Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Urteil v. 27.01.2021 – BayAGH I - 1 - 12/20
Titel:

Bewerber auf Anwaltszulassung ist dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt

Normenketten:
BRAO § 7 Nr. 5, 14 Abs. 2 Nr. 2, § 112a, § 112c
StGB § 45 Abs. 1
BZRG § 46, § 51 Abs. 1
VwGO § 74 Abs. 1, § 113 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Bewerber auf Anwaltszulassung erscheint dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach gewissen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so viel an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Anwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Anwalts hält der BGH einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Anwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich. Dabei darf auch die bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsverbot, Anwaltszulassung, Unwürdigkeit, Bundeszentralregister, Eintragung, Wohlverhaltensphase, Freiheitsstrafe
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 19.08.2021 – AnwZ (Brfg) 18/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 28503

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
V. Die Berufung wird nicht zugelassen. 

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wiederzulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft.
2
Der am … geborene Kläger wurde am 30.09.1977 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 27.03.2001 wurde die Zulassung des Klägers gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO widerrufen, da der Kläger wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden war und dadurch gemäß § 45 Abs. 1 StGB für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit verloren hatte, öffentliche Ämter zu bekleiden und die Rechte aus öffentlichen Wahlen auszuüben. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft endete mit Ablauf des 28.07.2004.
3
Mit Antrag vom 30.10.2019, eingegangen bei der Rechtsanwaltskammer München am 06.11.2019, beantragte der Kläger die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Der im Rahmen des Wiederzulassungsantrages angeforderte Auszug aus dem Bundeszentralregister (BZR) ging bei der Beklagten am 18.11.2009 ein und wies 8 Eintragungen aus. Aufgrund der Eintragungen im BZR war der Versagungsgrund der Unwürdigkeit zu prüfen.
4
Nach Prüfung der Unterlagen wurde der Kläger mit Schreiben vom 12.12.2019 zum Versagungsgrund der Unwürdigkeit gemäß § 7 Nr. 5 BRAO angehört. Das Anhörungsschreiben wurde am 12.12.2019 per Postzustellungsurkunde versandt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde ging die Anhörung dem Kläger am 16.12.2019 zu. Mit Schreiben vom 07.02.2020 nahm der Kläger Stellung zur Anhörung. Im Rahmen seiner Stellungnahme vertrat der Kläger die Auffassung, dass zum Zeitpunkt des Antrages und auch schon früher alle Eintragungen aus dem BZR längst die Tilgungsreife erreicht hätten und von Amts wegen zu löschen seien, § 46 Abs. 1,1 Abs. 2 BZRG. Es habe deshalb gemäß § 51 Abs. 1 BZRG bereits ein absolutes Verwertungsverbot bestanden und die Taten und Verurteilungen hätten nicht mehr vorgehalten und zum Nachteil verwendet werden dürfen.
5
Mit Bescheid vom 28.04.2020 versagte die Beklagte den Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, weil der Versagungsgrund der Unwürdigkeit gemäß § 7 Nr. 5 BRAO entgegenstehe. Ausweislich des Bundeszentralregisterauszuges vom 18.11.2019 bestünden zu Lasten des Klägers folgende acht Eintragungen:
1. 15.12.1995 AG München
(D2601) - 8110 DS 231 Js 59999/93 -
Rechtskräftig seit 18.03.1997
Datum der Tat 18.05.1993
Tatbezeichnung: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Untreue in zwei Fällen
Angewandte Vorschriften; StGB § 113 Abs. 1, § 266, § 53, § 56
10 Monate Freiheitsstrafe
60 Tagessätze zu je 300,00 DM Geldstrafe
Bewährungszeit 3 Jahre
2. 12.12.1996 AG München
(D2601) - 8110 CS 231 Js 222657/96 -
Rechtskräftig seit 02.06.1997
Datum der Tat: 12.03.1996
Tatbezeichnung: Beleidigung in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung Angewandte Vorschriften: StGB § 185, § 194, § 230, § 232, § 53
35 Tagessätze zu je 300,00 DM Geldstrafe
3. 10.02.1998 AG München
(D2601) - 1146 LS 308 Js 38246/96 -
Rechtskräftig seit 27.01.2000
Datum der Tat: 15.12.1994
Tatbezeichnung: Steuerhinterziehung in neun Fällen sowie in zwei Fällen versuchten Steuerhinterziehung
Angewandte Vorschriften: StGB § 22, § 23, § 53, § 56, AO § 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
10 Monate Freiheitsstrafe
90 Tagessätze zu je 300,00 DM Geldstrafe
Bewährungszeit 2 Jahre
Gewerbezusammenhang
Einbezogen wurde die Entscheidung vom 15.12.1995+8110 DS 231 JS 59999/93+D2601+AG München
4. 13.11.1998 AG München
(D2601) - 831 LS 242 Js 223350/97 -
Rechtskräftig seit 01.11.2000
Datum der Tat: 31.05.1995
Tatbezeichnung: Versuchter Prozessbetrug in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Meineid Angewandte Vorschriften: StGB § 154, § 263, § 22, § 23, § 26, § 53
1 Jahr 8 Monate Freiheitsstrafe
5. 27.03.2001. Rechtsanwaltskammer München (D8394)
- P 10082 - Erlaubnis zur Ausübung des nachstehenden Berufs widerrufen:
Rechtsanwalt
unanfechtbar geworden
6. 22.04.2002 AG München
(D2601) - 831 LS 242 Js 223350/97 -
Rechtskräftig seit 13.05.2002
2 Jahre Freiheitsstrafe
Nachträglich durch Beschluss gebildete Gesamtstrafe
Einbezogen wurde die Entscheidung vom 13.11.1998+831 LS 242 JS 223350/97+D2601+AG München
Einbezogen wurde die Entscheidung vom 15.12.1995+8110 DS 231 JS 59999/93+D2601+AG München
Einbezogen wurde die Entscheidung vom 10.02.1998+1146 LS 308 JS 38246/96+D2601+AG München
Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 09.08.2005
Ausgesetzt durch; 30.07.2002+STVK 544/02+D2100+LG Augsburg
Bewährungszelt verlängert bis 17.03.2009
Strafrest erlassen mit Wirkung vom 26.08.2010
7. 21.05.2007 AG München
(D2601) - 812 Ls 231 Je 227385/02 -
Rechtskräftig seit 19.10.2007
Datum der Tat: 04.04.2003
Tatbezeichnung: Betrug und versuchter Betrug sowie 4 tatmehrheitlich begangene Urkundenfälschungen
Angewandte Vorschriften: StGB § 263 Abs. 1, Abs. 2, § 267 Abs. 1, § 22, § 23 Abs. 1, § 53, § 56
1 Jahr 10 Monate Freiheitsstrafe Bewährungszeit bis 18.10.2012
8. 12.10.2009 AG München
(D2601) - 821 Ls 237 JS 231365/07 -
Rechtskräftig seit 20.10.2009
Datum der Tat: 28.12.2006
Tatbezeichnung: Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen
Angewandte Vorschriften: StGB § 288 Abs. 1, Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 132 a Abs. 1 Nr. 2, § 53, § 41, § 42, § 56
1 Jahr 10 Monate Freiheitsstrafe
300 Tagessätze zu je 90,00 EUR Geldstrafe
Bewährungszeit 5 Jahre
Einbezogen wurde die Entscheidung vom 21.05.2007+812 Ls 231 Js 227385/02+D2601+AG München
6
Die Beklagte führte in ihrem Bescheid weiter zur Begründung aus, dass die Wohlverhaltensphase derzeit nicht abgelaufen sei. Dies liege darin begründet, dass die oben genannten Taten als schwere Delikte mit Berufsbezug einzuordnen seien und die bloß straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Klägers berücksichtigt werden dürfe, wenn dieser noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe gestanden habe.
7
Der Bescheid wurde dem Kläger per Postzustellungsurkunde am 29.04.2020 zugestellt.
8
Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit seiner per Telefax am 29.05.2020 beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof eingegangenen Klage.
9
Dem Kläger wurde antragsgemäß die Frist zur Begründung der Klage verlängert bis zunächst 06.08.2020, weiter bis 06.09.2020 und zuletzt bis 11.09.2020.
10
Mit Schriftsatz vom 11.09.2020 begründete er die Klage. Er trägt vor, der angegriffene Bescheid der Rechtsanwaltskammer München vom 28.04.2020 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen subjektiven Rechten.
11
Die Rechtsanwaltskammer München sei vorliegend ermessensfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem Kläger die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 5 BRAO wegen Unwürdigkeit zu versagen sei.
12
Nach Würdigung der Gesamtumstände sowie sämtlicher von der Rechtsanwaltskammer im Bescheid vom 28.04.2020 aufgeführten Verurteilungen könne vorliegend davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Hinblick auf den Zeitablauf seines schuldhaften Verhaltens und der zwischenzeitlichen Führung nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf wieder tragbar sei.
13
Vorliegend sei vielmehr davon auszugehen, dass eine Wohlverhaltensphase von 4-5 Jahren ausreichend sein dürfte. Die Bewährungszeit der letzten Verurteilung aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 12.10.2009, Az. 821 Ls 237 Js 231365/07, rechtskräftig seit dem 20.10.2009, endete nach Ablauf von 5 Jahren, also mit Ablauf des 20.10.2014. Damit seien seit Ablauf der letzten Bewährungszeit bereits fast 6 Jahre vergangen. In dieser Zeit habe sich der Kläger keines weiteren Verhaltens schuldig gemacht.
14
Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass dem Kläger bereits im Jahr 2001 die Erlaubnis zur Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt entzogen worden sei. Dieser Entscheidung lagen zweifelsohne rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen zugrunde. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass die zugrunde liegenden Taten, welche zum Berufsverbot geführt haben, sich in den Jahren 1993-1995 ereignet hätten. Dies sei nun mittlerweile über 25 Jahre her.
15
Die letzte dem Kläger vorgeworfene Tat, welche sich nach dem ausgesprochenen Berufsverbot aus dem Jahr 2001 ereignet hätte, sei am 28.12.2006 erfolgt. Diese Tat liege nunmehr fast 14 Jahre zurück. Es habe sich ausweislich der Begründungen aus den jeweiligen Verurteilungen um sogenannte Verzweiflungstaten gehandelt. Die Gerichte hätten nämlich damals einhellig berücksichtigt, dass sich der Kläger in einer äußerst schwierigen persönlichen und beruflichen Situation befunden und daher mit aller Macht versucht habe, wieder in seinem Beruf Fuß zu fassen. In Anbetracht dessen müsse es für die Bewertung einer ausreichenden Wohlverhaltensphase auch darauf ankommen, ob der Kläger in den 14 Jahren nach der letzten Tat ein schuldhaftes Verhalten begangen habe, welches ihn unwürdig erscheinen lasse, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben.
16
Auch bei einer Verhaltensprognose komme man zu dem Ergebnis, dass keine Unwürdigkeit des Klägers im Hinblick auf die Ausübung des Anwaltsberufes mehr vorliege.
17
Denn bei einer Abwägung im Einzelfall zwischen dem Interesse des Klägers an seiner beruflichen und sozialen Wiedereingliederung mit dem Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtssuchenden, müsse man zu dem Ergebnis gelangen, dass die Interessen des Klägers an seiner Resozialisierung eindeutig überwiegen. Der Kläger könne nun seit fast 20 Jahren seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Interessen von Rechtssuchenden in der Zukunft durch ein Verhalten des Klägers gefährdet sein würden.
18
Der Kläger beantragt,
dem Antrag des Klägers vom 30.10.2019 auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft stattzugeben und den Kläger zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen und den Bescheid der Rechtsanwaltskammer München vom 28.04.2020 aufzuheben.
19
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
20
Die Beklagte ist der Ansicht, dass ihr Bescheid rechtmäßig sei. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der (Wieder-)Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Vielmehr stehe der Zulassung zur Rechtanwaltschaft der Versagungsgrund der Unwürdigkeit gemäß § 7 Nr. 5 BRAO entgegen.
21
Sie hält an ihrer im Bescheid vertretenen Auffassung fest, dass hier eine Wohlverhaltensphase von 15-20 Jahren erforderlich und diese noch nicht abgelaufen sei. Es sei noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Bewährungszeit zum 20.10.2014 geendet habe, der Zeitablauf hier also erst knapp 6 Jahre betrage und die bloß straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden dürfe, wenn dieser noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe gestanden habe.
22
Im Rahmen der Gesamtabwägung überwiegen die Umstände, die gegen eine Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft sprechen. Die Straftaten beträfen den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, auf die den Kläger betreffenden Personal- und Zulassungsakten der Beklagten (Zulassung 10082) und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
24
1. Die gemäß § 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 BRAO, § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Die Klage ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden, § 112c Abs. 1 BRAO, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO.
25
2. Die Klage ist jedoch unbegründet und war abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 28.04.2020 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 112c Abs. 1 BRAO, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
26
Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben.
27
a) Der Bewerber erscheint dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 - AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 7, m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 14.01.2019 - AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 11, m.w.N.).
28
Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so viel an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 - AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 8, m.w.N.).
29
Bei Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Bundesgerichtshof einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 - AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 9, m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteile vom 14.01.2019 - AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 12, m.w.N. und AnwZ (Brfg) 70/17, juris Rn. 11, m.w.N.; BGH, Beschluss vom 28.03.2013 - AnwZ (Brfg) 40/12, juris Rn. 6). Dabei darf auch die bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 - AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 9, m.w.N.). Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein (BGH, Beschluss vom 12.07.2010 - AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 9, m.w.N.).
30
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen und der gebotenen einzelfallbezogenen Abwägung hat die Beklagte die Wiederzulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft zu Recht versagt.
31
aa) Der Kläger wurde im Zeitraum 15.12.1995 bis 12.10.2009 mehrfach wegen teils schwerwiegender berufsbezogener Delikte (u.a. Untreue in zwei Fällen, versuchter Prozessbetrug in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Meineid, Betrug und versuchter Betrug sowie vier tatmehrheitlich begangene Urkundenfälschungen und Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen) verurteilt.
32
Zwar haben getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen nach Eintritt der Tilgungsreife regelmäßig an Gewicht verloren und dürfen deshalb nach § 51 Abs. 1 BZRG grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (Schmidt-Räntsch in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Auflage 2020, § 7 BRAO BRAO, Rn. 38). Doch die hier zugrunde liegenden Verurteilungen, insbesondere auch die in den Jahren 1995 bis 1998, finden allesamt Berücksichtigung. Ein Verwertungsverbot steht nicht entgegen, da Tilgungsreife noch nicht eingetreten ist, § 47 Abs. 3 S. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG.
33
bb) Der Kläger hat durch die Begehung zahlreicher schwerer berufsbezogener Delikte ein Verhalten gezeigt, das ihn nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt.
34
Hierbei ist insbesondere auch in die Abwägung einzubeziehen, dass der Kläger auch in Zeiten, in denen er unter laufender Bewährung stand, keine straffreie Führung zeigte.
35
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 22.04.2002, Az. 831 Ls 242 Js 223350/97, wurde zu Lasten des Klägers eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet. Einbezogen wurden die Entscheidungen des Amtsgerichts München vom 13.11.1998, Az. 831 Ls 242 JS 223350/97, vom 15.12.1995, Az. 8110 Ds 231 Js 59999/93 sowie vom 10.02.1998, Az. 1146 Ls 308 Js 38246/96. Die darin ausgesprochenen Verurteilungen erfolgten wegen versuchten Prozessbetruges in Tatmehrheit mit Anstiftung zum Meineid (Urteil vom 13.11.1998), wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Untreue in zwei Fällen (Urteil vom 15.12.1995) sowie wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen sowie in zwei Fällen versuchter Steuerhinterziehung (Urteil vom 10.02.1998). Der Strafrest war nach Verlängerung der Bewährungszeit bis 17.03.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Erst mit Wirkung vom 26.08.2010 wurde der Strafrest erlassen. Trotz dieser laufenden Bewährung wurde der Kläger erneut straffällig und es folgte eine Verurteilung durch das Amtsgericht München am 21.05.2007, Az. 812 Ls 231 Js 227385/02, rechtskräftig seit 19.10.2007, wegen Betruges und versuchten Betruges sowie vier tatmehrheitlich begangener Urkundenfälschungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate. Diese Strafe wurde wiederum zur Bewährung ausgesetzt bis 18.10.2012.
36
Auch hierauf kann der Kläger keine straffreie Führung aufweisen. Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 12.10.2009, AZ. 821 Ls 237 Js 231365/07, rechtskräftig seit 20.10.2009, wurde er unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils (Az. 812 Ls 231 Js 227385/02) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate und einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 90,00 € wegen Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen verurteilt. Auch diese Strafe wurde für 5 Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
37
Der seitens des Klägers herangezogene Umstand, dass es sich hierbei um „Verzweiflungstaten“ gehandelt habe, kann nicht maßgeblich zugunsten des Klägers Berücksichtigung finden. Denn im Rahmen der Abwägung sind die tatsächlich erfolgten, noch nicht tilgungsreifen Verurteilungen, wie sie das BZR ausweist, heranzuziehen. Etwaige bei der Bildung der jeweiligen Strafen - hier zugunsten des Klägers - zu berücksichtigende Strafzumessungserwägungen sind in die jeweils ausgeurteilten Strafen eingeflossen.
38
Es kann dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich des Beginns der Wohlverhaltensphase auf das Ende der Bewährungszeit oder auf den Zeitpunkt der letzten Tat abzustellen ist. Denn Selbst wenn der Zeitpunkt der letzten Tat (28.12.2006) herangezogen wird, so wären erst 14 Jahre und 1 Monat abgelaufen. Angesichts der vom Kläger begangenen zahlreichen - zum Teil schwerwiegenden - berufsbezogenen Delikte erscheint eine Wohlverhaltensphase von mindestens 15 Jahren erforderlich. Nachdem die bloß straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden darf, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand, ist allerdings auch zu sehen, dass sich der Kläger nach Ablauf der Bewährungszeit im Oktober 2014 erst 6 Jahre lang straffrei geführt hat (vgl. hierzu auch Weyland/Vossebürger, 10. Auflage 2020, BRAO, § 7 Rn. 40).
39
cc) Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger nunmehr bereits 74 Jahre alt ist und er den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr lange ausüben können wird, falls er wieder zugelassen werden sollte. Gleichwohl überwiegen (noch) die gegen eine Wiederzulassung sprechenden Umstände.
40
Bei den begangenen Taten handelt es sich nicht nur um eine einmalige Verfehlung, sondern um eine Vielzahl von Delikten, die den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit und unmittelbar die Belange der Rechtspflege betreffen. Das gilt auch hinsichtlich seiner Verurteilung(en) wegen Untreue und Betruges in jeweils mehreren Fällen. Selbst wenn, wie der Kläger vorbringt, keinem seiner Mandanten ein Schaden entstanden sein mag, hat er durch diese Taten das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Rechtssuchenden in die Integrität des Anwaltsstandes als Organ der Rechtspflege erschüttert (vgl. Anwaltsgerichtshof München, Urteil vom 18.12.2019 - BayAGH I - 1 - 45/18 juris Rn. 34).
41
Soweit der Kläger darauf abstellt, dass ihm bereits im Jahr 2001 die Erlaubnis zur Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt entzogen wurde, kann dieser Umstand nicht maßgeblich zugunsten des Klägers ins Gewicht fallen. Denn der Kläger ist auch nach dem Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Bescheid vom 27.03.2001 noch mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat schwere berufsbezogene Delikte begangen. So erfolgte die Verurteilung durch das Amtsgericht München am 21.05.2007, Az. 812 Ls 231 Js 227385/02, wegen Betruges und versuchten Betruges sowie vier tatmehrheitlich begangener Urkundenfälschungen (Datum der Tat: 04.04.2003) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate. Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 12.10.2009, Az. 821 Ls 237 Js 231365/07, wurde der Kläger wegen Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen (Datum der Tat: 28.12.2006) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monate und einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 90,00 € verurteilt.
42
Des Weiteren kann allein das hohe Alter des Klägers und der Umstand, dass er den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr lange ausüben können wird, falls er wieder zugelassen werden sollte, nicht wesentlich zugunsten des Klägers in die Gesamtabwägung mit einfließen. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die berufsbezogenen Delikte nicht zu Beginn bzw. der Anfangsphase der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern in einem fortgeschrittenen Stadium seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt bzw. nach Widerruf der Zulassung in höherem Alter begangen hat. Dies hat er selbst zu verantworten.
II.
43
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO.
44
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 167 VwGO, § 709 S. 2 ZPO.
45
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 S. 1 BRAO.
46
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, § 112e BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO.