Titel:
Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts und Kostenerstattung für einen notwendigen Feuerwehreinsatz
Normenketten:
GG Art. 8
PAG Art. 7 Abs. 1, Art. 11 Abs. 2 Nr. 3, Art. 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 75 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, Art. 81 Abs. 1 S. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 4, Abs. 5
BayVwZVG Art. 19 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 42
KG Art. 10 Abs. 1 Nr. 5
PolKV § 2
Leitsätze:
1. Nach dem Grundsatz der Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen nur auf das allgemeine Polizeirecht gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben. Demgegenüber trifft das Versammlungsgesetz für die Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren eine abschließende Regelung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unvereinbar mit dem Wortsinn des Art. 8 GG ist es, einer Einzelperson die Bildung einer "Versammlung" zuzugestehen; diese kann sich nur auf die ansonsten einschlägigen Grundrechte (wie etwa die Meinungsfreiheit) berufen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Platzverweis nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PAG kann aber nur "vorübergehend" ausgesprochen werden. "Vorübergehend" drückt das Erfordernis einer zeitlichen Befristung aus, dh die zeitliche Dimension muss eindeutig bestimmt sein. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Notwendig sind die Aufwendungen für einen Feuerwehreinsatz nur dann nicht, wenn sie unter den gegebenen Umständen und nach dem Meldebild des Entscheidenden sachlich nicht gerechtfertigt waren. Maßgeblich ist dabei die ex-ante-Sicht. Ob die Maßnahmen nach Art und Umfang erforderlich sind, ist eine vom Gericht in vollem Umfang zu prüfende Rechtsfrage. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts, Schutzbereich des Versammlungsrechts, Platzverweis, Vorliegen einer Gefahr, Kostenbescheid, Versammlungsfreiheit, Parteiversammlung der AfD, Lichtmast, Verhaltensstörerin, unmittelbarer Zwang, Auslagen für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr, Höhe des Kostenersatzes, Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.03.2023 – 10 ZB 21.2758
Fundstelle:
BeckRS 2021, 28235
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Kostenrechnung des Polizeipräsidiums O..
2
Am 02.06.2018 veranstaltete ein Landesvorstandsmitglied der AfD B. um 20:00 Uhr eine öffentliche Parteiversammlung im Kultur- und Begegnungszentrum Aurelium in ... L., Am Anger 1. Um 18:39 Uhr begann der Einlass der Teilnehmer. Die Versammlung wurde um 20:25 Uhr eröffnet und war mit ca. 350 Teilnehmern voll besetzt. Gegen 22:50 Uhr wurde sie beendet.
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Gegen diese Versammlung wurden drei sich fortbewegende Versammlungen - ausgehend vom Hauptbahnhof Regensburg - und eine opponierende Versammlung unweit des Veranstaltungsortes von diversen Parteien angemeldet. Diese wurden der Reihe nach wie folgt durchgeführt:
- Aufzug „A“: Start 16:19 Uhr am Hauptbahnhof Regensburg, ca. 250 Teilnehmer, Ende 17:07 Uhr in Regensburg, Stadtamhof
- Aufzug „B“: Start 17:28 Uhr in Regensburg, Stadtamhof, ca. 350-400 Teilnehmer, Ende 18:30 Uhr in Lappersdorf (Aurelium)
- Versammlung „C“: Start 18:06 Uhr in Lappersdorf (Aurelium), ca. 800 Teilnehmer, Ende 21:00 Uhr
- Aufzug „D“: Start 21:00 Uhr in Lappersdorf (Aurelium), ca. 100 Teilnehmer, Ende ca. 22:00 Uhr in Regensburg, Stadtamhof
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Am 02.06.2018 um 14:25 Uhr wurde der Polizeiinspektion R.mitgeteilt, dass die Klägerin einen Lichtmast vor dem Aurelium in Lappersdorf bestiegen und sich schließlich am Lichtmast festgebunden hatte. Zu deren Sicherheit wurde die Freiwillige Feuerwehr L. verständigt, welche den Einsatzort mit Sprungkissen absicherte. Zudem wurde ein weiteres Sprungpolster von der Berufsfeuerwehr R. angefordert. Die Klägerin verweigerte zunächst die Angabe ihrer Personalien. Sie entrollte zwei Transparente mit folgenden Aufschriften: „Den Nazis aufs Dach steigen“ und „Antiphobe Aktion“. Trotz intensiver, mehrfacher Gespräche mit der Klägerin durch die Polizei konnte diese nicht zum Herabsteigen bewegt werden. Sie wurde unter Hinzuziehung einer Spezialeinheit der Polizei um 17:06 Uhr unverletzt vom Mast geholt und identifiziert. Gegen die Klägerin wurde ein Platzverweis im Umkreis von 500m um das Aurelium ausgesprochen. Diesem kam sie jedoch nicht nach und mischte sich gegen 17:55 Uhr unter die Versammlung „C“. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wurden keine weiteren polizeilichen Maßnahmen getroffen.
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Mit Schreiben vom 20.08.2018 wurde die Klägerin zum beabsichtigten Erlass der Kostenrechnung in Höhe von 2.254,30 € angehört.
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Mit Schreiben vom 23.11.2018 trug der Bevollmächtigte der Klägerin gegenüber dem Beklagten vor, das PAG und das BayFwG fänden vorliegend keine Anwendung, da für die Durchführung und den Ausschluss einer Person aus einer Versammlung allein die Normen des BayVersG anwendbar seien. Eine Gefahr für die Versammlung der AfD habe nicht vorgelegen, da der Veranstaltungsort der AfD ca. 100m entfernt gewesen sei. Zudem sei die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen, da sie durch professionelles Klettergeschirr gesichert gewesen sei. Sie sei nicht aus einer Gefahrenlage gerettet, sondern gegen ihren Willen aus einer Versammlung entfernt worden. Im Übrigen sei die Anzahl der hinzugezogenen Feuerwehrkräfte nicht nachvollziehbar.
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Mit Schreiben vom 18.02.2019 bat das Polizeipräsidium O. den Klägerbevollmächtigten um Mitteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin.
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Mit Kostenrechnung vom 23.04.2019, der Klägerin am 29.04.2019 zugestellt, wurden der Klägerin Kosten für den Polizeieinsatz am 02.06.2018 von 14:25 Uhr bis 17:20 Uhr in ... L., Am Anger 1, in Höhe von 1.610,75 €, fällig am 23.05.2019, auferlegt. Diese setzen sich zusammen aus einer Gebühr von 250,00 €, Auslagen für den Feuerwehreinsatz der Freiwilligen Feuerwehr L. in Höhe von 952,75 € und Auslagen für den Feuerwehreinsatz der Berufsfeuerwehr R. in Höhe von 408,00 €.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei einem Platzverweis nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG nicht nachgekommen. Aus diesem Grund habe unmittelbarer Zwang gemäß Art. 75 Abs. 1 PAG angewandt werden müssen. Für die Anwendung unmittelbaren Zwangs seien gemäß Art. 75 Abs. 3, 93 PAG, § 1 Nr. 7, 2 PolKV und Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 BayKG Kosten zu entrichten. Die Klägerin sei durch das Entrollen von zwei Transparenten auf dem Lichtmast nicht zur Versammlungsteilnehmerin geworden. Betrachte man sie als Mitglied einer eigenständigen, opponierenden Versammlung so sei der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG für sie nicht eröffnet. Im Einklang mit dem Wortlaut seien mindestens zwei Personen erforderlich. Einzelaktionen fielen mangels kollektiven Handelns nicht unter den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG, sondern als Meinungsäußerung eines Einzelnen unter Art. 5 Abs. 1 GG. Betrachte man die Klägerin als opponierende Teilnehmerin der Versammlung der AfD, so habe sich der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG für sie als Teilnehmerin dieser AfD-Versammlung ebenfalls nicht eröffnet. Da zum Zeitpunkt der Aktion der Klägerin noch keinerlei Versammlungsaufkommen bzw. Vorbereitungsmaßnahmen seitens der anmeldenden Partei (AfD) oder anderer Teilnehmer oder Versammlungsgegner feststellbar gewesen sei, könne die Klägerin keiner Versammlung zugeordnet werden. Sie habe sich ohne vorherige Anmeldung in den Bereich einer Rettungszufahrt unmittelbar vor den Haupteingang des Versammlungsortes der AfD begeben, um dort ihren alleinigen Protest gegen diese Veranstaltung zum Ausdruck zu bringen. Aus den gleichen Gründen könne die Klägerin auch nicht der ordnungsgemäß angemeldeten, opponierenden Versammlung „C“ zugehörig bewertet werden. Ihre Einzelaktion sei weder angemeldet worden noch sei sie in einem der vorab geführten Kooperationsgespräche von Seiten der Versammlungsleiter mit den Sicherheitsbehörden und der Polizei erwähnt worden. Hinsichtlich der Gefahrenlage führt der Bescheid Folgendes aus: Um Gefahren für die Klägerin und die Versammlung abwehren zu können, habe sie von einer Spezialeinheit vom Lichtmast heruntergeholt werden müssen. Trotz ihrer Einlassung, dass sie eine geübte Kletterin sei und geprüftes Klettermaterial mit sich führe, habe mit fortschreitender Dauer ein Herabstürzen nicht ausgeschlossen werden können, zumal ihre Angaben zu diesem Zeitpunkt nicht verifizierbar gewesen seien. Der von der Klägerin bestiegene Lichtmast habe sich nicht in einer Entfernung von 100m zum Veranstaltungsort, sondern unmittelbar vor dem Haupteingang befunden. Solange die Klägerin auf der Laterne gewesen sei, habe die Polizeiführung nicht ausschließen können, dass sie Wurfgegenstände mit sich führe. Ferner habe die Gefahr bestanden, dass die Versammlungsteilnehmer der AfD auf diese Provokation mit Gewaltanwendungen, z.B. in Form von Bewerfen mit Gegenständen reagierten. Die Beendigung dieser Gefahrensituation sei erforderlich, geeignet und angemessen gewesen. Vor Durchführung der Maßnahme sei durch zahlreiche Gespräche mit der Klägerin mehrfach versucht worden, sie selbst zu einem Herabsteigen zu bewegen, was sie vehement abgelehnt habe. Hinsichtlich der Kostenhöhe wurde ausgeführt, dass im Regelfall für die Anwendung unmittelbaren Zwangs eine Gebühr von 54,00 € festgesetzt würde. Mit dieser solle der Aufwand einer Beamtenstunde abgegolten werden. Insgesamt wären über 45 Beamtenstunden anzusetzen. Eine Gebühr in Höhe von 2430,00 € sei im vorliegenden Fall unangemessen und nicht zulässig. Daher sei im Anhörungsschreiben vom 20.08.2018 eine Gebühr von 600,00 € festgesetzt worden. Diese liege mittig im zulässigen Gebührenrahmen. Die Frage nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin sei nicht beantwortet worden. Da sie am Tag des Ereignisses als Beruf „Auszubildende“ angegeben habe, werde davon ausgegangen, dass die Gebühr ihren finanziellen Möglichkeiten nicht gerecht werde, sodass die Gebührenhöhe auf 250,00 € reduziert worden sei. Zudem habe die Klägerin die Kosten des Feuerwehreinsatzes zu entrichten. Die Freiwillige Feuerwehr L. habe einen Sprungretter in Stellung gebracht und zudem eine Drehleiter zur Verfügung gestellt, mit der die Klägerin schließlich von der Laterne geholt werden habe können. Da das Sprungpolster der Feuerwehr L. nicht den gesamten Bereich um die Laterne abdecken habe können, sei ein weiteres von der Berufsfeuerwehr R. angefordert worden. Die Gebührenbescheide des Marktes Lappersdorf und der Stadt Regensburg beruhten auf Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Nr. 1 BayFwG. Die Höhe der Kosten richte sich nach den jeweiligen Satzungen über den Aufwendungs- und Kostenersatz für Einsätze und andere Leistungen der Feuerwehren. Die Feuerwehr L. habe einen Einsatzleitwagen (8,25 €/h), ein Hilfeleistungslöschfahrzeug (91,50 €/h), sowie die Drehleiter (133,00 €/h) berechnet. Ein weiteres im Einsatz befindliches Löschgruppenfahrzeug sei bereits seitens des Marktes Lappersdorf aus Billigkeitsgründen nicht berechnet worden. Die Einsatzzeit der angegebenen Fahrzeuge habe 2,5 Stunden betragen. Für die angegebenen Fahrzeuge seien zudem Fahrtkosten von insgesamt 26,62 € angefallen. Des Weiteren seien Personalkosten für einen Einsatzleiter (27,60 €/h), die Mannschaft Drehleiter (drei Mann á 17,40 €/h) und die Mannschaft Hilfeleistungslöschfahrzeug (9 Mann á 17,40 €/h) für 2,5 Einsatzstunden angefallen. Um die finanzielle Situation der Klägerin auch bei der Erhebung der Auslagen zu berücksichtigen, seien die Kosten insoweit reduziert worden, als das Hilfeleistungslöschfahrzeug (91,50 €/h) mit sechs Mann Besatzung (á 17,40 €/h) und die Drehleiter (133,00 €/h) mit drei Mann Besatzung (á 17,40 €/h) für jeweils 2,5 Stunden berechnet worden seien, woraus sich Auslagen der Feuerwehr L. in Höhe von 952,75 € ergäben. Die Kosten der Berufsfeuerwehr R. setzten sich wie folgt zusammen: Fahrtkosten für ein Löschgruppenfahrzeug 18 km á 2,60 €/km, Einsatzdauer Löschgruppenfahrzeug für 1,5 Stunden (94,00 €/h), fünf Beamte des mittleren Feuerwehrtechnischen Dienstes A7/A8 für 1,5 Stunden (29,00 €/h) und ein Beamter des mittleren Feuerwehrtechnischen Dienstes A9/A9+Z für 1,5 Stunden (33,00 €/h). Die Berufsfeuerwehr R. habe das in Lappersdorf benötigte Material der örtlichen Feuerwehr übergeben und nach Beendigung des Einsatzes wieder abgeholt. Die Kosten für die gefahrenen Kilometer würden aus den oben genannten Gründen gestrichen, sodass sich an Auslagen für den Einsatz der Berufsfeuerwehr R. 408,00 € ergäben. Die Kostenhöhe sei unter Berücksichtigung des angegebenen Status Auszubildende festgesetzt worden.
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Mit Schriftsatz vom 22.05.2019, bei Gericht eingegangen am 23.05.2019, ließ die Klägerin gegen den Kostenbescheid Klage erheben. Vorgetragen wurde, es hätten sich zum Zeitpunkt, als die Klägerin den Lichtmast erklommen habe, bereits spätere Teilnehmer der Versammlung der AfD und spätere opponierende Versammlungsteilnehmer vor Ort befunden. Am Eingangsbereich des Veranstaltungsorts des Aurelium und im näheren Umfeld des Lichtmastes hätten sich bereits vereinzelt Personen befunden. Ob die eigentlichen Versammlungen bereits begonnen hätten, sei für die Frage der Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG irrelevant, da eine bereits existierende Versammlung nicht vorausgesetzt werde. Ob man die Klägerin der Versammlung der AfD oder der opponierenden Versammlung „C“ zurechne, könne offenbleiben, da in beiden Fällen die Anwendung des PAG durch die sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Gefahrenlage wurde ausgeführt, dass zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Klägerin oder Teilnehmer der Versammlung der AfD vorgelegen habe. Keine der vom Beklagten angestellten Befürchtungen erfülle einen auf Tatsachen gestützten Gefahrbegriff. Vielmehr liege eine bloße Vermutung vor. Eine Gefahr für die Klägerin durch Abstürzen sei zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen. Sie sei durch eine doppelte Sicherung gegen Abstürzen professionell gesichert gewesen. Die Sicherungssysteme seien in ausreichender Höhe angebracht worden, um den Sturzfaktor Null zu erreichen, sodass ein Abstürzen der Klägerin praktisch unmöglich gewesen sei. Für die Befürchtung des Beklagten, die Klägerin könne Wurfgeschosse mit sich führen und einsetzen oder selbst durch Teilnehmer der AfD-Veranstaltung angegriffen werden, gebe es keine objektiven Anhaltspunkte. Es habe auch keine Anscheinsgefahr vorgelegen. Sämtliche Sicherungssysteme seien einer optischen Erfassung zugänglich. Es hätte eine genauere Beurteilung der Sicherungssysteme erfolgen müssen, um Klarheit über die tatsächliche Gefährdungslage zu erhalten, bevor die Klägerin vom Lichtmast entfernt worden sei. Durch Letzteres sei aber eine endgültige Lösung der Situation herbeigeführt worden, die jedoch bei unklarer Sachlage nur ausnahmsweise zum Schutz überragender Rechtsgüter rechtmäßig sei, wenn weitere Gefahrerforschungsmaßnahmen nicht zielführend schienen. Dass es irgendwelche objektiven Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass die Klägerin abstürze, werde beklagtenseits nicht vorgetragen. Für die Annahme einer Gefahr genüge es nicht, dass die Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehe, da dies so gut wie nie auszuschließen sei. Vielmehr müsse nach objektiv erkennbaren Umständen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass Leib oder Leben einer Person bei ungehindertem Geschehensablauf zu Schaden kämen. Nach den objektiv erkennbaren Umständen sei eine solche Gefahr eher unwahrscheinlich gewesen, weil mehr Indizien gegen als für eine solche Gefahr gesprochen hätten. Insofern habe allenfalls Putativgefahr vorgelegen. Bei verbleibenden Zweifeln an der Festigkeit und Zuverlässigkeit der Sicherungsmittel hätte der Beklagte Gefahrerforschungsmaßnahmen, wie die Überprüfung der Sicherung von einem Fachmann der Feuerwehr oder der Polizei, ergreifen können. Hinsichtlich der Kostentragungspflicht wurde ausgeführt, dass Kosten nur von Störern und nicht von Anscheinsstörern erhoben werden könnten, wenn der Betroffene den Anschein der Störung nicht schuldhaft verursacht habe. Vorliegend sei die Klägerin mangels Verursachungs- bzw. Verantwortungsbeitrags nicht zum Ersatz der angefallenen Kosten verpflichtet. Sie habe alles Mögliche getan, um sich zu sichern und dies der Polizei mitzuteilen. Sie habe die Fehleinschätzung der Gefahrenlage nicht zu verantworten. Hinsichtlich des Kostenumfangs wurde vorgetragen, dass nicht nachvollziehbar sei, warum derart viele Einheiten der Feuerwehr nötig gewesen seien. Zwar sei nachvollziehbar, dass die Verbringung von Feuerwehrzubehör wie einer Drehleiter und Sprungkissen eine gewisse Mannstärke sowie den Einsatz von zum Transport nötiger KfZ erfordere. Dass jedoch über 15 Mann der Feuerwehr sowie diverse KfZ, die augenscheinlich weder Material transportierten noch sonst zum Einsatz gekommen seien, für das Verbringen der Klägerin vom Lichtmast erforderlich gewesen sein sollen, sei nicht nachvollziehbar, insbesondere, weil die eigentliche Räumung der Klägerin vom Lichtmasten durch Kräfte der Polizei selbst erfolgt sei.
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Die Klägerin beantragt,
den Kostenbescheid des Polizeipräsidiums O. vom 23.04.2019 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wurde ausgeführt, schon allein die Tatsache, dass bereits um 14:15 Uhr, also vier Stunden vor dem Einlass der Versammlungsteilnehmer, die Mitteilung eingegangen sei, dass die Klägerin einen Lichtmast vor dem Aurelium besteige, spreche gegen die Aussage, dass sich bereits spätere Teilnehmer der Versammlung der AfD sowie spätere opponierende Versammlungsteilnehmer vor Ort befunden hätten. Darüber hinaus habe PHK … als erster Polizeibeamter vor Ort bei seinem Eintreffen keine weiteren Personen erkennen können, die einem Versammlungsgeschehen zuordenbar gewesen wären. Im Vorfeld von Versammlungen sei das PAG anzuwenden. Hinsichtlich der Gefahrenlage wurde ausgeführt, die Voraussetzung der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Störung mache den Charakter der Gefahrenbeurteilung als Prognoseentscheidung der Polizei deutlich. Die Situation, die sich den eingesetzten Beamten vor Ort geboten habe, habe gleichzeitig mehrere verschiedene Gefahrenlagen beinhaltet. Zum einen sei die Klägerin vor Verletzungen durch einen Absturz aus nicht unerheblicher Höhe zu schützen gewesen, zumal der Lichtmast beim Besteigen stark gewackelt habe. Die bloße Behauptung, dass sie eine geübte Kletterin sei und geprüftes Klettermaterial mit sich führe, reiche nicht aus, um die Gefahr in Gänze auszuschließen, zumal es nicht möglich gewesen sei, die Aussagen vom Fuß des Lichtmastes zu verifizieren. Darüber hinaus handle es sich bei den genannten Kletter- und Sicherungstechniken um spezifisches Fachwissen, weshalb einem Polizeibeamten ohne Fachausbildung eine fundierte Einschätzung als „absturzsicher“ nicht möglich sei. Zum anderen habe die Klägerin einen schwarzen Rucksack mit sich geführt, dessen Inhalt die Beamten vom Boden aus nicht hätten einsehen können. Nachdem die Klägerin aufgrund ihrer mitgebrachten Banner offensichtlich die bevorstehende Versammlung habe stören wollen, habe es nahegelegen, dass sie Wurfgeschosse mit sich führe. Die Klägerin habe sich vehement geweigert, vom Lichtmast zu steigen, um diesen Verdacht auszuräumen. Darüber hinaus habe davon ausgegangen werden müssen, dass sich die Teilnehmer der Versammlung der AfD durch die ausgerollten Banner der Klägerin provoziert fühlten, sodass nach den allgemeinen polizeilichen Erfahrungen nicht habe ausgeschlossen werden können, dass diese Provokation in der Verübung von Straftaten, mindestens verbaler Art, münden werde. Aus den genannten Gründen sei die Klägerin mehrmals aufgefordert worden, den Lichtmast zu verlassen, ihr sei zudem wiederholt ein Platzverweis erteilt worden. Nachdem sie sich jedoch vehement geweigert habe, den polizeilichen Maßnahmen nachzukommen, sei sie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch Spezialkräfte der Polizei durch Anwendung unmittelbaren Zwangs vom Lichtmast geholt worden. Hinsichtlich der Kostentragungspflicht wurde vorgetragen, dass die Klägerin selbst schuldhaft dazu beigetragen habe, die Annahme einer Gefahr darzustellen. Da sie den mehrfach ausgesprochenen Platzverweisen der Polizei nicht nachgekommen sei, habe sie den Gefahrenverdacht in schuldhafter Weise verursacht. Selbst bei bloßen Gefahrerforschungseingriffen könnten dem Betroffen Kosten insoweit auferlegt werden, als er durch mangelnde, ihm unschwer mögliche Mitwirkung bei der Gefahrerforschung ein besonders aufwändiges Vorgehen der Behörde provoziert habe. Gerade aufgrund der fehlenden Mitwirkung der Klägerin, welche ihr unschwer möglich gewesen wäre, sei das aufwändige Prozedere provoziert worden. Es wäre ihr leicht möglich gewesen, den vorangegangenen Platzverweisen nachzukommen und den Lichtmast eigenständig zu verlassen. Auch unter Berücksichtigung der ex-post Betrachtung könne eine Gefährdungslage nicht ausgeschlossen werden. Die möglicherweise entstehenden Gefahren seien dadurch vermieden worden, dass die Klägerin vor der Veranstaltung vom Laternenmast entfernt worden sei und somit eine gefährliche Situation beim Aufeinandertreffen von AfD-Anhängern und der Klägerin verhindert worden sei. Eine später bessere Erkenntnis der Gefahrenlage liege hinsichtlich des tatsächlichen Kausalverlaufs nicht vor, da dieser erst durch die gefahrenabwehrende Maßnahme entstanden sei. In der ex-post Sicht könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Verlauf ohne Einschreiten der Polizei den gleichen Ausgang gefunden hätte. Aufgrund der Tatsache, dass mehrere Gefährdungen zugleich vorgelegen hätten, sei eine weitere Aufklärung der Polizei nicht möglich gewesen, zumal selbst bei einer Überprüfung der Sicherung immer noch nicht geklärt werden hätte können, welche Gefährdungen beim Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Interessenbewegungen entstanden wären. Auf eine Kostenerhebung bei der Verursacherin der Gefahr zu verzichten würde der Billigkeit widersprechen, da so die von ihr schuldhaft ausgelösten Kosten der Allgemeinheit auferlegt werden müssten. Hinsichtlich des Kostenumfangs wurde ausgeführt, die Kosten in Höhe von 1.610,75 € seien entstanden und auch angemessen. Die Gebührenbescheide des Marktes Lappersdorf und der Stadt Regensburg für den Feuerwehreinsatz seien auf ein Mindestmaß reduziert worden, um den wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin Rechnung zu tragen.
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Hinsichtlich des übrigen Vorbringens wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen, die vorgelegte Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
16
Die Kostenrechnung des Polizeipräsidiums O. vom 23.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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1. Es bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Kostenrechnung. Insbesondere wurde die Klägerin mit Schreiben vom 20.08.2018 zur beabsichtigten Kostenerhebung nach Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) angehört.
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2. Die Kostenrechnung ist auch materiell rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid bildet Art. 75 Abs. 3, 70 Abs. 1 und 93 Polizeiaufgabengesetz (PAG) i.V.m. §§ 1 Nr. 6, 2 Polizeikostenverordnung (PolKV) (i.d.F. vom 01.01.2002 bis 29.02.2020) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 Kostengesetz (KG). Nach Art. 75 Abs. 3, Art. 93 PAG werden für die Anwendung unmittelbaren Zwangs Kosten erhoben, wobei im Übrigen das Kostengesetz gilt.
20
Die Anwendung unmittelbaren Zwangs war rechtmäßig (dazu a)). Zudem ist die Höhe der geltend gemachten Gebühr nicht zu beanstanden (dazu b)). Auch gegen die Kostenerhebung der Freiwilligen Feuerwehr L. und der Berufsfeuerwehr R. bestehen keine Bedenken (dazu c)).
21
a) Eine Kostenerhebung kommt nur dann in Betracht, wenn die zugrunde liegende polizeiliche Maßnahme rechtmäßig war (BayVGH, B.v. 28.06.2019 - 10 C 18.375, juris). Dieses zusätzliche Erfordernis ergibt sich aus Art. 16 Abs. 5 KG, demzufolge Kosten nicht erhoben werden dürfen, die bei richtiger Sachbehandlung nicht angefallen wären. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs im Rahmen der polizeilichen Zwangsanwendung nach Art. 70 Abs. 1 PAG war rechtmäßig. Danach kann ein Verwaltungsakt der Polizei, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
22
Gemessen an diesen Maßstäben war die Anwendung unmittelbaren Zwangs rechtmäßig. Die Aufforderung der Klägerin, den Lichtmast zu verlassen, war wirksam und darüber hinaus rechtmäßig (dazu aa)). Dieser auf eine Handlung gerichtete Grundverwaltungsakt war vollstreckbar (dazu bb)). Auch wurde das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs ordnungsgemäß angewandt (dazu cc)) und die Verhältnismäßigkeit gewahrt (dazu dd)).
23
aa) Die Aufforderung der Klägerin, vom Lichtmast herabzusteigen, war wirksam. Der Klägerin gegenüber wurde durch PHK R. mündlich bekannt gegeben, dass sie den Lichtmast zu verlassen habe.
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Darüber hinaus war diese rechtmäßig. Anders als für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme selbst, bei der aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr ausreicht, dass der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt wirksam und vollziehbar ist, schlägt die Rechtswidrigkeit des Grundverwaltungsaktes auf die Rechtmäßigkeit der Kostenerhebung für die Vollstreckungsmaßnahme durch, da insoweit das Argument der effektiven Gefahrenabwehr nicht greift und genügend Zeit zur Prüfung der Rechtslage besteht (vgl. Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 5. Aufl. 2020, PAG Art. 93 Rn. 28).
25
Der Grundsatz der Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit steht der Anwendung des PAG nicht entgegen (dazu (1)). Die Aufforderung der Klägerin, den Lichtmast zu verlassen, findet ihre Rechtsgrundlage entgegen der Angabe im Bescheid nicht in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG, sondern in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG (dazu (2)).
26
(1) Die Polizei konnte vorliegend auf Grundlage des PAG gegen die Klägerin vorgehen. Der Anwendungsbereich des PAG wird nicht durch die spezielleren Regelungen des Versammlungsgesetzes verdrängt.
27
Die im Versammlungsrecht im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Soweit das Versammlungsgesetz abschließende Regelungen hinsichtlich der polizeilichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es daher als Spezialgesetz nach dem Grundsatz der Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit dem allgemeinen Polizeirecht vor (BVerwG, U. v. 25.07.2007 - 6 C 39.06, juris Rn. 30). Insoweit können polizeiliche Maßnahmen gegen Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.11.1999 - 1 S 1315/98, juris Rn. 22 f.; U. v. 12.02.1990 - 1 S 1646/89, juris Rn. 24; U. v. 26.01.1998 - 1 S 3280/96, juris Rn. 39). Polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen können danach nur auf das allgemeine Polizeirecht gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben (VGH Baden-Württemberg, U. v. 12.07.2010 - 1 S 349/10, juris Rn. 60). Demgegenüber trifft das Versammlungsgesetz für die Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren eine abschließende Regelung (Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018, Rn. 41). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist auch der Vorgang des Sich-Versammelns von der Versammlungsfreiheit geschützt (BVerfG, B. v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04, NVwZ-RR 2010, 625, 626). Polizeimaßnahmen dürfen nicht so gestaltet werden, dass eine Teilnahme an der Versammlung unmöglich gemacht wird oder dass der Betroffene sich durch sie - vom Standpunkt eines objektiven Beobachters - an der Teilnahme gehindert sehen muss. So sind Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden, rechtswidrig, solange nicht die Versammlung gemäß Art. 15 Abs. 4 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) aufgelöst oder der Teilnehmer auf Grundlage von Art. 15 Abs. 5 BayVersG von der Versammlung ausgeschlossen wurde (BeckOK PolR Bayern/Grünewald, 16. Ed. 15.03.2021, PAG Art. 16 Rn. 5.1; BVerfG, B. v. 26.10.2004 - 1 BvR 1726/0, juris Rn. 17 f.; B. v. 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06, juris Rn. 40; VG Sigmaringen, U. v. 29.11.2010 - 1 K 3643/09, juris Rn. 51). Eine auf allgemeines Polizeirecht gestützte Maßnahme scheidet deshalb aus, solange sich eine Person in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (vgl. BVerfG, B. v. 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01, juris Rn. 18; B. v. 10.12.2010 - 1 BvR 1402/06, juris Rn. 28).
28
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Anwendbarkeit des Polizeirechts vorliegend nicht durch das Versammlungsrecht gesperrt, weil zum einen bereits der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG für die Klägerin nicht eröffnet war. Zum anderen wurde durch die polizeiliche Maßnahme eine Versammlungsteilnahme der Klägerin nicht unmöglich gemacht.
29
Die Klägerin war keine Teilnehmerin einer Versammlung. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit des Einzelnen, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Eine Versammlung ist daher eine Personenmehrheit, die durch einen gemeinsamen Zweck oder Willen innerlich verbunden ist (vgl. hierzu Maunz/Dürig/Depenheuer, 94. EL Januar 2021, GG Art. 8 Rn. 45).
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Insbesondere war der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG für die Klägerin nicht als opponierende Teilnehmerin der AfD-Versammlung eröffnet. Zwar ist auch schon die Anreise und der Zugang zu einer sich noch bildenden Versammlung durch die Versammlungsfreiheit geschützt (vgl. BVerfGE 84, 203/208). Allerdings waren im Zeitpunkt der Aufforderung, den Lichtmast herunterzuklettern, weder Versammlungsaufkommen noch Vorbereitungsmaßnahmen seitens der AfD gegeben. Zum einen gab der Zeuge PHK R. in der mündlichen Verhandlung glaubhaft an, im Zeitpunkt seines Eintreffens sei niemand von der AfD vor Ort gewesen. Diese Aussage wird auch nicht durch die Angabe der Klägerin, der zuerst eintreffende Polizeibeamte sei zielgerichtet auf eine Person zugegangen, von der sie denke, diese sei der AfD zugehörig, widerlegt. Denn hierbei handelt es sich nach eigenen Angaben der Klägerin lediglich um eine Vermutung, die nicht durch Tatsachen belegt wurde. Zum anderen ergibt sich dies auch daraus, dass der Einlass der Teilnehmer der für 20:00 Uhr geplanten Versammlung der AfD in das Kultur- und Begegnungszentrum Aurelium erst um 18:30 Uhr begann. Die öffentliche Parteiversammlung selbst wurde erst um 20:25 Uhr eröffnet. Hingegen bestieg die Klägerin bereits gegen 14:25 Uhr - und damit knapp vier Stunden zuvor - den Lichtmast.
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Darüber hinaus war die Klägerin auch nicht als Teilnehmerin einer der ordnungsgemäß angemeldeten opponierenden Versammlungen zu qualifizieren. Im Zeitpunkt der Aufforderung, den Lichtmast herunterzuklettern, hat sich nach den glaubhaften Angaben des Zeugen PHK R. niemand als Versammlungsteilnehmer zu erkennen gegeben. Vielmehr waren lediglich ein paar Angestellte des Aurelium und ein paar Anwohner, die der Zeuge persönlich kenne, vor Ort. Dies wird dadurch gestützt, dass auch die Versammlung „C“ erst um 18:06 Uhr in Lappersdorf gestartet hat und die Versammlung „B“ erst um 17:28 Uhr in Regensburg startete. Somit waren diese Versammlungen noch nicht vor Ort, als die Klägerin aufgefordert wurde, den Lichtmast zu verlassen. Auch die Familie mit Kind ist aus Sicht des Gerichts nicht als Versammlungsteilnehmer einzustufen. Diese hielten sich nach der glaubhaften Aussage von PHK R. auf dem Spielplatz auf. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sie vor Beginn der Versammlung als Versammlungsteilnehmer vor Ort sein sollten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese - wenn überhaupt - als Schaulustige zu beurteilen sind. Daran ändert auch die Tatsache, dass die Familie mit Kind die Klägerin fragte, ob sie Hunger oder Durst habe und darum bat, Fotos von ihr machen zu dürfen, nichts. Dieses Verhalten ist gerade kein Ausdruck kollektiver Meinungskundgebung. Vor allem aber gab die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich an, sie sei unabhängig und führe ihre Aktionen alleine durch. Sie brauche auch keine anderen Personen zur kreativen Meinungskundgebung. Auch der Klägerbevollmächtigte ergänzte in der mündlichen Verhandlung, die Klägerin habe sich selbst organisiert und habe sich an diesen Platz begeben, weil sie gewusst habe, dass es dort eine größere Gegendemonstration gegen die Kundgebung der AfD geben werde. Insofern ist gerade nicht davon auszugehen, dass die Aktion der Klägerin Teil einer kollektiven Meinungsbildung war.
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Letztlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG für die Klägerin auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu einer eigenständigen, opponierenden Versammlung eröffnet.
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Unvereinbar mit dem Wortsinn des Art. 8 GG ist es nämlich, einer Einzelperson die Bildung einer „Versammlung“ zuzugestehen; diese kann sich nur auf die ansonsten einschlägigen Grundrechte (wie etwa die Meinungsfreiheit) berufen (vgl. hierzu Maunz/Dürig/Depenheuer, 94. EL Januar 2021, GG Art. 8 Rn. 45). Andere Personen waren nach den glaubhaften Schilderungen von PHK R. nicht vor Ort (s.o.).
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Darüber hinaus wurde die Klägerin durch die Aufforderung, den Lichtmast herabzuklettern, nicht daran gehindert, an einer der gegen die Parteiversammlung der AfD gerichteten Versammlungen teilzunehmen. Dies zeigt sich schon dadurch, dass die Klägerin - nachdem sie vom Lichtmast entfernt wurde - an der Versammlung „C“ teilnahm. Dem Kostenbescheid liegt gerade auch kein Platzverweis für das Gelände des Aurelium zugrunde, sondern die Maßnahme der Entfernung der Klägerin vom Lichtmast im Wege des unmittelbaren Zwangs. Es wurde weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass der Klägerin durch das Entfernen vom Lichtmast eine Versammlungsteilnahme unmöglich gemacht wurde.
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(2) Bei der zugrundeliegenden Primärmaßnahme handelt es sich entgegen der Angabe im Bescheid nicht um einen Platzverweis gemäß Art. 16 PAG, sondern um eine Anordnung auf Grundlage der Generalklausel nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG.
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(a) Der Bescheid selbst geht hinsichtlich der Rechtsgrundlage des Grundverwaltungsakts von einem Platzverweis nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG aus. Ein Platzverweis kann aber nur „vorübergehend“ ausgesprochen werden. „Vorübergehend“ drückt das Erfordernis einer zeitlichen Befristung aus, das heißt, die zeitliche Dimension muss eindeutig bestimmt sein (vgl. BeckOK PolR Bayern/Grünewald, 16. Ed. 15.03.2021, PAG Art. 16 Rn. 34; Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 5. Aufl. 2020, PAG Art. 16 Rn. 22). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin den Lichtmast nur vorübergehend verlassen sollte und es geduldet wird, dass sie nach Beendigung der öffentlichen Parteiversammlung der AfD erneut hinaufklettert. Denn dann wäre weiterhin die Gefahr für Leben und Gesundheit der Klägerin durch ein eventuelles Hinabstürzen gegeben. Insofern liegt als Grundverwaltungsakt kein Platzverweis vor.
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Dass das Polizeipräsidium O. in der Begründung zum Bescheid auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG abgestellt hat, ist unschädlich. Das Gericht ist an die rechtlichen Erwägungen der Behörde nicht gebunden. Eine Wesensänderung geht mit dem Austauschen der Rechtsgrundlage nicht einher (BayVGH, U. v. 23.07.2020 - 14 B 18.1472, BayVBl 2021, 88, 89).
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(b) Es liegt eine Anordnung auf Grundlage der Generalklausel gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG vor, dessen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt waren. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PAG ist die Polizei befugt, Maßnahmen zu treffen, um Gefahren abzuwehren oder Zustände zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit der Person oder Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen. Voraussetzung ist das Vorhandensein einer konkreten Gefahr. Eine solche liegt vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eintreten kann. Dabei sind umso niedrigere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je höher der Rang des gefährdeten Rechtsguts oder das Ausmaß des drohenden Schadens ist.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war vorliegend eine konkrete Gefahr gegeben. Das Leben und die Gesundheit der Klägerin stellen hochrangige Rechtsgüter dar. Insofern sind an die Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin vom Lichtmast herabstürzen und sich dadurch verletzen bzw. gar ums Leben kommen würde, keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Das entscheidende Gericht hat keinerlei Zweifel, dass aus der zugrunde zu legenden ex-ante Sicht der Polizei eine konkrete Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Klägerin gegeben war. Zum einen befand sich die Klägerin in circa sechs Metern Höhe auf dem Lichtmast. Der klägerische Einwand, sie sei eine geübte Kletterin und durch professionelles Klettergeschirr vor einem Absturz ausreichend geschützt, verfängt nicht. Das Gericht schließt sich der Ansicht des Beklagten, dass für die eingesetzten Polizeibeamten die Kletterkenntnisse und -ausrüstung der Klägerin nicht zeitnah überprüfbar waren, an. Insbesondere hatte keiner der eingesetzten Polizeibeamten die notwendige Fachkenntnis, um die Sicherheit der klägerischen Kletterausrüstung vor Ort beurteilen zu können. Berücksichtigt werden muss auch, dass die Klägerin auch hätte vom Lichtmast herabsteigen und den Polizeibeamten demonstrieren können, wie sie gesichert ist. Da sie aber nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung beschloss, mit PHK R., der als Erster am Einsatzort eintraf, nicht zu kommunizieren, ist für das Gericht nicht erkennbar, wie die Sicherungssysteme ohne Kooperationsbereitschaft seitens der Klägerin hätten überprüft werden sollen. Darüber hinaus wackelte der Lichtmast stark, als die Klägerin diesen bestieg, sodass auch davon auszugehen ist, dass - zumindest aus ex-ante-Sicht - nicht ausgeschlossen werden konnte, dass dieser dem Hinaufklettern nicht stand hielt. Zum anderen war angesichts der Tatsache, dass die Klägerin politische Banner entrollte, anzunehmen, dass sie jedenfalls bis zum Einlassbeginn zur öffentlichen Parteiversammlung der AfD - und damit mindestens vier Stunden - auf dem Lichtmast verweilen würde, da sie hiergegen ihren Protest ausdrücken wollte. Selbst wenn die Klägerin eine geübte Kletterin wäre, ist aus Sicht der Kammer nicht auszuschließen, dass ihre Kräfte aufgrund der langen Zeitspanne nachlassen, wodurch Leib und Leben der Klägerin gefährdet würden.
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Daher kommt es für die Kammer nicht mehr entscheidend darauf an, ob auch die Gefahr der Verübung von Straftaten seitens der Teilnehmer der Versammlung der AfD bestand.
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Ebenso kann dahinstehen, ob aus ex-ante-Sicht eine Gefahr für die Versammlungsteilnehmer der AfD durch potentielle, im Rucksack der Klägerin befindliche Wurfgeschosse vorlag.
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(3) Da die Klägerin die genannte Gefahr durch ihr Verhalten, das Unterlassen des Herabsteigens vom Lichtmast, verursacht hatte, war sie als Verhaltensstörerin auch richtige Adressatin der Aufforderung der Polizei, Art. 7 Abs. 1 PAG.
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(4) Die Aufforderung der Klägerin, vom Lichtmast herabzusteigen, war auch verhältnismäßig, Art. 4 Abs. 1 PAG, insbesondere erforderlich. Ein gleich geeignetes, milderes Mittel war nicht ersichtlich. Vor allem kam die zeitnahe Überprüfung der Kletterausrüstung der Klägerin vor Ort mangels Fachkenntnis der eingesetzten Polizeibeamten nicht in Betracht (s.o.). Auch ist von der Angemessenheit der Maßnahme auszugehen, da die Klägerin ihren Protest gegen die öffentliche Parteiversammlung der AfD auch vom Boden aus kundtun konnte. Ebenso wenig sind Ermessensfehler im Sinne von Art. 5 Abs. 1 PAG ersichtlich.
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bb) Die Aufforderung, vom Lichtmast herabzusteigen, stellt einen auf eine Handlung gerichteten Verwaltungsakt gemäß Art. 19 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) dar und war auch vollstreckbar. Nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 BayVwZVG können Verwaltungsakte vollstreckt werden, wenn der förmliche Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. Bei polizeilichen Maßnahmen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben, da gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten die grundsätzlich bestehende aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen entfällt (vgl. Buggisch, BeckOK PAG, 14. Aufl. 2020, Art. 70 Rn. 16). Vorliegend handelt es sich bei der ausgesprochenen Aufforderung, den Lichtmast zu verlassen, um eine unaufschiebbare Anordnung eines Polizeivollzugsbeamten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO, sodass die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage entfällt.
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cc) Der unmittelbare Zwang wurde ordnungsgemäß angewandt. Unmittelbarer Zwang ist vor seiner Anwendung anzudrohen, Art. 81 Abs. 1 Satz 1 PAG. Die Klägerin erläuterte, keine Räumungsaufforderung gehört zu haben. Der Zeuge R. gab in der mündlichen Verhandlung an, er wisse nicht mehr genau, was er zur Klägerin gesagt habe, glaube aber, er habe gesagt, dass sie heruntergeholt werde, wenn sie nicht freiwillig herunterkomme. Die Klägerin selbst erklärte in der mündlichen Verhandlung aber zusätzlich, die SEK-Beamten hätten sie gefragt, ob sie selbst herunterkommen möchte, oder ob sie sie runterholen sollten. Jedenfalls dies stellt aus Sicht des entscheidenden Gerichts eine mündliche Androhung der Anwendung des unmittelbaren Zwangs in Form des Entfernens der Klägerin vom Lichtmast dar, Art. 75 Abs. 1 S. 2, 81 Abs. 1 S. 1 PAG.
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dd) Darüber hinaus war die Anwendung unmittelbaren Zwangs verhältnismäßig. Gem. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 PAG kann die Polizei unmittelbaren Zwang im Sinn der Art. 77 ff. PAG (erst) dann anwenden, wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen, keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind. Vorliegend bestand kein Vorrang anderer Zwangsmittel, da eine unvertretbare Handlung vorlag und die Ersatzvornahme somit ausschied. Die Verhängung eines Zwangsgelds war nicht erfolgsversprechend und unzweckmäßig, da die Klägerin nicht kooperationsbereit war und sich durch Zwangsgeld nicht zum Herabsteigen hätte bewegen lassen. Insbesondere wird berücksichtigt, dass nach dem Vortrag der Beklagtenseite vielfach versucht wurde, die Klägerin zum Herabsteigen zu bewegen, was auch durch das Großaufgebot an Einsatzkräften der Polizei und Feuerwehr nicht gelang.
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b) Nicht zu beanstanden ist die Höhe der erhobenen Gebühr für den Polizeieinsatz. Dass der Beklagte hinsichtlich der Gebühr auf § 1 Nr. 7 PolKV in der bis zum 29.02.2020 geltenden Fassung abgestellt hat, stellt eine offensichtliche Unrichtigkeit nach Art. 42 BayVwVfG dar, da in der Begründung der Gebührenrahmen von 25,00 € bis 1.250,00 € herangezogen wurde, der dem des § 1 Nr. 6 PolKV in der bis zum 29.02.2020 geltenden Fassung entspricht. Die vom Beklagten festgesetzten 250,00 € halten sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens. Insbesondere wurde die Höhe der Gebühr aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin als Beruf „Auszubildende“ angab und die Frage nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unbeantwortet ließ, ohnehin von anfänglich 600,00 € auf schlussendlich 250,00 € reduziert.
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c) Darüber hinaus erachtet das Gericht auch die Geltendmachung der Auslagen für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr L. in Höhe von 952,75 € und den Einsatz der Berufsfeuerwehr R. in Höhe von 408,00 € als rechtmäßig. Gegen die Kostenerhebung der Freiwilligen Feuerwehr L. und der Berufsfeuerwehr R. bestehen sowohl dem Grunde nach (dazu aa), als auch der Höhe nach (dazu bb) keine Bedenken.
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aa) Seitens des Beklagten wurde zutreffend darauf abgestellt, dass es sich hierbei um Auslagen gemäß Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KG handelt, die aus § 2 PolKV ausdrücklich ausgenommen wurden. Beim Markt Lappersdorf und der Stadt Regensburg handelt es sich um eine vom Polizeipräsidium O. verschiedene Behörde. Der Markt Lappersdorf und die Stadt Regensburg haben die Kosten in nicht zu beanstandender Weise auf Grundlage von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 Bayerisches Feuerwehrgesetz (BayFwG) erhoben. Demgemäß können die Gemeinden für Einsätze, die durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässig herbeigeführte Gefahr veranlasst waren, Kostenersatz verlangen. Grobe Fahrlässigkeit ist die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in einem besonders schweren, ungewöhnlich hohen Maß. Das ist der Fall, wenn einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige unbeachtet bleibt, was in der konkreten Situation jedem einleuchten müsste, wobei auch in der Person des Handelnden begründete besondere Umstände zu berücksichtigen sind (BayVGH, U. v. 25.04.2017, KommJur 2017, 276, 277). Die Klägerin hat jedenfalls grob fahrlässig eine Gefahr für sich selbst und damit den Feuerwehreinsatz verursacht. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass sich die Klägerin für ausreichend gesichert und daher ein Abstürzen für ausgeschlossen hielt. Es hätte aber dennoch jedem unmittelbar einleuchten müssen, dass das Risiko des Herabstürzens und damit eine Gefahr für Leib und Leben der Klägerin - vor allem im Hinblick auf die Höhe von sechs Metern und die zeitliche Dauer ihrer Protestaktion - besteht. Vor allem aber verursachte die Klägerin den Einsatz der Feuerwehren zumindest grob fahrlässig, indem sie trotz mehrmaliger Aufforderung nicht vom Lichtmast herabstieg.
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bb) Auch der Höhe nach begegnen die geltend gemachten Auslagen für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr L. (dazu (1)) und den Einsatz der Berufsfeuerwehr R. (dazu (2)) keinen Bedenken.
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(1) Die Höhe des Kostenersatzes für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr L. bestimmt sich nach der Satzung über Aufwendungs- und Kostenersatz für Einsätze und andere Leistungen gemeindlicher Feuerwehren des Marktes Lappersdorf vom 18.10.2013 in Gestalt der Änderungssatzung vom 26.01.2018. Gegen die Rechtmäßigkeit der Satzung wurden Bedenken weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 dieser Satzung richtet sich die Höhe des Aufwendungs- und Kostenersatzes nach den Pauschalsätzen gemäß der Anlage zu dieser Satzung.
52
Die Kammer hat keine Zweifel an der Notwendigkeit der von der Feuerwehr getroffenen Maßnahmen. Ob und welche Maßnahmen die Feuerwehr zur Gefahrenabwehr ergreift, liegt grundsätzlich in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Sie darf demnach nur Maßnahmen ergreifen, die geeignet und erforderlich sind, um die Gefahr zu beseitigen und den Einsatz erfolgreich durchzuführen. Notwendig sind die Aufwendungen nur dann nicht, wenn sie unter den gegebenen Umständen und nach dem Meldebild des Entscheidenden sachlich nicht gerechtfertigt waren. Maßgeblich ist dabei die ex-ante-Sicht (VG München, U. v. 23.05.2012 - M 7 10.5711, BeckRS 2012, 213183 Rn. 18; Schulz, Praxis der Kommunalverwaltung Bayern - Art. 28 BayFwG Erl. 1.3.1). Ob die Maßnahmen nach Art und Umfang erforderlich sind, ist eine vom Gericht in vollem Umfang zu prüfende Rechtsfrage (VG Augsburg, U. v. 12.12.2016 - Au 7 K 15.1348, BeckRS 2016, 113777, Rn.35). Ferner ist es sachgerecht, wenn die Freiwillige Feuerwehr entsprechend ihres auf Erfahrungswerten basierenden Alarmierungskonzeptes und ihrer Ausrückeordnung, die Art und Umfang des sächlichen und personellen Einsatzes bei bestimmten Schadensereignissen vorsieht, verfährt, um sicherzustellen, dass bei einem Schadensereignis mit in der Regel unbekanntem Ausmaß dies bereits im ersten Zugriff wirkungsvoll bekämpft werden kann und das erforderliche Personal und die technische Ausstattung bereitstehen (VG Augsburg, U.v. 27.08.2018 - Au 7 K 17.1021, juris mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur).
53
Im vorliegenden Fall konnte der Markt Lappersdorf sowohl die jeweiligen Sachkosten als auch Personalkosten in der geltend gemachten Höhe verlangen. Das Gericht beschränkt die Prüfung der Notwendigkeit - unabhängig davon, wie viele Fahrzeuge und Feuerwehrdienstleistende tatsächlich zum Einsatz kamen - nur auf das Hilfeleistungslöschfahrzeug mit sechs Mann Besatzung und die Drehleiter mit drei Mann Besatzung. Soweit klägerseits die Höhe der abgerechneten Kosten in Zweifel gezogen werden, wurde dies aus Sicht des Gerichts durch die Ausführungen des Einsatzleiters der Freiwilligen Feuerwehr L. in der mündlichen Verhandlung widerlegt. Das durch diesen geschilderte Vorgehen der Freiwilligen Feuerwehr L. ist schlüssig und nachvollziehbar. Für das entscheidende Gericht steht fest, dass der Einsatz eines Hilfeleistungslöschfahrzeug und einer Drehleiter bereits deshalb erforderlich war, weil auf dem Hilfeleistungslöschfahrzeug der Sprungretter verladen war und die Drehleiter bereits aufgrund des Stichwortes „THL-Rettungskorb“ zur Rettung der Klägerin benötigt wurde. Insofern hätte der Einsatz denklogisch nicht mit weniger als den zwei letztendlich geltend gemachten Fahrzeugen durchgeführt werden können.
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Auch ist die in Rechnung gestellte Personenstärke von insgesamt neun Mann nicht zu beanstanden. Nach der glaubhaften Aussage des Einsatzleiters handelt es sich bei den am streitgegenständlichen Einsatz beteiligten Feuerwehrdienstleistenden um die Standardbesetzung der Fahrzeuge. Die Drehleiter ist demzufolge grundsätzlich mit drei Personen - dem Fahrzeugmaschinisten, dem Korbmaschinisten, der die Drehleiter vom Korb aus steuert, und dem Einweiser, der die technischen Anbaugeräte bedient, besetzt. Insofern sind diese drei Personen aus Sicht des entscheidenden Gerichts für einen reibungslosen Ablauf des Einsatzes erforderlich. Das Hilfeleistungslöschfahrzeug ist nach Angaben des Einsatzleiters regelmäßig mit einem Maschinisten, einem Gruppenführer und der Mannschaft von sieben Personen besetzt, worunter sich zwei Personen im Angriffstrupp, die den Sprungretter aufbauen, zwei Personen im Wassertrupp, zwei Personen im Sicherungstrupp und ein Melder befinden. Vor diesem Hintergrund waren die letztlich in Rechnung gestellten sechs Mann hierfür nicht zu beanstanden, zumal die Ausführungen seitens der Klägerin auch nicht substantiiert bestritten wurden. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung war aus Sicht des Gerichts nicht geboten.
55
Darüber hinaus ist aus Sicht der Kammer zu berücksichtigen, dass es der üblichen feuerwehrtaktischen Vorgehensweise entspricht, in möglichst voller Besatzung eines Fahrzeugs auszurücken (VG München, U. v. 11.04.2019 - M 30 K 17.2105, BeckRS 2019, 17193 Rn. 30). Es dient der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Feuerwehr insbesondere für den Fall einer sich unmittelbar anschließenden oder mit höherer Priorität hinzukommenden Alarmierung, dass die Feuerwehr jeweils mit vollbesetztem Fahrzeug ausrückt und einzelne Feuerwehrleute, die möglicherweise nicht mehr benötigt werden, nicht vor Ende des Einsatzes abgezogen werden (VG München, U. v. 23.05.2012 - M 7 K 10.5711, BeckRS 2012, 213183 Rn. 18). Daher wäre allein aufgrund dieses Gesichtspunkts die Personalstärke schon bei voller Besetzung der Fahrzeuge - und daher erst Recht bei der nur vorliegenden Besetzung - nicht zu beanstanden.
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(2) Auch hinsichtlich der Höhe der Auslagen für den Einsatz der Berufsfeuerwehr R. bestehen keine Bedenken. Diese finden ihre Grundlage in der Satzung über Aufwendungs- und Kostenersatz für Einsätze und andere Leistungen der Feuerwehren der Stadt Regensburg vom 05.05.2004. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Satzung wurden ebenfalls weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 der Satzung richtet sich die Höhe des Aufwendungs- und Kostenersatzes nach den Pauschalsätzen gemäß der Anlage zu dieser Satzung. Es bestehen keine Zweifel an der Notwendigkeit der abgerechneten Kosten. Insbesondere wurde seitens der Berufsfeuerwehr R. mit lediglich einem Löschgruppenfahrzeug, welches den zusätzlich benötigten Sprungretter transportierte, angerückt. Die Notwendigkeit der Anforderung des Sprungretters selbst ergibt sich aus Sicht des Gerichts schon denklogisch deshalb, weil mit dem Sprungretter der Freiwilligen Feuerwehr L. nur eine Seite des Lichtmastes gesichert werden kann. Bei den sechs Personen handelt es sich nach glaubhafter Aussage des Brandinspektors der Berufsfeuerwehr R. um eine taktische Einheit, die nicht getrennt wird. Auch hiergegen wurden seitens der Klägerin keine substantiieren Einwände erhoben.
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II. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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III. Rechtsgrundlage des Ausspruchs der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung bildet § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.