Titel:
Erfolglose Klage eines älteren Kraftfahrers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis
Normenketten:
FeV § 46 Abs. 4
StVG § 2 Abs. 5
Leitsatz:
Ist der sachverständige Gutachter von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und sind auch keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Sachkunde oder Unparteilichkeit gegeben, ist insgesamt von der Richtigkeit der Feststellungen des sachverständigen Gutachters auszugehen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Fehlende Befähigung, Älterer Kraftfahrer, Fahrprobe, älterer Kraftfahrer, Sachverständigengutachten, fehlende Befähigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.08.2021 – 11 ZB 21.1571
Fundstelle:
BeckRS 2021, 24916
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner ihm am 17. November 1970 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
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Nachdem der Kläger im Mai 2019 zur Vorlage eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für Kraftfahrzeugverkehr aufgefordert worden war, legte er unter Äußerung von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit dieser Anordnung das Gutachten über die am 5. August 2019 abgelegte Fahrprobe vor. Der sachverständige Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der Leistung bei der Fahrprobe nicht weiterhin befähigt ist, ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 und 2 (Altklasse 3; Fahrerlaubnisklassen AM, A1, B, BE, C1, C1E, L) sicher im Straßenverkehr zu führen. Dem Gutachten sind unter anderem die Dauer der Fahrprobe von 55 Minuten, der Streckenverlauf und die vom sachverständigen Gutachter beobachteten Auffälligkeiten im Einzelnen hinsichtlich Geschwindigkeitsverhalten, Vorfahrtregelung, Verkehrsbeobachtung und Fahrzeugbedienung zu entnehmen.
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Nach vorheriger Anhörung entzog der Beklagte dem Kläger mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 24. September 2019, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 25. September 2019, die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nummer 1 des Bescheids), verpflichtete den Kläger zur Abgabe seines Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides an (Nr. 4), drohte für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR an (Nr. 3) und entschied über die Kosten (Nrn. 5 und 6).
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Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger ausweislich des Gutachtens nicht weiterhin über die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr verfüge.
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Mit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 11. Oktober 2019 eingegangenem Schriftsatz erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid und beantragte,
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den Bescheid des Landratsamtes München vom 24.09.2019 aufzuheben.
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Gutachtensanordnung und das Gutachten selbst seien fehlerhaft. Die in dem Gutachten beschriebenen Auffälligkeiten seien unzutreffend, der die Fahrprobe begleitende Fahrlehrer habe dem Kläger nach der Fahrprobe spontan erklärt, der Kläger sei „gut“ gefahren. Die auf das Gutachten gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis sei folglich rechtswidrig.
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Der Beklagte legte die Akten vor und beantragte,
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Anhaltspunkte für fehlerhafte Feststellungen im Gutachten seien nicht gegeben. Eine diesbezüglich bereits im Verwaltungsverfahren angekündigte Stellungnahme des Fahrlehrers sei nicht vorgelegt worden.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2020 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Die mit Klageerhebung beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 27. März 2020 abgelehnt (M 6 S 19.5115) und die hiergegen gerichtete Beschwerde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 6. Juli 2020 soweit unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen (11 CS 20.854).
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Am 13. März 2020 und 19. März 2021 wurde zur Sache mündlich verhandelt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 19. März 2021 vom Gericht durch Zeugeneinvernahme Beweis erhoben über den Ablauf der Fahrprobe des Klägers bei dem TÜV U* … am 5. August 2019. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 6 S 19.5115 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 24. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO. Das Gericht folgt zunächst der zutreffenden Begründung des angegriffenen Bescheids und sieht insoweit von einer gesonderten Darstellung der Gründe ab, § 117 Abs. 5 VwGO. Weiter wird auf die Ausführungen im den Eilantrag ablehnenden Beschluss des Gerichts vom 27. März 2020 (M 6 S 19.5115) Bezug genommen und auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 6. Juli 2020 (11 CS 20.854) verwiesen. Lediglich darüber hinaus ist folgendes auszuführen:
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Die in Ziffer 1 des Bescheids ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig, da der Beklagte zurecht aufgrund des Gutachtens darauf geschlossen hat, dass der Kläger sich als nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen der genannten Gruppen erwiesen hat, § 46 Abs. 4 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung - FeV.
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Das Gericht hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der durch den sachverständigen Gutachter getroffenen Feststellungen, insbesondere daran, dass der sachverständige Gutachter von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.
Soweit der Kläger seine Überzeugung von der Fehlerhaftigkeit der Feststellungen damit begründet, die von dem sachverständigen Gutachter beschriebenen Verhaltensweisen seien nichtzutreffend, jedenfalls habe er sie nicht bemerkt bzw. seien sie ihm so nicht erinnerlich, hat das Gericht nach der Einvernahme des die Fahrprobe begleitenden Fahrlehrers als Zeugen keine Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden Feststellungen. Der Zeuge hat die von dem sachverständigen Gutachter beschriebenen Auffälligkeiten zum Teil ausdrücklich bestätigt und keiner davon ausdrücklich widersprochen. Dass der Zeuge angibt, sich nach dem langen Zeitraum, der zwischen der Fahrprobe und der Einvernahme als Zeugen lag, nicht mehr an alles im Detail erinnern zu können, trägt aus Sicht des Gerichts ebenso zur Glaubhaftigkeit seiner Aussage bei wie die Auskunft, dass er derzeit nichts mit dem TÜV U* … zu tun habe. Da die Schilderungen des Klägers wenig substantiiert waren und die von ihm in Zweifel gezogenen Feststellungen vor allem auf seiner eigenen abweichenden Wahrnehmung beruhten, reicht bereits der Umstand, dass sich aus der Aussage des Zeugen nichts ergibt, was an den Feststellungen des sachverständigen Gutachters zweifeln ließe, um die auf das negative Zeugnis gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig zu beurteilen. Darüber hinaus hat sich der Zeuge jedoch sogar daran erinnert, einmal durch Abbremsen eingegriffen zu haben und bestätigt damit die vom Sachverständigen getroffene Feststellung.
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Auch soweit der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Feststellungen damit begründet, dass der Zeuge ihm nach der Fahrprobe gesagt habe, er sei gut gefahren, ergeben sich für das Gericht keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der von dem sachverständigen Gutachter getroffenen Feststelllungen. Der Zeuge war als Fahrlehrer für den sicheren Ablauf der Fahrprobe und gerade nicht für die Beurteilung der klägerischen Fahrleistung zuständig und hielt es nach seiner nachvollziehbaren Schilderung nicht für angezeigt, am Ende einer solchen Fahrprobe dem Probanden gegenüber eine Bewertung abzugeben, sondern es bei einer allgemeinen Formulierung zu belassen.
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Da das Gericht auch nach der Einvernahme des Zeugen im Rahmen der mündlichen Verhandlung keinen Zweifel daran hat, dass der sachverständige Gutachter von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und auch keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel an dessen Sachkunde oder Unparteilichkeit gegeben sind, ist insgesamt von der Richtigkeit der Feststellungen des sachverständigen Gutachters auszugehen (vgl. auch BayVGH, B.v. 6.7.2020 - 11 CS 20.854, juris Rn. 13 und VG München, B.v. 27.3.2020, M 6 S 19.5115, Rn. 31) und die hierauf gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig zu beurteilen.
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Einwände gegen die Nebenentscheidungen sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. Zivilprozessordnung. Für die Streitwertfestsetzung maßgeblich sind nur die Fahrerlaubnisklassen A1, B und C1. Die Fahrerlaubnisklassen AM und L sind in der Klasse A1 bzw. B enthalten, § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 FeV.