Inhalt

SG München, Beschluss v. 10.02.2021 – S 37 AS 98/21 ER
Titel:

Kein Anspruch auf Finanzierung von FFP2-Masken nach dem SGB II

Normenkette:
SGB II § 21 Abs. 6
Leitsätze:
1. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er nicht durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann dahinstehen, ob FFP2-Masken erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweichen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es fehlt an einem Anordnungsanspruch wegen einer Zuwendung Dritter, wenn die Antragsteller durch Zusendung von fünf FFP2-Masken durch den Antragsgegner versorgt wurden und zudem die künftige Versorgung mit FFP2-Masken durch die Ausgabe von Berechtigungsscheinen für Bedürftige der gesetzlichen Krankenkasse der Antragsteller gewährleistet ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unabweisbarer Mehrbedarf, Zuwendung, Anordnungsanspruch, FFP2-Maske, Krankenversicherung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 2567

Tenor

I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 21.01.2021 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz dahingehend, dass ihnen vorläufig ein Mehrbedarf für die Anschaffung der derzeit für den Einkauf und in den öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund der Corona-Pandemie vorgeschriebenen FFP2-Masken gewährt werden möge.
2
Die Antragsteller stehen im SGB-II-Leistungsbezug beim Antragsgegner.
3
Die Antragsteller beantragten beim Antragsgegner am 13.01.2021 die monatliche Übernahme der Kosten für 60 FFP2-Masken, da das Tragen dieser Masken ab dem 18.01.2021 beim Einkaufen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht sei. Die Masken müssten laut Expertenaussagen täglich gewechselt werden. Die Kosten pro Maske beliefen sich laut einer Spar-Online-Apotheke auf 4,99 € pro Stück. Es bestehe ein Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II.
4
Der Antrag wurde mit Bescheid vom 18.01.2021 abgelehnt. Kosten für FFP2-Masken seien in den Regelbedarfen (§§ 20, 23 SGB II) berücksichtigt. Eine einmalige Leistung könne nicht gewährt werden, weil diese nicht im abschließenden Katalog des § 24 Absatz 3 SGB II vorgesehen sei. Auch ein Mehrbedarf nach § 21 Absatz 6 SGB II (unabweisbare, laufende besondere Bedarfe in Härtefällen) komme nicht in Betracht, da es sich um „laufende“ und auch „besondere“ Bedarfe handeln müsste, was bereits nach den Ausführungen in Ihrem Antrag nicht der Fall sei.
5
Gegen den Ablehnungsbescheid erhoben die Antragsteller mit Schreiben vom 19.01.2021 Widerspruch, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
6
FFP2-Masken werden derzeit in vielen Supermärkten und Drogerien für 0,99 Euro pro Stück angeboten und sind überall erhältlich.
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Die A-Stadt hat an alle SGB-II- und SGB-XII-Empfänger 5 FFP2-Masken verschickt.
8
Die Krankenkassen geben für SGB-II- und SGB XII-Empfänger Berechtigungsscheine für den Bezug von FFP2-Masken aus.
9
Mit Schreiben vom 19.01.2021 (Eingang: 21.01.2021) haben die Antragsteller beim Sozialgericht München Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Das Gericht möge eine einstweilige Anordnung erlassen. Die Übernahme der Anschaffungskosten von FFPZ-Masken sei vom Antragsgegner abgelehnt worden. Es bestehe aber ein Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB Il. Die FFP2-Masken würden laufend benötigt, denn das Tragen sei Pflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien laufend benötigte Bedarfe ein Härtefallmehrbedarf i.S.d. § 21 Abs. 6 SGB ll (BSG v. 08.05.2019 - B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R) vom SGB-II-Träger zu übernehmen. Der Bedarf für die FFP2-Masken sei unabweisbar, da ansonsten nicht mehr eingekauft oder öffentliche Nahverkehrsmittel in Bayern benutzt werden dürften. Der Bedarf sei laufend, da die Pflicht ab dem 18.01.2021 bestehe und ein Ende der verschärften Maskenpflicht nicht absehbar sei. Die auf dem Markt verfügbaren Masken seien einmalige FFP2 NR-Masken (NR für „non reusable“). Laut BfArM seien diese nicht wiederzuverwenden, da sie nach den Vorgaben des Herstellers angewendet werden sollten. Der Antrag beinhalte Maskenbedarf für einen Monat für 2 Personen und eine Maske pro Tag/Person. Die Kosten beliefen sich laut einer Spar-Online-Apotheke pro Maske auf 4,99 €. Eine günstigere Alternative sei wegen der großen Nachfrage nicht zu finden, da die Masken entweder ausverkauft seien oder längere Lieferzeiten hätten. Als Harz IV-Empfänger hätte die Antragsteller nicht die Freude und das Privileg die Corona-Sonderzahlung in Höhe von 600 € zu bekommen, um damit auch ihre „zusätzliche Belastung durch die Corona-Pandemie abmildern“ zu können. Die Pandemie treffe aber Geringverdiener und Schwerbehinderte besonders stark. Man bitte, dies bei der Eilbedürftigkeit zu berücksichtigen, und eine sofortige Auszahlung der Kosten zu veranlassen. Ohne eine solche einstweilige Anordnung sei die Existenz der Antragsteller bedroht. Es bestehe eine Notlage.
10
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig SGB-II-Leistungen in der Form eines Mehrbedarfs für FFP2-Masken zu gewähren.
11
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
12
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen eines unabweisbaren laufenden besonderen Bedarfs gem. § 21 Abs. 6 SGB II seien nicht gegeben. Der Antragsgegner verweise insoweit auf die Entscheidung des Sozialgerichts Konstanz vom 02.04.2020, Az: S 1 AS 560/20 ER. Die A-Stadt habe zudem mitgeteilt (Rathaus Umschau 14/2021 veröffentlicht am 22.01.2021), dass an bedürftige Bürger*innen (u. a. Bezieher von Leistungen nach dem SGB II/ SGB XII) pro Person 5 FFP2-Masken per Post versandt würden. Die Antragsteller müssten diese Masken zwischenzeitlich erhalten haben. Im monatlichen Regelbedarf seien außerdem ca. 10% für Freizeit, Unterhaltung, Kultur enthalten. Da es momentan nicht möglich sei, Freizeit- und Kulturangebote zu nutzen, sei es für die Antragsteller zumutbar, den im Regelbedarf hierfür enthaltenen Prozentsatz (10% = 40,10 €) ggf. vorübergehend für die Anschaffung der erforderlichen Schutzmasken zu verwenden.
13
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
14
Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz ist zulässig, aber unbegründet.
15
Dieser Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft, weil die Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung eines Mehrbedarfs für FFP2-Masken und damit eine Erweiterung ihrer Rechtsposition anstreben. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen. Dabei bedeutet Glaubhaftigkeit, dass ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit ausreicht als die volle richterliche Überzeugung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO).
16
Vorliegend fehlt es sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund.
17
Es fehlt an einem Anordnungsanspruch, denn die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II. Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Vorliegend kann dahinstehen, ob die (derzeit noch nicht voraussehbare) Dauer der FFP2-Maskenpflicht einen laufenden Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II begründet. Denn jedenfalls ist der Bedarf nicht (mehr) unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II. Dabei ist zum einen bereits zweifelhaft, ob es sich überhaupt um einen erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichenden Bedarf im Sinne dieser Vorschrift handelt, denn eine FFP2-Maske kostet nicht wie von den Antragstellern vorgetragen, 4,99 € pro Stück, sondern diese Masken sind in vielen Supermärkten und Drogerien für 0,99 € pro Stück erhältlich. Vor allem aber erhalten die Antragsteller FFP2-Masken bzw. die Berechtigung dazu, FFP2-Masken zu beziehen, durch Zuwendungen Dritter. Denn die A-Stadt hat den Beziehern von SGB II und SGB XII 5 Masken pro Person zugesendet und die Ausgabe von Berechtigungsscheinen für Bedürftige durch die Krankenversicherungen ist angelaufen. So verständlich die Sorge der Antragsteller darum, wie sie die verpflichtend beim Einkauf und in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragenden FFP-II-Masken bei dem von ihnen angenommenen Preis von 4,99 € pro Stück aus einem Hartz-IV-Satz bestreiten sollten, bei Einlegung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz auch gewesen sein mag, so besteht dennoch kein Anordnungsanspruch gegen das Jobcenter als Antragsgegner, den Bedarf an FFP2-Masken über einen SGB-II-Mehrbedarf zu finanzieren, da der entsprechende Bedarf an Masken durch die Kostentragung durch die A-Stadt (bei der Versendung der ersten 5 Masken) bzw. durch die Krankenkassen (durch die nunmehr auszugebenden Berechtigungsscheine) gedeckt ist.
18
Es fehlt daher auch an einem Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, da davon auszugehen ist, dass durch die Übersendung von 5 Masken pro Person durch die A-Stadt sowie durch die mittlerweile angelaufene Ausgabe von Berechtigungsscheinen für FFP2-Masken durch die Krankenkassen an SGB II- und SGB XII-Bezieher keine Notwendigkeit mehr besteht, dass eine eilige Entscheidung des Gerichts ergeht, um die Antragsteller von einer Kostenbelastung durch die FFP2-Maskenpflicht beim Einkaufen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu befreien.
19
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird daher abgelehnt.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, da der Beschwerdewert von 750 € nicht erreicht wird.