Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für ein als Schwarzbau errichtetes Nebengebäude
Normenkette:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Auch wenn ein Vorhaben bereits als Schwarzbau errichtet war und nachträglich legalisiert werden sollte, ist hinsichtlich der relevanten Frage, ob dem Vorhaben im Genehmigungsverfahren zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung abzustellen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass sich eine bauliche Anlage teilweise als Überbau darstellt, hindert die Anwendung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften nicht. Der Überbau ist abstandsflächenrechtlich wie ein Grenzanbau zu behandeln (vgl. VGH München BeckRS 2021, 9448 Rn. 15). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Grenzständiges Nebengebäude, Überbau, Abstandsflächenpflicht, Abweichung von Gestaltungssatzung hinsichtlich Dacheindeckung, Schwarzbau, Abstandsfläche, Baugenehmigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.08.2021 – 15 ZB 21.1854
Fundstelle:
BeckRS 2021, 24934
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl. Nr. 245 der Gemarkung V* … Nördlich angrenzend an das Grundstück der Klägerin kommt das Vorhabengrundstück der Beigeladenen (Fl. Nr. 248 der Gemarkung V* …*) zum Liegen.
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Mit Formblattantrag vom 2.5.2018 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für ein bereits bestehendes Nebengebäude auf dem Grundstück Fl. Nr. 248 der Gemarkung V* … unter Befreiung von den Festsetzungen der Gestaltungssatzung der Stadt V* … hinsichtlich der Dacheindeckung. Im Eingabeplan ist als Nutzung "Abstellraum" (westlicher Teilbereich) und "Abstellraum Fahrräder" (östlicher Teilbereich) angegeben. Das verfahrensgegenständliche Nebengebäude sei vor mehr als 30 Jahren errichtet worden. Es werde beantragt, die bestehende Dacheindeckung aus Blech zu akzeptieren.
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Das Vorhabengrundstück und das klägerische Grundstück liegen außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans. Die Satzung der Stadt V* … zum Schutz des Stadtbildes und zur Ordnung der Stadtentwicklung vom 17.1.1995 (Gestaltungssatzung) wurde mit Satzung vom 11.1.2019 aufgehoben.
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Mit Bescheid vom 21.3.2019 erteilte das Landratsamt N* … der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Eine Beeinträchtigung baurechtlich geschützter nachbarlicher Belange sei nicht ersichtlich. Auf Grund der vorherrschenden geschlossenen Bauweise sei die Einhaltung von Abstandsflächen nicht erforderlich gewesen. Es werde darauf hingewiesen, dass die Baugenehmigung unbeschadet Rechte Dritter erteilt werde. Eine Erlaubnis, Grundstücke Dritter zu überbauen, werde dadurch folglich nicht erteilt.
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Am 29.4.2019 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 21.3.2019 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erhoben. Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihren Sachvortrag im Verfahren RO 7 K 18.603. Das Vorhaben der Beigeladenen sei ein Schwarzbau, der schon vor Änderung der Gestaltungssatzung bestanden habe. Es sei ihr unerklärlich, weshalb der Beigeladenen eine von der vorgeschriebenen Ziegeleindeckung abweichende Dacheindeckung genehmigt worden sei. Der Klägerin sei eine von der Gestaltungssatzung abweichenden Dacheindeckung bislang nicht genehmigt worden. Zudem befinde sich das streitgegenständliche Gebäude teilweise auf dem Grundstück der Klägerin. Durch die Baugenehmigung werde dieser Zustand legalisiert.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Landratsamts N* … vom 21.3.2019 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Die Baugenehmigung werde unbeschadet Rechte Dritter erteilt, so dass sie bezüglich des Überbaus keine privatrechtsgestaltende Wirkung entfalte. Dies sei der Klägerin bereits im Genehmigungsbescheid und im Schreiben vom 23.4.2019 mitgeteilt worden. Auch aufgrund des Umstandes, dass es sich um eine nachträgliche Genehmigung handle, ergebe sich keine Rechtsverletzung der Klägerin. Die Gestaltungssatzung sei zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits aufgehoben gewesen. Im Übrigen komme der Abweichung hinsichtlich der Dacheindeckung als Gestaltungsvorschrift keine nachbarschützende Funktion zu. Das Nebengebäude der Klägerin überrage das streitgegenständliche Gebäude deutlich, so dass die Dacheindeckung für die Klägerin nicht sichtbar und nicht störend sei. Abstandsflächenrechtliche Vorschriften seien ebenso wenig verletzt.
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Die Beigeladene führt ohne eigene Antragstellung aus, dass es in ihrem Interesse liege, dass die Baugenehmigung weiterhin gültig bleibe.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3.3.2021 (Az. RO 7 K 19.744) wurde der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.4.2021 (Az. 15 C 21.907) wurde die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3.3.2021 (Az. RO 7 K 19.744) zurückgewiesen. Auf die Gründe der vorgenannten Beschlüsse wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben des Gerichts vom 29.4.2021 wurde die Klägerin zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört. Mit Schreiben vom 6.5.2021 und vom 12.5.2021 trägt die Klägerin ergänzend vor, dass mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung kein Einverständnis bestehe. Ihre Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie sich aus gesundheitlichen Gründen ohne anwaltlichen Beistand nicht gegen falsche Feststellungen und Behauptungen verteidigen könne. Daher sei eine mündliche Verhandlung von außerordentlicher Bedeutung. Ihr Vorbringen sei von den Beteiligten und Sachbearbeitern des Landratsamtes falsch ausgelegt worden. Sie hoffe, dass die Widersprüche, Behauptungen und Feststellungen endlich richtiggestellt würden. Die Beigeladene störe sich am Nebengebäude der Klägerin. Es sei jedoch bis heute kein Schaden gemeldet worden. Bei einer vom Vater der Klägerin veranlassten Ortsansicht habe Herr Kreisbaumeister K* … vom Landratsamt am 4.1.2016 mitgeteilt, dass an die genehmigte Garage der Beigeladenen ein erdgeschossiger Anbau errichtet worden ist. Dieser Anbau sei augenscheinlich teilweise auf dem Grundstück Fl. Nr. 245 der Gemarkung V* … errichtet. Falls ein Dachziegel vom Dach der Klägerin bei einem Sturm herunterfiele, falle er in die Dachrinne oder auf den nicht genehmigten Anbau der Beigeladenen, der sich zum Teil auf dem Grundstück der Klägerin befinde. Das Landratsamt habe vom Schwarzbau der Beigeladenen gewusst und sei nicht tätig geworden. Die Klägerin habe für die Sanierung des Daches ihres Nebengebäudes einen Antrag für eine Eindeckung mit Trapezblech gestellt, weil auch der Schwarzbau der Beigeladenen mit Trapezblech eingedeckt sei und schon vor Änderung der Gestaltungssatzung bestanden habe. Die Stadt habe diese Sanierungsmaßnahme der Klägerin verhindert und ihre Anträge seien 2015 und 2016 abgelehnt worden. Zuletzt hätten die Klägerin und ihr Vater im gerichtlichen Verfahren des Öfteren eine Zeugenaussage des Herrn K* … thematisiert. Herr K* … sei mehrfach gebeten worden, seine Zeugenaussage, die er im Verfahren vor dem Landgericht Weiden am 4.7.2017 (Az. 11 O 439/15) getätigt habe, klarzustellen bzw. durch ein Schreiben zu ändern. Herr K* … sei als Zeuge zu laden, um Widersprüche und falsche Feststellungen richtigzustellen. Zudem weise die Klägerin darauf hin, dass ihre Stellungnahme vom 19.4.2021 in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom selbigen Tag nicht berücksichtigt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die beigezogene Gerichtsakte RO 7 K 18.603 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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A. Über die Klage kann nach Anhörung mittels Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben sind. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Das Einverständnis der Beteiligten ist nicht erforderlich.
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B. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 21.3.2019 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Im Rahmen einer Nachbarklage kommt es nicht darauf an, ob die erteilte Baugenehmigung in objektiver Hinsicht umfassend rechtmäßig ist. Ein Nachbar kann eine Genehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn er durch die Genehmigung in eigenen Rechten verletzt wird, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblich ist daher, ob der Nachbar in subjektiven Rechten verletzt wird, d.h. ob die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz dienen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8/84 - juris). Eine Rechtsverletzung kommt nur insoweit in Betracht, als die Baugenehmigung überhaupt Regelungs- bzw. Feststellungswirkung entfaltet, d.h. soweit die ggf. verletzte drittschützende Rechtsvorschrift überhaupt zum Prüfgegenstand im Genehmigungsverfahren gehört.
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Die streitgegenständliche Baugenehmigung wurde gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 BayBO zu Recht im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt, da es sich beim Vorhaben der Beigeladenen nicht um einen Sonderbau gem. Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 Satz 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB (Nr. 1a), den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO (Nr. 1b) und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1c), beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3).
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I. Aus einem etwaigen Überbau auf das Grundstück der Klägerin ergibt sich keine subjektive Rechtsverletzung. Die Baugenehmigung wird gem. Art. 68 Abs. 5 BayBO n.F. unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wird nur die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit öffentlich-rechtlichen Rechtsvorschriften geprüft, so dass die Baugenehmigung grundsätzlich keine privatrechtsgestaltende Wirkung entfaltet. Ein etwaiger Überbau durch das Nebengebäude steht der Erteilung einer Baugenehmigung daher nicht entgegen und die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. BayVGH, B.v. 11.7.2013 - 15 ZB 13.1238 -, Rn. 6, juris).
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II. Soweit die Klägerin rügt, dass der Beigeladenen eine von der Gestaltungssatzung abweichende Dacheindeckung genehmigt worden sei, so ergibt sich hieraus ebenso keine Rechtsverletzung. Bei der Gestaltungssatzung handelt es sich gem. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO um eine örtliche Bauvorschrift, von der gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO Abweichungen zugelassen werden können.
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1. Eine Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Vorgaben der Gestaltungssatzung der Stadt V* … wurde mit der Baugenehmigung schon gar nicht erteilt.
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2. Das Vorhaben bedurfte auch keiner Abweichung, da zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung die Gestaltungssatzung bereits außer Kraft getreten war.
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Auch wenn das Vorhaben der Beigeladenen bereits als Schwarzbau errichtet war und nachträglich legalisiert werden sollte, ist hinsichtlich der gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 BayBO relevanten Frage, ob dem streitgegenständlichen Vorhaben der Beigeladenen im Genehmigungsverfahren zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 97; B.v. 4.3.2021 - 15 ZB 20.3151 - juris Rn. 14). Insofern waren eventuell vormals gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 Satz 1 Nr. 1c, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO entgegenstehende örtliche Bauvorschriften der bereits zum 11.9.2019 aufgehobenen Gestaltungssatzung im Zeitpunkt der späteren Genehmigungserteilung am 21.3.2019 nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2021 - 15 C 21.907 -, Rn. 18, juris).
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3. Im Übrigen dienen örtliche Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO grundsätzlich nur dem öffentlichen Interesse, insbesondere der Durchsetzung gestalterischer Ziele der Gemeinde, und räumen dem Nachbarn in der Regel keine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte ein. Nachbarschutz vermag eine örtliche Bauvorschrift nur ganz ausnahmsweise zu vermitteln, wenn die Gemeinde der Regelung erkennbar eine entsprechende Wirkung geben wollte (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2021 - 15 C 21.907 -, Rn. 18, juris, m.w.N.). Dass die Stadt V* … der Regelung zur Dacheindeckung eine derartige nachbarschützende Wirkung zuerkennen wollte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Bei Erteilung einer Abweichung kann sich ein Nachbarschutz daher nur nach den Grundsätzen des Gebots der Rücksichtnahme, das im Tatbestandsmerkmal "unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange" (Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO) enthalten ist, ergeben. Es ergibt sich nicht, dass sich die Dacheindeckung aus Blech gegenüber der Klägerin als rücksichtslos und unzumutbar erweist.
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III. Drittschützendes Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO ist nicht verletzt.
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1. Dass sich das Nebengebäude im südwestlichen Bereich teilweise als Überbau darstellt, hindert die Anwendung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften nicht. Die Vorgabe, dass Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst liegen müssen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), bezweckt weder die Verhinderung eines Überbaus noch dessen Besserstellung im Vergleich zu einem grenzständigen Gebäude, so dass der Überbau abstandsflächenrechtlich wie ein Grenzanbau zu behandeln ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2021 - 15 C 21.907 -, Rn. 19, juris, m.w.N.).
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2. Das streitgegenständliche Nebengebäude ist wegen Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht abstandsflächenpflichtig. Nach dieser Norm ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Im unbeplanten Innenbereich darf damit ohne Einhaltung der nach Art. 6 BayBO grundsätzlich notwendigen Abstandsflächen an die Grenze gebaut werden, wenn die maßgebliche Umgebung sowohl von offener als auch von halboffener oder geschlossener Bauweise geprägt ist. Denn in diesem Fall fügt sich die Grenzbebauung bzw. grenznahe Bebauung ohne Einhaltung der bauordnungsrechtlich grundsätzlich erforderlichen Abstandsflächen vorbehaltlich des Gebots der Rücksichtnahme in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB ein. Dies gilt auch dann, wenn die vorhandene Mischung von Gebäuden mit und ohne seitlichen Grenzabstand "regellos" erscheint (vgl. VG Regensburg, U.v. 5.3.2020 - RO 7 K 18.321, m.w.N.).
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Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Lagepläne sowie der Luftaufnahmen und der topografischen Karte aus dem Bayern Atlas ist die maßgebliche Umgebung (Umgriff des Straßengevierts R* …, P* … Straße und M* …*) geprägt von geschlossener und halboffener Bauweise. Auf den Grundstücken Fl. Nrn. 262, 261/2, 261 und 259 der Gemarkung V* … befinden sich Nebengebäude in halboffener Bauweise, die auf einer Seite mit und auf der anderen Seite ohne seitlichen Grenzabstand errichtet sind. Auf den Fl. Nrn. 247, 261, 254 und 253 der Gemarkung V* … befinden sich Nebengebäude in geschlossener Bauweise, die zu keiner der beiden seitlichen Grundstücksgrenzen einen Grenzabstand einhalten.
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Aus diesem Grund darf jedenfalls nach den planungsrechtlichen Vorschriften an die seitliche Grundstücksgrenze gebaut werden, so dass die Einhaltung einer Abstandsfläche zum Grundstück der Klägerin nicht erforderlich ist.
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3. Selbst wenn die Einschlägigkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zu verneinen wäre, wäre die Drittanfechtungsklage der Klägerin gegen die Baugenehmigung vom 21.3.2019 unbegründet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Zurückweisungsbeschluss im Beschwerdeverfahren der Klägerin gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des erkennenden Gerichts hierzu aus: "(…) ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben (entsprechend § 242 BGB) bei der Anfechtung einer Baugenehmigung dann nicht mit Erfolg auf die Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht den Vorgaben des Art. 6 BayBO (in der jeweils aktuellen Fassung) gegenüber dem Grundstück des Bauherrn (hier der Beigeladenen) entspricht, wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und wenn der Ausschluss der Berufungsmöglichkeit auf Art. 6 BayBO - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führt (BayVGH, B.v. 20.1.2021 - 15 CS 20.2892 - juris Rn. 27 m.w.N.). Diese Ausschlussvoraussetzungen sind vorliegend gegeben, weil das Nebengebäude der Klägerin, das ebenfalls an der gemeinsamen Grenze verläuft, auf größerer Länge die aktuellen Abstandsflächen des Art. 6 BayBO gegenüber der Beigeladenen nicht einhält und zudem ein deutlich größeres Bauvolumen sowie eine deutlich größere Höhe im Vergleich zum streitgegenständlichen Nebengebäude der Beigeladenen aufweist (…)" (BayVGH, B.v. 19.4.2021 - 15 C 21.907 -, Rn. 20, juris). Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an und macht sich diese zu eigen.
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IV. Im Übrigen ist ein Verstoß gegen drittschützende Vorschriften, insbesondere gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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1. Daran ändert auch der ergänzende Vortrag der Klägerin mit Schreiben vom 6.5.2021 und vom 12.5.2021 nichts. Soweit die Klägerin ausführt, dass bezüglich ihres Nebengebäudes bis heute kein Schaden gemeldet worden sei, von ihrem Nebengebäude keine Gefahren ausgingen und Herr Kreisbaumeister K* … bei einer Ortseinsicht festgestellt habe, dass herunterfallende Dachziegel entweder in die Dachrinne oder auf den nicht genehmigten Anbau der Beigeladenen fielen, so ist dies für das streitgegenständliche Verfahren nicht entscheidungserheblich. Dieser Sachvortrag betrifft das Klageverfahren Az. RO 7 K 18.603, das mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12.10.2020 abgeschlossen wurde. Der Prozesskostenhilfeantrag für einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das vorgenannte Urteil wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25.11.2020 (15 ZB 20.2675) abgelehnt, so dass die Entscheidung rechtskräftig ist.
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2. Das Gericht sieht auch keine Veranlassung für die Einvernahme des Herrn K* … als Zeugen im streitgegenständlichen Verfahren RO 7 K 19.774.
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Soweit die Klägerin eine Zeugenaussage des Herrn Kreisbaumeisters K* … in einem Verfahren vor dem Landgericht Weiden berichtigt haben möchte, so kann sie damit im streitgegenständlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Regensburg nicht gehört werden.
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Von einer Beweisaufnahme durch Einvernahme des Herrn K* … als Zeugen zum Beweisthema, dass der Anbau der Beigeladenen in V* …, R* … baurechtlich nicht genehmigt war, sich zum Teil auf dem Grundstück der Klägerin befindet und nachträglich ohne Unterschrift genehmigt wurde (vgl. Bl. 92 f. der Gerichtsakte RO 7 K 18.603), kann wegen Erwiesensein der Beweistatsachen abgesehen werden. Das Gericht hat nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten und ausweislich der Pläne in der Behördenakte keine Zweifel, dass der streitgegenständliche Anbau der Beigeladenen vormals baurechtlich nicht genehmigt war, sich zum Teil auf dem Grundstück der Klägerin befindet und mit Bescheid vom 21.3.2019 ohne die Unterschriften der Nachbarn genehmigt wurde. All dies verhilft der Klage gleichwohl nicht zum Erfolg (s.o.).
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil (§ 84 Abs. 3 VwGO).