Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 09.08.2021 – RO 4 K 18.32906
Titel:

Erfolglose Klage gegen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft wegen Vergewaltigung

Normenketten:
AsylG § 34 Abs. 4, § 73 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 8
Leitsatz:
Bei der Frage, welche Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen sind, ist kein zu strenger Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen und ist keine "hinreichend sichere Gefahr" der Begehung gleichartiger Straftaten von entsprechendem Gewicht zu fordern. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen Vergewaltigung, Prognosemaßstab, Flüchtlingseigenschaft, Widerruf, Vergewaltigung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 24523

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingsanerkennung.
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Der am …1977 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit. Nachdem er aufgrund von Schwierigkeiten mit der iranischen Regierung 2005 nach Syrien geflüchtet war, reiste er am 7.9.2011 erstmals nach Deutschland ein. Am 15.9.2011 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
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Mit Bescheid vom 09.08.2013 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
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Mit seit 13.10.2016 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Amberg vom 22.6.2016 wurde der Kläger wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 184 h Nr. 1 Strafgesetzbuch - StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Kläger die spätere Geschädigte am 15.6.2015 am Busbahnhof Schwandorf angesprochen und nach dem Weg zum Marktplatz gefragt hatte. Als sie ihm diesen zeigen wollte, schubste er sie an einer Stelle mit Bänken ins Gebüsch und versuchte, sie auf den Mund zu küssen, griff er ihr unter das T-Shirt an den nackten Busen und langte mit einer Hand von oben in ihre Hose. Dabei führte er für einen kurzen Moment einen Finger ein kleines Stück in ihre Scheide ein, bis ihn die Geschädigte wegschubsen konnte.
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Mit Bescheid vom 1.3.2018 wies das Landratsamt Sch. den Kläger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte die Verlängerung seines Aufenthaltstitels ab.
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Mit Bescheid vom 28.06.2018 befristete das Landratsamt Sch. die Wirkung der Ausweisungsverfügung auf die Dauer von sieben Jahren.
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Im Bericht der Justizvollzugsanstalt St. G.-B. vom 22.01.2018 wird Folgendes ausgeführt:
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Der Gefangene ist iranischer Staatsbürger, die Muttersprache des Herrn … … ist Persisch, Iranisch und Farsi. Eine Verständigung auf Deutsch ist unzureichend, zur besseren Verständigung wird ein Dolmetscher für die Sprache Farsi empfohlen. … Herr … … wurde am 10.10.2015 festgenommen und von der Justizvollzugsanstalt A. zugeführt; seit dem 20.10.2016 befindet er sich in der hiesigen Justizvollzugsanstalt.
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Von dem mit ihm befassten Stations- und Betriebsbediensteten wird er als ruhig, höflich, taktvoll, respektvoll, hilfsbereit, verträglich, freundlich und sehr sauber beurteilt.
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Dem Gefangenen wurde im September 2017 eine Tätigkeit in der anstaltseigenen Wäscherei zugewiesen, wo er seither gut durchschnittliche Arbeitsleistungen erbringt sowie freiwillig Überstunden leistet.
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Die Gesamtführung verläuft bisher beanstandungsfrei.
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Vollzugsöffnende Maßnahmen wurde nicht gewährt.
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Der Gefangene hat aus eigenem Verschulden den Deutschkurs in der ihm zugewiesenen Asylbewerberunterkunft nicht beendet, weil er parallel dazu bei einer Leihfirma arbeiten ging.
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Er hat sich für einen Integrationskurs in der hiesigen Anstalt beworben.
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Laut der zuständigen Lehrkraft setzt eine Teilnahme voraus, dass dem Gefangenen vom Ausländeramt ein Bleiberecht eingeräumt wird. Dann könnte er gegen Ende der bereits laufenden Maßnahme, voraussichtlich im Juni 2018, teilnehmen, da von der vor der Haft begonnenen Maßnahme noch 100 Unterrichtseinheiten zur Verfügung stünden.
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Aufgrund der Erkenntnisse aus dem Urteil und einem Gespräch mit dem Gefangenen erschien eine sozialtherapeutische Behandlung prinzipiell indiziert, da es sich um ein Zufallsopfer handelt und die Tat u. a. einen impulsiven Charakter aufweist.
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Der Gefangene zeigte sich im Explorationsgespräch im Dezember 2016 zunächst schulduneinsichtig, räumte Monate später aber zumindest Teilsequenzen aus dem Urteil ein. Auffällig waren seine Bagatellisierungstendenzen und Externalisierung der Schuld.
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Eine Verständigung in Deutsch ist grob möglich, dürfte jedoch für eine intensive Therapie keineswegs ausreichend sein.
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Der Gefangene wurde deswegen am 24.11.2016 in den Wohngruppenvollzug für Sexualstraftäter, eine Abteilung mit niederschwelligem Therapieangebot, verlegt.
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Im Zeitraum vom 05.06.2017 bis zum 25.07.2017 nahm er an der therapievorbereitenden Maßnahme, sogenannte Motivationsgruppe, teil und konnte in weiterführende therapeutische Maßnahmen vermittelt werden.
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Seit 10.08.2017 nimmt er an der Straftataufarbeitungsgruppe mit besonderem Förderbedarf, die sich aus einem Delikt unspezifischem und einem Delikt spezifischem Teil zusammensetzt, teil. Bei diesem Behandlungsprogramm für lernbehinderte Sexualstraftäter (BPS) handelt es sich um eine strukturierte Gruppenbehandlung der Sexualdelinquenz auf der Grundlage der kognitiv-behavioralen Therapie. Es gliedert sich in einen Delikt unspezifischen und einen Delikt spezifischen Teil. Zielsetzung der Maßnahme ist die Aufrechterhaltung der Therapiemotivation, Tatverarbeitung, verhaltenstherapeutische Analyse der Entstehungsbedingungen, Training der sozialen Kompetenz in Verbindung mit Aufbau von Problemlösungsstrategien, Ich-Störung, Sexualedukation, Erarbeitung des sozialen Empfangsraums und Förderung des Helferkreises.
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Der Gefangene ist zwar bemüht, den behandelnden Themen zu folgen, allerdings ist fraglich, inwieweit er tatsächlich sprachlich versteht und insgesamt von der Therapie profitiert.
23
Aufgrund der fraglichen Motivation sowie der mangelnden sprachlichen Befähigung ist eine weitere Entwicklung im Delikt spezifischen Teil jedoch abzuwarten.
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Eine Suchtproblematik ist nicht erkennbar.
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Der Gefangene erhielt bisher keinen Besuch, es sind keine tragfähigen sozialen Bindungen vorhanden.
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Seit Mai 2017 ist er für die ehrenamtliche Gruppe Kontakt i.V. genehmigt, die einmal wöchentlich stattfindet.
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Der Verurteilte berichtet, im Heimatland verheiratet zu sein.
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Die Entlassungssituation und Sicherung des Lebensunterhalts betreffend macht der Verurteilte keine konkreten Angaben. Bei der von ihm angeführten Adresse handelt es sich um ein vom zuständigen Ausländeramt zugewiesenes Zimmer in der Asylbewerberunterkunft zum Zeitpunkt der Straffälligkeit.
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Eine günstige Sozialprognose ist aufgrund der nicht aufgearbeiteten Straftaten, der ungeklärten ausländerrechtlichen Situation in Verbindung mit dem Fehlen sozialer Bindungen im Bundesgebiet und der nicht ausreichend bearbeitenden Alkoholproblematik nicht erkennbar.
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Von hiesiger Stelle wird eine Aussetzung des Strafrechtes zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB keinesfalls befürwortet.
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Unter dem 22.10.2018 erließ das Bundesamt folgenden Bescheid:
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1. Die mit Bescheid vom 09.08.2013 (Az.: 5505428-439) zuerkannte Flüchtlingseigenschaft wird widerrufen.
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2. Der subsidiäre Schutzstatus wird nicht zuerkannt.
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3. Das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes liegt hinsichtlich Iran vor.
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Zur Begründung stützte sich das Bundesamt auf § 73 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 zweite Alternative Aufenthaltsgesetz - AufenthG, wonach die Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen sei, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, weil er wegen eines Verbrechens oder wegen eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei. Die rechtskräftige Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe führe zwar nicht automatisch zu einem Ausschluss von der Feststellung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, vielmehr müssten darüber hinaus im Einzelfall schwerwiegende Gründe für die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr vorliegen. Eine konkret drohende Wiederholungsgefahr sei vorliegend aber zu bejahen. Dabei sei zunächst die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend seien, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt hätten, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft seien. Weiterhin rechtfertigten die Ausführungen in der Urteilsbegründung des Landgerichts Amberg die Annahme, dass der Kläger eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Aus dem Urteil werde dahingehend ersichtlich, dass der Kläger bei der Ausführung der Tat sein Opfer zufällig ausgesucht und aus der Gelegenheit heraus tätig geworden sei. Er habe dabei die Gutmütigkeit der Geschädigten ausgenutzt. Ihm sei bewusst gewesen, dass die Handlungen gegen den Willen der jungen Frau erfolgt seien, die sich gegen sein Handeln gewehrt habe. Aus dem Urteil werde ersichtlich, dass der Kläger ohne jegliche Zurückhaltung vorgegangen sei, wobei unerheblich sei, ob das Maß der Gewaltanwendung - wie vom Bevollmächtigten des Klägers argumentiert werde - nicht allzu groß gewesen sei. Die Geschädigte habe zumindest zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch unter den Folgen der Tat gelitten und gemäß den Ausführungen des Gerichts Albträume und Angst, im Dunkeln rauszugehen. Aus dem Bericht der JVA B. - St. Georgen werde vielmehr auch ersichtlich, dass der Kläger zwar Teilsequenzen aus dem Urteil eingeräumt habe, es werde jedoch auch auf seine Bagatellisierungstendenzen und die Externalisierung der Schuld verwiesen. Dies verdeutliche, dass sich der Kläger dem Unrecht seiner verwerflichen Tat und den schwerwiegenden Folgen für die Geschädigte nicht bewusst sei und sich während seines mehr als siebenjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht mit den hierzulande geltenden kulturellen und gesellschaftlichen Werten und Normen auseinandergesetzt habe. Hinsichtlich der therapeutischen Betreuung sei darauf zu verweisen, dass sich der Kläger zwar bemühe, den Themen zu folgen, es werde jedoch auch auf die fragliche Motivation des Ausländers verwiesen. Die durch die JVA B. beschriebenen Verhaltensweisen sowie die durch das Urteil des Landgerichts Amberg zum Ausdruck gekommene kriminelle Energie und das Gewicht der bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgüter rechtfertigten somit für sich bereits die Annahme, dass auch weiterhin von einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Die Wiederholungsgefahr ergebe sich zudem auch daraus, dass gerade bei Sexualstraftätern eine sehr hohe Rückfallwahrscheinlichkeit gegeben sei.
36
Der Kläger sei auch von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen, da schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass er eine schwere Straftat begangen habe und damit der Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Asylgesetz erfüllt sei.
37
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 20.11.2018 Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erhoben.
38
Er lässt vortragen, dass die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Wertung im Ergebnis rechtsfehlerhaft sei. Die Behauptung, wonach bezüglich des Klägers "eine konkret drohende Wiederholungsgefahr für Straftaten vergleichbarer Schwere zu bejahen sei" sei eine Frage, die über ein Gutachten zu klären sei. Die gegenteilige Behauptung der Beklagten sei spekulativ. Ein Prognosegutachten sei bisher weder im Verfahren wegen Ausweisung noch im Strafvollstreckungsverfahren eingeholt worden. Die Berichte der JVA seien für den Kläger günstig. Er nehme an einem Deutschkurs teil. Der Kläger habe seine Therapie mit dem Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter in der JVA B. planmäßig abgeschlossen. Der Abschlussbericht hierzu werde nachgereicht. Vorsorglich werde die Einholung eines psychiatrischen/psychologischen Prognosegutachtens beantragt zum Beweis dafür, dass beim Kläger für Sexualdelikte heute ebenso wie für andere Delikte kein gegenüber der Allgemeinbevölkerung kein erhöhtes Delinquenzrisiko bestehe.
39
Er verweist weiter darauf, dass nach einem Bericht des Bewährungshelfers vom 16.02.2021 sich der Kläger im Umgang mit Terminen und Weisungen sehr zuverlässig gezeigt habe.
40
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2018 in Nrn. 1 und 2 aufzuheben.
41
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
42
Der Kläger wurde am 9.10.2019 aus der Strafhaft entlassen.
43
Mit Beschluss vom 23.07.2019 wurde durch das Landgericht Bayreuth entschieden, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt.
44
Nach Angaben seines Bevollmächtigten ist der Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Amberg wohnhaft.
45
Aus dem Bericht des Bewährungshelfers beim Landgericht Amberg vom 16.2.2021 ergibt sich, dass der Kläger von Oktober bis Dezember einen Job bei … in … gehabt, aber wegen Auftragsmangel eine Kündigung erhalten hat. Aktuell beziehe er wieder Arbeitslosengeld II. Er zeige sich bislang sehr zuverlässig im Umgang mit Terminen und Weisungen. Bewährungsrelevante Probleme seien nicht bekannt geworden.
46
Einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15.6.2021 abgelehnt.
47
Für den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Behördenakten des Bundesamts sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

48
I. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
49
Rechtsgrundlage für den von dem Kläger angefochtenen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Das ist aufgrund der seit dem 13.10.2016 rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Amberg vom 26.01.2017 wegen Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren der Fall.
50
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Abs. 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzung des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG ist danach, dass dieser keine Versagungsgründe entgegenstehen.
51
§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG knüpft daran an, dass der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.
52
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren allerdings nur dann zum Ausschluss eines Abschiebungsverbots, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird. Dies ist der Fall, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Bei dieser Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und seine Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einer hohen Wiederholungsgefahr verknüpft sind (U. v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris - BVerwGE 112, 185 zu der Vorgängerregelung § 51 Abs. 3 AuslG; B. v. 12.10.2009 - 10 B 17.09, juris).
53
Aus der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich indes auch, dass bei der Frage, welche Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen sind, kein zu strenger Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen ist (vgl. hierzu auch HessVGH, U.v. 10.8.2011 - 6 A 95/10.A, juris) und nicht eine "hinreichend sichere Gefahr" der Begehung gleichartiger Straftaten von entsprechendem Gewicht zu fordern sei. Der Prognosemaßstab, dass es genüge, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungs- oder Rückfallgefahr vorliege, also eine Gefahr durch neue vergleichbare Straftaten ernsthaft drohe, genüge angesichts der vorausgesetzten hohen Mindeststrafe auch den aus Art. 16a GG folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine weitergehende Beschränkung des Anwendungsbereichs durch einen strengeren Prognosemaßstab sei auch im Hinblick auf die in letzter Konsequenz mögliche Abschiebung eines politisch Verfolgten in den Verfolgerstaat nicht geboten, weil bei Abwägung des Schutzinteresses des politisch Verfolgten und des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zu berücksichtigen sei, dass der politisch Verfolgte, sofern ihm Gefahren im Heimatstaat drohten, auch bei Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 51 Abs. 3 AuslG (jetzt § 60 Abs. 8 AufenthG) nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben werden dürfe (BVerwG, U. v. 16.11.2000, a.a.O.).
54
In Anwendung der dargestellten Maßstäbe ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr besteht.
55
Vorliegend sprechen zunächst die auf die Straftat bezogenen Kriterien für die eine Wiederholungsgefahr bejahende Prognose.
56
Beim Tatbestand der Vergewaltigung handelt es sich um eine schwere Straftat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung ist hoch anzusetzen. Auch liegt die Höhe der im konkreten Fall gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren nicht nur knapp über der gesetzlichen Mindeststrafe von drei Jahren für die Anwendung von § 60 Abs. 8 AufenthG. Nicht entkräften kann diese Wertung das Vorbringen des Klägervertreters, der meint, dass das Strafmaß sehr hoch ausgefallen sei, da das Maß der Gewaltanwendung gering gewesen sei. Ungeachtet dessen, dass die Umstände der Strafzumessung im strafgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachvollzogen werden können, ergibt sich aus den Urteilsgründen des Urteils des LG Amberg zudem, dass dieses im Rahmen der Strafzumessung bereits berücksichtigt hat, dass das Maß der Gewaltanwendung nicht allzu groß war. Es hat dem jedoch strafschärfend gegenübergestellt, dass die durch die Tat Geschädigte eine für den Kläger völlig fremde Person war, die ihm zudem eine Gefälligkeit erwiesen hatte, was durch den Kläger ausgenutzt worden sei. Strafschärfend hat das Landgericht zudem berücksichtigt, dass die Geschädigte der Tat - für den Kläger vorhersehbar - zur Zeit des Urteils noch an den Folgen der Tat gelitten habe,. Albträume habe, nachts schreiend aufwache und Angst habe, im Dunkeln rauszugehen. Angesichts dessen kann das entscheidende Gericht keine tatbezogenen Merkmale erkennen, die Zweifel an der Prognose der Widerholungsgefahr wecken könnten.
57
Auch die auf die Persönlichkeit und das Nachtatverhalten des Klägers bezogenen Kriterien bestätigen dieses Ergebnis.
58
Insoweit ist zunächst auf den in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 23.7.2019 - StVK 142/18 zu verweisen, mit welchem entschieden wurde, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt. Dort ist ausgeführt, dass der Kläger zwar an therapievorbereitenden Maßnahmen habe teilnehmen und in weiterführende therapeutische Maßnahmen habe vermittelt werden können und er an einer Deliktaufarbeitungsgruppe für Sexualstraftäter mit besonderem Förderungsbedarf teilgenommen habe. Es sei aber unklar, ob der Kläger die behandelten Themen tatsächlich sprachlich verstanden und von der Therapie habe profitieren können. Aufgrund seiner sprachlichen Fähigkeiten sei die Mitarbeit dürftig gewesen und er habe der Therapie aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse kaum folgen können. Zudem habe der Kläger sowohl im deliktsunspezifischen als auch im deliktsspezifischen Teil des Behandlungsprogramms für Sexualstraftäter Bagatellisierungstendenzen gezeigt. Eine Delikthypothese sowie ein individueller Rückfallplan hätten nicht erarbeitet werden können. Ein Erkennen zukünftiger Risikosituationen sowie der Einsatz entsprechender rückfallpräventiver Strategien bleibe daher fraglich. Es könne nicht von einer erfolgreich beendeten Therapie ausgegangen werden. Weiterhin sei die Führung des Klägers in der Haft nicht beanstandungsfrei gewesen. Er habe bislang dreimal disziplinarisch geahndet werden müssen. Aufgrund wiederholten vollzuglichen Fehlverhaltens und fehlender Therapiefortschritte sei er aus der Wohngruppe für Sexualstraftäter abgelöst worden. Zudem sei die Entlassungssituation des Klägers ungesichert. Nach der Haftentlassung könne er wieder in einer Asylbewerberunterkunft wohnen, was jedoch kein ausreichend protektives soziales Umfeld darstelle. Auch verfüge er nicht über soziale Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland. Des Weiteren wird ausgeführt, dass die Höchstdauer der Führungsaufsicht zumindest vorerst nicht abzukürzen gewesen sei, weil derzeit nicht abgesehen werden könne, dass die vom Verurteilten ausgehende Gefährlichkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr vorliegen werde. Die Straftat sei noch nicht aufgearbeitet, was die Begehung erneuter einschlägiger Straftaten befürchten lasse.
59
Auch in der Folgezeit nach der Haftentlassung des Klägers am 9.10.2019 sind keine neuen Erkenntnisse eingetreten, welche die Prognose einer konkreten Wiederholungsgefahr in Frage stellen könnten.
60
Insbesondere ist das vom Klägervertreter vorgelegte Schreiben des Bewährungshelfers des Klägers vom 5.8.2021, wonach sich der Kläger seit Bewährungsbeginn "sehr zuverlässig und weisungskonform" zeige, seine Lebenssituation geordnet sei und neue Straftaten nicht bekannt geworden seien, nicht geeignet, die Hinweise auf eine konkrete Wiederholungsgefahr zu entkräften. So hat der Kläger auf Frage des Gerichts eingeräumt, dass er den Bewährungshelfer seit ungefähr zwei Jahren kenne und ihn lediglich einmal im Monat für einen Zeitraum von einer halben bis einer Stunde sehe. Auch wenn man, wie vom Klägervertreter dargelegt, davon ausgeht, dass es sich um einen erfahrenen Bewährungshelfer handle, der seinen Beruf seit 20 Jahren ausübe, bleibt doch festzuhalten, dass es letztlich um einzelne punktuelle Treffen handelt, die nicht geeignet sind, die zahlreichen anderslautenden Indizien zu entkräften. Hinzu kommt, dass das Schreiben selbst darauf hinweist, dass der Kläger noch immer als Risikotäter geführt wird und lediglich unkonkret in Erwägung zieht, dass über eine Aufhebung des Risikostatus "nachgedacht" werden könne.
61
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Vorbringen, der Kläger arbeite. Zum einen erachtet das Gericht dies als den Regelfall, zum anderen erlaubt es keinen unmittelbaren Rückschluss auf das Risiko, Sexualstraftaten zu begehen.
62
Ungeeignet ist auch der Verweis des Klägers, er beabsichtige, seine Frau nach Deutschland zu holen. Insoweit erachtet das Gericht die Argumentation des Klägervertreters, eine in Deutschland lebende Ehefrau biete Gewähr dafür, dass der Kläger keine Straftaten im sexuellen Bereich mehr begehe, als überaus fragwürdig.
63
II. Der Kläger kann auch nicht die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG beanspruchen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Abs. 1 der Vorschrift ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Das ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, aufgrund der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Amberg vom 22.6.2016 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren der Fall.
64
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG.
65
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.