeklagten erfolgt.
13
Mit Beschluss vom 8.4.2021 (Bl. 7) wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze des Arrestklägers vom 26.3.2021 und 6.4.2021, die Schriftsätze des Arrestbeklagten vom 24.3.2021 und 23.4.2021 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.4.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
15
Der Antrag auf Erlass eines Arrests war zurückzuweisen.
16
Der Arrestantrag war zurückzuweisen, da ein Arrestgrund nicht gegeben ist.
17
Nach § 917 ZPO ist der Erlass eines Arrestes möglich, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
18
Die Vorschrift verlangt die Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung eines Titels ohne die Verhängung des Arrestes. Ein solcher Zugriff kommt aber nur in Betracht, wenn das der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Schuldnervermögen durch Abflüsse - und nicht nur durch Umschichtungen, etwa zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Schuldners - verringert zu werden droht; dass solche Veränderungen unmittelbar bevorstehen oder jedenfalls noch nicht abgeschlossen sind, muss durch konkrete Tatsachen vorgetragen werden (vgl. Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 917 Rn. 2).
19
Zwar ist zutreffend, dass regelmäßig ein Arrestgrund besteht, wenn das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet. In einem solchen Fall ist die Annahme gerechtfertigt, der Täter werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren (vgl. OLG München Beschluss vom 13.10.2016 - 15 W 1709/16, BeckRS 2016, 20492, beck-online).
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Diese Argumentation kann indes nicht greifen, wenn kein freies Vermögen vorhanden ist, in welches ein Arrest vollzogen werden könnte. Der Arrestbeklagte hat vorgetragen, dass sein gesamtes Vermögen durch die Staatsanwaltschaft gepfändet wurde. Diesbezüglich hat der Arrestbeklagte auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das Gericht verkennt hier nicht, dass bei Beurteilung der eidesstattlichen Versicherung zu beachten ist, dass dem Arrestbeklagten Betrugstaten in großem Umfang vorgeworfen werden. Indes wurde durch die Bestätigung der Staatsanwaltschaft München I vom 26.03.2021 (Anlage zum Schriftsatz vom 28.04.2021 dargetan, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich Pfändungen in erheblichem Umfang vorgenommen hat. Das Gericht geht insofern davon aus, dass aufgrund des Umfangs der dem Arrestbeklagten vorgeworfenen Betrugstaten, die Staatswirtschaft München I das vollständige Vermögen des Arrestbeklagten gepfändet hat oder bei Bekanntwerden von weiterem Vermögen es sofort pfänden wird. Der Arrestkläger hat auch nicht weiteres Vermögen des Arrestbeklagten aufgezeigt, welches den Schluss erlauben würde, dass ein Arrest vollzogen werden könnte. Ist keine pfändbare Habe vorhanden, scheidet ein Arrest aus (vgl. BeckOK ZPO/Mayer, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 917 Rn. 5). Soweit der Arrestkläger auf Zahlungen auf Kostenfestsetzungsbeschluss verweist, hat der Arrestbeklagte nachvollziehbar vorgetragen, dass diese durch seine Frau erfolgt sind.
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Nach dem vorliegend davon auszugehen ist, dass eine wirksame Vollstreckung des Arrestbefehls innerhalb der Monatsfrist des § 929 ZPO nicht möglich sein wird, da der Vollstreckung jeweils die Wirkung des § 111h StPO entgegenstehen wird, war der Antrag auf Erlass eines Arrests daher zurückzuweisen.
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Ein Arrestgrund würde zudem daran scheitern, dass nicht ausreichend dargetan ist, dass Veränderungen des Vermögens unmittelbar bevorstehen oder jedenfalls noch nicht abgeschlossen sind. Gegen den Arrestbeklagten besteht seit dem Jahr 2020 ein Haftbefehl. Zudem hat die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines strafrechtlichen Arrestverfahrens umfassende Vermögenssicherungsmaßnahmen durchgeführt. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arrestbeklagte nunmehr nach der vergangenen Zeit weiterhin Vermögensverschiebungen durchführt, welche nicht bereits erfolgt sind. Auch insofern wäre ein Arrestgrund nicht gegeben.
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Nachdem ein Arrestgrund nicht besteht bedarf es keiner Entscheidung, ob die bloße Vorlage einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft eine ausreichende Glaubhaftmachung einer unerlaubten Handlung auch dann darstellt, wenn der Arrestbeklagte die Taten im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung bestreitet.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.