Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 19.01.2021 – AN 1 K 20.01565
Titel:

Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren

Normenketten:
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 S. 3, Art. 80 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgeblich ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen. (Rn. 32, 34 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die rechtlichen Kenntnisse eines Beamten schließen in einem von ihm geführten Rechtsstreit die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nicht grundsätzlich aus. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren, Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, Widerspruchsverfahren, Rückzahlung von Anwärterbezügen wegen Nichtbestehens von Prüfungen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 2467

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt, anlässlich einer Rückforderung von Anwärterbezügen die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2
Der am … 1994 geborene Kläger wurde unter Ernennung zum Beamten auf Widerruf mit Wirkung zum 1. Oktober 2015 als Steuerinspektoranwärter in die bayerische Finanzverwaltung eingestellt und dem Finanzamt … zur Ausbildung zugewiesen. Nach Nichtbestehen der Zwischenprüfung 2016 und Nichtbestehen der Wiederholung der Zwischenprüfung 2016 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 22. September 2016 die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Wirkung zum 30. September 2016. Der Beklagte entsprach dem Antrag mit Schreiben vom 23. September 2016.
3
Mit Schreiben vom 14. November 2019 informierte das Bayerische Landesamt für Steuern den Kläger, dass beabsichtigt sei, Anwärterbezüge in Höhe von 8.776,20 EUR zurückzufordern, da sich nach Durchsicht der Prüfungsarbeiten der Zwischenprüfung ergeben habe, dass die Prüfungen offensichtlich nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit abgelegt worden seien. Daher beruhe die Entlassung auf Gründen, die dem Verantwortungsbereich des Klägers zuzurechnen seien. Entsprechend der bei der Einstellung zum Beamten auf Widerruf unterzeichneten Auflage seien daher die Anwärterbezüge, soweit sie 400 EUR pro Monat überstiegen, zurückzufordern. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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Das Schreiben wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 16. November 2019 zugestellt.
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Der Kläger wies mit Schriftsatz vom 28. November 2019 darauf hin, dass er sich während seines Studiums zum Diplomfinanzwirt gewissenhaft auf die Klausuren der Zwischenprüfung vorbereitet habe. Während der Ausbildung habe er die prüfungsrelevanten Themen regelmäßig bearbeitet und sich intensiv auf die Zwischenprüfung vorbereitet. Während der Zwischenprüfung sei er erkrankt und habe wegen schon seit vielen Jahren plötzlich auftretender heftiger Kopfschmerzen mit der Folge, sich nicht mehr konzentrieren zu können, die Zwischenprüfung nicht vollständig absolvieren können. Während der Wiederholungsprüfung habe er einen Blackout gehabt und habe sich mit der Prüfungssituation komplett überfordert gefühlt. Rückblickend müsse er sagen, dass er im Jahr 2016 auf Grund des Scheiterns im BWL-Studium, der dauernd wiederkehrenden Kopfschmerzen und der besonderen Prüfungssituation extreme psychische Probleme gehabt habe, die ihn im Sommersemester 2017 zu einem Krankheitssemester gezwungen hätten und er sich in Behandlung habe begeben müssen. Daher habe er wohl auch im Wintersemester 2016/2017 in seinem neu gewählten Studiengang in einer wesentlichen Klausur versagt. Im Vorfeld habe er die Lerninhalte gelernt, Übungsklausuren geschrieben und sich sorgfältig und intensiv auf die Prüfungen vorbereitet. Er habe mit viel Elan und Engagement in den Bezirken seine Aufgaben erfüllt und die Arbeit habe ihm viel Spaß gemacht. Es habe weder an der Lernbereitschaft noch an der Ernsthaftigkeit der Bearbeitung der Prüfungsaufgaben gemangelt. Er habe die Prüfungen bestehen wollen, sei hierzu aber psychisch nicht in der Lage gewesen. Die Beendigung der Ausbildung vor Ablauf der festgelegten Ausbildungszeit sei nicht willentlich geschehen, so dass für eine Rückforderung der Anwärterbezüge keine Rechtsgrundlage bestehe.
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Mit Bescheid vom 12. Dezember 2019, dem Kläger mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 14. Dezember 2019, forderte der Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober 2015 bis 30. September 2016 Anwärterbezüge in Höhe von insgesamt 8.776,20 EUR zurück.
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Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. Januar 2020 Widerspruch einlegen. Zur Begründung des Widerspruchs wurde unter anderem ein ärztliches Attest der Facharztpraxis Dres. … vom 16. Mai 2017 vorgelegt, wonach bei dem Kläger eine schwere Krankheit mit chronischem Verlauf bestehe und daher aus ärztlicher Sicht eine Teilnahme am laufenden Semester nicht mehr möglich sei. Es bestehe krankheitsbedingt Prüf- und Studierunfähigkeit bis Ende September 2017.
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Mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 wurde dem Widerspruch stattgegeben und der Bescheid vom 12. Dezember 2019 aufgehoben. Es wurde festgestellt, dass die Kosten des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten zu tragen seien, die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren jedoch nicht notwendig gewesen sei. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass trotz vieler objektiv fassbarer Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich nicht mit dem notwendigen Ernst seiner Ausbildung gewidmet habe, das von den Bevollmächtigten des Klägers vorgelegte Attest vom 7. Juli 2020 darauf hindeute, dass das vorzeitige Beenden der Ausbildung nicht auf Gründen beruhe, die dem Verantwortungsbereich des Klägers zuzurechnen seien. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch den Widerspruchsführer sei nicht erforderlich gewesen. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht notwendig. Eine Ausnahme sei nur möglich, wenn es dem Widerspruchsführer nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht zuzumuten sei, das Vorverfahren selbst zu führen. Ein solcher Fall sei vorliegend nicht ersichtlich, da es dem Kläger angesichts seiner begonnenen Ausbildung in der Finanzverwaltung durchaus möglich gewesen wäre, das Widerspruchsverfahren ohne rechtlichen Beistand zu führen.
9
Der Widerspruchsbescheid wurde den Bevollmächtigten des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 16. Juli 2020 zugestellt.
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Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. August 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am 13. August 2020, ließ der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 hinsichtlich der Entscheidung, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht für notwendig erklärt worden sei, Klage erheben.
11
Mit weiterem Schriftsatz vom 28. August 2020 übermittelten die Bevollmächtigten des Klägers zur Stellungnahme hinsichtlich des Streitwertes eine Honorarvorschussrechnung vom 8. Januar 2020 in Höhe von 808,13 EUR.
12
Der Beklagte verzichtete mit Schriftsatz des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 30. September 2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Zur Kostenentscheidung wurde vorgetragen, dass die Zuziehung eines Anwalts im isolierten Vorverfahren nicht die Regel und grundsätzlich nicht notwendig sei. Maßgebend sei, ob sich ein vernünftiger Bürger, der bemüht sei, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Dem Widerspruchsführer sei es nach seinen persönlichen Verhältnissen zuzumuten gewesen, dass Vorverfahren selbst zu führen. Der Kläger habe auf Grund seines bisherigen Werdegangs eine gute Vorbildung, insbesondere in Bezug auf verwaltungsrechtliche Verfahren, besessen. Angesichts seiner begonnenen Ausbildung in der Finanzverwaltung wäre er durchaus in der Lage gewesen, das Widerspruchsverfahren ohne rechtlichen Beistand zu führen, da er mit dem Ablauf eines behördlichen Verfahrens vertraut gewesen sei. Vor Beginn der Ausbildung in der Finanzverwaltung habe der Kläger seit 2013 Betriebswirtschaftslehre an der … studiert, so dass er über einen guten Bildungs- und Erfahrungsstand verfüge.
14
Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers:
1. Der Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 (Az.: …) wird in Ziffer 2 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
15
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig gewesen sei. Bei der gesetzlichen Regelung des Art. 80 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG handele es sich nicht um ein „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ dergestalt, dass die Wahrnehmung des Rechts ohne Bevollmächtigten die Regel sei und die Hinzuziehung die Ausnahme. Maßgeblich sei nach ständiger Rechtsprechung der konkrete Einzelfall. Der gesetzgeberischen Entscheidung liege die Differenzierung zugrunde, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern einzelfallbezogen zu beurteilen sei.
16
Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei es maßgeblich, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Dabei sei auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt kenne der Widerspruchsführer den Sachstand und müsse beurteilen, ob es ihm auf Grund seiner persönlichen Verhältnisse und der Schwierigkeit der Sache zuzumuten sei, das Verfahren selbst zu führen.
17
Vorliegend sei festzustellen, dass der Kläger sich im Vorfeld der Entscheidung bezüglich des erlassenen Rückforderungsbescheides ausführlich geäußert habe. Er habe ausführlich dargelegt, warum seine Ausbildung nicht mangels Ernsthaftigkeit gescheitert sei, sondern er die prüfungsrelevanten Themen regelmäßig bearbeitet habe und sich auf die Zwischenprüfung vorbereitet habe. Auch habe er ausgeführt, warum er gerade nicht einer Lerngruppe beigetreten sei. Die schlechten Prüfungsleistungen habe er mit seiner Erkrankung sowie dem nachfolgenden Blackout darlegen können. Er habe alle ihm ersichtlichen Argumente dargelegt, weshalb die Beendigung seiner Ausbildung aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund gescheitert sei. Die angeführten Gründe seien alle nachvollziehbar und treffend dargelegt. Bei Erhalt des Rückforderungsbescheides vom 12. Dezember 2019 habe er erkennen müssen, dass seine Darlegung von Gründen kaum Berücksichtigung gefunden habe. Ausgehend von dieser Sachlage habe er davon ausgehen dürfen, dass seine Argumente im Widerspruchsverfahren nicht ausreichen würden, um gegen diesen mit Erfolg vorzugehen. Die Kenntnis der strukturellen Zusammenhänge des Art. 75 Abs. 2 BayBesG sowie der diesbezüglich ergangenen Auflage mit Zweckbestimmung sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung, wann die vorzeitige Beendigung der Ausbildung der Sphäre des Auszubildenden zuzuordnen sei, könne von dem maßgeblichen „vernünftigen Bürger mit vergleichbarem Kenntnisstand“ nicht verlangt werden. Daran ändere auch die Vorbildung, unter anderem das begonnene Studium der Rechtswissenschaften, nichts. Im Grundstudium dieses Studiengangs werde keinesfalls Beamtenrecht im Allgemeinen sowie Besoldungsrecht im Speziellen gelehrt, dies erfolge allenfalls im Schwerpunktstudium frühestens ab dem 6. Semester. Auch Kenntnisse „verwaltungsrechtlicher Verfahren“ im Allgemeinen versetzten den Kläger nicht in die Lage, die komplexen Zusammenhänge der Rückforderung zu beurteilen und ohne anwaltlichen Beistand angemessen das Widerspruchsverfahren zu führen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der Kläger auf Grund seiner schweren Krankheit, die mit Attest vom 16. Mai 2017 belegt worden sei, nach seinen persönlichen Verhältnissen - abweichend vom durchschnittlichen, vergleichbaren Widerspruchsführer - gerade nicht in der Lage gewesen sei, das Widerspruchsverfahren ohne Beistand zu führen.
18
Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2020 berichtigte die Bevollmächtigten des Klägers die Klagebegründung dahingehend, dass der Kläger vor seiner Ausbildung in der Finanzverwaltung kein Jurastudium, sondern ein BWL-Studium begonnen habe. Auf Anfrage des Gerichts teilten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 11. November 2020 mit, dass auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werde und mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin Einverständnis bestehe.
19
Der Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und erklärte sein Einverständnis mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter.
20
Des Weiteren wurde zum Schriftsatz vom 30. September 2020 der Bevollmächtigten erwidert, dass der Feststellung der Bevollmächtigten des Klägers, dass sich der Kläger vor Erlass des Rückforderungsbescheides ausführlich geäußert habe und alle ersichtlichen Argumente vorgelegt habe, entgegenzutreten sei, da nicht erst im Widerspruchsverfahren die Argumente des Klägers ausreichend gewürdigt worden seien, sondern bereits auf Seite 2 des Rückforderungsbescheides vom 12. Dezember 2019 auf den Vortrag des Klägers, dass er während der Zwischenprüfung erkrankt sei, ausführlich eingegangen worden sei. Aus der damaligen Aktenlage sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Leistung des Klägers in der Zwischenprüfung auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen gewesen sei. Der Kläger selbst habe vor Erlass des Rückforderungsbescheides vom 12. Dezember 2019 in seinem Schreiben vom 28. November 2019 die Krankheit zum Zeitpunkt der Zwischenprüfung und die Notwendigkeit der Wiederholung der Prüfung vorgetragen. Die attestierte Prüfungs- und Studierunfähigkeit sowie eine dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung - auch im Zeitpunkt der Wiederholungsklausuren und während der Ausbildungszeit am Finanzamt … - habe der Kläger damals nicht vorgetragen. Der Kläger habe im Rahmen der Anhörung vor Erlass des Rückforderungsbescheides vielmehr angegeben, mit viel Elan und Engagement in den Bezirken seine Aufgabe erfüllt zu haben. Die Aussage sei durch die Stellungnahme des Ausbildungsleiters widerlegt worden. Der Vortrag des Klägers sei insofern insgesamt nicht als glaubwürdig einzustufen gewesen, so dass auch davon ausgegangen habe werden können, dass die auf Grund der besonderen Prüfungssituation vorgebrachten psychischen Probleme nicht derart gravierende gesundheitliche Probleme gewesen seien, dass sie trotz der Möglichkeit der Teilnahme an den Wiederholungsklausuren Einfluss auf die Leistung des Klägers in den Prüfungen als auch im Ausbildungsfinanzamt gehabt hätten und im Vergleich zu der üblichen Prüfungsbelastung hervorstechen würden. Auf Grund der Möglichkeit der Teilnahme an den Wiederholungsklausuren im gesunden Zustand sei es zum Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheides nicht plausibel gewesen, dass der Kläger die Zwischenprüfung wegen gesundheitlicher Probleme derart unzureichend habe bearbeiten können. Es habe von Krankheitssymptomen während des ersten Prüfungstermins der Zwischenprüfung ausgegangen werden müssen und nicht von einer dauerhaften psychischen Erkrankung mit einer darauffolgenden attestierten Prüf- und Studierunfähigkeit, welche Auswirkungen auf die Wiederholungsklausuren und die Ausbildung am Finanzamt … hätten haben können, da der Kläger die Möglichkeit der Teilnahme an den Wiederholungsklausuren gehabt habe und keine Krankheit für diesen Zeitpunkt vorgetragen habe. Zudem sei jeder Prüfling einem gewissen Prüfungsdruck ausgesetzt, weshalb eine dadurch verursachte psychische Belastung - ähnlich wie Prüfungsangst - nicht als derartige gesundheitliche Einschränkung angesehen werden könne, welche einen Abbruch der Ausbildung vertreten würde.
21
Erst mit Schriftsatz vom 7. Juli 2020 hätten die Bevollmächtigten des Klägers vorgetragen, dass das Verhalten des Klägers auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen sei und hätten ein ärztliches Attest vom 16. Mai 2017 vorgelegt, in welchem dem Kläger bestätigt worden sei, dass er an einer schweren Krankheit mit chronischem Verlauf leide und ihm aus diesem Grund eine Prüf- und Studierunfähigkeit bescheinigt worden sei. Darauf stütze und rechtfertige die Bevollmächtigte auch sein Verhalten, während der Ausbildung beim Finanzamt …, welches als müde, unkonzentriert, uninteressiert, nicht sehr leistungsfähig und überfordert beschrieben worden sei.
22
Im Widerspruchsverfahren seien in Bezug auf die Krankheit neue Informationen übermittelt worden, welche die Sachlage in der Gesamtschau verändert hätten. Dieser neue Tatsachenvortrag, nämlich die Vorlage des Attests und die Angabe, dass der Kläger an einer schweren Krankheit mit chronischem Verlauf leide, welche sowohl seine Prüfungsleistungen als auch seine Leistungen im Ausbildungsfinanzamt beeinflusst hätten, habe zu dem Ergebnis geführt, dass zugunsten des Klägers davon ausgegangen werde, dass er die Ausbildung aus einem nicht von ihm zu vertretenden Grund, nämlich aus gesundheitlichen Gründen, habe beenden müssen. Sowohl die negative Leistungseinschätzung des Klägers seitens des Ausbildungsfinanzamtes als auch die schlechte Klausurleistung sei auf die psychischen Probleme zurückzuführen. Der Kläger hätte insofern durchaus selbst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bzw. schon im Rahmen der Anhörung vortragen können, dass eine psychische Erkrankung im Jahr 2017 attestiert worden sei, welche auch Rückschlüsse auf seine Leistungen im Jahr 2016 zulasse. Vielmehr habe er jedoch von einer prüfungsbedingten Drucksituation - welcher jeder Prüfling ausgesetzt sei - und einer Aufgabenerledigung im Rahmen der Ausbildung mit viel Elan und Engagement, was sich angesichts der Stellungnahme des Ausbildungsleiters des Finanzamtes … als unzutreffend herausgestellt habe, gesprochen.
23
Würde man der Argumentation der Bevollmächtigten folgen, so wäre die Zuziehung im Rahmen eines jeden Widerspruchsverfahrens nötig, bei welchem der Widerspruchsführer - wie rechtlich vorgesehen und üblich - vorher angehört worden sei und ein Bescheid zu seinen Lasten erlassen worden sei. Dem sei aber gerade nicht so, wie sich aus der Rechtsprechung in der Kostenentscheidung und aus dem Schriftsatz vom 30. September 2020 ergebe.
24
Mit Beschluss vom 5. Januar 2021 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
25
Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2021 verwies die Bevollmächtigte des Klägers nochmals auf den bisherigen Sachvortrag und betonte, dass aufgrund der komplexen Rechtslage im Zusammenhang mit der beamtenrechtlichen Regelung des Art. 75 Abs. 2 BayBesG nicht davon habe ausgegangen werden können, dass der Kläger ohne Rechtsbeistand habe einschätzen können, welche Tatsachen er vortragen könne und müsse, insbesondere im Hinblick auf seine Persönlichkeitsrechte, die durch die Offenlegung der Krankheit tangiert seien.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

27
Über den Rechtsstreit konnte durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsätzen vom 12. Oktober 2020 und 9. November 2020 und der Beklagte mit Schriftsätzen vom 30. September 2020 und 8. Dezember 2020 zugestimmt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
28
Die zulässige Klage ist begründet.
29
Dabei ist der Klageantrag im Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 dahingehend auszulegen, dass lediglich Satz 2 der Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2020 aufzuheben ist, nicht aber die Kostengrundentscheidung der Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides. Die Bevollmächtigte des Klägers machte diesbezüglich in allen Schriftsätzen deutlich, dass lediglich die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren angegriffen werde, nicht aber die Entscheidung, dass der Freistaat Bayern die Kosten des Widerspruchsverfahrens trage.
30
Der Kläger hat Anspruch darauf, den Beklagten unter Aufhebung der Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 zu verpflichten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären. Die in Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern insoweit getroffene Ablehnungsentscheidung konnte daher keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 79 Abs. Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
31
Mit der Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Widerspruchsverfahrens hat der Beklagte zugleich darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war (Art. 80 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG).
32
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, U.v. 28.4.2009 - 2 A 8.08 - NJW 2009, 2968 = BayVBl 2009, 735; B.v. 21.8.2003 - 6 B 26.03 - NVwZ-RR 2004, 5; B.v. 14.1.1999 - 6 B 118.98 - NVwZ-RR 1999, 357). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt (BVerwG, B.v. 27.2.2012 - 2 A 11/08 - juris Rn. 5).
33
Aus dem Begriff der „Notwendigkeit“ der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Insoweit ist nicht das Begriffspaar „Regel/Ausnahme“ maßgeblich, sondern vielmehr die gesetzgeberische Differenzierung, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist (BVerwG, B.v. 21.12.2011 - 1 WB 51/11 - juris Rn. 19 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 15.9.2005 - 6 B 39.05 - Buchholz 448.0 § 17 WPflG Nr. 12 und B.v. 1.6.2010 - 6 B 77.09 - juris Rn. 6).
34
Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (BVerwG, B.v. 21.8.2018 - 2 A 6/15 - juris Rn. 5).
35
Dem entsprechend konnte es von dem Kläger zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung nicht erwartet werden, das Vorverfahren selbst zu führen.
36
Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger in Hinblick auf die Höhe des Rückforderungsbetrages von 8.776,20 EUR und wegen der Schwierigkeit der Rechtsmaterie, die sich für das Gericht aus der Kombination von Auflagen nach Art. 75 Abs. 2 BayBesG und der Verweisung des Art. 15 Abs. 2 BayBesG auf die Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung ergibt, war es dem Kläger nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen.
37
Eine Änderung dieser Bewertung ist auch nicht unter Berücksichtigung, dass der Kläger seit 1. Oktober 2015 eine Ausbildung für die Dritte Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Verwaltung und Finanzen mit dem fachlichen Schwerpunkt Steuer absolviert hat, veranlasst, denn aufgrund des erst einige Monate andauernden Fachhochschulstudiums konnten vertiefte Kenntnisse des Beamtenrechts beim Kläger nicht vorausgesetzt werden. Ansonsten würde die Annahme, dass ein Beamter aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse grundsätzlich in der Lage sein müsse, ein Vorverfahren selbst zu führen, zur Folge haben, dass bei einem Rechtsstreit eines Beamten über bzw. anlässlich seines Beamtenverhältnisses grundsätzlich nie die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 3 BayVwVfG bzw. § 162 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorliegen könnten. Diese Annahme steht jedoch schon nicht in Einklang mit der Rechtsprechung, dass z.B. bei der Anfechtung einer Regelbeurteilung die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren in der Regel nicht unvernünftig ist (BVerwG, U.v. 28.4.2009 - 2 A 8/08 - juris Rn. 21).
38
Letztlich musste sich dem Kläger auch nicht aufdrängen, dass für eine für ihn positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren alleine eine nochmalige Darstellung oder Vertiefung des Sachverhaltes oder die Vorlage von Unterlagen ausreichen könnte. Denn dann wäre die Zuziehung eines Bevollmächtigten gerade nicht notwendig gewesen (Neumann/Schaks in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 162 Rn. 103).
39
Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 28. November 2019 zum einen vorgetragen, dass er während des ersten Ableistens der Zwischenprüfung erkrankt sei und dabei an bereits seit vielen Jahren aufgetretenen, plötzlichen Kopfschmerzen gelitten habe, und zum anderen, dass er wegen dieser plötzlichen Kopfschmerzen und der besonderen Prüfungssituationen extreme psychische Probleme bekommen habe, die ihn in seinem Anschlussstudium im Sommersemester 2017 zu einem Krankheitssemester gezwungen hätten. Insoweit wurden gerade auch die Argumente, die letztlich die Aufhebung des Rückforderungsbescheides durch den Beklagten getragen haben, durch den Kläger - wenn auch knapp - bei der Anhörung vorgetragen.
40
Jedoch berücksichtigte der Beklagte im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 diese Einlassungen nur insoweit, dass festgestellt wurde, dass dem Kläger wegen der Erkrankung im ersten Termin der Zwischenprüfung 2016 ein Wiederholungstermin zugebilligt worden sei, allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass der Kläger bei dem Wiederholungstermin gesundheitliche Probleme gehabt habe und dass die in den Klausuren erzielten Leistungen auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen seien.
41
Aufgrund dieser Feststellungen im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 durfte der Kläger davon ausgehen, dass der Beklagte die gesundheitlichen Gründe gerade nicht ausreichen lassen würde, um von einer Rückforderung abzusehen. Obwohl der Kläger in seinem Schreiben vom 28. November 2019 im Jahr 2017 zur Studierunfähigkeit führende psychische Probleme ausdrücklich erwähnt hatte, kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Widerholungsprüfung keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme vorlägen.
42
Aber auch die nachträgliche Erkenntnis, dass bereits die Vorlage des ärztlichen Attestes vom 16. Mai 2017 im Widerspruchsverfahren zur Aufhebung des Rückforderungsbescheides veranlasst hat, lässt die Notwendigkeit, einen Bevollmächtigten zuzuziehen, nicht entfallen. Denn zum einen ist maßgeblich für die Beurteilung der Notwendigkeit der Zeitpunkt der Bevollmächtigung, zum anderen war für den Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar, dass die Vorlage des Attestes ausreichend sein könnte, um eine positive Entscheidung für ihn zu erreichen. Zwar kann von einem in der öffentlichen Verwaltung tätigen Kläger erwartet werden, dass ihm bekannt ist, dass ein Sachvortrag auch durch die Vorlage von Belegen und Nachweisen untermauert wird, allerdings hat der Beklagte nicht zu erkennen gegeben, dass für das Absehen von einer Rückforderung die Vorlage eines Nachweises über eine psychische Erkrankung ausreichen würde. So hat der Beklagte im Rückforderungsbescheid ausschließlich darauf verwiesen, dass keine Anhaltspunkte auf gesundheitliche Probleme zum Zeitpunkt der Wiederholungsprüfung bestünden, nicht aber darauf, dass die Erkrankung nicht ausreichend nachgewiesen sei.
43
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
44
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
45
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124, § 124a VwGO).