Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 21.06.2021 – Au 9 K 20.1486
Titel:

Lebensmitteleigenschaft von Nikotin Pouches/Nicopods und ihrer Gesundheitsschädlichkeit 

Normenketten:
LFGB § 2 Abs. 2, § 39 Abs. 2 S. 2
VO (EG) 178/2002 Art. 2, Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 lit. d, lit. g
Leitsätze:
1. Bei Nicopods handelt es sich um Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, von Menschen aufgenommen zu werden (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002). (Rn. 39 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der weitergehende Begriff "Aufnahme" iSd Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 umfasst - entgegen dem in § 3 Nr. 5 LFGB nationalrechtlich definierten Begriff des "Verzehrens" - nicht nur Stoffe, die durch den Mund gezielt dem Magen zugeführt werden, sondern auch Stoffe, die anderweitig - beispielsweise über die Mundschleimhaut - in den Körper eines Menschen gelangen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebensmittelrechtliche Anordnung, Nikotinbeutel, unionsrechtlicher Lebensmittelbegriff, unsicheres Lebensmittel, Verbot des Inverkehrbringens, Rücknahme, lebensmittelrechtliche Anordnung, Tabakprodukt, Nicopods, Lebensmittel, Aufnahme, ARfD-Wert, gesundheitsschädliche Wirkung, Risikobewertung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 23905

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine lebensmittelrechtliche Anordnung, mit der ihr untersagt wird, ein von ihr vertriebenes Nikotinerzeugnis in den Verkehr zu bringen, bzw. mit der sie aufgefordert wird, bereits vertriebene Produkte zurückzunehmen.
2
Die Klägerin ist Händlerin und Importeurin von Tabakprodukten und anderen nikotinhaltigen Erzeugnissen. Seit August 2019 verkauft die Klägerin das Produkt „...“. Bei dem Produkt handelt es sich um sog. „Nicopods“, bei denen es sich um Zellstoffbeutel mit einer Länge von ca. 3,2 cm und einer Breite von ca. 1,3 cm handelt, die mit einer nikotinhaltigen Pflanzenmischung gefüllt sind und in einer Kunststoffdose verkauft werden. Die „Nicopods“ sind für den oralen Gebrauch bestimmt und werden nach Angaben der Klägerin unter die Oberlippe oder in die Wangentasche gelegt und einige Zeit im Mund behalten, bevor sie unzerkaut wieder ausgespuckt werden. Auf diese Weise wird das Nikotin sowohl über die Mundschleimhäute als auch mit dem Speichel über den Magen aufgenommen. Die sog. „Nicopods“ werden in der Regel in Tabakgeschäften und Tankstellen zusammen mit anderen tabak- und nikotinhaltigen Produkten verkauft. Auf der Rückseite der Verpackungsdose der „Nicopods“ mit der Bezeichnung „...“ sind folgende Angaben und Warnhinweise angebracht: „Achtung! Gesundheitsschädlich bei Verschlucken. Nach Gebrauch Hände gründlich waschen. Bei Verschlucken: Bei Unwohlsein Giftinformationszentrum oder Arzt anrufen. Mund ausspülen. Inhalt/Behältnis gemäß lokalen/nationalen Vorschriften der Entsorgung zuführen. Darf nicht in die Hände von Kindern gelangen“. Neben den Warnhinweisen ist ein rotes Warnsymbol mit Ausrufezeichen sowie die Angaben „+ 18“ vorhanden.
3
Mit Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: LGL) vom 23. April 2020 wurde das Produkt „...“ als nicht sicheres Lebensmittel im Sinn der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Feststellung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (VO (EG) 178/2002) eingestuft. Da das Erzeugnis zur oralen Aufnahme durch den Menschen bestimmt sei, handele es sich um ein Lebensmittel im Sinn des § 2 Abs. 2 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) i.V.m. Art. 2 der VO (EG) 178/2002. Danach seien Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt seien oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden könne, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder in unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Wegen des Fehlens von Tabak könne des Produkt nicht als Tabak zum oralen Gebrauch eingestuft werden, der in Deutschland gemäß § 11 Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG) nicht in Verkehr gebracht werden dürfe. Wegen des Fehlens von Tabak bzw. der Konsumation ohne Verbrennungsprozess lasse sich das vorliegende Erzeugnis auch nicht als neuartiges Tabakerzeugnis bzw. pflanzliches Raucherzeugnis einstufen. Das Produkt enthalte zwar Nikotin, einen der wesentlichen Inhaltsstoffe von Tabak, jedoch keinen Tabak selbst. Auch werde es oral konsumiert und nicht geraucht. Somit falle das Erzeugnis nicht in den Anwendungsbereich des Tabakrechts. Nach der durchgeführten toxikologischen Bewertung überschreite die bei oraler Aufnahme eines Portionsbeutels enthaltene Nikotin-Dosis in Höhe von 0,029 mg/kg, 0,070 mg/kg oder 0,140 mg/kg (bei Annahme einer Nikotinfreisetzung von 20%, 50% oder 100%) den von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für den kritischen Endpunkt abgeleiteten ARfD-Wert jeweils erheblich. Damit sei davon auszugehen, dass das Produkt zu einer Schädigung der Gesundheit des Verbrauchers führen könne.
4
Am 24. April 2020 wurde die Klägerin über das Ergebnis der Stellungnahme des LGL informiert und auf die Erforderlichkeit eines Rückrufs des streitgegenständlichen Produkts hingewiesen.
5
In Reaktion auf die Stellungnahme des LGL übersandte die Klägerin ein rechtliches Gutachten, in dem ein ähnliches Produkt nicht als Lebensmittel im Sinne der VO (EG) 178/2002, sondern als ein Verbraucherprodukt eingestuft wird.
6
Mit Schreiben vom 8. Mai 2020 nahm das LGL erneut zu der Frage der Lebensmitteleigenschaft des streitgegenständlichen Produkts Stellung und wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dem im rechtlichen Gutachten beurteilten Produkt nicht um das streitgegenständliche Produkt „...“ handele. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Begriff der „Aufnahme“ im Sinne der VO (EG) 178/2002 nicht mit der im LFGB enthaltenen Definition von „Verzehr“ gleichgestellt werden könne. Der europäische Gesetzgeber habe sich bei der Begriffsdefinition „Lebensmittel“ im Sinn des Art. 2 VO (EG) 178/2002 an eine Legaldefinition für Lebensmittel des Codex-Alimentarius orientiert. Dies werde aus dem Grünbuch der Kommission „Allgemeine Grundsätze des Lebensmittelrechts in der Europäischen Union“ vom 30. April 1997 deutlich, das als Diskussionsgrundlage zur Erstellung der Verordnung gedient habe. Aus den Ausführungen des Grünbuchs der Kommission werde ersichtlich, dass die Begrifflichkeit „Aufnahme durch den Menschen“ bewusst in einem breiten Kontext angelegt worden sei und somit nicht nur auf die Stoffe, die den Magen-Darm-Trakt durchlaufen, beschränkt sei, sondern auch Stoffe/Erzeugnisse erfasse, die durch Mund oder Nase eingenommen würden. Damit seien auch Stoffe umfasst, die nicht verzehrt werden. Die Einbeziehung solcher Stoffe in den Lebensmittelbegriff sei auch nach dem Schutzzweck der Verordnung (EG) 178/2002 geboten. Schließlich sei eine Begriffsbestimmung des nationalen Gesetzgebers (hier „Verzehren“ im Sinne des LFGB) grundsätzlich nicht geeignet, die festgelegte Begriffsbestimmung einer EU-Verordnung in deren vorgesehenem Regelungsgehalt einzuschränken. Für die Begriffsdefinition eines Lebensmittels im Sinne der Verordnung sei daher nicht notwendig, dass die im Mund aufgenommenen Stoffe dem Magen zugeführt werden müssten. Für die Einstufung des Erzeugnisses spiele es auch keine Rolle, wie hoch der Nikotinanteil sei, der aus dem geschluckten nikotinhaltigen Speichel über die Magenschleimhaut resorbiert werde. Die Resorptionsrate von Lebensmittelinhaltsstoffen sei je nach Stoff, Bindungsart und Lebensmittel sehr unterschiedlich. Die vorgenannten Aspekte könnten dahinstehen, da der weit gefasste Begriff des „Aufnehmen durch den Menschen“ in der Definition für Lebensmittel sowohl die Aufnahme im Mund durch die Mundschleimhaut, als auch die Aufnahme der verschluckten Anteile über die Magenschleimhaut einschließe.
7
Mit für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 12. Mai 2020 wurde der Klägerin durch die Beklagte aufgegeben, das Produkt „...“ des Herstellers ... unverzüglich nach den gesetzlichen Vorgaben zurückzurufen. Für den Fall, dass die Klägerin der Aufforderung nicht nachkommt, wurde angekündigt, dass die für die Information der Öffentlichkeit zuständige Behörde - hier das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz - informiert werde.
8
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020 Klage (Az.: Au 9 K 20.846) und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage (Az.: Au 9 S 20.847). Dem Antrag wurde mit Beschluss vom 19. Juni 2020 stattgegeben. Zur Begründung führte das Gericht aus, bei dem Produkt „...“ handele es sich um Lebensmittel im Sinn von Art. 2 VO (EG) 178/2002. Aus der fachlichen Stellungnahme des LGL vom 23. April 2020 gehe hervor, dass die untersuchte Probe des Produkts „...“ wegen seines Nikotingehalts als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicheres Lebensmittel im von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 einzustufen sei. Der angeordnete öffentliche Rückruf des streitgegenständlichen Produkts sei jedoch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar.
9
Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2020 die Anordnung vom 12. Mai 2020 auf und forderte die Klägerin auf, zu den beabsichtigten Anordnungen der Rücknahme und des Verbots des Inverkehrbringens Stellung zu nehmen. Die Klägerin führte abermals aus, dass das Produkt nicht als Lebensmittel einzustufen sei.
10
Nach Aufhebung des Bescheids vom 12. Mai 2020 wurde das Klageverfahren (Au 9 K 20.846) übereinstimmend für erledigt erklärt und mit Beschluss vom 7. Juli 2020 eingestellt.
11
Mit Bescheid vom 23. Juli 2020 untersagte die Beklagte der Klägerin, ab Bekanntgabe des Bescheids das Produkt „...“ des Herstellers ... in den Verkehr zu bringen (Ziffer I. a). Weiter ordnete sie an, das Produkt „...“ des Herstellers, gemäß den gesetzlichen Vorgaben unverzüglich zurückzunehmen (Ziffer I. b). Die Gutachten des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 23. April 2020 sowie die ergänzende Stellungnahme des LGL vom 8. Mai 2020 wurden zu Bestandteilen des Bescheids erklärt (Ziffer II.)
12
Zur Begründung der Entscheidung wird ausgeführt, aus dem amtlichen Gutachten des LGL vom 23. April 2020 ergebe sich eindeutig, dass es sich bei dem Erzeugnis „...“ nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 um ein Lebensmittel im Sinne der Verordnung handele. „Lebensmittel“ seien alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt seien oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden könne, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Der Stoffbegriff sei umfassend zu verstehen. Ferner ergebe die toxikologische Risikobewertung des LGL, dass das Produkt aufgrund des Nikotingehalts als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicher im Sinne der Verordnung eingestuft werde. Nach Art. 14 der VO (EG) 178/2002 dürften Lebensmittel, die nicht sicher seien, nicht in Verkehr gebracht werden. Lebensmittel würden als nicht sicher gelten, wenn davon auszugehen sei, dass sie gesundheitsschädlich seien. Der Bestandteil Nikotin besitze eine hohe akute Toxizität. Das vorliegende Produkt könne daher zu einer Schädigung der Gesundheit des Verbrauchers führen. Mit dem Vertrieb und dem Verkauf eines gesundheitsschädlichen Lebensmittels liege eine konkrete Gefahr der öffentlichen Gesundheit vor. Nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 könnten die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen ergreifen, die gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer die bei lebensmittelrechtlichen Kontrollen festgestellten Verstöße beende und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindere. Geeignete Maßnahmen seien im vorliegenden Fall nach Art. 138 Abs. 2 Buchst. d) VO (EU) 2017/625 das Verbot des Inverkehrbringens und nach Art. 138 Abs. 2 Buchst. g) VO (EU) 2017/625 die Rücknahme der Ware, da mit dem Verkauf der Nicopods gegen geltendes Lebensmittelrecht verstoßen werde. Auch Art. 19 Abs. 1 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 verpflichte den Unternehmer dazu, unverzüglich Verfahren einzuleiten, um ein Lebensmittel vom Markt zu nehmen, sobald er Grund für die Annahme habe, dass dieses den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht entspreche. Spätestens seit dem Bescheid vom 12. Mai 2020 sei dies der Fall.
13
Die Anordnungen seien verhältnismäßig. Sie dienten dazu, ein möglichst hohes Gesundheitsschutzniveau zu erreichen und die Endverbraucher vor gesundheitlichen Schäden zu schützen. Sie seien auch geeignet, um weitere Verstöße dieser Art zu verhindern. Alternative Maßnahmen zur Zielerreichung wie das Erhöhen der Eigenkontrollen oder verstärkte amtliche Kontrollen seien zur Zielerreichung nicht geeignet. Solange das Produkt im Verkauf/Umlauf sei, bestehe die Gefahr der Gesundheitsschädigung. Da die Klägerin die Auffassung vertrete, dass es sich nicht um ein Lebensmittel, sondern um ein Verbraucherprodukt handele, und größere Mengen im Lager vermutet würden, sei zu befürchten, dass ohne das streitgegenständliche Verbot weitere Absatzmöglichkeiten erschlossen würden. Die Anordnungen seien angemessen. Der Schutz der Endverbraucher wöge schwerer als das Interesse der Firma an einer Gewinnerzielung. Zwar werde das Produkt nur an volljährige Personen verkauft und aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers den Tabakprodukten zugeordnet, doch würden vergleichbar schädliche, dem Tabakrecht zugeordnete Produkte mit bildlichen und schriftlichen Darstellungen über die möglichen gesundheitlichen Schäden bedruckt und wirkten somit abschreckend. Eine entsprechende Kennzeichnung der Nicopods sei nicht vorgeschrieben, weil sie nicht den Regelungen des Tabakwarenrechts unterlägen. Die aktuelle Aufmachung lasse das Produkt harmlos erscheinen. Minimalistische Warnhinweise wie auf dem streitgegenständlichen Produkt könnten kein Ersatz für die vom Gesetzgeber vorgesehene Aufklärung über die zu erwartenden Gesundheitsschäden auf nikotinhaltigen Tabakprodukten darstellen. Das Produkt wirke speziell auf junge Menschen sehr verlockend und biete einen leichteren Einstieg in die Abhängigkeit. Der zu erwartende finanzielle Schaden sei gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nachrangig.
14
Am 27. August 2020 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,
15
den Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2020 (Zeichen ...), zugegangen am 29. Juli 2020 aufzuheben.
16
Zur Begründung wird vorgetragen, der Bescheid sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 LFGB i.V.m. Art. 19 Abs. 1 und 2 VO (EG) 178/2002 nicht erfüllt seien. Die streitgegenständlichen „Nicopods“ seien keine Lebensmittel im Sinne der Verordnung, denn sie seien weder dazu bestimmt, von Menschen aufgenommen zu werden, noch sei nach vernünftigem Ermessen eine Aufnahme dieses Produkts zu erwarten. Das gelte selbstredend für den eigentlichen Beutel, der nur in die Wangentasche gelegt und nach Gebrauch ausgespuckt werde, als auch für den wesentlichen Inhaltsstoff Nikotin, der sich in der Wangentasche löse und über die Mundschleimhaut resorbiert werde. Eine derartige Resorption sei keine „Aufnahme“ durch den Menschen. Der Begriff „Aufnahme“ werde in der VO (EG) 178/2002 nicht definiert, aber letztendlich gleichbedeutend mit dem Begriff „Verzehr“ verwendet, wie z. B. in Art. 8 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Buchst. b) und Abs. 5, Art. 15 Abs. 2 der VO (EG) 178/2002 deutlich werde. Der Begriff „Verzehren“ werde in § 3 Nr. 5 LFGB definiert und beschreibe „das Aufnehmen von Lebensmitteln durch den Menschen durch Essen, Kauen, Trinken sowie durch jede sonstige Zufuhr von Stoffen in den Magen“. Nicht erfasst seien deshalb alle Stoffe, die in den Körper eingerieben, eingespritzt oder eingeatmet werden, ohne dem Magen zugeführt zu werden, wie der Gesetzgeber selbst in der amtlichen Begründung des LFGB ausführe. Dies entspreche auch der herrschenden Literaturansicht zum Lebensmittelbegriff der Verordnung. Zwar sei der Tatbestand des Lebensmittels in Art. 2 VO (EG) 178/2002 bewusst weit gefasst. Doch selbst wenn der Begriff bei einem weiteren Verständnis insoweit über den Verzehr im Sinne eines Essens hinausgehen und dementsprechend auch andere Nahrungsaufnahme, wie über eine Magensonde, erfassen wollte, zielten doch nach h. M. sämtliche Formen der Aufnahme auf die Verdauung über den Magen-Darm-Trakt ab. Stoffe, die transdermal, z.B. über die Mundschleimhaut absorbiert würden, seien dem entsprechend keine Lebensmittel, weil keine Aufnahme der relevanten Stoffe über den Magen erfolge. Die englische und französische Fassung spreche nicht gegen diese Auffassung. Aus der Verwendung des Wortes „ingestion“ bzw. „ingérer“ lasse sich nur ableiten, dass nicht nur die traditionelle Aufnahme durch Kauen und Schlucken erfasst wird, nicht aber, dass eine Zuführung von Stoffen außerhalb des Magen-Darm-Trakts ebenfalls erfasst sein solle. In Verordnungen anderer Mitgliedstaaten (Niederlande, Tschechien, Griechenland) werde das Wort für „Verzehr“ verwendet. Der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich habe entschieden, dass eine inhalierbare elektronische Zigarette kein Lebensmittel sei, weil der Begriff nach der VO 178/2002 nur die Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt erfasse. Die Europäische Kommission interpretiere den Wortlaut nicht anders. Auch die historische Auslegung spreche für die Auffassung der Klägerin. Die EU-Kommission habe sich bei ihrem Vorschlag für eine neue Lebensmitteldefinition auf der Basis der Verordnung an der damals bereits international vorhandenen Definition im Codex Alimentarius orientiert. Dort werde das Wort „Verzehr“ (englisch „consumption“) ausdrücklich verwendet. Die EU-Kommission habe in ihrem Grünbuch vor Erlass der Verordnung ausgeführt, dass es um die Zuführung von Stoffen zum Magen-Darm-Trakt gehe. Insoweit sprächen gerade die vom LGL angeführten Hintergründe der Verordnungsentstehung gegen eine uferlose Auslegung des Begriffs „Aufnahme“. Weder das LFGB noch die Verordnung würden im Lebensmittelbegriff einen Auffangtatbestand für alle nicht anderweitig speziell geregelten Zuführungen von Stoffen in den Körper sehen. Die ausdrückliche Einbeziehung von Kaugummi in den Lebensmittelbegriff, wie in Art. 2 Abs. 2 der VO 178/2002 geschehen, belege die Auffassung der Klägerin. Auch Art. 14 Abs. 5 der VO 178/2002 stelle auf den Verzehr ab. Es wäre geradezu widersinnig, wenn die Eingriffsnorm für unsichere Lebensmittel nur für den Teil der Lebensmittel gelte, der über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird. Auch Art. 14 Abs. 2 der VO 178/2002 stelle allein auf die Gefahren durch Verzehr ab. Eine Aufnahme im Sinne des Lebensmittelrechts sei immer gleichbedeutend mit Verzehr. Weder aus der Verordnung noch aus der Entstehungsgeschichte sei der Hinweis zu entnehmen, dass der Lebensmittelbegriff als Auffangbegriff für jegliche Aufnahme von Stoffen in den Körper dienen soll, soweit keine andere Regelung vorliegt. Schon die Verkaufsweise in Tabakläden und -abteilungen, die Präsentation, die Anwendungshinweise und das Produkt selbst ließen es fernliegend erscheinen, dass ein Verbraucher auf die Idee kommen könnte, er würde ein Lebensmittel erwerben oder das Produkt sei zum Verzehr oder zu einer wie auch immer gearteten Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt bestimmt. Der im vorliegenden Produkt enthaltene prägende Stoff „Nikotin“ werde vom Durchschnittsverbraucher weder als Nährstoff noch als sonstiger Stoff mit ernährungsspezifischer Wirkung, noch als sonst in Lebensmitteln zu anderen Zwecken (Aroma, technologischer Zusatzstoff) verwendeter Stoff angesehen. Die weiteren enthaltenen Stoffe (Aromen, Zusatzstoffe) würden multipel verwendet (zum Beispiel in Kosmetika, Arzneimittel und anderen Produkten). Sie würden außerdem einen untergeordneten Anteil des Produkts einnehmen. Im Rahmen der stofflichen Einstufungsentscheidung müsse in diesem Falle dem Nikotin die maßgebliche Bedeutung beigemessen werden. Die allgemeine Zweckbestimmung des Produkts ergebe daher keine Lebensmitteleigenschaft. Im Rahmen der konkreten Zweckbestimmung sei zu beachten, dass dieses Produkt gerade nicht für einen Verzehr bzw. für eine Aufnahme über den Magen bestimmt sei, sondern als transdermales Absorptionsprodukt. Die Stoffmischung des Produkts sei mit einem Zellstoffbeutel umhüllt, dem sogenannten „Pouch“. Dieser Beutel werde weder als Ganzes, noch werde seine Füllung verschluckt. Sein Inhalt diene als Trägerstoff für das enthaltene Nikotin, das über die Mundschleimhäute aufgenommen werde und so direkt in den Blutkreislauf gelange. Es müsse auch nicht nach vernünftigem Ermessen mit einer Verwendung als Lebensmittel gerechnet werden. Insbesondere lasse bereits durch den Zellstoffbeutel das äußere Erscheinungsbild auch für Menschen, die nicht mit dem Produkt bekannt seien, nicht den Schluss zu, dass dieses zum Verzehr vorgesehen sei. Auch die Tatsache, dass das enthaltene Nikotin zunächst durch den Speichel gelöst werde, bevor es von den Wangenschleimhäuten aufgenommen werden könne, rechtfertige keine andere Betrachtungsweise. Der Speichel diene hier in erster Linie als Lösungsmittel, um eine Aufnahme der nikotinhaltigen Stoffmischungen über die Wangenschleimhaut zu ermöglichen. Es sei gerade nicht Sinn und Zweck des Produkts, einen übermäßigen Speichelfluss durch Kauen und das Herunterschlucken des Speichels mit den im Produkt enthaltenen Stoffen anzuregen. Es liege damit kein Lebensmittel vor, sodass die Verfügung nach Art. 19 VO (EG) 178/2002 einer tatbestandlichen Grundlage entbehre. Da das nikotinhaltige Produkt vom Verbraucher häufig als Alternative zu Tabakprodukten gesehen werde, solle es auch als ein solches behandelt werden. Wegen fehlender Regulierung durch das Tabakerzeugnisgesetz, müsse das Produkt nach den Regelungen des Produktsicherheitsgesetzes beurteilt werden. Die Rücknahmeanordnung sei überdies unverhältnismäßig. Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 178/2002 wäre eine Rücknahme dann geboten, wenn andere Maßnahmen zur Erzielung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus nicht ausreichten. Rücknahme und Rückruf seien eine Ultima Ratio. Die Hürde für einen derart weitreichenden Eingriff in die Unternehmerrechte sei nicht erreicht. Das vermeintliche Lebensmittel weise einen Nikotingehalt auf, der dem von legalen Tabakerzeugnissen wie Kautabak oder verwandten Erzeugnissen wie die Zigaretten entspreche, sodass ein ausreichender und gleichwertiger Gesundheitsschutz jedenfalls durch Hinweise erreicht werden könne, wie sie zum Beispiel für die Zigaretten nach der CLP-VO vorgesehen seien. Es gebe keine konkreten Hinweise darauf, dass trotz der langen Zeit, in der das Produkt auf dem deutschen Markt vertrieben werde, eine Gesundheitsgefährdung bei einem Verbraucher aufgetreten wäre. Somit seien Reaktionen, wie sie etwa bei unsichtbaren Scherben oder gesundheitsgefährdenden Partikeln in zum Verzehr bestimmten Lebensmitteln oder bei verdorbenen Speisen geboten wären, bei dem generellen und bekannten Risiko von bewusstem Nikotingenuss in einem Produkt, das eben zu diesem Zweck konsumiert werde, nicht angemessen. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen, dass eine - unterstellte - Kategorisierung als Lebensmittel allein formaler Natur und auf einer Lücke des Tabakerzeugnisrechts zurückzuführen wäre. Der angeordnete Rückruf sei zudem nicht geeignet, die Gefahren des bewussten Nikotinkonsums einzudämmen, weil kein Konsument auf den Nikotingenuss verzichten werde, den er durch andere gleichartige Produkte und die vergleichbaren Tabakerzeugnisse stillen könne.
17
Zum weiteren Vorbringen der Klägerin wird auf den Inhalt der Klageschrift vom 29. Oktober 2020 und die beigefügten Anlagen ergänzend verwiesen.
18
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 beantragt die Beklagte,
19
die Klage abzuweisen.
20
Es wird ausgeführt, die streitgegenständliche Anordnung sei rechtmäßig, nachdem das Produkt „...“ durch das Gutachten des LGL vom 23. April 2020, welches Bestandteil des streitgegenständlichen Bescheids sei, als gesundheitsschädlich und damit gemäß Art. 14 VO (EG) 178/2002 als nicht sicher beurteilt worden sei. Mit ergänzender Stellungnahme des LGL vom 8. Mai 2020 sei diese Beurteilung aufrechterhalten worden. Gemäß Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 ergreifen die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen, die gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer die bei lebensmittelrechtlichen Kontrollen festgestellten Verstöße beendet und erneute Verstöße dieser Art verhindert. Insbesondere stünden die nicht abschließend aufgezählten Maßnahmen nach Art. 138 Abs. 2 VO (EU) 2017/625 zur Auswahl, sofern sie geeignet seien, die Verstöße zu unterbinden. Hierunter fielen zum Beispiel das Verbot des Inverkehrbringens sowie die Rücknahme der Ware. Gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürften Lebensmittel, die nicht sicher seien, nicht in den Verkehr gebracht werden. Ein Lebensmittel sei nicht sicher, wenn davon auszugehen sei, dass es gesundheitsschädlich ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin handele es sich bei dem Produkt um ein Lebensmittel im Sinne der Verordnung. Eine Zweckbestimmung zum menschlichen Verzehr als Voraussetzung des europäischen Lebensmittelbegriffs sei den Vorschriften der VO (EG) 178/2002 nicht zu entnehmen. Das LGL komme in seiner toxikologischen Risikobewertung zu dem Ergebnis, dass das Produkt aufgrund des Nikotingehalts als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 nicht in den Verkehr gebracht werden dürfe. Die angeordneten Maßnahmen seien geeignet, um weitere Verstöße dieser Art zu verhindern, sie seien auch erforderlich, da keine milderen, gleich geeigneten Mittel erkennbar seien. Die Erzielung und der Erhalt eines möglichst hohen Gesundheitsschutzniveaus sowie der Schutz des Endverbrauchers hätten oberste Priorität und überwögen das Interesse der Klägerin an Gewinnerzielung durch den Verkauf des Produkts.
21
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2021 wiederholt und vertieft die Klägerin die bereits in Klageschriftsatz vorgetragenen Argumente und macht darüber hinaus geltend, dass das die vom LGL herangezogenen Maßstäbe nicht zutreffend seien, es gäbe keine gesetzlichen oder untergesetzlichen Grenzwerte für Nikotin.
22
In ihrer Stellungnahme vom 16. März 2021 führt die Beklagte ergänzend aus, die Begutachtung durch das LGL sei fachgerecht erfolgt. Die Behauptung, die herangezogenen Grenzwerte seien nur auf ein nicht rechtsverbindliches EFSA Statement zurückzuführen, sei nicht zutreffend.
23
Mit Schriftsatz vom 8. April 2021 nimmt das LGL ergänzend zu der Frage der Lebensmitteleigenschaft der Nicopods und der Einstufung als unsicheres Lebensmittel Stellung.
24
Am 12. April 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Aufgrund der kurzfristig vorgelegten Stellungnahme des LGL vom 8. April 2021 wurde der Klägerin eine Schriftsatzfrist bis zum 3. Mai 2021 eingeräumt, die Beklagte erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen. Die Beteiligten erklärten ihren Verzicht auf Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Eine Entscheidung wurde nicht vor dem 24. Mai 2021 in Aussicht gestellt.
25
Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021 vertiefte die Klägerin ihre bereits vorgetragenen Argumente zum Lebensmittelbegriff und führte ergänzend zur Einstufung der streitgegenständlichen Nicopods durch das LGL als unsicheres Lebensmittel aus, dass die Bewertung des LGL auf hypothetischen Betrachtungen und nicht auf der Feststellung konkreter Gesundheitsgefahren beruhe. Das LGL halte die Standards einer lebensmittelrechtlichen Risikoanalyse nicht ein. Ein zentraler Fehler sei die Gleichsetzung des absichtlich zugesetzten Nikotins mit einem unabsichtlich ein Lebensmittel kontaminierenden Stoffs. Das LGL suggeriere, dass die toxikologische Bewertung von Lebensmitteln anders zu erfolgen habe als außerhalb des Lebensmittelrechts. Die toxikologische Risikobewertung im Lebensmittelrecht unterscheide sich aber nicht von anderen toxikologischen Risikobewertungen. Es bedürfe einer Begründung, wenn im Lebensmittelrecht strengere Maßstäbe gelten sollten als zum Beispiel im Tabakerzeugnisrecht. Die vom LGL herangezogenen Studien zu Wildpilzen seien veraltet. Auch die EFSA-Stellungnahme, auf die das LGL verweise, beruhe nicht auf den neuesten und besten verfügbaren Daten. Andere Studien als die vom LGL zugrunde gelegten würden keine Schädlichkeit des Nikotingehalts belegen. Das LGL habe eine unzulässige Expositionsabschätzung durchgeführt, in dem der ARfD-Wert verwendet worden sei, in den auch Säuglinge und Kleinkinder einbezogen worden seien. Das LGL behaupte unbelegt, dass sich der Wert an Erwachsenen ausrichte. Der ARfD-Wert beschreibe keine Schädigung der Gesundheit, sondern nur eine Reaktion des Körpers bei Anstieg der Herzfrequenz wie sie sich auch bei der Einnahme von Koffein oder körperlicher Anstrengung zeige. Bei Anwendung der Maßstäbe des LGL müsste Kaffee sofort als gesundheitsschädlich verboten werden. Das Inverkehrbringen von Koffein oder koffeinhaltigen Drinks sei aber weder verboten noch in sonstiger Weise beschränkt. Die Einnahme von Nikotin führe zwar zu einer Veränderung der Herzfrequenz, aber nicht in jedem Fall zu einem unerwünschten gesundheitsschädlichen Effekt. Bei Energydrinks gebe es Höchstgrenzen für die zulässige Menge an Koffein, für Nikotin gebe es das nicht. Die Branche habe sich freiwillige Produktstandards gegeben. Die Verpflichtung, diese einzuhalten, sei ein milderes Mittel als das Verbot des Inverkehrbringens. Eine Bewertung von Nikotin-Pouches als unsicher und gesundheitsschädlich sei bislang in keinem anderen Mitgliedstaat getroffen worden. Die EU-Kommission halte 5 mg pro kg Körpergewicht für einen gerechtfertigten Schätzwert für die akute Toxizität von Nikotin. Das LGL überschätze diesen Wert um den Faktor 10. Die vom LGL herangezogenen Werte seien überkonservativ. Bei einer bei schwangeren Raucherinnen in Großbritannien durchgeführten Studie seien Nikotinpflaster mit einem 262-fachen Nikotingehalt verwendet worden, ohne dass es zu unerwünschten Nebenwirkungen gekommen sei. Das Bundesinstitut für Risikobewertung gehe davon aus, dass eine tödliche Dosis erst bei 500 mg Nikotin erreicht werde und habe Empfehlungen für einen künftigen Regelungsrahmen ausgesprochen. Das Verbot des Inverkehrbringens stelle einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit dar und verletze die Klägerin in ihren subjektiven Rechten. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Schriftsatz verwiesen.
26
Das LGL erwiderte hierauf mit Stellungnahme vom 21. Mai 2021 und führt insbesondere aus, weder die letale Dosis von Nikotin noch die Werte für die akute Toxizität von Gemischen im Chemikalienrecht seien als Bezugspunkt für die Risikobewertung eines Lebensmittels geeignet. Denn bei der Klassifizierung, ob ein sicheres Lebensmittel vorliege, könne nicht auf die letale Wirkung eines Inhaltsstoffes abgestellt werden. Nach aktuellem Wissensstand sei der sensitivste adverse Effekt nach Nikotinaufnahme in der Humanstudie von Lindgren et al. (1999) beobachtet worden. Die Studie sei nach hohen wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt und plausibel. Eine erhöhte Herzschlagschlagfrequenz sei mit einer erhöhten Mortalität verbunden. Zwar sei der Effekt reversibel, dies bedeute jedoch nicht, dass hierdurch keine schädlichen Gesundheitsauswirkungen einträten. Auch eine akute Vergiftung, die reversibel sei, könne ohne Langzeitfolgen überstanden werden. Eine Abgrenzung zwischen reversiblen und adversen Effekten sei falsch und treffe auf Nikotin nicht zu. Die EFSA bewege sich mit ihrem ARfD-Wert von 0,8 µg/kg nicht außerhalb des Rahmens anderer toxikologischer Risikobewertungen. Ein Unsicherheitsfaktor von 10, wie von der EFSA angewendet, sei international üblich und werde in zahlreichen Risikobewertungen angewandt. Eine ARfD-Wert-Überschreitung führe nicht automatisch zu einer Einstufung als gesundheitsschädlich, im Fall der streitgegenständlichen Nikotin-Pouches handele es sich jedoch um eine so starke Überschreitung, dass der Wert auch ohne Berücksichtigung eines Unsicherheitsfaktors überschritten werden würde. Die gesetzlich bindenden Rückstandshöchstgehalte seien nicht zwingend toxikologisch abgeleitet, da zusätzlich wirtschaftliche, technische oder politische Faktoren eine Rolle spielen. Die Rückstandshöchstgehalte würden daher für die toxikologische Risikobewertung des LGL nicht standardmäßig herangezogen. Nun ebenso wenig bedeute dies, dass die Europäische Kommission durch die Festlegung entsprechender Rückstandshöchstgehalte die toxikologische Bewertung der EFSA in Zweifel ziehen würde. Ein Vergleich mit anderen Tabakprodukten oder Nikotinpflaster sei nicht statthaft, da sich hierbei nicht um Lebensmittel handele. Für Tabakprodukte oder Arzneimittel gälten andere gesetzliche Regelungen. Die Wirkungen von Koffein würden von der EFSA durchaus als schädlich eingeordnet, wobei Dosen unterhalb von 400 mg Koffein am Tag für Erwachsene als unproblematisch anzusehen seien. Folgerichtig stufe das LGL Produkte mit deutlich höherem Koffeingehalt ebenso als gesundheitsschädlich ein. Die Aussage, 95% der täglichen Koffeinaufnahmen lägen oberhalb des Wertes von 400 mg seien falsch.
27
Für die toxikologische Risikobewertung sei es unerheblich, ob es sich bei dem zu bewertenden Stoff um eine Kontamination oder um eine absichtlich zugesetzte Zutat handele. Entscheidend seien ausschließlich gesundheitliche Kriterien. Die von der Klägerin zitierten neueren Studien zu Bewertung von Nikotin seien nicht geeignet, die Erkenntnisse aus der Studie von 1999 zu entkräften. Die Verwendung von Nikotin als Arzneimittel zur Unterstützung der Raucherentwöhnung könne nicht als Vergleich herangezogen werden. Die aktuelle, allerdings vorläufige Stellungnahme des BfR (2021) sei bezüglich des Bewertungsansatzes zur empfohlenen Nikotinobergrenze nicht plausibel. Der Nikotinhöchstgehalt sei auf der Grundlage der letalen Dosis berechnet worden. Dieser Ansatz sei für Lebensmittel inakzeptabel. Die aufgeführten Kritikpunkte an der toxikologischen Risikobewertung seien nicht dazu geeignet, die Vorgehensweise der EFSA, auf die sich die Bewertung des LGL stütze, zu entkräften. Die Prinzipien der Risikobewertung seien mehr oder weniger universell, die Charakterisierung von Risiken und ihrer Bewertung könnten jedoch unterschiedlich sein. So dürften Lebensmittel nicht gesundheitsschädlich sein, während beispielsweise bei Arzneimitteln aufgrund ihres Nutzens häufig gewisse Nebenwirkungen akzeptiert würden. Klassische Tabakprodukte seien wegen der entstehenden Kanzerogenen und des Nikotingehalts generell als gesundheitsschädlich zu bewerten, würden jedoch durch ihre rechtliche Sonderstellung von den strengen Kriterien der EU-BasisVO ausgenommen.
28
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Schriftsatz verwiesen.
29
Die Beklagte schloss sich der Bewertung des LGL zur Einstufung des Produkts als gesundheitsschädlich an. Eine besondere Kennzeichnung des Produkts oder eine behördliche verfügte Kennzeichnungspflicht sei kein milderes Mittel, da auch in diesem Fall die Gesundheitsschädlichkeit bestehen bleibe.
30
Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2021, eingegangen nach Ablauf der Schriftsatzfrist, replizierte die Klägerin erneut.
31
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 12. April 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32
Über die Klage konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden werden, da die Beteiligten hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2021 ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
33
Die in der Hauptsache zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhobene, Anfechtungsklage ist unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
34
1. Da es sich bei dem Produkt „...“ um ein Lebensmittel handelt, findet das in Ziffer Ia des Bescheids vom 23. Juli 2020 verfügte Verbot des Inverkehrbringens seine Rechtsgrundlage in Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 (KontrollVO) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 (BasisVO). Da Art. 138 KontrollVO als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht beansprucht, ist § 39 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts nicht anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 3 C 7.14 - juris Rn. 12; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 178. EL Nov. 2020, § 39 LFGB Rn. 10 jeweils zur Vorgängervorschrift Art. 54 Abs. 1 VO (EG) 882/2004; VGH BW, B.v. 17.9.2020 - 9 S 2343/20 - juris Rn. 8; VG Hannover, U.v. 15.1.2020 - 15 A 819/18 - juris Rn. 20 ff.; VG Schleswig, B.v. 8.2.2021 - 1 B 8/21 - juris Rn. 11).
35
Wird ein Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt ergreifen die zuständigen Behörden gemäß Art. 138 Abs. 1 KontrollVO geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und erneute Verstöße dieser Art verhindert. Zu den beispielhaft, aber nicht abschließend aufgezählten, geeigneten Maßnahmen gehört insbesondere auch die Beschränkung oder das Verbot des Inverkehrbringens von Waren (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d KontrollVO).
36
Gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürfen nicht sichere Lebensmittel nicht in Verkehr gebracht werden. Lebensmittel gelten dann als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) 178/2002).
37
2. Bei dem streitgegenständlichen Produkt handelt es sich um ein Lebensmittel im Sinne der Legaldefinition in Art. 2 VO (EG) 178/2002.
38
a) Der Begriff „Lebensmittel“ ist in Art. 2 VO (EG) 178/2002 legal definiert. Nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Damit sind zunächst alle Stoffe erfasst, die nach ihrer Zweckbestimmung von Menschen aufgenommen werden (Rathke in Zipfel/Rathke, LebensmittelR, EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Stand Nov. 2020, Art. 2 Rn. 15). Art. 2 Abs. 2 VO (EG) 178/2002 stellt klar, dass auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe (einschließlich Wasser), die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden, zu den „Lebensmitteln“ zählen. Schließlich bestimmt Art. 2 Abs. 3 VO (EG) 178/2002, dass einzelne Erzeugnisse, wie u.a. Tabak und Tabakerzeugnisse sowie Arznei- und Futtermittel, nicht zu den „Lebensmitteln“ gehören. Damit werden diese Erzeugnisse aus dem umfassenden Tatbestand des Abs. 1 herausgenommen, obwohl sie zunächst unter den weit gefassten Lebensmittelbegriff fallen würden (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O. Rn. 16).
39
b) Bei den streitgegenständlichen Nicopods handelt es sich um Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, von Menschen aufgenommen zu werden (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002).
40
Die Nikotin Pouches oder Nicopods werden vom Konsument in die Wangentasche gelegt oder zwischen Oberlippe und Zahnfleisch geklemmt. Sie werden nicht gekaut oder geschluckt, sondern nach einiger Zeit wieder entnommen. In der Mundhöhle werden durch die Wirkung des Speichels Nikotin und gegebenenfalls zugesetzte Geschmackstoffe gelöst und durch die Mundschleimhaut in die Blutbahn aufgenommen. Die überwiegende Aufnahme des Nikotins erfolgt zwar über die Mundschleimhaut. Dennoch werden über den produzierten Speichel Nikotin und die zugesetzten Geschmackstoffe geschluckt und gelangen über den Magen-Darm-Trakt in den Körper. Die von der Klägerin in dieser Weise beschriebene Verwendung der Nicopods schließt ihre Einordnung als „Lebensmittel“ im Sinn des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 nicht aus.
41
Entsprechend dem Schutzzweck des Lebensmittelrechts, ein hohes Maß an Gesundheitsschutz zu gewährleisten und dem Ziel, einen möglichst weiten Anwendungsbereich der VO (EG) 178/2002 (Basis-VO) und damit der Vorschriften über die Lebensmittelsicherheit zu erreichen, müssen den lebensmittelrechtlichen Vorschriften alle Stoffe unterworfen werden, die dazu bestimmt sind, von Menschen aufgenommen zu werden. Der Stoffbegriff des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 ist daher als umfassend zu verstehen, sodass es insoweit unerheblich ist, ob ein Stoff einen physiologischen Nährwert oder technologische Wirkung hat und ob es sich um einen Rohstoff oder um eine Zubereitung handelt. Abzugrenzen von dem Stoffbegriff sind somit nur physikalische oder chemische Verfahren, wie beispielsweise die Zufuhr von Strahlen oder von Hitze. Zu welchem Zweck das Erzeugnis aufgenommen wird, ist unerheblich, insbesondere kommt es auch nicht darauf an, ob die Aufnahme einem anerkannten Ernährungs- oder Genusszweck entspricht (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O. Art. 2 Rn. 19-22; Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 1. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 4 und 5). Für die Einordnung eines Stoffes als Lebensmittel ist nicht allein dessen Beschaffenheit oder Eignung als Lebensmittel, sondern auch dessen Zweckbestimmung, nämlich die Aufnahme durch den Menschen, maßgebend. Hierfür kommt es auf die Verwendung des Stoffes an, wie sie im Verkehr bei natürlicher Betrachtungsweise für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen Verbraucher erkennbar ist (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O. Art. 2 Rn. 23 m.w.N.). Die allgemeine Zweckbestimmung erfasst im Interesse des Gesundheitsschutzes alle Stoffe, die ihrer Gattung nach und allgemein zur Aufnahme durch den Menschen bestimmt sind. Die ausschließliche Verwendung zu Ernährungs- oder Genusszwecken wird insoweit nicht vorausgesetzt.
42
Da es sich bei den streitgegenständlichen Nicopods um ein neuartiges Produkt handelt, ist die Beurteilung, ob die geschilderte Verwendung der Nikotinbeutel die Voraussetzungen des Lebensmittelbegriffs erfüllt, insbesondere ob das Kriterium der „Aufnahme durch den Menschen“ im Sinn von Art. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 erfüllt ist, durch Auslegung zu ermitteln. Ausgangspunkt ist der Wortlaut der Vorschrift, der die Grenze der rechtsfortbildenden Auslegung darstellt. Die Auslegung erfolgt ferner nach Sinn und Zweck der Norm, ihrer Entstehungsgeschichte und den Zusammenhang der einschlägigen Regelungen (BVerfG, B.v. 31.10.2016 - 1 BvR 871/13 - juris Rn. 22). Die in diesem Sinn vorgenommene Auslegung ergibt im hier zu entscheidenden Fall, dass die von der Klägerin angebotenen Nicopods unter den Lebensmittelbegriff fallen, da der Begriff der „Aufnahme durch den Menschen“ nicht zwingend die ausschließliche Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt erfordert. Die Ansicht der Klägerin, der Begriff der Aufnahme im Sinn von Art. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 sei mit dem Begriff des Verzehrens gleichzusetzen, überzeugt nicht. Denn diese einschränkende Auslegung wird dem unionsrechtlichen Lebensmittelbegriff des Art. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 nicht gerecht. Eine Zweckbestimmung zum menschlichen Verzehr als Voraussetzung des europarechtlichen Lebensmittelbegriffs ist den Vorschriften der Verordnung nicht zu entnehmen. Von dem Lebensmittelbegriff des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 sind gerade auch Stoffe erfasst, die nicht verzehrt werden (VG Augsburg, B.v. 19.6.2020 - Au 9 S 20.847 - juris; VG Hannover, B.v. 14.12.2020 - 15 B 5597/20 - juris; OVG Lüneburg, B.v. 9.2.2021 - 13 ME 580/20 - juris; VG Hamburg, B.v. 5.3.2021 - 7 E 73/21 - juris; VG München, B.v. 20.5.2021 - M 26b S 20.6309 - juris; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand Nov. 2020, BasisVO Art. 2 Rn. 33; a.A. Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 1. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 8; Thomas Boch, LFGB, 8. Online-Auflage 2019, § 2 Rn. 5).
43
Der weitergehende Begriff „Aufnahme“ umfasst - entgegen dem in § 3 Nr. 5 LFGB nationalrechtlich definierten Begriff des „Verzehrens“ - nicht nur Stoffe, die durch den Mund gezielt dem Magen zugeführt werden. Erfasst sind auch Stoffe, die anderweitig - beispielsweise über die Mundschleimhaut - in den Körper eines Menschen gelangen. Dies entspricht auch der englischen und der französischen Fassung der Verordnung, da sowohl das französische Wort „ingéré“ als auch das englische Wort „ingested“ nicht nur durch den Mund dem Magen zugeführte Stoffe umfassen (Rathke in Zipfel/Rathke a.a.O. Art. 2 Rn. 33). Der Hinweis der Klägerin, im Verordnungstext anderer Mitgliedstaaten, wie die Niederlande, Tschechien oder Griechenland, werde in der entsprechenden Vorschrift das in diesen Ländern übliche Wort für „Verzehr“ verwendet, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts voneinander ab, muss nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden (EuGH, U.v 1.3.2016 - C-443/14 - juris Rn. 27). Soweit die Klägerin auf den Wortlaut einzelner Verordnungsregelungen innerhalb der VO (EU) 178/2002 verweist (vgl. Art. 8 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 Buchst. b); Art. 15 Abs. 2 Spiegelstrich 2 VO (EU) 178/2002), die den Begriff des „Verzehrens“ enthalten, ist dies ebenfalls nicht geeignet, die Gleichstellung beider Begriffe zu begründen. Bereits aus der Systematik der Verordnung ist ersichtlich, dass es sich bei dem Begriff „Verzehr“ um einen gegenüber der „Aufnahme“ engeren Begriff handelt. Der allgemeine Begriff „Aufnahme durch den Menschen“ ist als zwingender Bestandteil des Lebensmittelbegriffs in Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 festgeschrieben. Auch die Regelung in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) VO (EG) 178/2002, wonach Lebensmittel als nicht sicher gelten, wenn sie für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind, belegt, dass der Verordnungsgeber bewusst zwischen beiden Begriffen differenziert und der Begriff des „Verzehrens“ als Unterform der Aufnahme eines Stoffes in den Körper verwendet. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bereits terminologisch um zwei unterschiedliche Begriffe, die sich zwar teilweise überschneiden können, in ihrer Bedeutung jedoch nicht deckungsgleich sind. Dafür spricht auch die Regelung in § 3 Nr. 5 LFGB, die das „Verzehren“ als Aufnahme von Lebensmitteln durch den Menschen durch Essen, Kauen, Trinken sowie durch jede sonstige Zufuhr von Stoffen in den Magen definiert. Auch hier unterscheidet der Gesetzgeber zwischen beiden Begriffen und ordnet den Begriff des „Verzehrens“ durch Aufzählung verschiedener Aufnahmearten als eine besondere Form der Aufnahme von Lebensmitteln ein.
44
Diese Auslegung des Begriffs „Aufnahme“ entspricht ferner der Regelungssystematik des Art. 2 VO (EG) 178/2002, in dem der Lebensmittelbegriff zunächst anhand bestimmter Begriffsmerkmale abstrakt definiert wird, und damit im Interesse des Gesundheitsschutzes ein möglichst breites Spektrum an Stoffen und Erzeugnissen erfasst, die von Menschen aufgenommen werden können. Diese sehr weit gefasste Begriffsbestimmung wird zum einen durch das Erfordernis der Zweckbestimmung zur menschlichen Aufnahme und zum anderen durch die Herausnahme bestimmter Stoffe und Erzeugnisse aus dem Lebensmittelbegriff eingeschränkt. So werden die in Art. 2 Abs. 3 VO (EG) 178/2002 genannten Stoffe und Erzeugnisse aus dem Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts ausgenommen, obwohl sie zunächst unter den weit gefassten Lebensmittelbegriff des Absatzes 1 fallen würden. Dagegen ist der Verzehr von in Absatz 3 bezeichneten Stoffen regelmäßig weder bezweckt noch üblich. Würde man davon ausgehen, dass der Begriff „Aufnahme“ mit dem „Verzehren“ deckungsgleich ist, wäre die Aufzählung in Abs. 3 überflüssig, da diese Stoffe und Erzeugnisse ohnehin nicht unter den Lebensmittelbegriff im Sinn des Absatzes 1 zu subsumieren wären.
45
Schließlich spricht die Entstehungsgeschichte des unionsrechtlichen Lebensmittelbegriffs gegen die Gleichsetzung beider Begriffe. Die Lebensmitteldefinition des Art. 2 VO (EG) 178/2002 orientiert sich an der Legaldefinition für Lebensmittel des Codex Alimentarius, die mit dem Begriff „Aufnahme durch den Menschen“ alle Erzeugnisse erfasst, die den „Magen-Darmtrakt durchlaufen, einschließlich aller Stoffe, die durch Mund oder Nase eingenommen oder durch Magen-Intubation verabreicht werden“ (Grünbuch der Kommission, Allgemeine Grundsätze des Lebensmittelrechts in der Europäischen Union vom 30.04.1997; KOM(97) 176, 28; Meyer in Meyer/Streinz, LFGB - BasisVO, 2. Aufl. 2012 Art. 2 Rn. 4). Wäre der Verzehr und somit das damit zwangsläufig verbundene Durchlaufen des Magen-Darm-Trakts Voraussetzung für den Lebensmittelbegriff, wäre der Zusatz „einschließlich der durch Mund oder Nase eingenommenen“ Erzeugnisse nicht verständlich. Daher sollen von der Lebensmitteldefinition alle Stoffe erfasst werden, die von Menschen durch den Mund oder die Nase aufgenommen werden.
46
Für eine Einordnung der streitgegenständlichen Produkte als Lebensmittel spricht auch der Vergleich mit Kaugummi, welcher vom Verordnungsgeber in Art. 2 Satz 2 BasisVO klarstellend als zu den Lebensmitteln gehörend aufgeführt wurde. Zwar werden die tabakfreien Nikotinbeutel anders als Kaugummi nicht gekaut, doch sind sie insoweit mit dem ausdrücklich als Lebensmittel qualifizierten Kaugummi vergleichbar, als die Aufnahme von Stoffen, die einer Trägersubstanz zugesetzt sind, vorwiegend oral über die Mundschleimhaut erfolgt, die Trägersubstanz jedoch nach Gebrauch aus der Mundhöhle entnommen und nicht verschluckt wird (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 9.2.2021 - 13 ME 580/20 - juris Rn. 26). Der Einwand der Klägerin, die Einstufung von Kaugummi als Lebensmittel beruhe auf der Tatsache, dass dieser gekaut werden muss, um die Inhaltsstoffe zu lösen, und auf diese Weise ein vermehrter Speichelfluss entstehe, überzeugt nicht. Beide Stoffen beruhen auf dem gleichen Prinzip: durch Speichel werden die Inhaltsstoffe gelöst und in den Körper aufgenommen - durch Verschlucken des Speichels bzw. durch Resorption über die Mundschleimhaut.
47
Der Hinweis auf die Praxis in anderen EU-Mitgliedsstaaten rechtfertigt nicht die von der Klägerin vertretene enge Auslegung des Lebensmittelbegriffs. Zum einen ist darauf zu verweisen, dass sich bislang in den Mitgliedstaaten keine einheitliche Auffassung herausgebildet hat. Lediglich Schweden und Dänemark haben sich zur Lebensmitteleigenschaft ausführlicher geäußert. Auch der Beschluss des schwedischen Zentralamts für Lebensmittelwesen vom 18. Februar 2019 (vorgelegt als Anlage K 5) rechtfertigt keine andere Einschätzung. Die schwedische Behörde hat zunächst nikotinfreie Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, wie Snus verwendet zu werden, jedoch keinen Tabak enthalten (snusähnliche Erzeugnisse) als Lebensmittel angesehen und behandelt. Erst nachdem derartige Erzeugnisse auf den schwedischen Markt gebracht wurden, die zwar keinen Tabak, aber Nikotin enthielten, wurde die Einschätzung geändert. In seiner Stellungnahme weist das Zentralamt für Lebensmittelwesen allerdings auch darauf hin, dass der Lebensmittelbegriff auf europäischer Ebene nicht eindeutig definiert wurde. Eine für alle Mitgliedstaaten der EU richtungsweisende Entscheidung kann in dem Beschluss der schwedischen Lebensmittelbehörde nicht gesehen werden (so überzeugend VG München, B.v. 20.5.2021 - M 26b S 20.6309 - juris Rn. 53).
48
Das LGL weist im Übrigen in seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2021 zutreffend darauf hin, dass sowohl die Verdauung als auch die Aufnahme von Lebensmittelinhaltsstoffen nicht erst im Magen-Darm-Trakt erfolgt, sondern bereits im Mund durch die dort angestoßenen enzymatischen Prozesse beginnt. Zum Teil werden die Inhaltsstoffe bereits direkt über die Mundschleimhaut resorbiert, darüber hinaus werden die gelösten Lebensmittelinhaltsstoffe über den Speichel dem Magen-Darm-Trakt zugeführt. Selbst wenn man die Auffassung vertreten würde, dass zur Aufnahme in den Menschen ein Anknüpfen an den Verdauungsprozess in der Form des Durchlaufens des Magen-Darm-Trakts erforderlich wäre, könnte man dieses Kriterium durch die Aufnahme der Inhaltsstoffe über den Speichel als erfüllt ansehen.
49
Auch der Hinweis darauf, dass elektronische Zigaretten nicht als Lebensmittel eingestuft werden, kann die Einstufung der Nicopods als Lebensmittel nicht in Zweifel ziehen. Die Herausnahme von Erzeugnissen, die überwiegend geraucht und nicht über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden, aus dem Lebensmittelbegriff wäre nicht notwendig, wenn diese von vornherein nicht unter diesen Begriff fielen.
50
c) Die Nicotine Pouches fallen unstreitig unter keinen Ausnahmetatbestand im Sinn von Art. 2 Satz 3 der VO (EG) 178/2002, insbesondere handelt es sich nicht um ein Tabakerzeugnis (Art. 2 Satz 3 Buchst. f der VO (EG) 178/2002 i.V.m. der RL 89/622/EWG des Rates).
51
3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nach Art. 138 Abs. 1 KontrollVO i.V.m. Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 liegen vor.
52
a) Gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden. Nach Art. 14 Abs. 2 VO (EG) 178/2002 gelten Lebensmittel als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich (Buchst. a) oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind (Buchst. b).
53
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist oder nicht, sind einerseits die normalen Bedingungen seiner Verwendung sowie die dem Verbraucher vermittelten Informationen zu berücksichtigen (Art. 14 Abs. 3 VO (EG) 178/2002) und andererseits die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generationen, die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen und die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist (Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002). Gemäß Art. 14 Abs. 7-9 VO (EG) 178/2002 gelten Lebensmittel, die spezifischen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts oder des nationalen Rechts entsprechen, hinsichtlich der durch diese Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher. Geltende Bestimmungen in diesem Sinne sind für die streitgegenständlichen Produkte nicht ersichtlich. Die Frage der Gesundheitsschädlichkeit ist daher individuell anhand der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu beurteilen.
54
Der Begriff gesundheitsschädlich setzt nicht das Hervorrufen einer Krankheit im medizinischen Sinne voraus. Gesundheitsschädlich ist ein Lebensmittel bereits dann, wenn es eine vorübergehende, jedoch nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung der Gesundheit hervorruft (Meyer in Streinz/Meyer, 2. Aufl. 2012, BasisVO Art. 14 Rn. 22). Es reicht die Eignung zur Gesundheitsschädigung aus. Diese Eignung muss allerdings tatsächlich und konkret bestehen, d. h. der Stoff muss bestimmte feststellbare Eigenschaften aufweisen, die eine Gesundheitsschädigung verursachen können (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2020, BasisVO Art. 14 Rn. 39). Dabei trägt die Beweislast für die Gesundheitsschädlichkeit die Behörde (vgl. EuGH, U.v. 23.9.2003 - C-192/01 - juris Rn. 46). Sie muss konkret dartun, dass auf Grundlage einer Risikobewertung, die auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht (Art. 6 Abs. 2 VO (EG) 178/2002) eine Gesundheitsgefahr besteht.
55
b) Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien ist die Beklagte unter Zugrundelegung des Gutachtens des LGL vom 23. April 2020 zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Nicopods um ein nicht sicheres Lebensmittel im Sinn von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EG) 178/2002 handelt. Die potentielle toxikologische Wirksamkeit von Nikotin ist zwischen den Parteien unstreitig. Wie die Klägerin selbst vorträgt, ist das streitgegenständliche Produkt mit verschiedenen Warnhinweisen versehen, überwiegend auch mit Warnsymbolen, die die Toxizität zum Gegenstand haben. Uneinigkeit besteht allerdings darüber, ab welcher Dosis eine gesundheitsschädliche Wirkung im Sinn von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 angenommen werden muss.
56
aa) Das dem Bescheid zugrundeliegenden Gutachten des LGL vom 23. April 2020 kommt im Rahmen der toxikologischen Risikobewertung der laboranalytisch festgestellten Nikotingehalte des untersuchten Produkts zu dem Ergebnis, dass die bei oraler Aufnahme eines Portionsbeutels resultierende akute Nikotindosis den von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für den kritischen Endpunkt abgeleiteten ARfD-Wert (Wert der akuten Referenzdosis) jeweils erheblich übersteigt. So wurde für das streitgegenständliche Produkt bei Annahme einer Nikotinfreisetzung von 20%, 50% bzw. 100% eine Überschreitung des ARfD-Werts um das 36,3-fache, das 87,5-fache bzw. das 175-fache ermittelt. Wegen der erheblichen Überschreitung der akuten Referenzdosis wurde das Produkt als gesundheitsschädlich eingestuft.
57
bb) Die unter Heranziehung des von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) abgeleiteten ARfD-Werts angestellte Risikobewertung des LGL vom 23. April 2020 ist plausibel und nachvollziehbar. Die von der Klägerin vorgelegten privatwirtschaftlich erstellten Stellungnahmen, insbesondere die Gutachten vom 21. Dezember 2020 und vom 25. März 2021, die im Übrigen im Auftrag eines schwedischen Industriekonzerns erfolgten, der Produkte anbietet, die im Zusammenhang mit Tabak stehen (Tabak, Kautabak, Snus), vermögen die dem Bescheid zugrunde liegende Risikobewertung des LGL nicht in Zweifel zu ziehen.
58
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bei der Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich besonderes Gewicht zukommt. Aufgabe der EFSA ist die wissenschaftliche Beratung sowie die wissenschaftliche und technische Unterstützung für die Rechtsetzung und Politik der Gemeinschaft in allen Bereichen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit auswirken. Die Behörde stellt unabhängige Informationen über alle Fragen in diesen Bereichen bereit und macht auf Risiken aufmerksam (Art. 22, Art. 23 der VO (EG) 178/2002). Bei der Risikobewertung ist dem Gutachten der EFSA nach dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen (Art. 6 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002). Die Behörden der Mitgliedstaaten haben sich daher möglichst an den fachlichen Einschätzungen der Behörde zu orientieren, solange keiner gleichermaßen belastbaren neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügbar sind (Art. 6 Abs. 2 der VO (EG) 178/2002). Die von der Klägerin vorgelegten Stellungnahmen, die im Übrigen nicht die Neutralität aufweisen, wie die Gutachten der gesetzlich zur Neutralität verpflichteten EFSA, sind nicht geeignet, die von der EFSA herangezogenen Kriterien zur Risikobewertung zu erschüttern.
59
Die Risikobewertung ist nicht schon deshalb fehlerhaft, weil das LGL für die Beurteilung des Risikoniveaus des Nikotins, nicht zwischen unbewusster Aufnahme von Nikotin und der bewussten und absichtlichen Zuführung von Nikotin unterschieden hat. Für die toxikologische Wirkung eines Stoffes macht es keinen Unterschied, ob er versehentlich oder absichtlich dem Lebensmittel zugefügt bzw. vom Konsumenten aufgenommen wurde. Die von der EFSA ermittelten ARfD-Werte wurden im vorliegenden Fall um ein Vielfaches überschritten. Sie betragen das 36,3-fache im niedrigsten und das 175-fache im höchsten Fall. Im Übrigen dürfte in der Risikobewertung auch die bislang noch nicht thematisierte süchtig machende Wirkung nikotinhaltiger Produkte zu berücksichtigen sein, sodass schon unter diesem Gesichtspunkt von einer gesundheitsschädlichen Wirkung auszugehen sein dürfte (so auch VG Hamburg, B.v. 5.3.2021 - 7 E 73/21 - juris Rn. 41).
60
Das LGL hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass der von der EFSA abgeleitete ARfD-Wert dem aktuellen Wissens- und Kenntnisstand entspricht und seine Ableitung keine gravierenden methodischen Fehler aufweist. Zum einen ist es nicht zu beanstanden, wenn für die gesundheitlich nachteilige (adverse) Reaktion auf eine durch Nikotin verursachte Erhöhung der Herzfrequenz abgestellt wird. Erhöhte Herzschlagschlagfrequenzen gehen nach dem Stand der Wissenschaft mit einer erhöhten Mortalität einher. Das LGL hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass es bei der Beurteilung der Gesundheitsschädigung nicht darauf ankommt, ob der Effekt reversibel ist. Ausschlaggebend ist, ob eine - wenn auch nur vorübergehende - gesundheitliche Beeinträchtigung eintritt. Zum anderen ist die Klägerin dem Hinweis des LGL, die Toxizität von Nikotin sei seit sehr langer Zeit sehr gut untersucht und es handle sich bei dem für Nikotin abgeleiteten ARfD-Wert um einen international anerkannten Bezugswert, nicht substantiell entgegengetreten. Soweit die Klägerin sich auf Dokumente der European Chemicals Agency bzw. der Europäischen Kommission bezieht (Anlage K 22 und K 23), so ist dem entgegenzuhalten, dass sich die im Bereich der Chemikalienregulierung angewandten Werte nicht auf die Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelsicherheit eignen.
61
Soweit die Klägerin vorträgt, neuere Studien im Zusammenhang mit einer Nikotinersatztherapie belegten die Ungeeignetheit des abgeleiteten ARfD Werts, so ist auch dies nicht geeignet, die Risikobewertung des LGL in Zweifel zu ziehen. Die von der Klägerin zitierte Studie bezieht sich auf die Durchführung einer Nikotinersatztherapie bei Schwangeren, bei der im Zuge der Entwöhnung Nikotinpflaster eingesetzt wurden, die das 262-fache des von der EFSA abgeleiteten ARfD-Werts zum Gegenstand hatten. Gegenstand der Studie war die Frage, bei welcher Dosierung von Nikotin im Rahmen einer Nikotinersatztherapie bei Schwangeren bleibende Schädigungen des Embryos vermieden werden können. Die Studie ist auf die hier zu entscheidende Fragestellung im Bereich des Lebensmittelrechts nicht übertragbar, zumal Nikotinpflaster unter ärztlicher Betreuung zur Unterstützung der Raucherentwöhnung eingesetzt werden.
62
Auch die Behauptung, im Gegensatz zum Nikotin würden die schädlichen Wirkungen von Koffein hingenommen, was eine unzulässige Ungleichbehandlung darstelle, verfängt nicht. Wie das LGL nachvollziehbar dargelegt hat, werden auch die Wirkungen von Koffein von der EFSA als advers (schädlich) eingestuft, wobei aus verschiedenen Studien abgeleitet wurde, dass Dosen unterhalb von 400 mg Koffein am Tag als unproblematisch anzusehen seien. Produkte mit deutlich höheren Koffeingehalten würden als gesundheitsschädlich eingeschätzt, unabhängig davon, ob es sich um Kaffeeprodukte, EnergyDrinks oder Nahrungsergänzungsmittel handele.
63
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass das LGL bei der Risikobewertung von einer zu niedrigen letalen Dosis ausgeht, kann auch dieser Einwand die Risikoermittlung durch das LGL nicht nachhaltig erschüttern. Das LGL weist nachvollziehbar darauf hin, dass die letale Dosis von Nikotin für die Bewertung gesundheitlicher Risiken von Lebensmitteln ungeeignet ist. Es kommt daher für die Plausibilität der Risikobewertung nicht darauf an, dass das Bundesamt für Risikoforschung in einer neueren Stellungnahme von einem höheren letalen Wert ausgeht. Da die letale Dosis als Bezugspunkt für die Risikobewertung eines Lebensmittels nicht herangezogen werden kann, ist auch der Hinweis auf die unterschiedliche Bewertung der letalen Dosis von Nikotin im Zusammenhang mit der Verwendung elektronischer Zigaretten nicht geeignet, die Risikoanalyse des LGL in Zweifel zu ziehen.
64
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Gesundheitsschädlichkeit eines Produktes im Lebensmittelrecht anders zu beurteilen als gesundheitsschädliche Wirkungen von Tabakerzeugnissen oder Arzneimitteln. Tabakerzeugnisse sind aufgrund ihres Nikotingehalts schon dem Grunde nach gesundheitsschädlich, daher gibt es für Tabakerzeugnisse keine Regelungen, die das Inverkehrbringen dieser Produkte untersagen. Vielmehr wird - aus gesellschaftlichen Gründen - die gesundheitliche Schädlichkeit des Produkts hingenommen und dieses lediglich mit Warnhinweisen versehen. Die Verwendung von Nikotin als Arzneimittel zur Unterstützung der Raucherentwöhnung kann ebenfalls nicht als Vergleich herangezogen werden. Während Lebensmittel nicht gesundheitsschädlich sein dürfen, werden Arzneimittel nur bei medizinischer Indikation eingenommen. Auch können bei Arzneimitteln aufgrund ihres Nutzens häufig gewisse Nebenwirkungen akzeptiert werden.
65
Die Gesundheitsschädlichkeit wird auch nicht durch Warnhinweise auf den Produkten ausgeschlossen, da die gesundheitsschädliche Wirkung nicht erst bei übermäßigem Gebrauch oder sonstiger missbräuchlicher Verwendung des streitgegenständlichen Produkts eintritt, sondern Folge der bestimmungsgemäßen Verwendung ist. Die Warnung vor Gesundheitsgefahren, die auch bei bestimmungsgemäßer Verwendung zwangsläufig eintreten, dient nicht der Vermeidung von Risiken, der durch die in Art. 14 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002 genannten Hinweise begegnet werden kann.
66
Da die Risikobewertung durch das LGL auf der Grundlage der Erkenntnisse der EFSA als mit besonderer Fachkunde ausgestattete, unabhängige Behörde plausibel und nachvollziehbar ist, ist die rechtliche Bewertung, dass es sich bei den tabakfreien Nikotinbeuteln um gesundheitsschädliche Lebensmittel handelt, nicht zu beanstanden. Das Inverkehrbringen verstößt somit gegen Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) 178/2002. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Untersagungsverfügung auf Grundlage von Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. d KontrollVO liegen daher vor.
67
4. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich, insbesondere ist die Maßnahme verhältnismäßig.
68
Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 KontrollVO verpflichtet die zuständige Behörde im Falle eines Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zum Einschreiten und eröffnet im Hinblick auf die Auswahl der zu treffenden Maßnahme und des richtigen Adressaten ein Ermessen. Das Verbot des Inverkehrbringens ist im nicht abschließenden Katalog der möglichen Maßnahmen ausdrücklich genannt (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d). Im Falle eines Verstoßes gegen ein Verbot des Inverkehrbringens ist eine entsprechende Verbotsverfügung zur Vermeidung weiterer Verstöße geeignet und auch erforderlich, da ein milderes, gleich wirksames Mittel nicht ersichtlich ist. Insbesondere ist das Anbringen entsprechender Warnhinweise als milderes Mittel nicht gleichermaßen geeignet, der vom Nikotingehalt ausgehenden Gesundheitsschädlichkeit zu begegnen, da nicht ersichtlich ist, welche Hinweise dazu führen sollten, dass die gerade bezweckte und in diesem Sinne bestimmungsgemäße Aufnahme einer gesundheitsschädlichen Nikotindosis verhindert würde. Das Verbot des Inverkehrbringens ist auch angemessen, da im Falle des verbotswidrigen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel die Gesundheit der Verbraucher, die zu schützen der Staat verpflichtet ist (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), Vorrang vor dem im Rahmen der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützten Erwerbsinteresse der Klägerin hat. Es ist naheliegend, dass derjenige, der neuartige Produkte in den Verkehr bringt, das unternehmerische Risiko ihrer Verkehrsfähigkeit zu tragen hat.
69
5. Die Berufung war auf Antrag der Klägerin zuzulassen, da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die über den Einzelfall hinausgeht und einer obergerichtlichen Klärung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden soll (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
70
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).