Titel:
Anwendbarkeit von § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG auf Zahlungen an das Finanzamt nach Stellung eines Eigenantrags
Normenketten:
COVInsAG § 2 Abs. 1 Nr. 4
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 2, § 142
Leitsätze:
1. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ist auf Zahlungen an das Finanzamt nach Stellung eines Eigenantrags weder sachlich noch persönlich anwendbar. (Rn. 15 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Privilegierung in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG gilt nur für solche Gläubiger, die in einem vertraglichen Verhältnis zum Insolvenzschuldner stehen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, Finanzamt, COVID-19-Pandemie, privilegierte Zahlungen, Eigenantrag, Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Schuldner, Bargeschäftsprivileg, Lohnsteuer
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 20.10.2021 – 5 U 4809/21
Fundstellen:
EWiR 2021, 595
ZInsO 2021, 1817
ZVI 2022, 246
ZIP 2021, 2188
BeckRS 2021, 24719
LSK 2021, 24719
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 37.207,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.09.2020 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 37.207,23 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger ist Verwalter in dem nach Antrag vom 11.05.2020 (Anlage K1) am 01.09.2020 eröffneten Insolvenzverfahren (Anlage K2) über das Vermögen der … (nachfolgend Insolvenzschuldnerin bzw. Schuldnerin).
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Der Kläger fordert von dem Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 143 Abs. 1 InsO die Rückzahlung folgender Beträge, die der Beklagte erhalten hat:
Datum
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Betrag in EUR
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Lohnsteuer und Nebensteuern
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21.07.2020
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16.684,96
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Juni 2020
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28.08.2020
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20.522,27
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August 2020
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Bei den Zahlungen handelte es sich um die für den jeweiligen aufgeführten Zeitraum abzuführende Lohnsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
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Der Beklagte wurde am 17.06.2020 per E-Mail von der Insolvenzschuldnerin über den Insolvenzantrag und die Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung informiert.
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Mit Schreiben vom 08.09.2020 wurden unter anderem die streitgegenständlichen Zahlungen durch den Kläger gegenüber dem Beklagten gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten. Mit gleichem Schreiben wurde der Beklagte vom Kläger unter Fristsetzung bis zum 23.09.2020 zur Erstattung des ausstehenden Betrags aufgefordert.
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Der Beklagte lehnte vorgerichtlich die Zahlung des geltend gemachten Anspruchs mit Schreiben vom 17.09.2020 und vom 30.10.2020 ab.
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Der Kläger macht geltend, dass die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO hinsichtlich der streitgegenständlichen Zahlungen erfüllt sind und der Beklagte daher zur Rückgewähr verpflichtet ist. Die Insolvenzanfechtung sei vorliegend nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ausgeschlossen: die Privilegierung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG finde auf Rechtshandlungen nach einem bereits gestellten Insolvenzantrag keine Anwendung. Zudem beschränke sich die Privilegierung auf sog. Vertragsgläubiger. Andere Gläubiger wie zum Beispiel Finanzämter oder Sozialversicherungsträger seien nicht vom Schutzbereich umfasst. Hilfsweise macht der Kläger geltend, dass die Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin nicht auf der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruht habe und die Insolvenzantragspflicht daher vorliegend nicht gem. § 1 Abs. 1 COVInsAG ausgesetzt gewesen sei. Daher komme § 2 Abs. 1 COVInsAG nicht zur Anwendung.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 37.207,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 24.09.2020 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte wendet gegen den Anspruch ein, dass die Zahlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht anfechtbar seien. Da die Insolvenzantragstellung im Juni 2020 erfolgt sei, sei der Anwendungsbereich des COVInsAG eröffnet. Bei den Zahlungen auf fällige und durchsetzbare Steuerforderungen habe es sich um kongruente Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG gehandelt. Ein „späteres Insolvenzverfahren“ im Sinne der Vorschrift liege vor, da im Zeitpunkt der Zahlungen das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet war. Dass die Insolvenzreife der Schuldnerin nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruht haben soll, wird seitens des Beklagten bestritten.
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Zudem ist der Beklagte der Auffassung, dass für die streitgegenständlichen Lohnsteuerzahlungen das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO greife.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2021 (Bl. 37/39 d.A.), die genannten Anlagen und die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch aus §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 143 Abs. 1 InsO in der geltend gemachten Höhe zu.
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1. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind erfüllt. Bei den Lohnsteuerzahlungen handelte es sich um kongruente Leistungen, die nach dem Eröffnungsantrag und nach Kenntnis des Beklagten vom Eröffnungsantrag vorgenommen wurden.
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2. Die Insolvenzanfechtung ist nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ausgeschlossen, da der Ausschlusstatbestand aufgrund der gebotenen restriktiven teleologischen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden ist.
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a) Zunächst kommt § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vorliegend schon deswegen nicht zur Anwendung, da die Insolvenzschuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen bereits einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, und sich somit außerhalb des Schutzbereichs des COVInsAG begeben hatte. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist Ziel des COVInsAG, „die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben. Den betroffenen Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertretern soll Zeit gegeben werden, um die notwendigen Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu treffen (…)“ S. 17, eigene Hervorhebungen).
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Dieser Schutzzweck passt nicht in Fällen, in denen - wie vorliegend - von der Privilegierung des § 1 COVInsAG kein Gebrauch gemacht wurde und stattdessen Insolvenzantrag gestellt wurde. Wie der Kläger zutreffend ausführt, ist der durch § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG bewirkte Schutz des Anfechtungsgegners nicht selbst Gesetzeszweck, sondern nur Mittel zum eigentlichen und übergeordneten Zweck, den Insolvenzschuldner zu schützen. Entfällt der eigentliche Schutzzweck aufgrund der Tatsache, dass der Insolvenzschuldner sich in das Insolvenzverfahren begibt, muss auch die korrespondierende Privilegierung für den Anfechtungsgegner entfallen.
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b) Auch ist der Beklagte vorliegend nicht vom persönlichen Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG erfasst. Nach ihrem Wortlaut unterscheidet die Regelung nicht zwischen verschiedenen Arten von Gläubigern. Führt man sich jedoch Sinn und Zweck der Privilegierung vor Augen, wird deutlich, dass diese nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur für solche Gläubiger gelten soll, die in einem vertraglichen Verhältnis zum Insolvenzschuldner stehen.
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Ausweislich der Gesetzesbegründung soll der Anfechtungsschutz des § 2 Abs. 1 COVInsAG auch der „Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Schuldner“ dienen … S. 3, 17). In der Begründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG führt der Gesetzgeber wie folgt aus:
„Ein Bedürfnis für einen Anfechtungsschutz besteht auch in bestimmten Fällen, in denen kein neuer Kredit im Sinne der Nummer 2 vorliegt. Dies betrifft z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde“ … S. 24, eigene Hervorhebungen).
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Schon aus dieser Passage wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Regelung nur solche Gläubiger privilegieren wollte, die als Vertragspartner in einer freiwilligen Geschäftsbeziehung zum Schuldner stehen. Nur bezüglich dieser Gläubiger macht das Ziel, die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen zu sichern, Sinn. Denn Nicht-Vertragsgläubiger wie etwa Finanzämter, Sozialversicherungsträger und Berufsgenossenschaften müssen nicht zur Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen motiviert werden, da sie gezwungenermaßen - von Gesetzes wegen - Gläubiger sind. Auch werden sie in den Erwägungen des Gesetzgebers nicht erwähnt, was wiederum dafür spricht, dass letzterer Nicht-Vertragsgläubiger bei Schaffung der Privilegierung nicht im Blick hatte.
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Da die Zahlungen vorliegend an das Finanzamt München erfolgten, ist der persönliche Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht eröffnet.
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c) Im Ergebnis kommt § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vorliegend aufgrund einer restriktiven teleologischen Auslegung der Norm nicht zur Anwendung. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen ob - was zwischen den Parteien streitig ist - die Insolvenzreife der Schuldnerin auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhte.
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3. Die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit entfällt auch nicht unter dem Aspekt des Bargeschäftseinwands (§ 142 BGB). Dieser ist auf die Zahlung von Lohnsteuer nicht anzuwenden (BGH, Urteil vom 22.01.2004 - IX ZR 39/03; zuletzt BGH, Beschluss vom 22.10.2015 - IX ZR 74/15).
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a) § 142 InsO sieht das Privileg der Unanfechtbarkeit nur für eine Leistung des Schuldners vor, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt. Das Bargeschäftsprivileg schützt den unmittelbaren Leistungsaustausch, in dem zeitnah bewirkte wechselseitige Verpflichtungen aus einem gegenseitigen Vertrag der Anfechtung entzogen werden.
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Damit fehlt es für Lohnsteuerzahlungen bereits an einer Vereinbarung („für die“) als auch an einer Gegenleistung (vgl. ebenso Thole, in: InsO, 9. Auflage, § 142, Rn. 5).
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Steuern stehen per Definition nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu vertraglichen oder sonstigen Pflichten (anders als z.B. Gebühren). Dies folgt aus der Rechtsnatur von Steuern (vgl. den Steuerbegriff in § 1 Abs. 1 AO), welche der Finanzierung der allgemeinen Staatstätigkeit dienen; der Schuldner erhält vom Staat keine der Zahlung entsprechende Gegenleistung. Steuern können damit sachlogisch keinen Entgeltcharakter haben oder im wechselseitigen Verhältnis zu Leistungspflichten stehen. Dadurch, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer an den Fiskus abführt, erhält der Schuldner keine Gegenleistung.
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Der Arbeitgeber führt die Lohnsteuer auch nicht aufgrund eines gegenseitig verpflichtenden Verhältnisses ab, sondern weil er gesetzlich verpflichtet ist, die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen (§§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).
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b) Die Leistung der Lohnsteuer an das Finanzamt erfolgt zudem aus dem Vermögen des Arbeitgebers (BGH, Urteil vom 22.01.2004 - IX ZR 39/03). Der Arbeitgeber hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung des ihm rechtlich zustehenden Arbeitslohns sowie auf Abführung des gesetzlich vorgeschriebenen Anteils an das Finanzamt.
29
c) Die historische Auslegung, insbesondere die Materialien zur letzten Novelle, geben ebenfalls keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber die Bestimmung auch auf die Lohnsteuer anwenden wollte (BR-Drucksache 495/15, dort Seite 15 f.). Vielmehr legt die dortige Argumentation zum Arbeitslohn als Leistung in einem Synallagma nahe, dass der Gesetzgeber eben dieses aufrechterhalten wollte. Die Zahlung von Lohnsteuer ist indes - wie ausgeführt - weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer eine Leistung in einem „do ut des“-Verhältnis.
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II. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 143 Abs. 1 S. 3 InsO i.V.m. §§ 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
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III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 ZPO.
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IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO
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V. Der Streitwert wird gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 ZPO durch den bezifferten Hauptsacheantrag des Klägers bestimmt.