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VG Würzburg, Urteil v. 17.05.2021 – W 7 K 20.1250
Titel:

Einreise- und Aufenthaltsrecht für Unionsbürger, Verlustfeststellung, Kein Erwerb des Daueraufenthaltsrechts, Kein 5-jähriger ununterbrochener rechtmäßiger Aufenthalt, Keine Verwirkung, Entscheidung über zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Unterbliebene Mitwirkung des Bundesamtes, Keine Heilung oder Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers

Normenketten:
FreizügG/EU § 4a Abs. 1
FreizügG/EU § 5 Abs. 4
FreizügG/EU § 11 Abs. 14
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 72 Abs. 2
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2
BayVwVfG Art. 46
Schlagworte:
Einreise- und Aufenthaltsrecht für Unionsbürger, Verlustfeststellung, Kein Erwerb des Daueraufenthaltsrechts, Kein 5-jähriger ununterbrochener rechtmäßiger Aufenthalt, Keine Verwirkung, Entscheidung über zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Unterbliebene Mitwirkung des Bundesamtes, Keine Heilung oder Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers
Fundstelle:
BeckRS 2021, 26826

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2020 wird in Ziffern 3 und 4 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 2/3, die Beklagte 1/3 zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung des Verlustes ihres Freizügigkeitsrechtes als Unionsbürgerin durch die Beklagte.
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1. Die Klägerin wurde am … … 1964 in K., Griechenland, geboren und ist griechische Staatsangehörige. Sie reiste am 14. Oktober 2014 erstmals in das Bundesgebiet ein und erklärte auf einem am 30. Oktober 2014 beim Landratsamt W. eingegangenen Formblatt, sie habe sich am 27. Oktober 2014 bei der Gemeinde Z. angemeldet und beanspruche ihr Freizügigkeitsrecht als Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates zur Suche eines Arbeitsplatzes.
3
Am 13. Juni 2019 sprach der Sohn der Klägerin bei der Ausländerbehörde der Beklagten bezüglich des Freizügigkeitsstatus der Klägerin vor. Er gab an, die Klägerin sei ausgebildete Englischlehrerin, habe aber in Deutschland keine Arbeit gefunden. Sie habe somit während ihres bisherigen Aufenthalts nicht gearbeitet. Er selbst sei für ihren Lebensunterhalt aufgekommen. Die Klägerin sei nicht krankenversichert und habe auch nicht bei ihm mitversichert werden können. Anfallende Arztkosten für die Klägerin habe er übernommen. Seit dem 27. Mai 2019 befinde sie sich in stationärer Behandlung wegen einer chronischen Niereninsuffizienz Stadium 5 (terminale Niereninsuffizienz, d.h. Nierenschwäche im Endstadium), Bluthochdruck und Adipositas. Sie müsse dreimal wöchentlich zur Dialyse und benötige auf längere Sicht eine neue Niere. Die Dialyse sei lebenserhaltend. Das Jobcenter habe einen Antrag auf Kostenübernahme für die Behandlungskosten abgelehnt.
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Die Ausländerbehörde vertrat die Ansicht, dass die Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht erworben habe, da es an einem fünfjährigen Aufenthalt fehle und außerdem innerhalb dieses Zeitraumes wegen der nach sechs Monaten noch erfolglosen Arbeitssuche, der fehlenden Erwerbstätigkeit und des fehlenden Krankenversicherungsschutzes die Freizügigkeitstatbestände nicht erfüllt seien. Es werde die Feststellung des Verlustes bzw. des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechtes sowie die Möglichkeit einer Rückkehr nach Griechenland geprüft. Hierzu werde eine Auskunft der deutschen Botschaft zu Behandlungsmöglichkeiten für die Klägerin eingeholt werden. Der Sohn der Klägerin wies darauf hin, dass eine Rückkehr nach Griechenland für sie den sicheren Tod bedeuten würde. Sie könne dort nicht leben, da sie kein Haus und kein Einkommen habe.
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Vorgelegt wurde ein ärztliches Attest einer Praxis für Innere Medizin, Dialysezentrum in W. vom 5. Juni 2019 für die Klägerin, aus welchem die Diagnosen chronische Niereninsuffizienz im Stadium 5 (N18.5), Hämodialyse, Therapieeinleitung als akute Hämodialyse seit 28. Mai 2019 (Z49.1), Verdacht auf Glomerulonephritis, chronisch (N03.9), arterielle Hypertonie (I10.90) sowie Adipositas mit Body-Mass-Index (BMI) von 40 und mehr (E66.92) hervorgehen. Bei beiderseits sonographisch kleinen Nieren und deutlichem Anstieg der Retentionswerte in den Behandlungspausen der Dialyse sei die Diagnose einer chronischen, dialysepflichtigen Niereninsuffizienz als gesichert zu betrachten. Am 7. Juni 2019 sei die Schaffung eines permanenten Dialysezugangs über einen Atriumkatheter geplant. Ab dem 9. Juni 2019 solle die Klägerin dann im chronischen Behandlungsprogramm dialysiert werden.
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Mit E-Mail vom 22. August 2019 teilte die damalige Bevollmächtigte auf Anfrage der Beklagten mit, die Klägerin habe vor ihrer Einreise in Heraklion, Kreta, Griechenland, gelebt und sei von Beruf Englischlehrerin. Eine staatliche bzw. anderweitige Absicherung habe sie nicht gehabt. Die letzte Anstellung habe sie etwa im Jahr 2009 in einem Hotel gehabt. Die Klägerin sei zur Familienzusammenführung mit ihrem Sohn nach Deutschland gezogen. Dieser sei im September 2014 eingereist und sei zunächst bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt und nach Beendigung dieser Tätigkeit als arbeitssuchend gemeldet gewesen. Teilweise habe er zwischenzeitlich eine Anstellung finden können, derzeit sei er wieder arbeitssuchend und besuche regelmäßig einen Deutschkurs. Die Zeitarbeitsfirma, bei der er zunächst angestellt gewesen sei, habe auch der Klägerin eine Einstellung zugesichert, wozu es aber aus unverständlichen Gründen nicht gekommen sei. Die Klägerin habe in Griechenland keine Familie, keine Wohnung und auch keine Möglichkeit, wieder Fuß zu fassen. Sie habe vergeblich versucht, sich arbeitslos zu melden. Ihre Bewerbungen bei mehreren Zeitarbeitsfirmen seien erfolglos gewesen. Ihr Sohn habe sie sowohl in Griechenland als auch nunmehr in Deutschland finanziell unterstützt. Bis zu seiner Ausreise aus Griechenland im September 2014 habe er sämtliche Lebenshaltungskosten übernommen, weil er auf der Grundlage eines Stipendiums hierfür habe aufkommen können. Auch in Deutschland werde die Klägerin ausschließlich durch ihren Sohn finanziell unterstützt. Lediglich die Dialysebehandlung werde zunächst, jedoch nicht auf Dauer, durch einen privaten Verein abgedeckt.
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Mit Schreiben vom 26. August 2019 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit an. Hierzu nahm die damalige Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 26. September 2019 Stellung. Die Freizügigkeit der Klägerin sei nach wie vor gegeben.
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Unter dem 20. Mai 2020 teilte der Fachbereich Soziales der Beklagten mit, dass die Klägerin am 6. Mai 2020 Leistungen nach dem SGB XII beantragt habe. Eine Anfrage der Beklagten bei der deutschen Botschaft in Athen wegen der Behandlungsmöglichkeiten für Dialysepatienten ergab lediglich, dass eine solche Behandlung in Griechenland grundsätzlich möglich sei. Die angekündigte Stellungnahme eines Vertrauensarztes ist bei der Beklagten nicht eingegangen.
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2. Mit Bescheid vom 14. August 2020 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin keine Freizügigkeit nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit der Unionsbürger - FreizügG/EU genießt (Ziffer 1 des Bescheides), forderte die Klägerin auf, das Bundesgebiet bis spätestens zwei Monate nach Zustellung des Bescheides zu verlassen (Ziffer 2) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Griechenland bzw. in einen anderen Staat, in den die Klägerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, an (Ziffer 3). Es wurde festgestellt, dass die Klägerin die Kosten einer eventuellen Abschiebung zu tragen hat (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, arbeitssuchenden Unionsbürgern werde nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU Freizügigkeit nur für die Dauer von bis zu sechs Monaten gewährt, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen könnten, dass sie weiterhin Arbeit suchten und begründete Aussicht auf eine Einstellung hätten. Die Klägerin halte sich seit mindestens Oktober 2014 im Bundesgebiet auf. Lediglich zu Beginn ihrer Einreise habe sie sich um eine Beschäftigung bemüht. Zu einer Anstellung sei es während ihres bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet auch aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht gekommen. Ihr Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmerin sei damit nach erfolgloser Arbeitsplatzsuche spätestens nach Ablauf des ersten Jahres ihres Aufenthaltes entfallen. Die Klägerin sei auch nicht als Familienangehörige eines Unionsbürgers im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Nach Darstellung ihrer Bevollmächtigten habe sich die Unterstützung durch ihren Sohn auf freie Kost und Logis beschränkt. Die Kosten für die Dialysebehandlung seien zunächst durch einen privaten Verein gedeckt worden. Nach der Auskunft des Jobcenters Würzburg sei der Sohn der Klägerin wiederholt arbeitssuchend gewesen und beziehe seit dem 1. August 2018 Leistungen nach dem SGB II. Unionsbürger, die keiner Erwerbstätigkeit nachgingen, seien gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU unter den Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügten. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung genüge es für die Gewährung von Freizügigkeit nicht, dass ein Familienangehöriger dem Unionsbürger lediglich Unterhalt gewähre. Ohne Krankenversicherung bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin über kurz oder lang aufgrund ihrer Erkrankung öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen müsse. Wie sich gezeigt habe, verfüge sie offensichtlich nicht über ausreichende Existenzmittel zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts, da sie bereits sowohl Jobcenter-, als auch SGB XII-Leistungen beantragt habe. Nach Darstellung des Sohnes würde eine Rückkehr nach Griechenland für die Klägerin aufgrund der dortigen ärztlichen Versorgung ihren sicheren Tod bedeuten. Im griechischen Gesundheitssystem würden alle in- und ausländischen Bürger einen staatlichen Versicherungsschutz genießen. Nach Auskunft der deutschen Botschaft in Athen vom 24. Juli 2019 würden grundsätzlich auch Dialysepatienten behandelt. Die primäre Versorgung der staatlichen Versicherung könne insbesondere in den städtischen Zentren als deutlich besser als auf dem Land angesehen werden. Der Zuzug der Klägerin sei aus der für den Fremdenverkehr wichtigen Großstadt Heraklion mit dem zweitgrößten Flughafen des Landes erfolgt. Kreta und damit auch Heraklion seien von April bis Oktober ein üblicherweise hoch frequentiertes Touristenziel. Von einer ausreichenden ärztlichen Versorgung könne daher ausgegangen werden. Für die Prüfung, ob der Verlust des Rechts auf Freizügigkeit festzustellen sei, sei nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen gewesen. Die Klägerin halte sich seit Oktober 2014 im Bundesgebiet auf. In dieser Zeit sei es ihr nicht gelungen, eine Arbeitsstelle zu finden und dadurch ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Sie werde von ihrem Sohn unterhalten, der jedoch selbst Sozialleistungen beziehe. In Griechenland habe sie keine Verwandten und keine Wohnung mehr. Zudem sehe sie die ärztliche Versorgung in Griechenland als fraglich an. Sie verfüge über keine schutzwürdigen persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet. Sie lebe mit ihrem 33-jährigen Sohn, der Sozialleistungen beziehe, zusammen und wolle gerne im Bundesgebiet bleiben. Es könne der Klägerin aber zugemutet werden, die Beziehung durch gegenseitige Besuchskontakte aufrechtzuerhalten. Des Weiteren sei es ihr zumutbar, in Griechenland - wo sie die längste Zeit ihres Lebens ihren Lebensmittelpunkt gehabt habe - Sozialleistungen in dem dort gewährten Rahmen zu beziehen. Somit überwiege das öffentliche Interesse, den Verlust des Freizügigkeitsrechtes festzustellen und die Klägerin zur freiwilligen Ausreise aufzufordern. Dadurch werde verhindert, dass diese die deutschen Sozialsysteme durch die u.a. zu erwartenden Behandlungskosten über Gebühr in Anspruch nehme. Die Klägerin verfüge weder über ausreichende Existenzmittel noch einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sei die Klägerin ausreisepflichtig, weil das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht bestehe. Die gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU zu setzende Ausreisefrist betrage nach § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU mindestens einen Monat, da ein „dringender Fall“ im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliege. Die Durchsetzung der Ausreisepflicht richte sich nach dem Aufenthaltsgesetz - AufenthG, soweit das FreizügG/EU keine abweichenden Regelungen enthalte (unter Verweis auf § 11 Abs. 2 FreizügG/EU). Die Verpflichtung zur Übernahme eventuell entstehender Abschiebungskosten ergebe sich aus § 11 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. § 66 Abs. 1 AufenthG.
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3. Am 4. September 2020 erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Sohn, zur Niederschrift der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Würzburg Klage.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
Der Bescheid der Stadt Würzburg vom 14. August 2020 wird aufgehoben.
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Mit Schriftsatz des nunmehr Bevollmächtigten vom 2. Oktober 2020 wurde die Klage begründet. Der Klägerin seien mit Bescheid vom 29. September 2020 erneut SGB II-Leistungen bewilligt worden. Somit habe das Jobcenter an der Auffassung, der Klägerin stünden SGB II-Leistungen mangels Freizügigkeitsrechts nicht zu, nicht festgehalten. Der Sohn der Klägerin halte sich seit September 2014 in Deutschland als Arbeitnehmer auf. Gegenwärtig sei er arbeitssuchend und absolviere eine Umschulung zum Fachinformatiker - Systemintegration beim Beruflichen Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft (bfz) in Würzburg. Da die Klägerin trotz ihres Antrags vom 20. Mai 2020 nun keine Leistungen nach SGB XII (Sozialhilfe), sondern stattdessen weiterhin nach SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) erhalte, sei davon auszugehen, dass sie weiterhin als arbeitssuchend und damit auch als Arbeitnehmerin zu qualifizieren sei. Im Übrigen sei die Interessenabwägung der Beklagten fehlerhaft. Obwohl ihr bereits im Juni 2019 angeblich Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass möglicherweise ein Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht oder nicht mehr bestehen könnte, habe die Beklagte dennoch kein Verfahren zur Feststellung des Verlusts dieses Rechtes nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU betrieben. Der streitgegenständliche Bescheid vom 14. August 2020 sei verspätet. Die Klägerin habe spätestens am 1. November 2019 ein eigenständiges Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erworben, weil sie sich ab diesem Zeitpunkt seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Dies gelte unabhängig von weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte kein Recht mehr auf Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit. Gründe für eine Abweichung vom 5-Jahres-Zeitraum bestünden nicht. Die Klägerin habe im Rahmen ihres Aufenthaltes keine falschen Angaben gemacht und nicht getäuscht und ebenso könnten Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit eine Ausreiseverpflichtung oder gar eine Verweigerung der zukünftigen Einreise nicht begründen. § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sei folglich keine geeignete Rechtsgrundlage. Hierfür hätten die Voraussetzungen von § 5 Abs. 4 bzw. § 6 FreizügG/EU erfüllt sein müssen. In diesem Zusammenhang sei zugleich festzuhalten, dass eine Verlustfeststellung allein wegen des Sozialhilfebezugs schon wegen Art. 7 i.V.m. 14 der Unionsrichtlinie nicht möglich sei. Ebenso wenig liege es in der Kompetenz des Jobcenters, über das Recht der Klägerin auf Freizügigkeit zu befinden. Somit müsse die Beklagte als Ausländerbehörde bis zur rechtskräftigen Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit der Klägerin gleichfalls vom Fortbestand derselben ausgehen. Offensichtlich sei die öffentliche Hand gleichfalls nicht belastet gewesen, als keine Krankenversicherung bestanden habe, weil die diesbezüglichen Kosten durch den vom Staat unabhängigen Verein getragen worden seien, soweit nicht der Sohn der Klägerin für ihren Lebensunterhalt aufgekommen sei. Selbst wenn man der Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht zubilligen wollte, würde ihr zumindest ein von ihrem Sohn abgeleitetes Aufenthaltsrecht zustehen. Dieser sei seit September 2014 als Arbeitnehmer in Deutschland und genieße somit gleichfalls Freizügigkeit gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU habe er spätestens seit Oktober 2019 ein Daueraufenthaltsrecht erworben. Er beziehe keine Sozialleistungen nach SGB II bzw. SGB XII, sondern vorübergehend Leistungen nach ALG I. Seine Arbeitnehmereigenschaft wirke fort. Somit sei die Klägerin als seine Mutter nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Dass sie selbst aktuell nicht über hinreichende Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfüge, stehe einem Aufenthaltsrecht nicht entgegen. Entscheidend sei, dass sie materielle Unterstützung durch ihren Sohn, auch mittels freier Kost und Logis, erhalte. Dass sie darüber hinaus noch auf Sozialleistungen angewiesen sei bzw. solche jetzt wieder bewilligt bekommen habe, könne ihrem abgeleiteten Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nicht entgegenstehen. Dies gelte umso mehr, als sie aufgrund der bewilligten SGB II-Leistungen jetzt auch wieder über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz im Sinne des § 4 FreizügG/EU verfüge. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen habe entschieden, dass schon ein Unterhalt in Höhe von 100,00 EUR ausreichen könne, um die Eigenschaft als Familienangehöriger geltend zu machen (mit Verweis auf LSG NRW v. 28.5.2015 - L 7 AS 372/15 B ER, L 7 AS 373/15 B; LSG NRW v. 15.4.2015 - L 7 AS 428/15 B ER). Der Status als Familienangehöriger sei nicht auf eine bestimmte Altersspanne beschränkt. Eine Person könne im Sinne des Freizügigkeitsrechts Familienangehöriger sein, obwohl er bzw. sie nach den Regelungen des SGB II nicht mehr Teil der Bedarfsgemeinschaft sei. Im Übrigen würde die dem Sohn der Klägerin zustehende Arbeitnehmerfreizügigkeit letztlich unterlaufen, wenn zur Inanspruchnahme des Rechts auf Familiennachzug immer erwartet würde, dass man stets aus eigenen Mitteln zur vollständigen Existenzsicherung des eigenen Familienangehörigen in der Lage sei. Des Weiteren sei zugleich fraglich, ob die in § 4 FreizügG/EU statuierten Voraussetzungen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes und ausreichender Existenzmittel sich tatsächlich auch auf den Familiennachzug zu einem Daueraufenthaltsberechtigten beziehen könnten. Denn dies könnte dazu führen, dass ein Daueraufenthaltsberechtigter einerseits nicht mehr in der Lage sei, für seine Familienangehörigen vom Familiennachzug Gebrauch zu machen, und andererseits infolgedessen faktisch gezwungen werde, das erworbene Daueraufenthaltsrecht zu beenden und zurück in sein Heimatland zum Familienangehörigen zu ziehen. Die von der Beklagten eingeräumte Möglichkeit, die familiäre Beziehung allein durch gegenseitige Besuchskontakte aufrecht zu erhalten, werde offensichtlich weder dem Anliegen des deutschen noch dem Anliegen des EU-Gesetzgebers gerecht. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehe die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Im Übrigen werde das von der Beklagten offensichtlich in Kauf genommene Unmöglichmachen des Familiennachzugs der von Deutschland geschuldeten Mitwirkung an der Verwirklichung und Durchsetzung der Grundfreiheiten, namentlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, nicht gerecht. Dass die Klägerin bei ihrem Sohn in Deutschland leben und bleiben wolle, sei völlig nachvollziehbar. Ihre persönliche Bindung zu dem erwachsenen Sohn sei hinreichend schutzwürdig, was zugleich deshalb gelte, weil sie aktuell schwer erkrankt sei und in Griechenland weder über Verwandte noch über eine Wohnung verfüge. Ob sie wieder genesen werde, sei derzeit nicht absehbar. Die Beklagte übersehe, dass die Klägerin nur kurze Zeit nach ihrem Sohn G. verlassen habe. Vor diesem Hintergrund sei anzunehmen, dass für sie der Lebensmittelpunkt vor allem immer dort begründet sei, wo sich auch ihr Sohn aufhalte. Dem gegenüber müsse die Erwägung, dass mit einer Abschiebung der Klägerin eine Inanspruchnahme der deutschen Sozialsysteme über Gebühr verhindert werden könne, zwangsläufig in den Hintergrund treten.
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4. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den Bescheid vom 14. August 2020 verwiesen. Ergänzend wurde ausgeführt, die für Nichterwerbstätige benötigten Nachweise, wie das Vorliegen ausreichenden Krankenversicherungsschutzes und Nachweise über Existenzmittel, hätten bis dato nicht vorgelegt werden können. Voraussetzung für den nunmehr behaupteten Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU spätestens zum 1. November 2019 sei u.a. ein rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet. Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. Oktober 2018 (Au 6 K 17.338) ergebe sich, dass der Verlust des Rechtes nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden könne, wenn dessen Voraussetzungen innerhalb von fünf Jahren nach der Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet entfallen seien oder diese nicht vorgelegen hätten. Durch die Neufassung des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU sei klargestellt worden, dass eine Verlustfeststellung nicht nur getroffen werden könne, wenn das Freizügigkeitsrecht ursprünglich bestanden habe und später weggefallen sei, sondern auch dann, wenn die Voraussetzungen zu keinem Zeitpunkt bestanden hätten. Die 5-Jahres-Frist nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU beziehe sich darauf, dass nach Ablauf eines rechtmäßigen 5-jährigen ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet ein Daueraufenthaltsrecht erworben worden sei. Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlustes erlösche mit dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechtes. Der Formulierung in § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU „unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2“ sei zu entnehmen, dass das Entstehen des Daueraufenthaltsrechtes an das Vorliegen dieser Voraussetzungen anknüpfe und nur ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrecht durch einen späteren Wegfall derselben Voraussetzungen nicht mehr berührt werde (mit Verweis auf BVerwG, B.v. 13.7.2010 - 1 C 14.09). § 4a FreizügG/EU setze die Vorschriften des Kapitels 4 der RL 2004/38/EG (sog. Unionsbürgerrichtlinie) um. Nach Art. 16 Abs. 1 der RL 2004/38/EG habe jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten habe, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Rechtmäßig im Sinne des Unionsrechtes sei nur ein Aufenthalt, der im Einklang mit den in der Unionsbürgerrichtlinie und insbesondere mit den in Art. 7 Abs. 1 der RL 2004/38/EG genannten Voraussetzungen stehe. Dass das Daueraufenthaltsrecht einen 5-jährigen, auf Unionsrecht beruhenden rechtmäßigen Aufenthalt voraussetze, folge u.a. aus dem 17. Erwägungsgrund der Unionsbürgerrichtlinie, wonach der Daueraufenthalt den Unionsbürgern zugutekommen solle, die sich gemäß den in der Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hätten (mit Verweis auf EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-424/10 u.a.). Das Entstehen des Daueraufenthaltsrechtes setze somit voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der RL 2004/38/EG erfüllt habe. Dies bestätigten auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2018 (Az.: 10 ZB 18.603) sowie die Ziffer 4.a.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) zum FreizügG/EU. Dies sei hier nicht der Fall, weil die Klägerin während ihres bisherigen Aufenthaltes keinen einzigen Tag gearbeitet habe und nicht krankenversichert gewesen sei. Die Nachweise über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz als Nichterwerbstätige hätten nicht vorgelegt werden können. Damit sei die Klägerin nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Diese Vorschrift gewähre arbeitssuchenden Unionsbürgern Freizügigkeit für die Dauer von bis zu sechs Monaten, darüber hinaus jedoch nur, solange sie nachweisen könnten, dass sie weiterhin Arbeit suchten und begründete Aussicht auf eine Einstellung hätten. Die Klägerin sei weiter auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU als nichterwerbstätige Unionsbürgerin, welche über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfüge, freizügigkeitsberechtigt. Entgegen den Ausführungen in dem mit der Klagebegründung vorgelegten Lebenslauf ihres Sohnes sei dieser nicht nur gegenwärtig arbeitssuchend. Er sei damit nicht leistungsfähig, um seine Mutter ausreichend unterstützen zu können. Eine durchgängige Beschäftigung seit der Einreise im September 2014 habe nicht bestanden. Ausweislich der Ausländerakte des Sohnes habe dieser nach Auskunft des Jobcenters in der Zeit vom 1. August 2018 bis 30. November 2018 sowie vom 1. April 2019 bis 31. März 2020 SGB II-Leistungen bezogen. Die Klägerin sei damit nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, da der Sohn aufgrund seiner Arbeitslosigkeit selbst nicht leistungsfähig sei und die Klägerin somit Leistungen nach dem SGB II beziehe. Die darüber hinaus vom Bevollmächtigten der Klägerin zitierten Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen seien im Hinblick auf den Freizügigkeitserwerb nicht einschlägig. Insbesondere der Beschluss vom 15. April 2015 (Az.: L 7 AS 428/15 B ER) gehe der Frage nach, ob Unionsbürgern eine Sozialleistung in der ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes ausnahmslos verweigert werden könne, die der Existenzsicherung diene und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtere, wenn diese Unionsbürger zwar weder Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU 2004 freizügigkeitsberechtigt seien, aber eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbesondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates auswiesen (mit Verweis auf den Vorlagebeschluss desselben Senats, LSG NRW, B.v. 22.5.2018 - L 7 AS 213613 L 7 AS 2136/13 -, dazugehöriges Az. des EuGH: C-299/14, Rs. Garcia-Nieto). Die im Rahmen der Verlustfeststellung vorgenommene Interessenabwägung sei zu Lasten der Klägerin ausgefallen, da das öffentliche Interesse, einen unangemessenen Sozialleistungsbezug zu beenden, überwiege.
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5. Hierauf ließ die Klägerin im Wesentlichen erwidern, sie beziehe erst seit Oktober 2019, mithin nach Ablauf des 5-Jahres-Zeitraumes, Leistungen nach dem SGB II. Auch ein etwaiges Angewiesensein auf Sozialleistungen könne wenigstens einem abgeleiteten Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nicht entgegenstehen. Das Zitat der Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen beziehe sich auf den Umstand, dass es für die Inanspruchnahme eines vom Sohn der Klägerin abgeleiteten Familienaufenthaltsrechtes nicht grundlegend auf den Umfang von dessen Leistungsfähigkeit ankomme, sondern ob überhaupt Unterstützungsleistungen durch den Sohn in der Vergangenheit erbracht worden seien bzw. aktuell erbracht würden. Die Tatsache der Erbringung von Unterstützungsleistungen sei jedoch unstrittig. Vor diesem Hintergrund gehe der Einwand der Beklagten, der Sohn wäre unter Umständen nicht hinreichend leistungsfähig, um seine Mutter ausreichend unterstützen zu können, offensichtlich ins Leere. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine aus ihrer Sicht nicht ausreichende Leistungsfähigkeit des Sohnes zur Unterstützung der Mutter zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses überprüft hätte. Selbst wenn man die 16 Monate des SGB II-Leistungsbezugs vom Gesamtaufenthalt des Sohnes über 76 Monate im Bundesgebiet abziehe, ergebe sich immer noch ein Gesamtaufenthalt von 60 Monaten, somit also von mindestens fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU. Zumindest der Sohn der Klägerin habe vor diesem Hintergrund ein Daueraufenthaltsrecht erworben. Daran vermöge auch nichts mehr zu ändern, dass dieser derzeit bis zum 14. Juli 2022 eine Umschulung zum Fachinformatiker System absolviere. Insofern bestreite er seinen Lebensunterhalt durch Bezug von ALG I, welches nicht durch Steuermittel, sondern durch Beitragsleistungen finanziert werde. Naturgemäß habe auch der Sohn selbst während der Zeit seiner mehrjährigen Erwerbstätigkeit Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt. Die Umschulungsmaßnahme werde aufgrund von der Bundesagentur für Arbeit gesehener guter Chancen einer Vermittlung im IT-Bereich gefördert. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Sohn spätestens nach Abschluss der Umschulungsmaßnahme dem Arbeitsmarkt wieder vollumfänglich zur Verfügung stehe und bald nicht mehr arbeitssuchend sein werde. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung, wonach das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechtes unionsrechtlich voraussetze, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der RL 2004/38/EG erfülle, scheine diesen Fall zumindest nicht vollständig zu treffen. Insbesondere stelle sich die Frage, innerhalb welchen Zeitraums die Ausländerbehörde zur Verlustfeststellung gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU berechtigt sein könne, wenn der 5-Jahres-Zeitraum bereits seit geraumer Zeit abgelaufen sei. Der Wortlaut der Norm spreche eher dafür, dass die Prüfung und die folgende etwaige Verlustfeststellung gleichfalls innerhalb des 5-Jahres-Zeitraums zu erfolgen hätten. Zumindest aber könne die Ausländerbehörde nicht zeitlich unbefristet zur Verlustfeststellung befugt sein, weil zu irgendeinem Zeitpunkt zugunsten des sich im Bundesgebiet aufhaltenden EU-Ausländers auch einerseits Vertrauensschutzgesichtspunkte greifen müssten oder aber, soweit er nicht schutzwürdig auf ein Freizügigkeitsrecht hätte vertrauen können, zumindest der Gesichtspunkt der Verwirkung. Eine fundierte Antwort des Auswärtigen Amtes bzw. der deutschen Botschaft zu den Behandlungsmöglichkeiten für die Klägerin sei offensichtlich bis zum Erlass des Bescheides nicht erfolgt. Von der Möglichkeit, nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 FreizügG/EU nach sechs Monaten einen Nachweis über die begründete Aussicht weiterer Arbeitssuche zu verlangen, habe die Beklagte keinen Gebrauch gemacht und damit einen Vertrauenstatbestand bei der Klägerin gesetzt, dass sie sich zumindest bis auf weiteres auf ihre Freizügigkeit berufen könne. Die Nichtberücksichtigung von Behandlungsmöglichkeiten in Griechenland sei ermessensfehlerhaft.
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6. Die Beklagte erwiderte im Wesentlichen, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorlägen, werde beim Zuzug von Unionsbürgern vom Bestehen des Freizügigkeitsrechtes ausgegangen. Eine individuelle Prüfung finde nur anlassbezogen statt, beispielsweise auf Mitteilungen des Jobcenters über Antragstellung auf Sozialleistungen oder auf der Grundlage eines Antrags auf Bescheinigung des Daueraufenthaltes. Bis zur Bescheiderstellung am 14. August 2020 habe eine weitere Sachbearbeitung stattgefunden. Es sei zunächst eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zur medizinischen Versorgung in Griechenland abzuwarten gewesen. Die für Nichterwerbstätige benötigten Nachweise, wie ausreichender Krankenversicherungsschutz und Vorhandensein von Existenzmitteln, hätten bis dato nicht vorgelegt werden können. Im Übrigen hätte die (nachhaltige) Unterhaltsgewährung durch den Sohn der Klägerin bereits vor deren Einreise erfolgen müssen, um die Rechtstellung als Familienangehörige eines Unionsbürgers zu begründen. Entgegen der Behauptung des Bevollmächtigten sei nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Athen eine adäquate medizinische Versorgung von Dialysepatienten in Griechenland möglich. Die im Rahmen der Verlustfeststellung vorgenommene Interessenabwägung sei zu Lasten der Klägerin ausgefallen, weil das öffentliche Interesse, einen unangemessenen Sozialleistungsbezug zu beenden, überwiege.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen, hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung insbesondere auf das Protokoll vom 17. Mai 2021.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Zwar ist die Klage unbegründet, weil die Feststellung des Verlustes des Einreise- und Aufenthaltsrechtes der Klägerin im Bundesgebiet unter Ziffer 1 des Bescheides (siehe dazu 1.) sowie die Ausreiseaufforderung und Ausreisefristsetzung unter Ziffer 2 (siehe dazu 2.) rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In diesem Umfang war die Klage daher abzuweisen. Dagegen sind die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides der Beklagten vom 14. August 2020 (siehe dazu 3.) sowie der Hinweis unter Ziffer 4 auf die (bereits aus dem Gesetz folgende) Verpflichtung der Klägerin, die Kosten einer eventuellen Abschiebung zu tragen (siehe dazu 4.), rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Feststellung des Verlustes des Einreise- und Aufenthaltsrechts der Klägerin im Bundesgebiet unter der Ziffer 1 des Bescheides ist rechtmäßig.
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a) Zwar genießt die Klägerin als Unionsbürgerin im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV und § 1 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU Freizügigkeit gemäß Art. 21 Abs. 1 AEUV, welche das Recht beinhaltet, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU). Dieses Recht steht jedoch unter dem Vorbehalt der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. In Umsetzung der Bestimmungen der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sowie zur Änderung verschiedener unionsrechtlicher Vorschriften (ABl. L 158 S. 77, berichtigt ABl. L 229 S. 35, sog. Unionsbürgerrichtlinie/Freizügigkeitsrichtlinie) bestimmt das Gesetz vom 30. Juli 2004 über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU, BGBl. I S. 1950,1986) die Bedingungen für die Ausübung sowie den Verlust des Rechtes auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Anhaltspunkte für eine Unvereinbarkeit der hier relevanten Bestimmungen dieses Gesetzes mit der Unionsbürgerrichtlinie oder unmittelbar anwendbaren anderen Bestimmungen des europäischen Unionsrechts wurden von der Klägerin weder vorgetragen, noch sind solche sonst für das Gericht ersichtlich.
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Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn dessen gesetzliche Voraussetzungen innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen. Für das Fortbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet und damit auch für den Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist damit ausdrücklich die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes innerhalb des genannten Zeitraums erforderlich. Diese Voraussetzung muss, wie sich aus der gesetzlichen Formulierung „sind die Voraussetzungen (…) entfallen oder liegen diese nicht vor“ im Einklang mit Art. 27 Abs. 1 Satz 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/EG ergibt, während des gesamten Fünf-Jahres-Zeitraumes ununterbrochen vorliegen (BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 15 ff.; U.v. 16.7.2015 - 1 C 22.14 - juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 14.12.2018 - 10 ZB 18.603 - juris Rn. 6; VG Augsburg, U.v. 17.1.2018 - Au 6 K 17.338 - juris Rn. 29 ff.). Daran fehlt es mithin, wenn die Voraussetzungen der Freizügigkeit während des Fünfjahreszeitraumes nie oder zumindest nicht durchgehend vorlagen. Aus der vom Klägerbevollmächtigten herangezogenen sozialgerichtlichen Rechtsprechung folgen keine anderen Kriterien für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechtes nach § 4a FreizügG/EU bzw. für die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU. Zum einen ist die Beklagte schon in kompetenzrechtlicher Hinsicht nicht an die Beurteilung der Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung eines Leistungsbezuges durch das Jobcenter gebunden. Zum anderen sind auch materiell-rechtlich unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe heranzuziehen. Im Rahmen der Verlustfeststellung erfolgt auf der Grundlage der gegenwärtigen tatsächlichen Umstände (auch) eine Prognose des zukünftigen Vorliegens der Freizügigkeitsvoraussetzungen, unter anderem im Hinblick auf die Frage, ob nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) RL 2004/38/EG und § 4 FreizügG/EU gesichert ist, dass der Unionsbürger Sozialleistungen des Aufnahmemitgliedstaates nicht unangemessen in Anspruch nimmt (BVerwG, U.v. 16.7.2015 - 1 C 22.14 - juris Rn. 21; U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 15 ff.; Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 4 FreizügG/EU Rn. 8; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU Rn. 64). Gemessen daran fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung an einem rechtmäßigen Aufenthalt der Klägerin, weil die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU vor Ablauf von fünf Jahren nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet entfallen sind. Demzufolge konnte die Beklagte nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU den Verlust des Einreise- und Aufenthaltsrechts feststellen.
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Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU sind freizügigkeitsberechtigt u.a. Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhalten, jedoch nur für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Die Klägerin hat innerhalb des genannten Sechsmonatszeitraumes keine Arbeit im Bundesgebiet gefunden. In der mündlichen Verhandlung hat sie zwar vorgetragen, eine Zeitarbeitsfirma, bei der ihr Sohn beschäftigt gewesen sei, habe versprochen, ihr eine Anstellung zu vermitteln. Dazu ist es jedoch nach eigenen Angaben der Klägerin nicht gekommen. Der Klägerin ist es auch nicht gelungen nachzuweisen, dass sie überhaupt noch weiter ernsthaft auf Arbeitssuche ist und begründete Einstellungsaussichten hat. Letzteres hat sie mit ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung, bei der Arbeitsplatzsuche wegen ihres Aussehens beziehungsweise wegen mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache abgelehnt worden zu sein - ohne dass ihr die Möglichkeit eines fremdfinanzierten Sprachkurses gegeben worden wäre -, selbst in Frage gestellt. Unabhängig davon spricht aber die gesundheitliche Situation der Klägerin klar gegen begründete Aussichten auf eine Berufstätigkeit, welche nennenswert zur Sicherung ihres Lebensunterhalts beitragen könnte. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben letztmals im Jahr 2009 in Griechenland eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Gegenwärtig ist sie, wie bereits ausgeführt, nach sozialmedizinischer Einschätzung dauerhaft täglich weniger als drei Stunden (d.h. weniger als 15 Wochenstunden) leistungsfähig (vgl. sozialmedizinische Stellungnahme zum Bescheid des Jobcenters v. 30.7.2020), weshalb auch das Jobcenter davon ausgeht, dass die Klägerin nur in einem Umfang von weniger als 15 Wochenstunden dauerhaft erwerbsfähig ist (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Darüber hinaus muss sie sich dreimal wöchentlich einer Dialysebehandlung unterziehen. Es ist weder ersichtlich noch von der Klägerin substantiiert vorgetragen, wie sie trotz dieser Einschränkungen durch Erwerbstätigkeit nennenswert zu ihrem Lebensunterhalt beitragen können sollte. Angesichts des sich aus dem vollgelegten fachärztlichen Attest ergebenden Gesundheitszustandes der Klägerin ist nicht ersichtlich, dass sich in absehbarer Zeit eine Besserung ergeben und die Klägerin somit wieder voll bzw. zumindest in nennenswertem Umfang erwerbstätig werden könnte. Somit bestand jedenfalls seit der Diagnose der Nierenerkrankung der Klägerin am 27. Mai 2019 keine Aussicht auf Wiederherstellung der vollen (oder zumindest teilweisen nennenswerten) Erwerbstätigkeit mehr, welche aber - wie sich aus dem Umkehrschluss aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ergibt - Voraussetzung für die Annahme wäre, dass die Klägerin weiter begründete Aussicht auf Einstellung hat. Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, dass die Klägerin derzeit Arbeitslosengeld II nach dem SGB II anstatt der beantragten Leistungen der Sozialhilfe nach SGB XII erhält.
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Der Klägerin steht das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet auch nicht aufgrund eines anderen gesetzlichen Tatbestandes zu. Sie erfüllt nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 4 Satz 1 FreizügG/EU für eine Freizügigkeitsberechtigung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin. Nach § 4 Satz 1 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Diese gesetzliche Voraussetzung steht im Einklang mit der Regelung in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) der Unionsbürgerrichtlinie, wonach zur Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts gesichert sein muss, dass der Unionsbürger Sozialleistungen des Aufnahmemitgliedstaates, die nicht durch Beiträge finanziert werden, nicht unangemessen in Anspruch nimmt (BVerwG, U.v. 16.7.2015 - 1 C 22.14 - juris Rn. 21; U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 15 ff.; Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 4 FreizügG/EU Rn. 8; Kurzidem in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 5 Rn. 17; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU Rn. 64). Denn der Bezug von Sozialleistungen des Aufnahmemitgliedstaates führt nicht automatisch zum Erlöschen bzw. zum Verlust des Freizügigkeitsrechtes (Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38/EG). Vielmehr ist das Kriterium der Unangemessenheit danach zu beurteilen, ob vorübergehende Schwierigkeiten bestehen oder ob ein Sozialleistungsbezug auf Dauer zu besorgen ist, sowie nach den Kriterien der Gesamtdauer des Aufenthaltes, der persönlichen Umstände des Unionsbürgers und des Umfangs der ihm aus öffentlichen Mitteln gewährten Unterstützung (EuGH, U.v. 19.9.2013 - C-140/12 - juris Rn. 63 f.; BVerwG, U.v. 16.7.2015 - 1 C 22.14 - juris Rn. 21; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU, Rn. 64).
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Gemessen daran ist im Falle des weiteren Aufenthaltes der Klägerin im Bundesgebiet prognostisch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie (weiter) Sozialleistungen unangemessen in Anspruch nehmen wird. Da die von der Klägerin bezogenen Leistungen nach dem SGB II nicht auf Beitragszahlungen beruhen, zählen sie nicht zu den zu berücksichtigenden Existenzmitteln im Sinne des § 4 Ssatz 1 FreizügG/EU (Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 4 FreizügG/EU Rn. 8). Angesichts des dargestellten Krankheitsbildes der Klägerin und der sich daraus ergebenden Prognose handelt es sich auch nicht um vorübergehende Schwierigkeiten und einen daraus resultierenden vorübergehenden Sozialleistungsbezug, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen dauerhaften Zustand. Wie ausgeführt, sind die Aussichten der Klägerin, jemals wieder in nennenswertem Umfang durch eigene Erwerbstätigkeit zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes beizutragen, gering. Des Weiteren ist ihr Lebensunterhalt auch nicht durch Unterhaltsleistungen ihres Sohnes gesichert, der sich selbst derzeit in einer Umschulungsmaßnahme befindet und Arbeitslosengeld I bezieht. Die Klägerin wird weder gemäß § 149 SGB III bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes I ihres Sohnes berücksichtigt, noch gehört sie zur Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGB II für das Arbeitslosengeld II. Damit steht fest, dass die dem Sohn der Klägerin derzeit bewilligten Sozialleistungen nicht zugleich ausreichend sind, um den Bedarf der Klägerin zu decken. Auch angesichts der Gesamtdauer des bisherigen Aufenthaltes der Klägerin im Bundesgebiet von immerhin sechseinhalb Jahren ist hier keine andere Beurteilung gerechtfertigt. Vielmehr legen alle vorliegenden Umstände des Sachverhaltes nahe, dass für die Klägerin bereits nach Ablauf der Sechsmonatsfrist für die Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU, jedenfalls aber nach Ablauf des ersten Jahres nach ihrer Einreise feststand, dass sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit Zuwendungen Dritter bzw. aus öffentlichen Leistungen bestreiten werde. Sie hat jedenfalls während des überwiegenden Zeitraums ihres Aufenthaltes bei ihrem Sohn gelebt, war weder erwerbstätig noch in nennenswertem Umfang erwerbsfähig und wurde in nicht unerheblichem Umfang von ihrem Sohn beziehungsweise von Dritten einschließlich staatlicher Zuwendungen finanziell unterstützt.
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Des Weiteren verfügt die Klägerin nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz im Sinne des § 4 Satz 1 FreizügG/EU. Die Übernahme von Behandlungskosten durch ihren Sohn bzw. durch einen privaten Verein ist hierfür nicht ausreichend. Zum einen bestehen, wie ausgeführt, Zweifel an den finanziellen Möglichkeiten des Sohnes zur dauerhaften Unterstützung der Klägerin. Zum anderen besteht kein Rechtsanspruch der Klägerin auf Erstattung von Behandlungskosten gegen den privatrechtlichen Verein, weshalb es an einer dauerhaften Absicherung im Krankheitsfalle fehlt. Nicht berücksichtigt werden darf in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin derzeit aufgrund ihres Leistungsbezugs nach dem SGB II gesetzlich krankenversichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 a) SGB V). Denn diese Pflichtversicherung hat ihren Rechtsgrund gerade in dem Bezug von Sozialleistungen, welcher der Freizügigkeitsberechtigung aufgrund seines Umfangs und seiner Dauerhaftigkeit entgegensteht. Dadurch ist nicht sichergestellt - wie von § 4 Satz 1 FreizügG/EU vorausgesetzt -, dass die Klägerin im Krankheitsfalle ohne Inanspruchnahme staatlicher (nicht beitragsfinanzierter) Mittel abgesichert ist. Des Weiteren steht auch nicht fest, dass die erheblichen Behandlungskosten in Gänze durch den bestehenden Versicherungsschutz abgedeckt werden.
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Schließlich kann die Klägerin auch kein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V. mit § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU von ihrem Sohn ableiten, weil dessen Existenzmittel, wie ausgeführt, nicht gemäß § 4 Satz 1 FreizügG/EU ausreichen, um sowohl seinen Bedarf als auch den der Klägerin abzudecken.
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b) Die Beklagte hat somit zu Recht das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechtes nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU angenommen. Des Weiteren sind auch Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO nicht erkennbar. Die Beklagte hat die Bleibeinteressen der Klägerin ordnungsgemäß gegen das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unangemessenen Sozialleistungsbezugs abgewogen und dabei die Tragweite der Grundrechte der Klägerin aus Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht verkannt (vgl. dazu Kurzidem in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU Rn. 17 m.w.N.). Der Schutz des Familienlebens nach Art. 6 GG verleiht kein eigenständiges Aufenthaltsrecht, sondern prägt als wertentscheidende Grundsatznorm die Auslegung und Anwendung der einfach-rechtlichen Bestimmungen über den Aufenthalt von Ausländern und dessen Beendigung. Auch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgt kein Recht auf einen Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, wenn dieser zu einem unangemessenen Sozialleistungsbezug führt und damit im Zusammenwirken mit anderen vergleichbaren Fällen die Funktionsfähigkeit des Sozialsystems gefährdet. Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass im Falle der Klägerin angesichts des Nichtvorhandenseins ausreichender Existenzmittel und Krankenversicherungsschutzes und des Fehlens einer positiven Prognose für die künftige Entwicklung der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Situation das öffentliche Interesse an der Beendigung des unangemessenen Sozialleistungsbezugs überwiegt. Die Behandlungsmöglichkeiten in Griechenland sind als zielstaatsbezogener Gesichtspunkt nicht im Rahmen der Verlustfeststellung zu prüfen, sondern bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots (siehe dazu 3.).
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c) Die Klägerin kann auch nicht mit ihrer Argumentation durchdringen, welche auf Vertrauensschutz beziehungsweise auf eine Verwirkung der Befugnis zur Verlustfeststellung gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU hinauslaufen soll. Zwar ist grundsätzlich eine Verwirkung hoheitlicher Eingriffsbefugnisse möglich (BVerwG, U.v. 15.3.2017 - 10 C 1.16 - juris Rn. 26 m.w.N.). Eine Verwirkung setzt jedoch stets voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechtes längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und besondere Umstände hinzugetreten sind, welche die verspätete Geltendmachung desselben als treuwidrig erscheinen ließen (sog. Umstandsmoment). Im vorliegenden Falle fehlt es schon an dem erforderlichen Zeitmoment, da die Beklagte in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorsprache des Sohnes der Klägerin am 13. Juni 2019 das Bestehen des Freizügigkeitsrechts überprüft hat. Dass dies nicht anlasslos geschehen ist, sondern eines entsprechenden Anstoßes (hier durch die Vorsprache des Sohnes bei der Ausländerbehörde) bedurfte, entspricht der Regelung des § 5 Abs. 3 FreizügG/EU. Danach kann das Vorliegen der Freizügigkeitsvoraussetzungen aus besonderem Anlass überprüft werden, womit eine Obliegenheit oder gar Rechtspflicht der Beklagten zur anlasslosen Überprüfung offensichtlich ausscheidet. Die zeitliche Verzögerung um etwas mehr als ein Jahr ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch die Vorsprache des Sohnes der Klägerin bis zum Bescheidserlass ist nicht auf eine Untätigkeit der Beklagten zurückzuführen, sondern auf den Umstand, dass die angekündigte Stellungnahme des Vertrauensarztes der deutschen Botschaft in Athen zur Frage der Zugänglichkeit der Dialysebehandlung in Griechenland trotz entsprechender Nachfragen ausgeblieben ist. Ein Bearbeitungszeitraum von etwa einem Jahr ist bei Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt oder eine Botschaft, wie die Erfahrung des Gerichtes aus asylrechtlichen Streitigkeiten zeigt, wegen der erforderlichen Rücksprachen mit Behörden oder anderen Informationsquellen im betreffenden Land nicht ungewöhnlich. Jedenfalls fehlt es vorliegend aber offensichtlich am zusätzlich erforderlichen Umstandsmoment, weil keine besonderen Umstände ersichtlich sind, welche die Wahrnehmung des Rechtes zur Verlustfeststellung als treuwidrig erscheinen ließen. Insbesondere konnte aus dem Verhalten der Beklagten kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in eine Nichtausübung der entsprechenden Befugnis gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU entstehen. Aufgrund des Schriftwechsels zwischen der Beklagten und der damaligen Bevollmächtigten der Klägerin, insbesondere aber aufgrund der Anhörung zur beabsichtigten Verlustfeststellung, musste der Klägerin vielmehr klar sein, dass eine solche Maßnahme bevorstand. Darauf hatte sie sich demzufolge einzurichten. Angesichts dessen konnte sich die Klägerin nicht nach Ablauf eines Zeitraumes von etwas mehr als einem Jahr darauf verlassen, dass keine Verlustfeststellung mehr erfolgen würde.
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2. Nicht zu beanstanden ist ferner die Ausreiseaufforderung unter der Ziffer 2 des Bescheides. Diese durfte gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, 2 FreizügG/EU aufgrund der rechtmäßigen Verlustfeststellung ergehen. Zwar ist die festgesetzte Ausreisefrist, welche mit der Zustellung des Bescheides zu laufen begonnen hat, bereits abgelaufen. Wegen der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Klägerin aber bis zur Rechtskraft des vorliegenden Urteils nicht verpflichtet, der Ausreiseaufforderung nachzukommen. Die Beklagte wird nach Unanfechtbarkeit der Verlustfeststellung gemäß Art. 48, 49 BayVwVfG eine neue Ausreisefrist festzusetzen haben.
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3. Die Abschiebungsandrohung nach Griechenland unter der Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin schon deshalb in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten. Die Abschiebungsandrohung ist schon formell rechtswidrig, denn die Beklagte hat entgegen § 72 Abs. 2 AufenthG ohne Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG verneint. Der Verfahrensfehler ist auch nicht gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich. Im Übrigen sprechen auch gewichtige Gründe für das tatsächliche Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbots.
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a) Eine eigene Prüfungskompetenz hinsichtlich des Vorliegens eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots kommt der Ausländerbehörde nur bei Ausländern zu, welche - wie vorliegend die Klägerin - zuvor kein Asylverfahren betrieben haben (BVerwG, U.v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 12; Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 72 AufenthG Rn. 7). Das Bundesamt ist die zentrale sachverständige Behörde des Bundes hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots. Deshalb muss die Ausländerbehörde das Bundesamt bei der Entscheidung beteiligen (Samel in: Bergmann/Dienelt, a.a.O.). Dies gilt nach der Überzeugung der Kammer auch im Falle der Feststellung des Verlustes des Einreise- und Aufenthaltsrechtes eines Unionsbürgers nach dem FreizügG/EU. Gemäß § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU findet das Aufenthaltsgesetz im Falle der Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU Anwendung, soweit das FreizügG/EU keine besonderen Regelungen trifft. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung trifft das FreizügG/EU jedoch keine besonderen Regelungen. Die Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Einreise- und Aufenthaltsrechtes eines Unionsbürgers muss nicht bestandskräftig sein, um die Anwendbarkeit des AufenthG auszulösen (Bergmann/Dienelt, § 11 FreizügG/EU, Rn. 7 m.V.a. HessVGH, U.v. 27.2.2018 - 6 A 2148/16 - BeckRS 2018, 5771). Des Weiteren handelt es sich bei § 72 Abs. 2 AufenthG um eine für den betroffenen Ausländer günstigere Bestimmung im Sinne des § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU, welche nach dem Meistbegünstigungsprinzip auch auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger Anwendung finden muss. Denn die Pflicht zur Beteiligung des Bundesamtes nach § 72 Abs. 2 AufenthG zielt darauf ab, die besondere Sachkunde dieser Behörde in zielstaatsbezogenen Tatsachenfragen in den Entscheidungsprozess der Ausländerbehörde einfließen zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2016 - 10 CS 16.485, 10 CS 16.486 - juris Rn. 18; BT-Drs 15/420 S. 94; BT-Drs 16/5065 S. 190) und damit die Rechtmäßigkeit der getroffenen Zielstaatsbestimmung in der Abschiebungsandrohung gewährleisten. Damit dient die Vorschrift aber dem Schutz der durch § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in Konkretisierung der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechtsgüter (vgl. VG Schleswig-Holstein, B.v. 9.11.2020 - 1 B 113/20 - juris Rn. 19; a.A. VG München, U.v. 15.10.2020 - M 24 K 19.2646 - juris Rn. 55; OVG NRW, B.v. 19.11.2020 - 18 B 1639/20 - juris Rn. 11; VGH BW, U.v. 22.7.2009 - 11 S 1622/07 - juris Rn. 65).
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b) Der Verfahrensfehler ist nicht nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 BayVwVfG geheilt worden, weil die Beteiligung des Bundesamtes gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nachgeholt wurde (Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG).
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c) Des Weiteren ist der Verfahrensmangel nicht nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unter den genannten Voraussetzungen lässt die Vorschrift den prozessualen Aufhebungsanspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO entfallen.
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Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Unabhängig von der Frage, welcher Prozessbeteiligte gegebenenfalls die materielle Beweislast für die Beeinflussung der Sachentscheidung durch den Verfahrensfehler zu tragen hat, liegt es hier klar auf der Hand, dass die unterbliebene Beteiligung des Bundesamtes die Entscheidung der Beklagten, die Abschiebung nach Griechenland anzudrohen, beeinflusst hat. Die Beklagte hätte das Bundesamt in Anbetracht der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung beteiligen müssen, um ihrer Pflicht zur vollständigen Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes (Art. 24 BayVwVfG) nachzukommen, weil die angekündigte Stellungnahme des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in Athen zu den Behandlungsmöglichkeiten für die dialysepflichtige Klägerin in Griechenland nicht erfolgt ist. Der Beklagten lag somit lediglich die pauschale Aussage einer Botschaftsmitarbeiterin vor, wonach eine Dialysebehandlung in Griechenland möglich ist. Auf dieser Grundlage konnte die Beklagte jedoch nicht über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG entscheiden. Dem gegenüber verfügt das Bundesamt über besondere Erkenntnismittel und Möglichkeiten der Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Zielstaat der Abschiebung, welche der Beklagten nicht zur Verfügung standen. Ohne eine entsprechende erschöpfende Sachverhaltsaufklärung, am der es vorliegend fehlt, war zum einen eine tragfähige Entscheidung über die Zugänglichkeit der für die Klägerin wegen ihrer chronischen Nierenerkrankung (vgl. Attest der Praxis für Innere Medizin, Dialysezentrum Würzburg v. 5.6.2019, Bl. 16 der Behördenakte) lebensnotwendigen Dialysebehandlung nicht möglich. Zwar gibt es in Griechenland ein Recht Bedürftiger auf kostenlose Krankenhausbehandlung, für Medikamente sind jedoch Zuzahlungen zu leisten (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Berlin v. 4.12.2019, Gz.: 508-516.80/53544). Vor diesem Hintergrund hätte weiter aufgeklärt werden müssen, ob auch für die im Falle der Klägerin erforderlichen kontinuierlichen Dialysebehandlungen Zuzahlungen zu leisten wären und wie die Klägerin diese gegebenenfalls nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen aufbringen sollte. Die Klägerin ist erwerbslos, ihre letzte Berufstätigkeit hat sie nach Angaben ihres Sohnes im Jahr 2009 ausgeübt. Sie bezieht Leistungen nach dem SGB II (sog. Arbeitslosengeld II). Ab dem 8. November gilt sie als schwerbehinderte Person mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und ist nach sozialmedizinischer Einschätzung dauerhaft täglich weniger als drei Stunden (d.h. weniger als 15 Wochenstunden) leistungsfähig (vgl. sozialmedizinische Stellungnahme zum Bescheid des Jobcenters v. 30.7.2020). Die Klägerin verfügt nach eigener Auskunft in Griechenland über keinerlei Angehörige mehr, die sie unterstützen könnten, zumal sich der einzige Sohn bei ihr im Bundesgebiet aufhält. Zum anderen konnte die Beklagte mangels eigener Sachverhaltsaufklärung die Frage, ob der Klägerin in Griechenland aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung droht und ihr deshalb ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zusteht, nicht offenlassen. Für eine derartige Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestehen deutliche Anhaltspunkte, denn die Klägerin verfügt in Griechenland über keinen Wohnraum mehr und es ist offen, ob ihr ohne Überwindung unzumutbarer Hindernisse Sozialleistungen zugänglich wären, welche das durch Art. 3 EMRK garantierte absolute Existenzminimum gewährleisten. Ein System der sozialen Grundsicherung befand sich nach den dem Gericht zugänglichen Erkenntnismitteln, welche zur Situation der griechischen Staatsbürgern gleichgestellten anerkannten international Schutzberechtigten Auskunft geben, jedenfalls im Jahr 2019 noch im Aufbau. Eine Voraussetzung für die Leistungsberechtigung ist grundsätzlich der Nachweis eines Wohnsitzes im Inland, welcher durch die Vorlage eines Mietvertrages beziehungsweise von Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf den eigenen Namen oder eines Beherbergungsnachweises, der von einem griechischen Einwohner ausgestellt wurde, geführt werden kann. Wohnraum muss auf dem freien Wohnungsmarkt beschafft werden, es existieren keine staatlichen Beratungsleistungen. Seit dem 1. Januar 2019 soll es zwar ein staatliches Wohngeld geben, welches jedoch von einem mindestens fünfjährigen legalen Aufenthalt in Griechenland abhängt, den die Klägerin im Falle der Rückkehr nicht vorweisen könnte. Teilweise vorhandene kommunale Obdachlosenunterkünfte decken in ihrer Anzahl den Bedarf nicht (vgl. Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Chemnitz v. 1.2.2019, Gz. 508-516.80/51702; v. 4.12.2019 an das VG Berlin, Gz. 508-516.80/53544; v. 28.1.2020 an das VG Leipzig, Gz. 508-516.80/53584; v. 15.10.2020 an das VG Schleswig-Holstein, Gz. 508-516.80/54510).
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4. Infolge der Aufhebung der Abschiebungsandrohung ist der Hinweis unter der Ziffer 4 des Bescheides, dass die Klägerin die Kosten der Abschiebung zu tragen habe (§ 66 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU), gegenstandslos geworden und deshalb ebenfalls aufzuheben.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.