Titel:
Keine Erledigung nach Rechtshängigkeit der ursprünglichen Streitsache
Normenkette:
VwGO § 43 Abs. 1, § 161 Abs. 2
Leitsätze:
1. Gegenstand eines sog. Erledigungsstreits ist allein die Frage, ob sich der Rechtsstreit durch eine nach Rechtshängigkeit des ursprünglichen Sachbegehrens eingetretene Änderung der Sach- oder Rechtslage erledigt hat. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage nachträglich aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet geworden ist, wenn also das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre des Klägers liegen, in dem Prozessverfahren nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht worden ist oder überhaupt nicht mehr erreicht werden kann. Ist das ursprüngliche Begehren des Klägers aber bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung unzulässig, fehlt es an dem Eintritt eines nachträglichen Ereignisses. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einseitige Erledigungserklärung, Erledigungsstreit, Feststellung der Erledigung der Hauptsache, hier: keine Erledigung nach Rechtshängigkeit der ursprünglichen Streitsache, Einstellung der Vollstreckung, Wildverbissschaden
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.08.2021 – 19 ZB 21.512
Fundstelle:
BeckRS 2021, 27766
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrte ursprünglich die Einstellung der Vollstreckung der Forderung in Höhe von 618,32 EUR gemäß der Rechnung der Beklagten vom 24. Januar 2018. Nunmehr begehrt er die Feststellung der Erledigung.
2
Die Mutter des Klägers, Frau …, ist Eigentümerin der Waldgrundstücke mit den Fl.-Nrn. …, … und … der Gemarkung … (* …*). Im Zusammenhang mit Wildverbissschäden auf diesen Waldgrundstücken stellten der Kläger und seine Mutter mit Schreiben vom 18. April 2017, 2. Mai 2017 und 25. September 2017 Anträge auf Wildschadensentschädigung.
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Am 20. Dezember 2017 fand ein Ortstermin zur Güteverhandlung statt, an dem auch der durch die Beklagte einbestellte Wildschadenschätzer … teilnahm. Dieser bezifferte die tatsächlichen Schäden an den Hauptbaumarten unverbindlich auf 100,00 Euro, wobei er darauf hinwies, dass eine abschließende Schadensbegutachtung des „Winterverbisses 2016/2017“ nicht mehr möglich sei. Die Güteverhandlung führte zu keiner Einigung. Der Wildschadenschätzer wies darauf hin, dass ein formales Gutachten Kosten in Höhe von 1.000 bis 2.000 Euro verursachen würde. Der Vorsitzende der Beklagten beauftragte nach Abschluss der Güteverhandlung den Wildschadenschätzer mündlich mit der Erstellung eines entsprechenden Gutachtens. Danach erklärte der Kläger, er ziehe die Anträge vom 18. April 2017, vom 2. Mai 2017 und vom 25. September 2017 auf Wildschadenerstattung zurück. Er begründete dies damit, dass die Kosten des erforderlichen Gutachtens in keinem sinnvollen Verhältnis zur Schadenssumme stünden.
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Mit Schreiben vom 20. Dezember 2017 stellte der Schadensgutachter … der Beklagten für die Teilnahme am Ortstermin 618,32 Euro in Rechnung. Die Beklagte stellte diesen Betrag mit Schreiben vom 24. Januar 2018 dem Kläger in Rechnung und leitete Vollstreckungsmaßnahmen ein.
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Auf Antrag des Klägers gemäß § 123 Abs. 1 VwGO wurde die Beklagte mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. August 2018 (AN 14 E 18.00884) verpflichtet, die Vollstreckung der Forderung in Höhe von 618,32 Euro gemäß Rechnung vom 24. Januar 2018 vorläufig einzustellen. Die Kammer begründete ihre Entscheidung damit, dass die Rechnung der Beklagten vom 24. Januar 2018 mangels Verwaltungsaktsqualität keinen vollstreckbaren Leistungsbescheid darstelle. Die Zwangsvollstreckung erweise sich mithin mangels Vorliegens der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen als rechtswidrig.
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Mit Schreiben vom 29. August 2018 bat der Klägerbevollmächtigte die Beklagte erfolglos um Mitteilung, ob die im Verfahren AN 14 E 18.00884 ergangene Entscheidung als endgültige Regelung des Streitverhältnisses angesehen und auf weitere Vollstreckungsmaßnahmen aus der strittigen Rechnung verzichtet werde.
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Mit Bescheiden vom 26. September 2018 verpflichtete die Beklagte den Kläger und seine Mutter gesamtschuldnerisch zum Kostenersatz für die Bestellung des Wildschadenschätzers in Höhe von 618,32 EUR.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. Oktober 2018 hat der Kläger Klage erhoben zunächst mit dem Ziel, die Beklagte zur endgültigen Einstellung der Vollstreckung der Forderung in Höhe von 618,32 EUR gemäß der Rechnung vom 24. Januar 2018 zu verpflichten. Mangels Reaktion der Beklagten auf das Schreiben vom 29. August 2018 sei Hauptsacheklage zu erheben.
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Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2018 haben die Klägerbevollmächtigten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
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Die Beklagte erwidert mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 29. November 2018, dass die ursprüngliche Klage unzulässig und unbegründet sei. Es fehle bereits am Rechtsschutzbedürfnis. Auf den im Verfahren AN 14 E 18.00884 ergangenen Beschluss hin seien weder Rechtsmittel noch Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden. Hingegen sei gegenüber dem Kläger am 26. September 2018 ein Kostenbescheid bezogen auf die streitgegenständliche Forderung von 618,32 EUR ergangen, gegen welchen unter dem Aktenzeichen AN 16 K 18.02033 Klage anhängig sei.
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Der Erledigungserklärung des Klägers hat die Beklagte nicht zugestimmt. Aus ihrer Sicht sei ein erledigendes Ereignis nicht eingetreten.
13
Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 3. Juni 2019 dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Beklagtenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), bleibt ohne Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.
16
1. Klagegegenstand bildet nach der einseitigen Erledigungserklärung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch den Kläger nicht mehr die Verpflichtung der Beklagten, die Vollstreckung aus der Forderung in Höhe von 618.32 EUR gemäß Rechnung vom 24. Januar 2018 endgültig einzustellen, sondern die Feststellung der Erledigung der Hauptsache. Es handelt sich um einen sogenannten Erledigungsstreit, dessen Gegenstand allein die Frage ist, ob sich der Rechtsstreit durch eine nach Rechtshängigkeit des ursprünglichen Sachbegehrens eingetretene Änderung der Sach- oder Rechtslage erledigt hat. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung des Klägers vom 11. Dezember 2018 ausweislich ihres Schreibens vom 19. Dezember 2018 nicht zugestimmt. Mangels übereinstimmender Erledigungserklärungen des Klägers und der Beklagten gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist der Rechtsstreit in der Hauptsache somit nicht beendet. Das Verfahren ist vielmehr als Streit über die Erledigung fortzusetzen. Das geänderte Klagebegehren führt zu einer Änderung des Streitgegenstands. Die damit vorgenommene Klageänderung ist jedoch privilegiert und unterliegt nicht den Einschränkungen des § 91 VwGO (stRspr; vgl. etwa BVerwG, U.v. 1.9.2011 - 2 C 21/10 - juris Rn. 10; B.v. 30.10.1969 - VIII C 219/67 - NJW 1970, 722; ebenso Werner Neumann/Nils Schaks in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 161 VwGO Rn. 120).
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2. Die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO ist zulässig. Der Kläger braucht kein gesondertes berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung darzulegen. Dieses Interesse folgt ohne weiteres aus seiner prozessualen Lage. Aus Sicht des Klägers wurde seiner zunächst Erfolg versprechend erhobenen Klage durch ein nachfolgendes Ereignis die Grundlage entzogen. Er möchte sich von dem Verfahren lösen, ohne mit den gesamten Kosten belastet zu sein; letzteres wäre die notwendige Folge sowohl bei Aufrechterhaltung des Sachantrags trotz Erledigung als auch bei Zurücknahme der Klage. Der Weg über § 161 Abs. 2 VwGO ist ihm verschlossen, weil die Beklagte seiner Erledigungserklärung nicht zustimmt. Der Kläger benötigt deshalb eine gerichtliche Entscheidung über die Erledigung.
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3. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet, denn der Rechtsstreit hat sich nicht durch eine nach Rechtshängigkeit des ursprünglichen Sachbegehrens eingetretene Änderung der Sach- oder Rechtslage erledigt.
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a) Die Hauptsache hat sich objektiv erledigt, wenn der Kläger infolge eines nachträglich eingetretenen Ereignisses sein Klagebegehren nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgen kann, weil seinem Klagebegehren rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen ist. Es muss eine Lage eingetreten sein, die eine Entscheidung über den Klageanspruch erübrigt oder ausschließt (BVerwG, B.v. 25.11.1981 - 1 WB 131/80; BayVGH, U.v. 3.6.1987 - 4 B 86.700 - juris). Das Bundesverwaltungsgericht verwendet vielfach die Formel, die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage nachträglich aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet geworden ist, wenn also das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre des Klägers liegen, in dem Prozessverfahren nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht worden ist oder überhaupt nicht mehr erreicht werden kann (BVerwG, U.v. 22.1.1993 - 8 C 40/91 - NVwZ 1989, 48).
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b) Eine Erledigung der Hauptsache nach diesen Maßgaben ist vorliegend schon mangels eines nachträglichen Ereignisses nicht eingetreten. Das ursprüngliche Begehren des Klägers erwies sich vielmehr bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung als unzulässig. Denn dem Kläger stand zu keinem Zeitpunkt ein schutzwürdiges Interesse für sein Begehren zur Seite, die Beklagte zur Einstellung der Vollstreckung einer Forderung in Höhe von 618,32 EUR gemäß der Rechnung vom 24. Januar 2018 zu verpflichten. Nachdem die Beklagte durch Beschluss vom 16. August 2018 (AN 14 E 18.00884) im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung in Höhe von 618,32 EUR gemäß der Rechnung vom 24. Januar 2018 verpflichtet worden war, erfolgten beklagtenseits keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen. Dass die Beklagte das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 29. August 2018 unbeantwortet ließ, begründet vor folgendem Hintergrund kein Bedürfnis für eine Klage. Die Beklagte nahm die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene gerichtliche Entscheidung zum Anlass, ihr Kostenbegehren nunmehr mit Bescheid vom 26. September 2018 gegenüber dem Kläger geltend zu machen. Somit standen dem Kläger schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 11. Oktober 2018 keinerlei Anhaltspunkte zur Seite, dass die Beklagte weiter an einer Vollstreckung der Forderung aus ihrer Rechnung vom 24. Januar 2018 festhält. Die Klage hinsichtlich des ursprünglichen Klagebegehrens wurde mithin nicht nachträglich aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet, sondern erwies sich von Rechtshängigkeit an als unzulässig.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit trifft das Gericht nicht, weil es davon ausgeht, dass die Beklagte vor Rechtskraft der Entscheidung nicht vollstreckt.