Titel:
Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren über Rückforderung von Anwärterbezügen
Normenketten:
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG § 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Die Annahme, dass ein Beamter aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse grundsätzlich in der Lage sein müsse, ein Vorverfahren selbst zu führen, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerwG. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist nicht notwendig, wenn es sich aufdrängt, dass für eine positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren alleine eine nochmalige Darstellung oder Vertiefung des Sachverhaltes oder die Vorlage von Unterlagen ausreichen könnte. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren, Zuziehung eines Bevollmächtigten, Vorverfahren, Notwendigkeit, Anwärterbezüge, Rückforderung, Beamter
Fundstelle:
BeckRS 2021, 2468
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt, anlässlich einer Rückforderung von Anwärterbezügen die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2
Der am … 1993 geborene Kläger wurde unter Ernennung zum Beamten auf Widerruf mit Wirkung zum 1. Oktober 2015 als Steuerinspektoranwärter in die bayerische Finanzverwaltung eingestellt und dem Finanzamt … zur Ausbildung zugewiesen. Nach Nichtbestehens der Zwischenprüfung 2016 und des Nichtbestehens der Wiederholung der Zwischenprüfung 2016 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 16. August 2016 die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Wirkung zum 31. August 2016. Der Beklagte entsprach dem Antrag mit Schreiben vom 18. August 2016.
3
Mit Schreiben vom 14. November 2019 informierte das Bayerische Landesamt für Steuern den Kläger, dass beabsichtigt sei, Anwärterbezüge in Höhe von 8.032,35 EUR zurückzufordern, da sich nach Durchsicht der Prüfungsarbeiten der Zwischenprüfung ergeben habe, dass die Prüfungen offensichtlich nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit abgelegt worden seien. Daher beruhe die Entlassung auf Gründen, die dem Verantwortungsbereich des Klägers zuzurechnen seien. Entsprechend der bei der Einstellung zum Beamten auf Widerruf unterzeichneten Auflage seien daher die Anwärterbezüge, soweit sie 400 EUR pro Monat überstiegen, zurückzufordern. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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Das Schreiben wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 16. November 2019 zugestellt.
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Der Kläger wies mit Schriftsatz vom 21. November 2019 darauf hin, dass er sich für das Studium zum Diplomfinanzwirt entschieden habe, da es ähnliche rechtliche Inhalte habe wie das vorausgegangene, abgebrochene Jurastudium und ihm das einer Ausbildung ähnlichere Studium leichter falle. Er habe im Vorfeld ausführlich geprüft, ob es sich bei der Entscheidung für die Finanzverwaltung um die richtige Wahl für ihn handle. Bis zum endgültigen Nichtbestehen der Zwischenprüfung sei er mit Begeisterung und Fleiß dabei gewesen. Er habe mit einem Anwärterkollegen in einer Lerngruppe intensiv Lerninhalte bearbeitet und auf die Prüfung vorbereitet. Zur weiteren Vertiefung der Lerninhalte sei sogar eine Wohngemeinschaft gegründet worden. Daraus ergebe sich, dass er mit viel Interesse, Elan und Engagement dabei gewesen sei, so dass es definitiv nicht an der Lernbereitschaft gefehlt habe. Auch im Amt habe er sich voll und ganz engagiert. Bei den Klausuren habe er gemerkt, dass die Fallbearbeitung dem Jurastudium sehr ähnlich sei, so dass er - um ein erneutes Scheitern zu vermeiden - viel Zeit für die richtige und vollständige Erfassung des Sachverhaltes verwendet habe und versucht habe, den richtigen Lösungsweg zu finden. Möglicherweise habe die Angst, erneut zu scheitern, zu einer Blockade geführt, die verhindert habe, mehr zu schreiben. Jedenfalls habe es nicht an der Ernsthaftigkeit der Bearbeitung gefehlt, da er die Prüfungsarbeiten habe bestehen wollen. Aufgrund der schlechten Erfahrungen aus dem Jurastudium sei er blockiert gewesen. Die Beendigung der Ausbildung vor der festgelegten Ausbildungszeit sei daher nicht aus einem vom ihm zu vertretenden Grund erfolgt, so dass für die Rückforderung der Anwärterbezüge keine Rechtsgrundlage bestehe.
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Mit Bescheid vom 12. Dezember 2019, dem Kläger mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 14. Dezember 2019, forderte der Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober 2015 bis 31. August 2016 Anwärterbezüge in Höhe von insgesamt 8.032,35 EUR zurück.
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Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. Januar 2020 Widerspruch einlegen. Zur Begründung des Widerspruchs wurde ausgeführt, dass aus einer schlechten Prüfungsleistung nicht auf mangelndes Engagement und fehlende Ernsthaftigkeit geschlossen werden dürfe. Das Ablegen einer Wiederholungsprüfung sei keine Garantie dafür, dass der Zweitversuch besser abgeschlossen werde. Das Argument, die schlechte Leistung sei allein auf mangelnde Vorbereitung zurückzuführen, trage nicht.
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Nicht zutreffend sei, dass im Fach Abgabenordnung Ausführungen gemacht worden seien, die nicht im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung gestanden hätten. Aus den Korrekturbemerkungen ergebe sich, dass viele Anmerkungen zutreffend seien. Die zusätzlichen Ausführungen seien nicht sachfremd, sondern stünden im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung.
9
Der Kläger habe in seinem Schreiben vom 21. November 2016 ausführlich erläutert, wie die Leistungen zustande gekommen seien. Da der Kläger versucht habe, sich intensiv mit dem Sachverhalt auseinanderzusetzen und den korrekten Lösungsweg zu finden, habe er dafür mehr Zeit verwendet als förderlich und notwendig gewesen sei. Zudem habe der Kläger unter Ängsten, die Prüfung nicht zu bestehen, gelitten, was zu einer Blockade geführt habe. Selbst wenn diese Ängste nicht als Prüfungsangst einzustufen sein sollten, so hätten sie doch ein Ausmaß angenommen, dass zu einer vollständigen Blockade und einzelnen Aussetzern geführt habe, sodass sich die Lücken in der Bearbeitung erklären ließen.
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In der vorgelegten Akte seien keine Anhaltspunkte dafür enthalten, dass es dem Kläger während der Ausübung an Ernsthaftigkeit gefehlt habe. Es seien keine negativen Inhalte bezüglich der klägerischen Leistung bei den praktischen Tätigkeiten enthalten. Das Gesamtbild zeige, dass die Leistung des Klägers nicht auf mangelnde Ernsthaftigkeit zurückzuführen sei und somit kein Anspruch auf Rückzahlung bestehe.
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Mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 wurde dem Widerspruch stattgegeben und der Bescheid vom 12. Dezember 2019 aufgehoben (Ziff. 1). Es wurde festgestellt, dass die Kosten des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten zu tragen seien, die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren jedoch nicht notwendig gewesen sei (Ziff. 2).
12
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass zu den sich aus den Prüfungsarbeiten der Zwischenprüfung ergebenden Anhaltspunkten im Rahmen des Widerspruchverfahrens keine weiteren objektiv fassbaren Anhaltspunkte hinzugekommen seien, welche untermauerten, dass der Kläger sich der Ausbildung nicht mit dem nötigen Ernst gewidmet habe. Mangels genügender objektiv fassbarer Anhaltspunkte habe der Beweis nicht erbracht werden können, dass sich der Kläger nicht mit dem notwendigen Ernst seiner Ausbildung gewidmet habe. Zu Gunsten des Klägers sei deshalb davon auszugehen, dass das vorzeitige Beenden der Ausbildung nicht auf Gründen beruhe, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen seien. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch den Widerspruchsführer sei nicht erforderlich gewesen. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht notwendig. Eine Ausnahme sei nur möglich, wenn es dem Widerspruchsführer nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht zuzumuten sei, das Vorverfahren selbst zu führen. Ein solcher Fall sei vorliegend nicht ersichtlich, da es dem Kläger angesichts seiner begonnenen Ausbildung in der Finanzverwaltung durchaus möglich gewesen wäre, das Widerspruchsverfahren ohne rechtlichen Beistand zu führen.
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Mit Postzustellungsurkunde wurde der Widerspruchsbescheid den Bevollmächtigten des Klägers am 16. Juli 2020 zugestellt.
14
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. August 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am 13. August 2020, ließ der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 Klage nur hinsichtlich der Entscheidung, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht für notwendig erklärt worden ist, Klage erheben.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 28. August 2020 übermittelte die Bevollmächtigte des Klägers zur Stellungnahme hinsichtlich des Streitwertes eine Honorarvorschussrechnung vom 8. Januar 2020 in Höhe von 808,13 EUR.
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Der Beklagte verzichtete mit Schriftsatz des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 30. September 2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Zur Kostenentscheidung wurde vorgetragen, dass die Zuziehung eines Anwalts im isolierten Vorverfahren nicht die Regel und grundsätzlich nicht notwendig sei. Maßgebend sei, ob sich ein vernünftiger Bürger, der bemüht sei, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Dem Widerspruchsführer sei es nach seinen persönlichen Verhältnissen zuzumuten gewesen, das Vorverfahren selbst zu führen. Der Kläger habe auf Grund seines bisherigen Wertegangs eine gute Vorbildung, insbesondere in Bezug auf verwaltungsrechtliche Verfahren, besessen. Angesichts seiner begonnenen Ausbildung in der Finanzverwaltung wäre er durchaus in der Lage gewesen, das Widerspruchsverfahren ohne rechtlichen Beistand zu führen, da er mit dem Ablauf eines behördlichen Verfahrens vertraut gewesen sei. Vor Beginn der Ausbildung in der Finanzverwaltung habe der Kläger von 2011 - 2012 Betriebswirtschaftslehre an der FAU studiert, so dass er über einen guten Bildungs- und Erfahrungsstand verfüge.
18
Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers:
1. Der Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 (Az.: 40820238/A-St 22M) wird in Ziffer 2 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig gewesen sei. Bei der gesetzlichen Regelung des Art. 80 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG handele es sich nicht um ein „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ dergestalt, dass die Wahrnehmung des Rechts ohne Bevollmächtigten die Regel sei und die Hinzuziehung die Ausnahme. Maßgeblich sei nach ständiger Rechtsprechung der konkrete Einzelfall. Der gesetzgeberischen Entscheidung liege die Differenzierung zugrunde, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern einzelfallbezogen zu beurteilen sei.
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Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei es maßgeblich, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Dabei sei auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt kenne der Widerspruchsführer den Sachstand und müsse beurteilen, ob es ihm auf Grund seiner persönlichen Verhältnisse und der Schwierigkeit der Sache zuzumuten sei, das Verfahren selbst zu führen.
21
Vorliegend sei festzustellen, dass der Kläger sich im Vorfeld der Entscheidung bezüglich des erlassenen Rückforderungsbescheides ausführlich geäußert habe. Er habe ausführlich dargelegt, warum seine Ausbildung nicht mangels Ernsthaftigkeit gescheitert sei, sondern er mit Fleiß und Begeisterung dabei gewesen sei. Er habe alle ihm ersichtlichen Argumente dargelegt, weshalb die Beendigung seiner Ausbildung aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund gescheitert sei. Die angeführten Gründe seien alle nachvollziehbar und treffend dargelegt.
22
Bei Erhalt des Rückforderungsbescheides vom 12. Dezember 2019 habe er erkennen müssen, dass seine Darlegung von Gründen kaum Berücksichtigung gefunden habe. Ausgehend von dieser Sachlage habe er davon ausgehen müssen, dass er als Widerspruchsführer ebenso wenig mit seinen Darlegungen Erfolg haben würde. Die Kenntnis der strukturellen Zusammenhänge des Art. 75 Abs. 2 BayBesG sowie der diesbezüglich ergangenen Auflage mit Zweckbestimmung sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung, wann die vorzeitige Beendigung der Ausbildung der Sphäre des Auszubildenden zuzuordnen sei, könne von dem maßgeblichen „vernünftigen Bürger mit vergleichbarem Kenntnisstand“ nicht verlangt werden.
23
Daran ändere auch die Vorbildung, unter anderem das begonnene Studium der Rechtswissenschaften, nichts. Im Grundstudium dieses Studiengangs werde keinesfalls Beamtenrecht im Allgemeinen sowie Besoldungsrecht im Speziellen gelehrt, dies erfolge allenfalls im Schwerpunktstudium frühestens ab dem 6. Semester. Auch Kenntnisse „verwaltungsrechtlicher Verfahren“ im Allgemeinen versetzten den Kläger nicht in die Lage, die komplexen Zusammenhänge der Rückforderung zu beurteilen und ohne anwaltlichen Beistand angemessen das Widerspruchsverfahren zu führen.
24
Auf Anfrage des Gerichts teilten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 9. November 2020 mit, dass auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werde und mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin Einverständnis bestehe.
25
Der Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und erklärte sein Einverständnis mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter.
26
Des Weiteren wurde zum Schriftsatz vom 30. September 2020 der Bevollmächtigten erwidert, dass der Feststellung der Bevollmächtigten des Klägers, dass sich der Kläger vor Erlass des Rückforderungsbescheides ausführlich geäußert habe und alle ersichtlichen Argumente vorgelegt habe, entgegenzutreten sei, da im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 bereits eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Klägers erfolgt sei. Würde man der Argumentation der Bevollmächtigten folgen, so wäre die Zuziehung im Rahmen eines jeden Widerspruchsverfahrens nötig, bei welchem der Widerspruchsführer - wie rechtlich vorgesehen und üblich - vorher angehört worden sei und ein Bescheid zu seinen Lasten erlassen worden sei. Dem sei aber gerade nicht so, wie sich aus der Rechtsprechung in der Kostenentscheidung und aus dem Schriftsatz vom 30. September 2020 ergebe.
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Unter Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und Wiederholung des Vortrages aus dem Schriftsatz vom 30. September 2020 verwies der Beklagte darauf, dass es dem Kläger nach seinen persönlichen Verhältnissen zuzumuten gewesen sei, das Vorverfahren selbst zu führen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahren sei eine Stellungnahme des Ausbildungsamtes eingeholt worden, um festzustellen, ob neben den objektiv fassbaren Anhaltspunkten in den Prüfungsklausuren der Zwischenprüfung weitere objektiv fassbare Anhaltspunkte vorhanden seien, welche untermauerten, dass der Kläger die Ausbildung nicht mit dem notwendigen Ernst verfolgte. Die Rückmeldung des Ausbildungsleiters habe ein sehr positives Bild des Klägers, welcher im Amt als freundlicher, interessierter, aufmerksamer und bemühter Anwärterin Erinnerung geblieben sei, ergeben. Die Stellungnahme habe die Aussage des Klägers insofern bestätigt, als er in der Stellungnahme betont habe, dass er sich mit der notwendigen Ernsthaftigkeit seiner Ausbildung gewidmet habe. Zu Gunsten des Klägers sei davon ausgegangen worden, dass er den Abbruch der Ausbildung nicht zu vertreten gehabt habe.
28
Mit Beschluss vom 5. Januar 2021 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
29
Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2021 verwies die bBevollmächtigte des Klägers nochmals auf den bisherigen Sachvortrag und ergänzte, dass die im Schriftsatz des Beklagten vom 8. Dezember 2020 erwähnte Stellungnahme des Ausbildungsamtes, die das positive Bild bestätigte, erst nach Einwänden durch die Bevollmächtigte eingeholt worden sei.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
31
Über den Rechtsstreit konnte durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsätzen vom 12. Oktober 2020 und 9. November 2020 und der Beklagte mit Schriftsätzen vom 30. September 2020 und 8. Dezember 2020 zugestimmt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
32
Die zulässige Klage ist begründet.
33
Dabei ist der Klageantrag im Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 dahingehend auszulegen, dass lediglich Satz 2 der Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2020 aufzuheben ist, nicht aber die Kostengrundentscheidung der Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides. Die Bevollmächtigte des Klägers machte diesbezüglich in allen Schriftsätzen deutlich, dass lediglich die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren angegriffen werden soll, nicht aber die Entscheidung, dass der Freistaat Bayern die Kosten des Widerspruchsverfahrens trägt.
34
Der Kläger hat Anspruch darauf, den Beklagten unter Aufhebung der Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 zu verpflichten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären. Die in Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern insoweit getroffene Ablehnungsentscheidung konnte daher keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 79 Abs. Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
35
Mit der Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Widerspruchsverfahrens hat der Beklagte zugleich darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war (Art. 80 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG).
36
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, U.v. 28.4.2009 - 2 A 8.08 - NJW 2009, 2968 = BayVBl 2009, 735; B.v. 21.8.2003 - 6 B 26.03 - NVwZ-RR 2004, 5; B.v. 14.1.1999 - 6 B 118.98 - NVwZ-RR 1999, 357). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt (BVerwG, B.v. 27.2.2012 - 2 A 11/08 - juris Rn. 5).
37
Aus dem Begriff der „Notwendigkeit“ der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Insoweit ist nicht das Begriffspaar „Regel/Ausnahme“ maßgeblich, sondern vielmehr die gesetzgeberische Differenzierung, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist (BVerwG, B.v. 21.12.2011 - 1 WB 51/11 - juris Rn. 19 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 15.9.2005 - 6 B 39.05 - Buchholz 448.0 § 17 WPflG Nr. 12 und B.v. 1.6.2010 - 6 B 77.09 - juris Rn. 6).
38
Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (BVerwG, B.v. 21.8.2018 - 2 A 6/15 - juris Rn. 5).
39
Dem entsprechend konnte es von dem Kläger zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung nicht erwartet werden, das Vorverfahren selbst zu führen.
40
Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger in Hinblick auf die Höhe des Rückforderungsbetrages von 8.032,35 EUR und wegen der Schwierigkeit der Rechtsmaterie, die sich für das Gericht aus der Kombination von Auflagen nach Art. 75 Abs. 2 BayBesG und der Verweisung des Art. 15 Abs. 2 BayBesG auf die Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung ergibt, war es dem Kläger nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen.
41
Eine Änderung dieser Bewertung ist auch nicht unter Berücksichtigung, dass der Kläger seit 1. Oktober 2015 eine Ausbildung für die Dritte Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Verwaltung und Finanzen mit dem fachlichen Schwerpunkt Steuer absolviert hat, veranlasst, denn aufgrund des erst einige Monate andauernden Fachhochschulstudiums konnten vertiefte Kenntnisse des Beamtenrechts beim Kläger nicht vorausgesetzt werden. Ansonsten würde die Annahme, dass ein Beamter aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse grundsätzlich in der Lage sein müsse, ein Vorverfahren selbst zu führen, zur Folge haben, dass bei einem Rechtsstreit eines Beamten über bzw. anlässlich seines Beamtenverhältnisses grundsätzlich nie die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 3 BayVwVfG bzw. § 162 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorliegen könnten. Diese Annahme steht jedoch schon nicht in Einklang mit der Rechtsprechung, dass z.B. bei der Anfechtung einer Regelbeurteilung die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren in der Regel nicht unvernünftig ist (BVerwG, U.v. 28.4.2009 - 2 A 8/08 - juris Rn. 21).
42
Gleiches gilt hinsichtlich der rechtlichen Kenntnisse aus dem Studium der Rechtswissenschaften, bei dem Beamtenrecht weitgehend nicht zum Ausbildungsinhalt gehört, da ansonsten in Fällen, in denen z.B. ein Rechtsanwalt als Kläger auftritt, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten grundsätzlich ausgeschlossen wäre (vgl. hierzu Kunze in: BeckOK VwVfG, § 80 Rn. 99b).
43
Letztlich musste sich dem Kläger auch nicht aufdrängen, dass für eine für ihn positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren alleine eine nochmalige Darstellung oder Vertiefung des Sachverhaltes oder die Vorlage von Unterlagen ausreichen könnte. Denn dann wäre die Zuziehung eines Bevollmächtigten gerade nicht notwendig gewesen (Neumann/Schaks in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 162 Rn. 103).
44
Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 14. November 2019 u.a. vorgetragen, dass er sich intensiv auf die Prüfungen vorbereitet habe und den Wunsch gehabt habe, die Prüfungen zu bestehen, wegen seines Scheiterns im dem Fachhochschulstudium vorausgehenden Studium der Rechtswissenschaften und wegen der Angst, erneut zu scheitern, aber während der Zwischenprüfung und der Wiederholungsprüfung blockiert gewesen sei.
45
Der Beklagte setzte sich mit diesen Einlassungen im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 auch ausdrücklich auseinander, sodass der Kläger davon ausgehen musste, dass der Beklagte die von ihm vorgetragenen Gründe nicht ausreichen lassen würde, um von einer Rückforderung abzusehen. Dabei war für den Kläger auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte bei der Entscheidung eine Bewertung der Dienststelle, der der Kläger zur Ausbildung zugewiesen war, noch nicht berücksichtigt hat und eine Beteiligung der Dienststelle erst nach Einlegung des Widerspruches vorgenommen hat.
46
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
47
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
48
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124, § 124a VwGO).