Inhalt

VG München, Urteil v. 27.07.2021 – M 4 K 20.3169
Titel:

Aussetzung der Abschiebung wegen einer beabsichtigten Eheschließung – Anforderungen an eine Beistandsgemeinschaft –vorübergehende Trennung für die übliche Dauer eines Visumsverfahrens

Normenketten:
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, § 60c Abs. 1 Nr. 2, § 60a Abs. 2 S. 3
Leitsätze:
1. Eine beabsichtigte Eheschließung steht unmittelbar bevor, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. VGH München BeckRS 2021, 12493), etwa, weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (vgl. OVG Lüneburg BeckRS 2017, 120119). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine nach Art. 8 EMRK zu schützenswerte Beistandsgemeinschaft liegt vor, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, wie beispielsweise im Fall der Trennung kleiner Kinder von ihren Eltern oder auch bei kranken und pflegebedürftigen Angehörigen (vgl. VGH München BeckRS 2020, 1190; BeckRS 2014, 51260). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine bloß vorübergehende Trennung für die übliche Dauer eines Visumsverfahrens allein reicht für eine Unzumutbarkeit im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (VGH München BeckRS 2020, 1190). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (VGH München BeckRS 2020, 6745; BVerfG BeckRS 2010, 56848). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Staatsangehörigkeit: Pakistan, Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung), Bevorstehende Eheschließung, Eheähnliche Lebensgemeinschaft., Beistandsgemeinschaft, vorübergehende Trennung, Eheschließungstermin, Standesamt, Visumsverfahren, bevorstehende Eheschließung, eheähnliche Lebensgemeinschaft, Staatsangehörigkeit Pakistan, vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
Fundstelle:
BeckRS 2021, 25072

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Duldung.
2
Der Kläger ist 33 Jahre alt und reiste nach eigenen Angaben am ... 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am ... 2015 stellte er einen Asylantrag (Bl. 27).
3
Mit Bescheid vom 17. November 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab (Bl. 49). Dagegen erhob dieser Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az.: M 1 K 16. …) (Bl. 78).
4
Mit Urteil vom 7. Juni 2018 verpflichtete das Bayerische Verwaltungsgericht München das Bundesamt, über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen (Az.: M 1 K 16. …) (Bl. 184). Das Urteil erwuchs am 20. August 2018 in Rechtskraft (Bl. 240 f.).
5
Ab dem 5. März 2019 befand sich der Reisepass des Klägers, ausgestellt am 18. Februar 2019 (Bl. 468), bei der pakistanischen Botschaft in Frankfurt (Bl. 564).
6
Am 10. April 2019 beantragte der Kläger die Erteilung einer Duldung aus familiären Gründen (Bl. 400).
7
Am 13. April 2019 verlor der Reisepass des Klägers, ausgestellt am 14. April 2014, seine Gültigkeit (Bl. 158).
8
Ab dem 15. April 2019 erteilte der Beklagte dem Kläger daraufhin Duldungen aufgrund fehlenden Reisepasses bis zum 22. März 2021 (Bl. 287, 297, 316, 324, 331, 333, 336, 339, 349, 366, 376, 388, 399, 410, 454).
9
Mit Bescheid vom 8. Juni 2020 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Duldung aus familiären Gründen vom 10. April 2019 ab (Bl. 400, 406). Der Bescheid wurde dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 15. Juni 2020 zugestellt (Bl. 408).
10
Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2020 erhob der Bevollmächtigte des Klägers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte,
1.
den Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2020 aufzuheben und
2.
den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Duldung aus familiären Gründen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, hilfsweise eine Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen.
11
Mit Schriftsatz vom 3. August 2020 legte der Beklagte die Akten vor und beantragte,
die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung verwies der Beklagte im Wesentlichen auf den Bescheid vom 8. Juni 2020. Danach sei der sachliche Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG nicht eröffnet. Dieser schütze nur die förmlich geschlossene Lebensgemeinschaft. Die Erteilung einer Duldung zur Eheschließung komme nicht in Betracht, da die Eheschließung des Klägers nicht unmittelbar bevorstehe. Auch der Schutzbereich des Art. 8 EMRK sei nicht eröffnet, da die entsprechenden Merkmale, die auf das Eingehen einer gegenseitigen Verpflichtung durch Verquickung der persönlichen, rechtlichen und/ oder finanziellen Verhältnisse schließen ließen, nicht vorlägen. Ferner komme eine Ermessensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht in Betracht, da keine besondere Härte bezüglich der Trennung des Klägers von seiner Lebensgefährtin vorliege. (Bl. 400 ff.).
13
Am 4. Februar 2021 legte der Kläger dem Beklagten seinen Reisepass, ausgestellt am 18. Februar 2019, vor (Bl. 467).
14
Mit Schreiben vom 23. April 2021 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten des Klägers daraufhin mit, dass der Kläger, nach Eingang des Reisepasses bei der pakistanischen Botschaft in Frankfurt am 5. März 2019 für circa zwei Jahre seinen Reisepass gegenüber den Behörden „unterdrückt“ und sich dadurch Duldungen aufgrund des fehlenden Reisepasses „erschlichen“ habe. Weitere oder andere Duldungsgründe lägen nicht vor. Die Klage gegen die Ablehnung der Duldung aus familiären Gründen habe keine aufschiebende Wirkung. Wie bereits dargestellt, lägen keine familiären Duldungsgründe vor. Von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen werde nicht abgesehen (Bl. 566).
15
Mit Schriftsatz vom 30. April 2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 3. Mai 2021, beantragte der Bevollmächtigte des Klägers, den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die Abschiebung vorläufig auszusetzen (Az.: M 4 E …).
16
Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021 beantragte der Beklagte im Verfahren M 4 E …, den Antrag abzulehnen und begründete dies im Wesentlichen damit, dass sich auch unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK kein Duldungsgrund für den Kläger ergebe, da die Voraussetzungen des Art. 8 EMRK beachtet worden seien. Die Beziehung des Klägers zu seiner Partnerin erreiche nicht das Niveau einer familiären bzw. eheähnlichen Beziehung im Sinne von Art. 8 EMRK. Zwar schütze Art. 8 EMRK auch das Privatleben des Klägers, zu dem auch die Kontakte zu engen Bezugspersonen gehörten. Jedoch sei der Eingriff durch die Abschiebung gesetzlich vorgesehen und für die Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig. Die Abschiebung sei nach alledem verhältnismäßig. Dem Kläger sei es zumutbar, für die Dauer des Visumsverfahrens auszureisen. Die Partnerin des Klägers sei erwachsen, eine längere Trennungszeit sei ihr zumutbar. Das staatliche Interesse an der Nachholung des Visumsverfahren überwiege die Bindung des Klägers zu seiner Lebensgefährtin. Der Kläger habe durch Nichtvorlage seines Reisepasses das Verfahren selbst verzögert. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen hätten bei rechtzeitiger Vorlage des Reisepasses schon viel früher eingeleitet werden können. Eine Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG komme nicht in Betracht, da der Kläger mehrfach gegen seine Mitwirkungspflicht zur Vorlage des Reisepasses verstoßen habe. Ernsthafte Eigenbemühungen zur Legalisierung des Aufenthalts durch den Kläger lägen nicht vor. Sonstige Gründe zur Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kämen nicht in Betracht. Der Kläger begehre ersichtlich einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet. Im Übrigen wird auf die Begründung Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
17
Das Bayerische Verwaltungsgericht München lehnte den Antrag des Klägers vom 30. April 2021 mit Beschluss vom 21. Juni 2021 ab (Az.: M 4 E …). Dagegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 8. Juli 2021, eingegangen bei Gericht per Telefax am selben Tag, Beschwerde (Az.: 10 CE 21. …).
18
Mit Email vom 13. Juli 2021 teilte der Sachbearbeiter Asylmanagement des Beklagten dem Sachbearbeiter des Beklagten im hiesigen Verfahren mit, dass der Kläger seit Zuweisung zum Landkreis Erding in der ... wohnhaft sei. Der Kläger sei dort für Postzusendungen immer erreichbar gewesen. Hätte die zuständige Sozialpädagogin den Kläger in den letzten vier Jahren gar nicht in der Unterkunft angetroffen, so wäre eine Abmeldung mit Fortzug nach unbekannt ergangen (Bl. 970 f.)
19
Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2021 ergänzte der Bevollmächtigte des Klägers seine Begründung im Wesentlichen wie folgt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK. Die sehr enge eheähnliche Beziehung des Klägers zu seiner Lebensgefährtin stelle keine Ehe im Sinne des Art. 6 GG dar, sei aber in analoger Weise über Art. 8 EMRK vor unverhältnismäßigen staatlichen Eingriffen geschützt. Die Schutzwürdigkeit nichtehelicher Beziehungen nach Art. 8 EMRK sei nach gefestigter Rechtsprechung des EGMR im Einzelfall anhand verschiedener Kriterien prüfen: Neben dem Zusammenwohnen seien die Dauer der Beziehung und die Kundgabe der Verbundenheit, beispielsweise durch gemeinsame Kinder, wichtige Indizien für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 EMRK. Hiernach sei die klägerische Beziehung durch Art. 8 EMRK geschützt. Der Kläger und seine Partnerin seien seit fünfeinhalb Jahren liiert, seit vier Jahren wohnten sie in einer gemeinsamen Wohnung. Sie versuchten seit 2018 die Ehe zu schließen, was aber daran scheitere, dass das Oberlandesgericht München den Kläger aufgrund seiner fehlenden validen Geburtsurkunde nicht von seiner Pflicht zur Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses nach § 1309 Abs. 2 BGB befreit habe. Es lägen also neben der langen Dauer der Beziehung und dem Zusammenleben seit einigen Jahren auch „Umstände“ vor, die die Verbundenheit des Paares manifestierten. Die Verweigerung der Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Klägers dar. Nach der für Art. 6 GG entwickelten Rechtsprechung, welche entsprechend auf Art. 8 EMRK anwendbar sei, sei eine aufenthaltsbeendigende Maßnahme grundsätzlich mit dem Gebot des Familienschutzes vereinbar, wenn der Ausländer auf die Einholung eines Visums verwiesen werden könne. Allerdings könne nur in rechtmäßiger Weise auf das Visumsverfahren verwiesen werden, wenn geklärt sei, ob der Ausländer tatsächlich die Möglichkeit habe, nach Abschluss des Verfahrens wieder nach Deutschland einzureisen und das Leben mit seiner Familie fortzuführen. Die Modalitäten des Visumsverfahrens, insbesondere dessen Dauer, müssten absehbar sein. Der Kläger habe keine reelle Aussicht auf Erhalt eines Visums, da seine Identität ungeklärt sei und er auch die speziellen Voraussetzungen der einzelnen Aufenthaltstitel nicht erfülle. Der Erwerb eines Aufenthaltstitels sei so unwahrscheinlich, dass es dem Kläger wegen der zu erwartenden dauerhaften Zerstörung seiner nach Art. 8 EMRK geschützten Familienbande nicht zugemutet werden könne, das Visumsverfahren zu durchlaufen. Selbst im unwahrscheinlichen Fall des Erwerbs eines Visums, stelle eine Trennung von deutlich über einem Jahr einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Paares aus Art. 8 EMRK dar. Ergänzend sei anzumerken, dass der Kläger nach Erhalt der negativen Entscheidung des Oberlandesgerichts sich um die Behebung der Hindernisse gekümmert habe. Da der Kläger die Anträge nicht selbst habe stellen können, habe er Familienmitglieder beauftragt, die wiederum Dritte beauftragt hätten. Dies habe aber nicht zur Lösung beigetragen, sondern habe die Situation eher verkompliziert. Es erscheine ausgeschlossen, dass eine erneute Prüfung durch die Botschaft erfolgreicher verlaufen würde. Die Unverhältnismäßigkeit der Duldungsversagung ergebe sich auch aus ihren Konsequenzen für die Beistandsgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Familie seiner Partnerin. Der Kläger habe seine „Schwiegereltern“ in den letzten Jahren nach diversen Knochenbrüchen und Krankheiten gepflegt, notwendige handwerkliche Arbeiten in deren Wohnung vorgenommen und ihnen „in schweren gesundheitlichen Krisen sehr beigestanden.“ Dieser Beistand könne nur in Deutschland erbracht werden, da weder der Partnerin des Klägers noch ihren Eltern ein Verlassen Deutschlands zumutbar sei. Die Duldungsverweigerung sei auch deswegen unverhältnismäßig, da das öffentliche Interesse an einer Abschiebung aufgrund der guten Integration des Klägers stark vermindert sei. Im Übrigen wird auf die Begründung Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
20
Mit Email vom 26. Juli 2021 teilte die Deutsche Botschaft … dem Beklagten mit, dass die Wartezeit für einen Termin zur Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung ein Jahr betrage. Die Wartezeit zur Überprüfung der Urkunden und zur Bearbeitung des Antrags dauere ohne Beanstandungen weitere sechs Monate. Im Falle von Beanstandungen und erneuter Überprüfungen dauere das ganze Verfahren ohne Wartezeit auf den Termin ein Jahr (Bl. 1198 ff.).
21
In der mündlichen Verhandlung am 27. Juli 2021 erklärte der Kläger, dass er in der Unterkunft ... gemeldet sei. Der Beklagtenvertreter gab an, der Kläger habe weder einen Antrag auf landesinterne Umverteilung noch habe er einen Antrag auf Genehmigung gestellt, die gemäß § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG erforderlich sei, wenn man sich mehr als drei Tage nicht in der zugewiesenen Unterkunft aufhalten wolle.
22
Mit Schreiben vom 28. Juli 2021, eingegangen bei Gericht am 3. August 2021, und vom 5. August 2021, eingegangen bei Gericht am 9. August 2021, übersandte der Beklagte die restliche Behördenakte.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt das Gericht Bezug auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2021, auf die Gerichtsakte, auch des Verfahrens M 4 E … sowie auf die vorgelegte Behördenakte.

Entscheidungsgründe

24
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
25
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO.
26
I. Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung ist nicht ersichtlich. Es liegen weder Abschiebungshindernisse noch Abschiebungsverbote vor, die den Vollzug der Abschiebung hindern.
27
Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
28
Die familiären Bindungen in die Bundesrepublik Deutschland führen weder zur Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung aufgrund der bevorstehenden Eheschließung gemäß Art. 6 GG (1.) oder des Schutzes des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK (2.) noch besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung aus § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (3.) oder einer Ermessensduldung aus § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (4.).
29
1. Die beabsichtigte Eheschließung des Klägers vermittelt keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst neben dem Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben zwar grundsätzlich auch die Freiheit der Eheschließung (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 - BVerfGE 76, 1, 42). Voraussetzung dafür ist indes, dass die Ehe mit dem Deutschen oder aufenthaltsberechtigten Ausländer nicht nur ernsthaft beabsichtigt ist, sondern auch unmittelbar bevorstehen muss (NdsOVG, B.v. 1.8.2017 - 13 ME 189/17 - BeckRS 2017, 120119 Rn. 6; BeckOK MigrR/Röder, AufenthG § 60a Rn. 71). Dies ist anzunehmen, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2021 - 10 CE 21.1228 - juris Rn. 20 m.w.N.), etwa, weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2017 - 13 ME 189.17 - juris Rn. 7 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Ein Termin für eine Eheschließung ist nicht bestimmt oder verbindlich bestimmbar, da der Kläger das erforderliche Ehefähigkeitszeugnis nicht beibringen konnte. Der Kläger trägt selbst vor, dass er von der Beibringung des notwendigen Ehefähigkeitszeugnisses gerade nicht befreit wurde.
30
2. Der Abschiebung des Klägers steht auch nicht der Schutz des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK entgegen.
31
Zum einen widerspräche die Erteilung einer Duldung im vorliegenden Fall bereits deren Wesen als Instrument zur Sicherung des laufenden Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (2.1.), zum anderen liegt hier kein Fall einer vergleichbaren „Beistandsgemeinschaft“ im Sinne des Art. 8 EMRK vor (2.2.). Ferner ist dem Kläger zumutbar, das erforderliche Visumsverfahren zu durchlaufen (2.3.).
32
2.1. Der Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK steht bereits entgegen, dass der Kläger - wie der Bevollmächtigte selbst vorträgt - keinerlei Aussicht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland hat.
33
Die Duldung ist vor allem das Instrument, um noch laufende Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzusichern und zu garantieren, dass die behauptete unzumutbare Trennung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Erteilungsverfahrens nicht erfolgt (Hoppe in: Dörig, Handbuch Migrations- und Aufenthaltsrecht, 2. Auflage 2020, § 10, Rn. 34; vgl. Marx Aufenthalts-, Asyl - und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 7 Rn. 343; vgl. Hailbronner, Stand Februar 2020, § 60a AufenthG, Rn. 35). Ist ein Aufenthaltstitel auf Grundlage der geltend gemachten familiären Beziehungen bereits abgelehnt, ist regelmäßig kein Raum mehr für eine Duldung auf Grundlage der gleichen Erwägungen (Hoppe in: Dörig, a.a.O.). Denn wenn sich etwa Art. 6 GG in seiner Ausprägung als wertentscheidende Grundsatznorm bei der Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht durchzusetzen vermag, wird auch kein dauerndes Abschiebungshindernis aus der Norm folgen (Hoppe in: Dörig, a.a.O. § 10, Rn. 30). Mithilfe einer Duldung kann die Abschiebung nur zeitweise ausgesetzt werden. Daher kommt der Duldung nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (BVerwG, U.v. 4. 6. 1997 - 1 C 9/95 - juris Rn.36; Hailbronner, § 60a AufenthG Rn. 36).
34
Vorliegend trägt der Kläger selbst vor, dass er keine Chancen auf Erwerb eines Aufenthaltstitels habe. Zum einen liegen bereits die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vor, da die Identität des Klägers nicht ausreichend geklärt ist, § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Die Identität einer Person (im rechtlichen Sinne) wird durch tatsächliche und rechtliche Daten, wie Geburtsdatum, Geburtsort, Name, Vorname, Name der Eltern usw., bestimmt, die der betreffenden Person zuzuordnen sind. „Identität“ bedeutet die Übereinstimmung dieser personenbezogenen Daten mit einer natürlichen Person (VGH BW, U.v. 30.7.2014 - 11 S 2450/13 - Rn. 30). Das Geburtsdatum des Klägers am ... 1988 und das Geburtsdatum der Schwester des Klägers im August 1987 liegen nach Angaben des Bevollmächtigten lediglich vier Monate auseinander, weshalb Zweifel bestehen, ob das angegebene Geburtsdatum des Klägers mit seinem tatsächlichen Geburtsdatum übereinstimmt. Die Identität des Klägers ist daher nicht ausreichend geklärt. Auch die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund Familiennachzugs nach den §§ 27 ff. AufenthG sind nicht erfüllt, da der Kläger mangels Eheschließung mit seiner deutschen Lebenspartnerin nicht dem Personenkreis des § 28 Abs. 1 AufenthG oder des §§ 28 Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG angehört. Damit besteht schon aufgrund fehlender Erfolgsaussichten für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kein Bedürfnis, das laufende Verfahren bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss durch Erteilung einer Duldung aus familiären Gründen abzusichern.
35
2.2. Selbst wenn man den vorläufigen Charakter der Duldung außer Acht lässt, so ergibt sich auch keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Klägers aus Art. 8 EMRK.
36
Die Abschiebung ist nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, da der Schutz aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt würde. Zwar umfasst der Schutz von Privat- und Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK grundsätzlich auch das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Auch nichteheliche Lebensgemeinschaften können eine „Familie“ im Sinne von Art. 8 EMRK bilden. Dies gilt insbesondere für Paare, die bereits verlobt sind. Ob eine kinderlose nichteheliche Beziehung unter Art. 8 EMRK fällt, ist je nach Dauer, Stabilität, Intensität, finanzieller Verflochtenheit etc. in jedem Einzelfall zu prüfen. Sollte die Beziehung nicht über das für ein „Familienleben“ erforderliche Ausmaß verfügen, kann sie immer noch dem Schutz des Privatlebens unterliegen (Eichenhofer in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, 1. Auflage 2017, Aufenthaltsrecht, Rn. 711, beckonline). Jedoch gewährt Art. 8 EMRK keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt, denn es handelt sich hierbei in erster Linie um ein Abwehrrecht (BeckOK AuslR/Hofmann, EMRK Art. 8 Rn. 14). Aus Art. 8 EMRK ergibt sich keine allgemeine Verpflichtung für die Konventionsstaaten, die Wahl des Aufenthaltsstaates durch Zuwanderer anzuerkennen und eine Familienzusammenführung zu ermöglichen. Anderes würde nur gelten, wenn die Familie die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllt, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, wie beispielsweise im Fall der Trennung kleiner Kinder von ihren Eltern oder auch bei kranken und pflegebedürftigen Angehörigen (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2020 - 10 CE 20.60 - BeckRS 2020, 1190; BayVGH, B.v. 25.4.2014 - 10 CE 14.650 - juris; BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, AufenthG § 60a Rn. 15 m.w.N.). Eine bloß vorübergehende Trennung für die übliche Dauer eines Visumsverfahrens allein reicht für eine Unzumutbarkeit im Hinblick auf Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK nicht aus (BayVGH, B.v. 21.1.2020 - 10 CE 20.60 - BeckRS 2020, 1190; BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, AufenthG § 60a Rn. 15 m.w.N.).
37
Für das Gericht ergeben sich vorliegend zwar Zweifel, ob der Kläger und seine Partnerin unter den Schutz der Familie aus Art. 8 EMRK fallen. Denn entgegen der Angaben des Bevollmächtigten zur gemeinsamen Haushaltsführung, ist der Kläger nach seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung weiterhin in der Gemeinschaftsunterkunft in Isen gemeldet. Der Kläger empfängt dort Post und nimmt Termine mit der Sozialpädagogin wahr. Einen Antrag auf landesinterne Umverteilung zur Wohnsitznahme bei seiner Lebenspartnerin hat der Kläger nach den Angaben des Behördenvertreters in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Ebenso wenig hat der Kläger laut Beklagtenvertreter einen erforderlichen Antrag auf Genehmigung bei Abwesenheit in der Unterkunft von mehr als drei Tagen beim Beklagten gestellt. Es kann jedoch letztlich offenbleiben, ob der Kläger und seine Partnerin unter den Schutz der Familie fallen oder lediglich dem Schutz des Privatlebens aus Art. 8 EMRK unterliegen, denn vorliegend ist nicht ersichtlich, dass eine Trennung des Antragstellers von seiner Lebenspartnerin zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Familieneinheit führen würde. Unabhängig davon, dass eine Beistandsgemeinschaft i.S.v. Art. 8 EMRK in erster Linie gegen einen staatlichen Eingriff schützt, um den es vorliegend nicht geht, sondern um die Erweiterung des Rechtskreises, liegt hier kein Fall der unzumutbaren Trennung der Familieneinheit vor. Ein derartiger oder vergleichbar gewichtiger Ausnahmefall kann bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorliegend nicht angenommen werden. Der Kläger und seine Lebenspartnerin haben keine gemeinsamen Kinder. Sie sind beide gesund und nicht auf Pflege angewiesen. Die Pflege der Eltern der Lebenspartnerin des Klägers genügt nicht, um die Trennung der Familieneinheit als unzumutbar anzusehen
38
2.3. Dem Kläger ist es zumutbar, ein nachträgliches Visumsverfahren zu durchlaufen.
39
Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 17.5.2011 - 2 BvR 2625/10 - juris Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung des Visumsverfahrens wichtigen Steuerungsinteressen dient. Die nachträgliche Einholung des erforderlichen Visums ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich - nicht anders als jeder andere Ausländer - ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn.20; BayVGH, B.v. 23.9.2016 - 10 C 16.818 - juris Rn. 11). Zudem hat es der Ausländer durch Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand die für die Durchführung des Visumsverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten (BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993 - juris Rn. 5). Allerdings muss die Dauer des Visumsverfahrens absehbar sein. Dies setzt u.a. voraus, dass geklärt ist, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn. 20).
40
Nach Angaben der deutschen Botschaft in … dauert das Visumsverfahren zum Zwecke des Familiennachzugs in der Regel bis zu 18 Monate. Dabei beträgt die Wartezeit für einen Termin bei der Botschaft ein Jahr. Die darauffolgende Bearbeitung des Visums dauert ohne Beanstandungen sechs Monate. Der Kläger hat bereits vor Ausreise die Möglichkeit bzw. sogar die sich aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergebende Obliegenheit zur Vereinbarung eines Termins bei der Deutschen Botschaft …, um die Wartezeit in seinem Heimatland zu verkürzen. Es liegt zudem im Verantwortungsbereich des Klägers, die Voraussetzungen für die Klärung seiner Identität zur Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Zwar gibt der Kläger an, er habe sich, nach Erhalt der negativen Entscheidung des Oberlandesgerichts München, um die Behebung der Hindernisse zur Eheschließung gekümmert. Der Kläger legt jedoch weder seine eigenen Bemühungen dar, seine Identität bei den pakistanischen Behörden zu klären noch erläutert er die tatsächlichen Grundlagen seiner Wertung, es sei ausgeschlossen, dass eine erneute Prüfung durch die Botschaft erfolgreicher verlaufen würde. Ferner ist es dem Kläger auch zumutbar, die Ehe mit seiner Lebensgefährtin in Pakistan zu schließen, um die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu erfüllen.
41
3. Einer Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht bereits entgegen, dass der Kläger nicht im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist.
42
4. Die familiären Bindungen des Antragsstellers in der Bundesrepublik Deutschland führen auch nicht zum Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG wegen einer Ermessensreduzierung auf Null.
43
Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Voraussetzung dafür ist, dass bei einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls dem privaten Interesse des Ausländers an einem vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet ein deutlich höheres Gewicht zukommt als dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Ausländers (BeckOK MigR/Röder, AufenthG § 60a Rn. 83).
44
Solche dringenden humanitären Gründe oder persönlichen Gründe, die trotz öffentlichem Vollzugsinteresse den Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet erfordern, sind nicht erkennbar. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt ersichtlich nicht vor. Überdies strebt der Kläger entgegen dem Wortlaut der Vorschrift eine dauerhafte und nicht nur vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet an.
45
II. Der Kläger trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 704 ff., 708 Nr. 11 ZPO.