Inhalt

SG München, Endurteil v. 22.09.2021 – S 15 KR 593/20
Titel:

Übergang von Arbeitsfähigkeit zur Arbeitsunfähigkeit

Normenkette:
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1
Leitsätze:
Zur Frage der krankengeldrechtlichen Zustandsänderung von Arbeitsfähigkeit zu Arbeitsunfähigkeit bei Wiederaufnahme der gleichen Tätigkeit nach einer LTA-Maßnahme.
Der Übergang von Arbeitsfähigkeit zu Arbeitsunfähigkeit setzt eine Änderung des bisherigen Zustandes voraus. Die Voraussetzung der Zustandsänderung bedeutet faktisch, dass eine Änderung im bisherigen Leistungsvermögen des Versicherten eintreten muss. Die Zustandsänderung erfordert ein Ereignis, aufgrund dessen die bisherige Arbeit nicht mehr (weiter) ausgeübt werden kann. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschäftigungsbeginn, Krankengeld, Arbeitsunfähigkeit, Zustandsänderung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 28297

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Streitig ist der Bezug von Krankengeld.
2
Die im Jahre 1964 geborene Klägerin war bis zum 31.12.2018 aufgrund eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses als Reinigungskraft bei der Gemeinde F mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. In der Zeit vom 21.01.2019 bis zum 18.12.2019 besuchte die Klägerin eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme im Rahmen einer Umschulung über die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd. In dieser Zeit ruhte das Beschäftigungsverhältnis bei der Gemeinde F, die Klägerin erhielt Übergangsgeld nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Am 21.10.2019 nahm die Klägerin ihre Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Gemeinde F wieder auf. Seit dem 01.02.2021 bezieht sie eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
3
Der Facharzt für Allgemeinmedizin K bescheinigte am 09.01.2020 erstmals Arbeitsunfähigkeit (AU) aufgrund der Diagnosen ICD-10 2020 M54.4 (Rückenschmerzen), M62.88 (sonstige Muskelkrankheiten), M47.86 (Spondylose) sowie M51.2 (Sonstige Bandscheibenschäden) bis zum 10.01.2020. Am 13.01.2020 wurde wegen des gleichen Krankheitsbildes AU bis zum 17.01.2020 verlängert. Gleiches erfolgte am 20.01.2020 bis zum 24.01.2020 und am 24.01.2020 bis zum 31.01.2020. AU sei insoweit als Folge eines Unfalls eingetreten.
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Am 30.01.2020 erfolgte sodann die Feststellung von AU bis zum 23.02.2020, nunmehr aufgrund der Diagnosen M48.06 (Sonstige Spondylopathien) und M54.5 (Rückenschmerzen) durch den Facharzt für Neurochirurgie P. Dieser verwies nicht mehr auf eine Unfallfolge. Am 21.02.2020 erfolgte sodann wiederum eine AU-Feststellung von Herrn K bis zum 08.03.2020.
5
Die Klägerin befand sich vom 05.02.2020 bis zum 08.02.2020 in stationärer Behandlung im I-Klinikum, in dem eine Dekompression des Lendenwirbelkörpers 4/5 bei diagnostizierter Spinalkanalstenose in diesem Bereich durchgeführt wurde. Im Arztbrief vom 18.02.2020 wird ausgeführt, dass die Wirbelsäulenveränderung seit längerer Zeit bestehen würde und eine entsprechende Therapie durchgeführt worden sei. Mutmaßliche Ursache seien tägliche Mikrobewegungen, wie sie im Alltag vorkommen würden. Grundsätzlich seien Tätigkeiten, die mit einer leichteren körperlichen Belastung einhergehen, nicht kontraindiziert, da hier die Muskulatur in einem vernünftigen Maß aufrechterhalten werde. Aus neurochirurgischer Sicht sei eine Tätigkeit mit Abwechslung der Körperposition ohne sehr schweres Tragen unterstützenswert.
6
Mit Bescheid vom 13.02.2020 wurde ein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld abgelehnt. AU würde eine Änderung des bisherigen Zustandes voraussetzen. Der Klägerin sei eine berufliche Rehabilitation im Rahmen einer Umschulung bewilligt worden. Nach Abschluss von dieser Umschulung habe die Klägerin erneut die Beschäftigung bei der Gemeinde F begonnen, die sie bereits vor der Umschulung getätigt habe. Sie habe sich mit der erneuten Arbeitsaufnahme wissentlich der Gefahr ausgesetzt, die bestehende Erkrankung weiter zu verschlimmern. Anfang Januar sei diese Verschlimmerung dann tatsächlich eingetreten. Das Krankheitsbild, das auf der AU-Feststellung vom 09.01.2020 dokumentiert ist, habe bereits vor Ausstellung der AU-Bescheinigung vorgelegen. Es würde sich um eine durchgehende Erkrankung handeln, aufgrund derer die Klägerin auch nur ein eingeschränktes Leistungsbild besitzen würde. Dieses würde die Aufnahme der gleichen Tätigkeit nicht ermöglichen.
7
Am 12.02.2020 wurde der Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd eine stationäre Anschlussrehabilitation für drei Wochen in der S-Klinik E bewilligt. Die Leistung solle am 09.03.2020 beginnen. Am 10.03.2020 bestätigte die S-Klinik die Aufnahme der Klägerin. Dort blieb sie bis zum 08.04.2020 (Blatt 31 der Beklagtenakte). Sie wurde arbeitsunfähig entlassen.
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Anschließend bescheinigte Herr K weitere AU am 08.04.2020 bis zum 01.05.2020.
9
Die Klägerin ließ am 18.02.2020 Widerspruch erheben. Die Klägerin habe bei der Gemeinde F als Hauswirtschafterin gearbeitet. Während dieser Zeit habe sie keine Probleme mit der Lendenwirbelsäule gehabt. Im Jahre 2019 sei die Umschulung für eine Bürotätigkeit erfolgt. Während dieser Zeit habe sie erstmals erhebliche Schwierigkeiten mit ihrer Lendenwirbelsäule bekommen. Aufgrund der rein sitzenden Tätigkeit im Büro und der Zwangshaltung vor dem Computer hätten sowohl die Lendenwirbelsäulen- als auch die Halswirbelsäulenprobleme massiv zugenommen. Die Klägerin habe aus diesem Grund ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben können und eine Tätigkeit gesucht, bei der ein wechselndes Belastungsprofil möglich sei. Die Gemeinde F hätte der Klägerin erneut eine Tätigkeit im hauswirtschaftlichen Bereich angeboten. Sie würde die Klägerin unterstützen. So habe die Klägerin während ihrer Tätigkeit keinen Zeitdruck. Sie müsse nichts Schweres heben, könne verschiedene Tätigkeiten ausüben und sich ihre Pausen selbst einteilen. Seither ginge es der Klägerin gesundheitlich besser. Sie habe an der Lendenwirbelsäule operiert werden müssen und sei ab dem 09.01.2020 arbeitsunfähig (au). Dies habe nichts mit ihrer derzeitigen Tätigkeit zu tun.
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Die Beklagte ermittelte sodann bei den behandelnden Ärzten. Herr K bestätigte am 21.02.2020, dass sich die Klägerin seit 2018 wegen rezidivierender Lumboischialgien in regelmäßigen Abständen in seiner Behandlung befunden habe (Blatt 24 der Beklagtenakte). Dies habe auch vollumfänglich den gesamten Zeitraum der Umschulungsmaßnahme von Januar bis Oktober 2019 umfasst. Wegen Nichterfolgs der konservativen Maßnahme habe bei Schmerzpersistenz daher am 05.02.2020 eine operative Maßnahme eingeleitet werden müsse. Aus ärztlicher Sicht sei eine berufliche Wechseltätigkeit (Gehen - Sitzen - Stehen) dringend angeraten.
11
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2020 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Gemeinde F habe am 03.03.2020 mitgeteilt, dass die Klägerin dort aktuell als Reinigungskraft in Vollzeit (39 Stunden an fünf Tagen die Woche) tätig sei. Sie verrichte leichte Arbeiten häufig gehend und stehend. Aus dem ärztlichen Attest von Herrn K gehe hervor, dass sich die Klägerin bereits seit 2018, also auch während der Umschulungsmaßnahme, wegen Lumboischialgien in regelmäßigen Abständen in Behandlung befunden habe. P vom I-Klinikum habe am 18.02.2020 bestätigt, dass eine Tätigkeit mit Abwechslung der Körperposition unterstützenswert sei. Die Klägerin habe jedoch nach der Umschulung wieder die Tätigkeit als Reinigungskraft mit nur stehender und gehender Tätigkeit aufgenommen, welche auch zuvor ausgeübt worden sei und letztlich AU verursacht habe.
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Hiergegen richtet sich die Klage zum Sozialgericht München vom 18.05.2020. Die Beklagte gehe weiterhin davon aus, dass die Klägerin bei der Gemeinde F als Reinigungskraft tätig sei. Diese sei aber tatsächlich als Hauswirtschafterin tätig. Sie könne sich ihre Arbeitszeit und Pausen selbstständig einteilen. Die Tätigkeit der Klägerin sei demzufolge mit Abwechslung der Körperpositionen gegeben. Sie verrichte ihre Tätigkeit im Gehen und Stehen und könne sich auch immer wieder hinsetzen. Für die Klägerin sei eine Zustandsänderung eingetreten. Eine Tätigkeit als Bürokauffrau sei eine rein sitzende Tätigkeit, die die Klägerin aufgrund ihrer Wirbelsäulenerkrankung nicht habe ausüben können. Aufgrund dessen habe die Klägerin bei der Gemeinde F eine Tätigkeit als Hauswirtschafterin aufgenommen. Die Schäden an der Lendenwirbelsäule seien während der Umschulung zur Bürokauffrau aufgetreten.
13
Die Klägerin beantragt,
1.
Der Bescheid vom 13.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2020 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Krankengeld dem Grunde nach nach den gesetzlichen Vorschriften mit Wirkung ab dem 09.01.2020 zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Ihr sei nicht klar, inwieweit die Umschulungstätigkeit eine Rolle spielen würde. Gemäß dem beiliegenden Versicherungsverlauf sei die Klägerin bei der Gemeinde F seit der erstmaligen Arbeitsaufnahme dort mit der Tätigkeit als Reinigungskraft gemeldet. Dies sei von der Gemeinde im März 2020 (Blatt 22 der Verwaltungsakte) bestätigt worden. Entscheidend sei, dass die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr habe ausüben können, weshalb ihr von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd eine Umschulung zur Bürokauffrau im Jahre 2019 genehmigt worden sei. Nach Abschluss der Umschulungsmaßnahme habe die Klägerin jedoch genau die gleiche Tätigkeit beim selben Arbeitnehmer erneut aufgenommen, deren körperliche Belastung bereits zur Genehmigung der Umschulung geführt habe. Die Klägerin habe ärztlich bestätigt seit 2018 unter Lumboischialgien gelitten.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung der Befundberichte der behandelnden Ärzte. Herr K führt am 17.06.2020 aus, dass die Klägerin durch einen nicht selbstverschuldeten Unfall für die körperliche Arbeit nicht mehr belastbar sei. Sie habe ehedem Reinigungstätigkeiten im Schulgebäude mit Treppen ohne Aufzug ausgeübt. Seit anderthalb Jahren habe sie zunehmende psychische Probleme, die durch einen zögerlichen Eingang von Krankengeldzahlungen verstärkt würden.
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Rehabilitationsmaßnahme und orthopädische Supervision hätten bezüglich der körperlichen Gesundung keinen durchschlagenden Erfolg erbracht. Der körperliche und seelische Zustand befinde sich in den letzten Monaten in einer schleichenden Abwärtsspirale.
18
Vorgelegt wurde ein Notfallprotokoll der H-Klinik I. Danach erlitt die Klägerin am 29.05.2017 einen Fahrradsturz. Am 08.06.2017 wurde aufgrund dieses Sturzes eine HWS-Distorsion und eine Cervicocephalgie diagnostiziert. Am 18.07.2017 bescheinigte Herr K, dass die Klägerin für ihre Tätigkeit als Raumpflegerin au sei. Die Klägerin müsse (in ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft) auch Treppenhäuser reinigen und hierbei schwere Wasserkübel tragen.
19
Am 27.07.2017 wurde sodann eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Halswirbelsäule und am 01.08.2017 des knöchernen Beckens durchgeführt. Am 10.01.2020 erfolgte danach ein MRT der Lendenwirbelsäule.
20
Das Gericht hat die Gemeinde F zum konkreten Tätigkeitsprofil der Klägerin zum Zeitpunkt der erneuten Arbeitsaufnahme am 21.10.2019 befragt. Mit Schreiben vom 30.10.2020 legte die Gemeinde dar, dass seit dem Wiedereintritt wesentliche Änderungen zu dem vorherigen Tätigkeitsfeld eingetreten seien: Die Pflege der Außenanlagen rund um das Rathaus sei entfallen. Bei der Reinigung im Rathaus und beim Gemeindegebäude „A“ sei eine zweite Teilzeitkraft als Unterstützung eingeteilt worden. Im Bereich des Grundschulgebäudes und der Kindertageseinrichtungen habe zwischenzeitlich eine weitere „Springerkraft“ mit 25 Wochenstunden zur Verfügung gestanden. Dies habe zusammen dazu geführt, dass der Zeitdruck bei der Klägerin genommen worden sei und das Arbeitstempo habe verringert werden können. Es sei die Möglichkeit geschaffen worden, dass die Klägerin immer wieder kleinere Pausen habe einlegen können.
21
Der Klägerin sei auch zugestanden worden, ihre Arbeitszeit frei einzuteilen, so dass auch längere Pausen möglich seien. Gem. den Arbeitsaufzeichnungen habe sie diese auch häufiger wahrgenommen mit zwei- bis vierstündiger Pause zwischen der Arbeit am Vormittag und am Nachmittag. Zusätzlich sei der Klägerin angeraten worden, nach Möglichkeit nicht mehr als 5 kg zu heben (Staubsauger im Stockwerk ziehen, Putzeimer mit weniger Wasser auffüllen).
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Das Gericht bat sodann den behandelnden Arzt Dr. K mit Verfügung vom 21.10.2020, die gesamte Patientenakte der Klägerin seit Anfang 2018 dem Gericht zur Verfügung zu stellen und alle Behandlungstage mitsamt dem jeweils erhobenen Befund mitzuteilen. Zudem wurde die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd gebeten, die medizinischen Akten bezogen auf das Rehabilitationsverfahren 2019 zur Verfügung zu stellen. Sodann hat das Gericht weiter Beweis erhoben durch Beauftragung des Sachverständigen Dr. K2 auf orthopädischem Fachgebiet, der unter Würdigung der bei Gericht eingegangenen medizinischen Unterlagen insbesondere von K und dem Rehabilitationsverfahren den medizinischen Sachverhalt die Arbeitsfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der neuerlichen Arbeitsaufnahme bei der Gemeinde F klären sollte.
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K2 legte sein Sachverständigengutachten vom 22.02.2021, ergangen aufgrund der Aktenlage und der körperlichen Untersuchung der Klägerin am 18.02.2021, einen Tag später dem Gericht vor.
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Der Gutachter berichtet, dass die Klägerin nach ihrem Fahrradsturz vom 28.05.2017 bis zum 04.02.2018 au gewesen ist. Am 05.02.2018 erlitt die Klägerin einen Muskelfaserriss an der Wade. Gem. dem Karteikartenauszug von K habe die Klägerin am 03.01.2018 unter einer HWS-Distorsion und Schulterschmerzen rechts mit einem Impingement rechts, am 20.07.2018 unter einem zervikalen Bandscheibenprolaps und Omarthrose links, am 01.10.2018 unter einer Myogelose im LWS-Bereich mit Muskelhartspann, im Dezember 2018 unter einem Nacken-Schulter-Arm-Syndrom, im Januar 2019 unter einer Lumboischialgie mit Blockierung rechts, einem LWS-Syndrom, einer Omarthrose links, einer Supraspinatussehnenruptur rechts, im Juli 2019 unter Rückenschmerzen und einer Supraspinatustendinose rechts sowie einem ISG-Syndrom der Lendenwirbelsäule und ab Januar unter den bekannten Gesundheitsstörungen gelitten, die den streitgegenständlichen Zeitraum der AU ausgelöst haben.
25
Von Januar 2016 bis 31.12.2018 sei die Klägerin mit 39 Stunden pro Woche als Reinigungskraft tätig gewesen. Ihr Aufgabengebiet habe die Reinigung des Rathauses inklusive die Reinigung der Außenanlagen sowie die Aufgabe einer „Springerin“ für die Reinigung anderer gemeindlicher Einrichtungen umfasst. Während der Zeit der Umschulung habe das Arbeitsverhältnis geruht.
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Nachdem die Klägerin den Arbeitsvertrag bei der Gemeinde F nicht gekündigt hatte, sei dieser am 21.10.2019 nach Abschluss der Rehabilitations-Maßnahme wieder in Kraft getreten. Mit dem Arbeitswiedereinstieg seien wesentliche Änderungen zu dem ursprünglichen Tätigkeitsfeld eingetreten. Die Pflege der Außenanlagen rund um das Rathaus sei komplett an eine externe Firma vergeben worden. Bei der Reinigung im Rathaus und am Gemeindegebäude „A“ sei eine Teilzeitkraft als Unterstützung eingeteilt worden. Auch im Bereich des Grundschulgebäudes und der Kindertageseinrichtung habe zwischenzeitlich eine weitere Springerkraft mit 25 Wochenstunden zur Verfügung gestanden. Dadurch habe das Arbeitstempo verringert werden können und die Klägerin habe die Möglichkeit erhalten, immer wieder kleinere Pausen einzulegen. Je nach körperlichem Befinden habe die Klägerin ihre Pausenzeiten individuell einteilen können und hiervon auch Gebrauch gemacht. Der Klägerin sei angeraten worden, nach Möglichkeit nicht mehr als 5 kg zu heben.
27
Derzeit klage die Klägerin über Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und im Beckenbereich mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Bei Kälte empfinde die Klägerin ein Taubheits-Missgefühl im Bereich des gleichen Beines. Weiter seien Kopf- und Nackenschmerzen sowie Handgelenksbeschwerden rechts und eine Gleichgewichtsstörung mit Fallneigung zu nennen.
28
Aufgrund der erhobenen und aktenkundigen Befunde leidet die Klägerin nach Angaben des Gutachters insbesondere unter folgenden Gesundheitsstörungen:
1. Degeneratives und gering fehlstatisches Zervikalsyndrom
2. Degeneratives Lumbalsyndrom bei Spondylose und Bandscheibenschaden
3. Anlaufende Knorpelschäden des linken Kniegelenks
4. Hypertrophe Schultereckgelenksarthrose beidseits
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Zu den Beweisfragen führt der Sachverständige sodann aus, dass die Klägerin bereits über eine längere Phase von Mai 2017 bis Februar 2018 wegen Wirbelsäulenbeschwerden au gewesen sei. Es sei eine langjährig angelegte degenerative Veränderung der Wirbelsäule bekannt gewesen. Im Februar 2020 sei eine mikrochirurgische Dekompression der Lumbalkanalstenose in der Etage L4/5 und im Januar 2021 eine Thermokoagulation des Ileosakralgelenks und der Facette L4/5 erfolgt. Aktuell klage die Klägerin noch über Rückenbeschwerden im Lendenwirbelsäule- und Beckenbereich sowie über Kopf- und Nackenschmerzen.
30
Sämtliche festgestellten Gesundheitsstörungen hätten bei der Klägerin sowohl zum Ende der ersten Tätigkeit, also bis zum 31.12.2018, als darüber hinaus auch über die gesamte Phase der Umschulungsmaßnahme bis zum Beginn der zweiten Tätigkeit (21.10.2019) vorgelegen. Eine wesentliche Modulation dieser grundsätzlich degenerativ involutiven Gesundheitsstörungen sei im Beobachtungszeitraum nicht festzustellen. Sowohl die degenerativen Prozesse in beiden Schultergelenken als auch über Hals- und Lendenwirbelsäule seien langjährig angelegt.
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Die einzelnen Funktionsstörungen und Schmerzen würden durch unterschiedliche, zum Teil Bagatelle-Situationen aktiviert und unterhalten. Unter Zugrundelegung des Tätigkeitsprofils bei der Gemeinde F sei die Klägerin durchgehend sowohl während ihrer ersten Beschäftigungsphase als auch nach Ende ihrer Umschulungsmaßnahme am 21.10.2019 grundsätzlich bereits zulasten ihrer Restgesundheit tätig gewesen. Trotz Anpassung ihres Tätigkeitsprofils mit der Möglichkeit, ihre Pausen selbstständig einzuteilen sowie die Tätigkeit unter abwechselnder Körperposition auszuüben und sich bei Bedarf immer wieder hinsetzen zu können, seien durch die Tätigkeit wirbelsäulenbelastende Arbeitsanteile gefordert worden, die der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin abträglich gewesen seien. Mittlerweile sei es möglicherweise belastungsbedingt erneut zu einer sonographisch nachweisbaren Re-Ruptur der Rotatorenmanschetten an beiden Schultergelenken gekommen.
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Die Schäden an der Lendenwirbelsäule seien keinesfalls erst während der Umschulung zur Bürokauffrau eingetreten.
33
Objektiv habe sich das Leistungsbild im Beobachtungszeitraum nicht wesentlich geändert. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass AU-Zeiten in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit sowohl als Reinigungskraft als auch als Hauswirtschafterin gehäuft auftreten würden. Dies sei auch eingetreten. Insofern sei die Klägerin für dieses Tätigkeitsprofil dauerhaft au gewesen.
34
Die zweite Tätigkeitsphase bei der Gemeinde F sei nur sporadisch und immer wieder unterbrochen durch länger andauernde AU-Zeiten ausgeführt worden. Dies würde das grundsätzlich der Restgesundheit abträgliche Tätigkeitsprofil widerspiegeln.
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Die Klägerin ließ erwidern, dass nach ärztlicher Auffassung die Klägerin zwar eine nicht leidensgerechte Tätigkeit ausgeübt habe, ab dem 09.01.2020 aber eine Zustandsänderung in dem Krankheitsbild der Klägerin eingetreten sei. Daher sei durch die Beklagte Krankengeld aufgrund der AU ab dem 09.01.2020 zu gewähren.
36
Die Beklagte äußerte sich zum Gutachten dergestalt, dass insbesondere die Beantwortung der Beweisfragen 3 und 4 eindeutig eine dauerhafte AU für das fragliche Tätigkeitsbild bereits seit 2018 belegen würde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

38
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
39
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld aufgrund der AU ab dem 09.01.2020. Die insoweit festgestellte Erkrankung hat die Klägerin nach Überzeugung des Gerichts im Sinne von § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht au gemacht.
40
Der Übergang von Arbeitsfähigkeit zu AU setzt eine Änderung des bisherigen Zustandes voraus. Dies wird formal dadurch deutlich, dass die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen den Vorgang der Zustandsänderung als Anspruchsvoraussetzung sehen: § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) setzt für den Entgeltfortzahlungsanspruch voraus, dass „ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird“; nach § 44 Abs. 1 erster Halbsatz SGB V ist der Krankengeldanspruch an die Voraussetzung geknüpft, dass „die Krankheit den Versicherten au macht “; Versorgungskrankengeld kann beansprucht werden, wenn Beschädigte „wegen einer Gesundheitsstörung … au … werden “ (§ 16 Abs. 1 Buchst. a BVG). Die Voraussetzung der Zustandsänderung bedeutet faktisch, dass eine Änderung im bisherigen Leistungsvermögen des Versicherten (des Arbeitnehmers, des Beschädigten) eintreten muss. Die Zustandsänderung erfordert ein Ereignis, aufgrund dessen die bisherige Arbeit nicht mehr (weiter) ausgeübt werden kann. In diesem Sinne hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 19. 6. 1963 (BSGE 19, 179 = SozR Nr. 8 zu § 182 RVO, ebenso BSGE 26, 288 = SozR Nr. 25 zu § 182 RVO = USK 6751) entschieden. Jener Versicherte war zwar krank, jedoch nicht au geworden. Er konnte vielmehr nach Verlust seiner bisherigen Arbeitsstelle wegen seines schon eingeschränkten Leistungsvermögens (mit dem er seine bisherige Arbeit verrichtet hatte) keine dementsprechend passende neue Arbeit finden. Hierzu führt das BSG aus: „Arbeitsunfähigkeit tritt in einem solchen Falle nur ein, wenn sich, gleichviel aus welcher Ursache, der bisherige Zustand verschlimmert oder doch in absehbarer Zeit zu verschlimmern droht oder wenn eine neue Krankheitsursache hinzutritt, die allein oder in Verbindung mit dem bisherigen Zustand Arbeitsunfähigkeit bedingt.“ (zitiert aus Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 02/16, § 44 SGB V, Rn. 45 f.).
41
Nach diesen Grundsätzen ist die Kammer der Überzeugung, dass AU bereits bei erneuter Arbeitsaufnahme bei der Gemeinde F am 21.10.2019 objektiv bestanden hat. Unerheblich ist hierbei, inwieweit sich die Klägerin dessen subjektiv bewusst war und sie dachte, dass erst ihre Umschulung zum gestörten Leistungsbild geführt habe. Denn die Vorschrift von § 44 SGB V stellt alleine auf das objektive Geschehen ab. Es geht vielmehr alleine um das objektive Vorliegen einer tätigkeitsverhindernden Erkrankung.
42
Die Beweisaufnahme durch Einholung aller relevanter Befundberichte sowie Beauftragung des Sachverständigen K2 hat demnach zur Überzeugung des Gerichts in sich schlüssig und widerspruchsfrei ergeben, dass die Klägerin bereits Ende 2018 ihre Tätigkeit für die Gemeinde F nicht mehr ohne Gefährdung ihrer Restgesundheit ausüben konnte. Aufgrund der degenerativen Veränderungen im lumbalen Bereich der Wirbelsäule sowie in beiden Schultergelenken war die Klägerin nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bereits im gesamten Jahr 2019 au für eine Tätigkeit bei der Gemeinde F, sei es als Reinigungskraft oder - mit etwas abgemildertem Leistungsprofil - als Hauswirtschafterin. Die von der Gemeinde F ab Beginn der erneuten Tätigkeit vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen reichten danach nicht aus, um dem gesundheitlichen Leistungsprofil der Klägerin gerecht zu werden. Daher hat bereits mit erneuter Arbeitsaufnahme im Oktober 2019 AU bestanden.
43
Es ist bzgl. der Frage nach der Zustandsänderung auch auf den Beginn der Wiederaufnahme der Tätigkeit im Oktober 2019 abzustellen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin, das bei der Gemeinde F seit dem 01.06.2012 besteht, ungekündigt ist. Während der Umschulungsmaßnahme ruhte es nur, und trat dann ab dem 21.10.2019 wieder in Kraft. (vgl. Schreiben der Gemeinde F vom 30.10.2020). Zwar lag dann zu diesem Zeitpunkt kein neues Arbeitsverhältnis, aber ein neues Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vor.
44
Hintergrund ist, dass die Klägerin eine LTA-Maßnahme durchlief, weil ihre Erwerbsfähigkeit für den hier streitgegenständlichen Beruf gemindert bzw. gefährdet war. Mit der LTA-Maßnahme änderte sich aber auch das Versicherungsverhältnis, da sie nunmehr aufgrund Bezugs von Übergangsgeld nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V (und nicht wegen Beschäftigung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) pflichtversichert war und zugleich der Anspruch auf Krankengeld, der gem. § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V bei Bezug von Übergangsgeld nicht ausgeschlossen ist, ruhte (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). Erst nach der LTA-Maßnahme begründete die Klägerin mit der Arbeitsaufnahme bei der Gemeinde F und dem Bezug von Arbeitsentgelt erneut ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis und damit eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Auf den Beginn dieses neuen Beschäftigungsverhältnisses im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist bzgl. der Frage nach der Zustandsänderung abzustellen. Unerheblich ist hierbei, dass das Arbeitsverhältnis als Hülle die ganze Zeit weiter existiert hat.
45
Für diese Rechtsableitung streitet auch § 7 Abs. 3 S. 1 i. V. m. S. 3 SGB IV. Danach fallen ein arbeitsrechtliches und ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis dann auseinander, wenn der Versicherte sich länger als ein Monat ohne Entgeltbezug in einem Arbeitsverhältnis befindet (etwa wegen sog. „Arbeitsbummelei“, Streiks, Sabbatical, etc., vgl. Knospe in: Hauck/Noftz, SGB, 02/16, § 7 SGB IV, Rn. 66) mit der Folge der zwingenden Abmeldung seitens des Arbeitgebers (und meist Versicherung in der obligatorischen freiwilligen Anschlussversicherung). Bis zu einem Monat Beschäftigung ohne Arbeitsentgelt wird hingegen als sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis fingiert, es sei denn, der Versicherte bezieht Entgeltersatzleistungen, u. a. Übergangsgeld (§ 7 Abs. 3 S. 3 SGB IV). Dann fallen sozialversicherungsrechtliches und arbeitsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vom ersten Tag auseinander, was wiederum rechtlich stringent ist, da insoweit mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V ein neuer Pflichtversicherungstatbestand (jenseits von § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) erfüllt ist.
46
Dieses Ergebnis ist schließlich auch nach der Systematik der beteiligten Normen sinnvoll: Die Klägerin erhielt eine LTA-Maßnahme, da die Tätigkeit bei der Gemeinde F ihre Restgesundheit gefährdete. Ein Neubeginn beim gleichen Beruf führt aufgrund dieses Tatbestands unweigerlich zu der Gefahr erneuter AU, wie von K2 eindrücklich dargelegt und wie sie sich auch im Endeffekt realisierte. Mit dem Verhalten der Klägerin wurde der Beklagten zudem im Vorfeld die Möglichkeit genommen, die Dispositionsbefugnis einzuschränken und auf diese Weise zu verhindern, ohne rechtlichen Grund Krankengeld zu zahlen.
47
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Argumentation des Klägerbevollmächtigten, dass etwa im Falle eines Sabbaticals eine solche Rechtsfolge unbillig wäre. Dies ist indes nicht der Fall. Wie jeder Arbeitnehmer, der eine neue Beschäftigung (im sozialversicherungsrechtlichen Sinne) antritt, hat auch der Arbeitnehmer mit Arbeitsaufnahme und Entgeltbezug nach einem Sabbatical oder nach einer längeren Reha-Maßnahme Anspruch auf Krankengeld (aufgrund Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), wenn und soweit eine Zustandsänderung durch die AUbegründende Erkrankung eintritt.
48
Nach allem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.