Titel:
Genehmigung einer Kinderwunschpraxis
Normenketten:
GG Art. 20
BV Art. 3 Abs. 2 S. 2
SGB V § 121a
Leitsätze:
1. Die Mitwirkung eines sogenannten Beratergremiums bei der Genehmigung nach § 121a SGB V ist dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein solches Gremium dem Entscheidungsträger nur beratend zur Seite steht, dessen Beurteilung von der zuständigen Behörde nicht ungeprüft übernommen wird und es sich somit um dessen ureigene Entscheidung handelt. (Rn. 39)
2. Eines Ausschreibungsoder Nachbesetzungsverfahrens bei Genehmigungen nach § 121a SGB V, einem Verfahren „sui generis“ entsprechend § 103 Abs. 3 a SGB V bedarf es nicht. (Rn. 40)
3. Die Regelung des § 121a SGB V verstößt nicht gegen die sogenannte Wesentlichkeitstheorie als Ausfluss des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 GG). Es ist generell zulässig, wenn „Grundsätze für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung der künstlichen Befruchtung“ (zuletzt in der Fassung vom 01.05.2020) aufgestellt werden und sich der Entscheidungsträger daran orientiert. Hierbei handelt es sich um „gesetzesauslegende und norminterpretierende Verwaltungsvorschriften zum in § 121a Abs. 1, Abs. 2 SGB V enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriff der Bedarfsgerechtigkeit“ (vgl. BayLSG, Urteil vom 03.03.2021, Az L 12 KA 70/19). (Rn. 41)
4. Sinn und Zweck von § 121a SGB V zum Zeitpunkt der Einführung der Vorschrift im Jahr 1990 war, es solle einer Entwicklung vorgebeugt werden, die zu einem Absinken der Indikationsschwelle führe (BT-Drucks. 11/6760 zu Nummer 6). Diesem Aspekt wird heute zumindest nicht mehr die Bedeutung beizumessen sein, wie dies damals der Fall war (Einführung der Kryokonservierung in § 27a Abs. 4 SGB V als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung; Förderung der Maßnahmen der künstlichen Befruchtung entsprechend der Bundesrichtlinie und der Landesrichtlinie). (Rn. 45)
5. Zum Kriterium der „Bedarfsgerechtigkeit“ gehört auch, dass die Einrichtung entsprechend leistungsfähig ist, damit ein hoher Qualitätsstandard (zu messen an der Erfolgsquote) erreicht wird. Dies ist in der Regel bei Einrichtungen der Fall, die eine ausreichend hohe Anzahl an Behandlungszyklen erbringen. (Rn. 46)
6. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken Planungsbereiche mit einem Radius von 80 km festzulegen. (Rn. 48)
7. Werden für die Ermittlung des Bedarfs allgemeine Verhältniszahlen zugrunde gelegt, müssen diese den aktuellen Bedarf widerspiegeln. Das Abstellen auf den Stichtag 31.12.1998 wird dem seither eingetretenen Zuwachs an Leistungen der künstlichen Befruchtung nicht gerecht. (Rn. 49)
8. Grundsätzlich ist bei Planungen für Einrichtungen der künstlichen Befruchtung darauf zu achten, dass diese flächendeckend (Art. 3 Abs. 2 S. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern) sind. Ergibt sich aber in einem Planungsraum ein Bedarf, in dem bereits eine gute Versorgung besteht, kann eine Genehmigung nach § 121a SGB V nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Versorgung in anderen Regionen deutlich schlechter ist und an sich in erster Linie dort zusätzliche Versorgungsangebote zu schaffen wären. (Rn. 62)
Schlagworte:
Kinderwunsch, künstliche Befruchtung, ICSI, IVF, Kryokonservierung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 23875
Tenor
I. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 23.10.2017 in Gestalt des Bescheides vom 13.12.2018, betreffend Frau R. und der Bescheid des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 13.12.2018, betreffend Herrn M. werden aufgehoben, soweit den Anträgen der Kläger nach § 121 a SGB V nicht stattgegeben wurde.
II. Der Beklagte wird verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
1
Mit Bescheid vom 23.10.2017 wurde der Antrag von Frau R auf Genehmigung nach § 121a SGB V für ein Zentrum in G abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe kein entsprechender Bedarf. So sei eine allgemeine Verhältniszahl von 901.505 Einwohner pro Zentrum zugrunde zu legen. Nach einem Abschlag in Höhe von 15% ergebe sich eine allgemeine Verhältniszahl von 766.186 Einwohner pro Zentrum. Im Zusammenhang mit der örtlichen Verhältniszahl werde ein 80 km-Radius um die Einrichtung für zumutbar gehalten. Unter Berücksichtigung dieses Radius und der Einwohnerzahl im Umkreis ergebe sich eine örtliche Verhältniszahl von 540.707 für ein Zentrum. Nachdem die örtliche Verhältniszahl niedriger sei als die allgemeine Verhältniszahl, liege eine Überversorgung vor, weshalb ein Bedarf nicht festzustellen sei.
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Am 12.12.2018 bzw. 13.12.2018 wurden weitere Bescheide von der Beklagten erlassen. Damit wurde den Anträgen von Frau R und von M auf Genehmigung nach § 121a SGB V teilweise Rechnung getragen. In den gleichlautenden Bescheiden wurde eine Genehmigung für intrazervikale, intrauterine oder intratubare Insemination und hormonelle Stimulation nach Nummer 10.2 der Richtlinien über künstliche Befruchtung erteilt. Im Übrigen wurden die Anträge abgelehnt.
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Die Klage, die sich zunächst nur gegen den Bescheid des Beklagten vom 23.10.2017, Frau R. betreffend, richtete, wurde umfangreich begründet. Zunächst wurden Zweifel geäußert, ob die Vorschrift des § 121a SGB V verfassungsgemäß sei, insbesondere, ob das Bestimmtheitsgebot eingehalten sei. Rechtlich beanstandet wurde ferner, dass der Beklagte seine Entscheidung auf das sogenannte Beratungsgremium „künstliche Befruchtung“ stütze. Dieses könne die Entscheidung der zuständigen obersten Landesbehörde nicht ersetzen. Zu beanstanden sei ferner die Zusammensetzung dieses Beratungsgremiums. Es sei davon auszugehen, dass diesem auch Repräsentanten bereits nach § 121a SGB V genehmigter Zentren angehörten bzw. noch angehören, womit einer Interessenkollision verbunden sei.
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Durch die Ablehnung der von der Klägerin begehrten Genehmigung nach § 121a SGB V würden Art. 12 und 3 GG verletzt. Die Klägerin könne nicht darauf verwiesen werden, als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätig zu werden. Denn eine Kombinationspraxis sei nicht möglich, da es unterschiedliche organisatorische Abläufe gebe.
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Rechtlich zu beanstanden sei insbesondere die von dem Beklagten erfolgte Bedarfsprüfung. So stütze der Beklagte seine Entscheidung auf allgemeine Verhältniszahlen aus dem Jahr 1998. Es gebe zwar bei der Entscheidung über Anträge nach § 121a SGB V einen Beurteilungsspielraum der zuständigen obersten Landesbehörde. Dieser finde aber seine Grenze in dem sogenannten Willkürverbot. Es sei zu berücksichtigen, dass bei den Leistungen IVF, ICSI, Kryo-Zyklen ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen sei. So habe es im Jahr 2015 doppelt so viele Leistungen (ca. 96.000) im Vergleich zum Jahr 1998 (45.000) gegeben. Die Zahl der Zentren sei bundesweit lediglich von 91 auf 130 angestiegen, in Bayern von 14 auf 20 Zentren. Dies entspreche einem Zuwachs von lediglich 42%. Die Genehmigungspraxis des Ministeriums sei deshalb kein taugliches Steuerungsinstrument. 1998 habe es noch keine Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gegeben, die hauptsächlich auf diesem Sektor tätig seien. Bei den Zahlen aus dem Jahr 1998 handle es sich um eine Idealvorstellung. Soweit der Beklagte einen 80 km Radius für zumutbar halte, werde diese Auffassung nicht geteilt. Denn ein Vergleich mit hochspezialisierten Leistungsangeboten, wie CT und MRT könne nicht gezogen werden. Patienten, die solche hochspezialisierten Leistungen in Anspruch nähmen, würden in der Regel nur einmal die Einrichtungen aufsuchen. Dagegen sei mit den von der Klägerin angebotenen Leistungen verbunden, dass die Patientinnen die Zentren nicht nur einmal aufsuchten, sondern mehrfach (fünf mal pro Zyklus). Außerdem handle es sich in den meisten Fällen um berufstätige Patientinnen, die darauf angewiesen seien, dass die Versorgungsangebote in kürzerer Distanz zur Verfügung stünden. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass der Bedarf an diesen Leistungen noch weiter zunehme. Dies betreffe speziell die Region M Umland, so auch den M Norden, der ein bedeutender Wirtschaftsstandort sei. Der Gesetzgeber habe außerdem zu erkennen gegeben, dass er Interesse daran habe, die Versorgungsangebote auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung auszuweiten. So sei § 27a SGB V um Abs. 4 ergänzt worden. Damit hätten auch gesetzlich Versicherte Anspruch auf eine sogenannte Kryokonservierung. Patienten die sich dafür entschieden hätten, ließen später eine IVF durchführen. Ferner gebe es auch eine Bezuschussung auf Bundesebene, aber auch eine Bezuschussung auf Landesebene in Bayern durch die Einführung der Richtlinie zur Förderung der Kinderwunschbehandlung. Die Praxis der Klägerin werde damit noch weiter von der Versorgung ausgeschlossen, da eine Förderung auch für nicht verheiratet gemischt-versicherte Paare gewährt werde (wird an Beispielen aufgezeigt). Voraussetzung für eine Förderung sei jedoch, dass die Maßnahmen in einer Einrichtung stattfänden, die über eine Genehmigung nach § 121a SGB V verfüge. Damit komme der Genehmigung noch größere Bedeutung zu. Dies stelle einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Grundgesetz dar.
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Zu kritisieren sei die praktizierte Bedarfsplanung des Beklagten auch deshalb, weil bestehende Zentren ungebremst wachsen könnten. Es handle sich vielfach um MVZs, die unabhängig einer jeglichen Bedarfsprüfung weitere Ärzte anstellen bzw. weitere Vertragsärzte mit in das MVZ aufnehmen könnten. Damit werde jegliche Bedarfsplanung unterlaufen und es würden zusätzliche Kapazitäten geschaffen.
§ 121a SGB V sei nicht geeignet, den Normzweck zu erfüllen. Der Normzweck sei auch nicht mehr der, wie im Jahr 1998, zumal künstliche Befruchtungen nun auch gefördert würden. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vertrat die Auffassung, die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 11.02.2015 (Az B 6 KA 43/14 B) sei nicht anzuwenden, da Gegenstand des Verfahrens ein Antrag aus dem Jahr 2008 gewesen sei. Zu beanstanden sei ferner, dass kein Ausschreibungsverfahren und auch kein Nachbesetzungsverfahren stattfinde.
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Bei der Bedarfsprüfung werde ignoriert, dass der Bedarf an Therapien deutlich angestiegen sei. Der Zuwachs spiele bei der Bedarfsermittlung des Beklagten aber keine Rolle.
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Soweit der Beklagte damit argumentiere, ein Absenken der Verhältniszahlen führe zu Verwerfungen im ländlichen Raum sowie, die Genehmigung, wie sie beantragt wurde, gefährde die Bedarfsplanung im ländlichen Raum, sei dies nicht nachvollziehbar. Denn der Standort G liege im ländlichen Raum, sodass der ländliche Raum von einer entsprechenden Genehmigung sogar profitieren würde. Ein Abstellen auf die Fallzahlen wäre der objektivste Maßstab.
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Ebenfalls könne nicht angezweifelt werden, die Einrichtung der Klägerin biete aufgrund der Anzahl der Leistungen in geringerem Umfang keine Gewähr für eine qualitativ hochwertige Versorgung. Zum einen gehöre die Einrichtung der Klägerin nicht zu den Einrichtungen mit vergleichsweise wenigen Leistungen. Sie befinde sich vielmehr im Mittelfeld. Außerdem sei die Erfolgsquote in der Einrichtung der Klägerin sogar höher als beim Durchschnitt der Einrichtungen.
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Der Beklagte wies darauf hin, nach § 121a SGB V sei maßgeblich für die Genehmigung das Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 11/6760 zu Nummer 6) hierzu werde ausgeführt, dieses Kriterium solle einer Entwicklung vorbeugen, die zu einem Absenken der Indikationsschwelle führe. Der Beklagte wende objektive Kriterien an. Die Maßstäbe seien in den Genehmigungsgrundsätzen des Staatsministeriums niedergelegt und nicht als überholt anzusehen. Hintergrund für den Stichtag zum 31.12.1998 sei, dass die Leistungen zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen waren und man davon ausging, dass sich zu diesem Zeitpunkt die Versorgung entsprechend etabliert habe. Auch habe sich der Radius von 80 km bewährt. Im Übrigen gebe es im Großraum M gute Verkehrsanbindungen, die eine schnelle Erreichbarkeit bereits bestehender Einrichtungen gewährleisteten.
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Ein Verstoß gegen Art. 12 Grundgesetz sei nicht ersichtlich. Allenfalls handle es sich um eine Berufsausübungsregelung, die durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wäre. Die Basis sei der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Hinzuweisen sei auch auf das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.01.2019 (Aktenzeichen S 28 K 95/17). In dieser Entscheidung sei die sachgerechte Beurteilung durch den Beklagten bestätigt worden. So sei ausgeführt worden, es sei den Grundsätzen inhärent, dass die bei der Berechnung der örtlichen Verhältniszahl zu berücksichtigenden IVF-Zentren, die bereits über eine Genehmigung nach § 121a SGB V verfügten, in ihrer Größe bzw. ihren Kapazitäten (teilweise) variieren.
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Was die Anzahl an Behandlungszyklen betreffe, so sei ein verstärkter Zuwachs seit 2016 in Bayern nicht belegt. Im Jahr 2017 habe es keinen Zuwachs gegeben, während im Jahr 2018 ein Zuwachs in Höhe von 8,2% und im Jahr 2019 ein Zuwachs von 2,3% zu verzeichnen gewesen sei. Im Übrigen habe die ICSI-Methode lediglich die IVF ersetzt, sodass sich daraus eine erhöhte Nachfrage durch neue Behandlungsmethoden nicht ergebe. Die Anzahl an ICSI-Leistungen sei seit 2002 um 19,5% gestiegen, die der Zentren um 25%.
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Soweit von der Klägerseite beanstandet werde, dass die bereits vorhandenen und genehmigten Zentren, meist MVZs nach § 121a SGB V unbegrenzt „wachsen“ könnten, sei dies in der Vergangenheit nicht beobachtet worden. Außerdem sei zum 01.05.2020 eine personelle Begrenzung eingeführt worden. Nunmehr dürften maximal drei Ärzte neben dem ärztlichen Leiter dort tätig sein.
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Der Beklagte betonte, eine Absenkung der Fallzahl würde zu nicht nachvollziehbaren Verzerrungen im ländlichen Raum führen. Auch der Umstand, dass kein Auswahlverfahren und auch kein Nachbesetzungsverfahren vorgesehen sei, führe nicht zu einer grundgesetzwidrigen Berufszugangsbeschränkung.
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Durch die Einführung des Abs. 4 in § 27a SGB V entstehe kein zusätzlicher Bedarf. Denn den Anspruch für eine Kryokonservierung gebe es nur für einen eingeschränkten Personenkreis, wenn diese wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheine. Auch allein aus dem Zuwachs an Behandlungszyklen könne nicht geschlossen werden, dass die auf pauschalen Bedarfskriterien beruhende Beurteilung des Bedarfs für Bayern zu offensichtlich nicht mehr sachgerechten Ergebnissen führe. So habe auch eine Umfrage 2016 (Januar) bei den bestehenden Zentren stattgefunden. Dabei seien keine unzumutbaren Wartezeiten festgestellt worden. Allein aus der Zunahme der Behandlungszyklen könne nicht geschlossen werden, dass die auf den pauschalen Bedarfskriterien beruhende Beurteilung des Bedarfs für Bayern zu offensichtlich nicht mehr sachgerechten Ergebnissen führe. Denn im Jahre 2003 hätten die vorhandenen Zentren höhere Zahlen zu erbringen gehabt als heute.
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Zum Beratungsgremium „künstliche Befruchtung“ wies der Beklagte darauf hin, es sei keine Interessenkollision erkennbar. Selbstverständlich würden Vorschläge des Gremiums nicht ungeprüft übernommen. Es handle sich um eine ureigene Entscheidung der obersten Landesbehörde.
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Am 09.07.2019 fand eine mündliche Verhandlung statt. Das Verfahren wurde damals nicht entschieden und sollte stattdessen am 24.10.2019 fortgesetzt werden. Nachdem kurz vorher ein Antwortschreiben des Bundesverbandes reproduktionsmedizinischer Zentren e.V. (BRZ) auf Anfrage des Gerichts einging, fand der Termin am 24.10.2019 nicht statt, zumal den Beteiligten Gelegenheit einzuräumen war, sich zu dem Antwortschreiben zu äußern.
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In dem Antwortschreiben vom 19.10.2019 äußerte sich der BRZ zu den vom Gericht gestellten Fragen. Zum Bedarf wies er auf die D.I.R.-Jahrbücher aus den Jahren 1998 und 2017 hin. Darin werde belegt, dass der Bedarf an reproduktionsmedizinischen Leistungen im engeren Sinn kontinuierlich zunehme. So seien damals (1998) 46.730 Behandlungszyklen dokumentiert worden, während 2017 insgesamt 109.779 Behandlungszyklen erfasst worden seien. Auch die reproduktionsmedizinischen Zentren hätten zugenommen, und zwar von rund 100 im Jahr 1998 auf 134 im Jahr 2017. Eine aktuelle Umfrage habe ergeben, dass es insgesamt 142 Zentren gebe. Tabellarisch wurden alle Bundesländer erfasst. Für Bayern mit einer Einwohnerzahl von 13.076.721 wurden insgesamt 23 Zentren ausgewiesen, sodass auf ein Zentrum eine Einwohnerzahl von 568.553 entfalle. Der Durchschnitt liege bei 583.790 Einwohner pro Zentrum. Zur Versorgungssituation in M wird mitgeteilt, diese sei günstig und M weise nach D (214.101 Einwohner pro Zentrum) die zweitbeste städtische Versorgungsstruktur auf (256.552 Einwohner pro Zentrum). An dieser günstigen Situation ändere sich auch nichts durch die wohl berechtigte Annahme, dass auch eine Vielzahl von Einwohnern des M Umlandes hier mit behandelt wird. Auf die Frage „Steht die Anzahl an Reproduktionsmedizinern in einem Zentrum in direktem Zusammenhang mit der Qualität der Leistungsfähigkeit eines Zentrums?“ wurde darauf hingewiesen, diese Frage lasse sich so nicht beantworten, zumal auch die Ärzte in den Zentren nicht alle in Vollzeit beschäftigt seien. Aus dem D.I.R.-Jahrbuch 2017 ergebe sich allerdings ein Zusammenhang zwischen der Erfolgsrate und der Anzahl der Behandlungszyklen. Viele Behandlungszyklen würden in großen Zentren durchgeführt, deren Erfolgsquote im Bereich der klinischen Schwangerschaften pro Embryotransfer bei 32,8% liege, in kleineren Zentren zwischen 24% und 26%. Größere Zentren, also solche mit mehr Reproduktionsmedizinern erzielten etwas bessere Ergebnisse.
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Des Weiteren wurde vom BLZ wie folgt ausgeführt:
„Die Grundsätze für Genehmigungen nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtung werden dem aktuellen Stand nicht gerecht. Das liegt zum einen an der gestiegenen Einwohnerzahl der Bundesrepublik, vor allem aber an der Tatsache, dass sich die Anzahl der dokumentierten Behandlungszyklen zwischen 1998 und heute mehr als verdoppelt hat. Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch neue Behandlungsarten und Möglichkeiten eine erhöhte Nachfrage schaffen. 1998 war zum Beispiel die ICSI-Behandlung noch gar nicht etabliert. Aktuell wurde durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in § 27a SGB V ein neuer Abs. 4 eingefügt, der ergänzend auch Leistungsansprüche für fertilitätserhaltende Maßnahmen vorsieht.“
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Daraufhin äußerte sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin dahingehend, der BRZ habe die Ansicht der Klägerseite bestätigt, wonach die Grundsätze für Genehmigung nach § 121a SGB V nicht geeignet seien. Allerdings werde die Darstellung des BRZ zur Versorgungslage in der Region, für die die Kläger die Genehmigung beanspruchten, nicht geteilt. Denn es seien auch Einwohner der Landkreise mit zu berücksichtigen.
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Der Beklagte betonte, die Zahlen des BRZ würden zeigen, dass die Versorgung in M sehr gut sei, nämlich die zweitbeste nach D.
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Die Prozessbevollmächtigte teilte im Schriftsatz vom 14.01.2019 mit, die Klage werde gemäß § 99 SGG erweitert. Die Klageerweiterung beziehe sich auf den Bescheid vom 13.12.2018. Hierbei handle es sich um einen Folgebescheid. Einen inhaltsgleichen Bescheid habe auch M. mit Datum vom 13.12.2018 erhalten. Auch diesbezüglich werde die Klage erweitert. Es handle sich um eine subjektive Klagehäufung, die ebenfalls eine Klageerweiterung darstelle. Unterschiedliche Auffassungen zwischen den Beteiligten bestanden hinsichtlich der Frage, ob der Bescheid vom 13.12.2018 mit dem Adressaten M. bestandskräftig wurde. Hierzu übermittelte die Prozessbevollmächtigte einen Fax-Sendebericht vom 16.01.2019, wonach die Klage am 16.01.2019 zum Sozialgericht München erhoben wurde. Es werde um Rubrumgsberichtigung gebeten.
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Die Sachund Rechtslage wurde in der mündlichen Verhandlung am 07.07.2021 mit den Beteiligten besprochen. Mit dem Gericht stimmten die Beteiligten darin überein, dass von einer subjektiven und objektiven Klagehäufung auszugehen sei (zwei Kläger; zwei Bescheide).
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Die Prozessbevollmächtigte führte aus, die Abweisung der Anträge in den angefochtenen Bescheiden vom 13.12.2018 sei nicht gerechtfertigt. Bereits die für die Bedarfsberechnung angewandten Verhältniszahlen (allgemeine Verhältniszahl - örtliche Verhältniszahl) könnten nicht zur Bedarfsberechnung herangezogen werden. Bei der Ausgangslage im Jahr 1998 sei man von der Vorstellung ausgegangen, dass in einem Zentrum 500 Zyklen abgedeckt werden sollten. Auch nach Aussage des BRZ hätten sich aber die Zyklen verdoppelt. Wenn man nunmehr 500 Zyklen pro Zentrum zugrunde lege, dann seien bundesweit ca. 219 Zentren erforderlich. Auch sei zu vermissen, dass Zahlen zur Bedarfsdeckung, insbesondere wie sich die Zahlen der vorhandenen Zentren in der GKV geändert haben, von dem Beklagten nicht offengelegt werden. Soweit der Beklagte auf Umfrageergebnisse des Jahres 2016 verwiesen habe, seien hierzu keinerlei Zahlen mitgeteilt worden. Die Entscheidung sei nicht nachvollziehbar und auch klägerseits nicht nachprüfbar.
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Wenn man einen Vergleich anstellen wolle, dann sei das Behandlungsgeschehen insgesamt zu berücksichtigen. Es habe auch in Bayern eine Verdopplung der Zyklen gegeben, nicht nur bundesweit. Hierzu habe der Beklagte keinerlei Ausführungen gemacht. Was die Beteiligung des Beratungsgremiums betreffe, so sei zu bezweifeln, ob dies den rechtsstaatlichen Anforderungen und den Anforderungen an die Transparenz genüge. Im Übrigen seien Umfrageergebnisse nicht offengelegt worden. Die Thematik sei insbesondere aus dem Bereich der Sonderbedarfszulassung bekannt. Umfrageergebnisse müssten aber auch objektiviert werden. Entgegen der Auffassung des Beklagten bestehe ein Bedarf, wie sich auch darin zeige, dass Patienten für einen ersten Termin aktuell drei Monate warten müssten. Die Gesetzesbegründung zu § 121a SGB V könne nur bedingt herangezogen werden. Denn der politische Wille sei offensichtlich gegeben, gesetzlich Versicherten auch diese Therapien anzubieten. Selbstverständlich spiele die Qualität der Einrichtung eine entscheidende Rolle. Hinzuweisen sei auch darauf, dass die IVF als Methode durch die Methode ICSI nicht ersetzt wurde, sondern beide Methoden nebeneinander stünden. Was den Versorgungsgrad betreffe, sei darauf hinzuweisen, dass in M nur fünf Zentren und nicht sechs Zentren eine entsprechende Versorgung anböten. Denn eine Übertragung des Zentrums von der T auf die L sei nicht zustande gekommen. Bei lediglich fünf Zentren in M belaufe sich die örtliche Verhältniszahl auf 648.848 pro Zentrum und komme damit der Grenze des „Schwellenwertes“ sehr nahe.
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Der Vertreter des Beklagten machte auf das Parallelverfahren unter dem Aktenzeichen L 12 KA 70/19 aufmerksam. In dem Verfahren habe sich das Bayerische Landessozialgericht sehr ausführlich mit den Argumenten auseinandergesetzt und die Grundsätze rechtlich nicht beanstandet. Die Kriterien seien nach wie vor aktuell, um den Bedarf richtig abzubilden. Ein eklatanter Anstieg der Therapien sei nicht ersichtlich. Darüber hinaus müsse die Genehmigungsbehörde die Versorgungssituation in ganz Bayern im „Blick“ haben. Werde die Verhältniszahl abgesenkt, so würde der Bedarf in einigen Regionen noch größer und es entstehe ein noch größeres Ungleichgewicht. Das Problem sei, in der Fläche reproduktionsmedizinische Angebote zu finden. Die Grundsätze würden immer noch eine sachgerechte Entscheidung zulassen.
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Die Einschaltung des Beratungsgremiums sei rechtlich zulässig. Mittlerweile seien keinerlei niedergelassene Ärzte in dem Gremium vertreten. Das Ministerium treffe die Entscheidung über einen Antrag nach § 121a SGB V in eigener Verantwortung. Es sei zwar einzuräumen, dass die Zahlen steigen würden, es gebe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass bestehende Einrichtungen den Bedarf nicht abdecken könnten. Selbstverständlich sei auch nach den Wartezeiten gefragt worden.
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Die Vertreterin der beigeladenen Krankenkasse wies darauf hin, es komme auf die bedarfsgerechte Versorgung an, wie sich aus § 121a Abs. 2 Ziff. 2 SGB V ergebe. Es sei sicherlich ein Gewinn, wenn den Klägern eine Genehmigung erteilt werde. Diese Genehmigung stehe aber unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Im Ergebnis folge die beigeladene Krankenkasse der Auffassung des Beklagten. Danach sei besonderes Augenmerk auf eine gleichmäßige Versorgungslage zu richten. Gerade in M bzw. im M Umland gebe es keine Unterversorgung. Vielmehr schneide M im bundesweiten Vergleich sogar sehr gut ab.
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Die Prozessbevollmächtigte der Kläger stellte folgende Anträge:
I. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 23.10.2017 in Gestalt des Bescheids vom 13.12.2018, betreffend Frau R. und der Bescheid vom 13.12.2018, betreffend Herrn M. werden aufgehoben, soweit den Anträgen der Kläger nach § 121a SGB V insgesamt nicht stattgegeben wurde.
II. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern die Genehmigung zur Durchführung von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 121a SGB V insgesamt zu erteilen, hilfsweise unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Vertreter des Beklagten beantragte,
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Die Vertreterin der Beigeladenen zu 2 stellte keine Anträge.
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Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die zahlreichen und umfangreichen Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschriften vom 09.07.2019 und 07.07.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist sowohl, was den Hauptantrag, als auch den Hilfsantrag betrifft, zulässig, jedoch lediglich hinsichtlich des Hilfsantrages als begründet anzusehen.
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Die Entscheidung erfolgte durch die Kammer mit der Kammerbesetzung, bestehend neben dem Vorsitzenden aus einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Krankenkassen und aus einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Ärzteschaft. Die Kammerbesetzung entspricht daher den Vorgaben des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 05.06.2013, Az B 6 KA 28/12 R).
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Die ursprüngliche Klage richtete sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 23.10.2017, betreffend Frau R. Nachdem der Beklagte für Frau R einen neuen Bescheid mit Datum vom 13.12.2018 erlassen hat, ist dieser nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Einer Erklärung, ob es sich um eine zulässige Klageänderung im Sinne von § 99 SGG handelt, bedarf es somit nicht. Zumal M., der ebenfalls in dem Zentrum zusammen mit Frau R. tätig werden soll bzw. dort bereits tätig ist (Behandlung von Patienten außerhalb der GKV), einen inhaltsgleichen Bescheid erhalten hat, erschien es angezeigt, auch hierüber zu entscheiden und zwar im Wege einer subjektiven und objektiven Klagehäufung nach § 99 SGG, die als sachdienlich zu betrachten war. Abgesehen davon erklärten die Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ihr Einverständnis mit der Klageänderung.
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In dem Verfahren ist zu klären, ob die Bescheide des Beklagten vom 13.12.2018, betreffend R. und M. rechtmäßig sind und die Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung nach § 121a SGB V haben.
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Rechtsgrundlage für die von den Klägern begehrte Genehmigung ist § 121a SGB V i.V. m. den „Grundsätzen für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung der künstlichen Befruchtung“. Die Durchführung von künstlichen Befruchtungen steht unter einem Genehmigungsvorbehalt (§ 121a Abs. 1 SGB V). Voraussetzung ist, dass 1. die in Abs. 1 Satz 1 genannten Ärzte und ärztlichen Einrichtungen über die für die Durchführung der Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (§ 27a Abs. 1) notwendigen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten und 2. diese die Gewähr für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Durchführung von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (§ 27a Abs. 1) bieten. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach 1. ist zwischen den Beteiligten unstrittig. Strittig ist dagegen, ob die Einrichtung die Gewähr für eine bedarfsgerechte Durchführung von Maßnahmen … bietet.
38
Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrages (Anfechtung der Verwaltungsakte, sowie Verpflichtung des Beklagten zur Genehmigung zur Durchführung von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 121a SGB V) unbegründet. Denn dem Beklagten steht ein Beurteilungsspielraum zu, was die Gewähr für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Durchführung von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (§ 121a Abs. 2 Ziff. 2 SGB V) betrifft, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist (BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az B 6 KA 43/14 B; BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az B 6 KA 5/13 R). Das Gericht kann nicht seinerseits anstelle des Beklagten den Beurteilungsspielraum ausüben und den ausschließlich dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraum ersetzen. Die Klage ist jedoch hinsichtlich des Hilfsantrags (Anfechtung der Verwaltungsakte, sowie Verpflichtung des Beklagten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden) als begründet anzusehen.
39
Die Bescheide sind nicht deshalb formell rechtswidrig, weil im Vorfeld ein sogenanntes Beratergremium mitgewirkt hat. Ein solches ist zwar weder im Gesetz (§ 121a SGB V), noch in den „Grundsätzen für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtung“ vorgesehen. Gleichwohl ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein solches Gremium dem Entscheidungsträger beratend zur Seite und auf diese Weise zusätzlicher Sachverstand zur Verfügung steht. Die Klägerseite hat zwar geltend gemacht, in diesem Gremium seien Personen aus dem niedergelassenen Bereich (Personen aus bereits bestehenden und nach § 121a SGB V genehmigten Zentren) vertreten. Wäre dies der Fall, kann nicht ausgeschlossen werden, dass deren subjektive Interessen im Vordergrund stehen und diese nicht daran interessiert sind, dass durch die Etablierung neu nach § 121a SGB V genehmigter Zentren eine zusätzliche Konkurrenz geschaffen wird. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Gesichtspunkte und Bewertungen des Beratungsgremiums ungeprüft vom Beklagten übernommen wurden und dass es sich bei den Entscheidungen des Beklagten nicht um dessen ureigene Entscheidungen handelt. Insofern ist es zwar nicht unproblematisch für eine beratende und zugleich objektiv ausgewogene Tätigkeit, aber doch unschädlich, wenn dem Beratergremium Personen aus dem niedergelassenen Bereich (Personen aus bereits bestehenden und nach § 121a SGB V genehmigten Zentren) angehören. Dies hat auch der Beklagte erkannt. In der mündlichen Verhandlung am 07.07.2021 hat dieser vorgetragen, die Besetzung des Beratergremiums sei mittlerweile so, dass eine Interessenkollision nicht zu befürchten sei.
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Dass es für das Verfahren, betreffend Genehmigungen nach § 121a SGB V kein Ausschreibungsoder Nachbesetzungsverfahren entsprechend § 103 Abs. 3 a SGB V gibt, erscheint ebenfalls rechtlich unbedenklich. Denn es handelt sich hierbei um ein Verfahren, das zwar einem Zulassungsverfahren ähnelt, jedoch als Verfahren „sui generis“ zu betrachten ist. Im Übrigen sieht das Gesetz auch für Ermächtigungen nach § 116 SGB V kein Ausschreibungsund Nachbesetzungsverfahren vor. Darüber hinaus ist eine grundgesetzwidrige Berufszugangsbeschränkung (Art. 12 Grundgesetz) nicht erkennbar.
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Was die materielle Rechtmäßigkeit betrifft, kann nicht eingewandt werden, § 121a SGB V sei nicht hinreichend bestimmt. Es gilt zwar grundsätzlich die sogenannte Wesentlichkeitstheorie als Ausfluss des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 GG). Danach muss der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (BVerfGE 77,170/230; Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 16. Aufl., Rn 72 zu Art. 20). Zu der Regelung des § 121a SGB V hat das Bundessozialgericht die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber rechtlich nicht gehalten war, die Kriterien für eine Bedarfsprüfung im Einzelnen vorzugeben. Vielmehr könne auf die für die Bedarfsbeurteilung etwa bei der Erteilung einer Ermächtigung oder der Genehmigung einer Zweigpraxis entwickelten Prüfungsgesichtspunkte zurückgegriffen werden (BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az B 6 KA 5/13 R). Ferner hat das Bundessozialgericht, wenn auch in anderem Zusammenhang (§ 119 SGB V) die Auffassung vertreten, die erforderlichen Vorgaben müssten sich nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben. Es genüge, dass sie sich mithilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen ließen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte (BSG, Urteil vom 17.02.2016, Az B 6 KA 6/15 R).
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Insofern ist es zulässig, dass der Beklagte für die Auslegung von § 121a SGB V „Grundsätze für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung der künstlichen Befruchtung“ (zuletzt in der Fassung vom 01.05.2020) aufgestellt hat und sich daran orientiert. Hierbei handelt es sich um „gesetzesauslegende und norminterpretierende Verwaltungsvorschriften zum in § 121a Abs. 1, Abs. 2 SGB V enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriff der Bedarfsgerechtigkeit (BayLSG, Urteil vom 03.03.2021, Az L 12 KA 70/19). Mit dem Bayerischen Landessozialgericht bestehen dagegen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken, ermöglichen die Grundsätze … ein einheitliches Verwaltungshandeln.
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Außerdem führte das Landessozialgericht in der letztgenannten Entscheidung aus, ein Verstoß gegen Art. 12 GG liege nicht vor. Die Vorschriften über die Zulassungsbeschränkungen im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung seien als Berufsausübungsregelungen zu qualifizieren, denen keine eine Berufswahl nahekommende Bedeutung zukomme. Allerdings hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az B 6 KA 5/13 R) darauf hingewiesen, eine reproduktionsmedizinisch ausgerichtete Praxis unterscheide sich so deutlich von einer gynäkologischen Praxis ohne diesen Schwerpunkt, dass die tatsächlichen Auswirkungen einer Genehmigung denen einer Statusentscheidung nahe kämen. Es werde dem Vertragsarzt oder dem MVZ nicht nur ein zusätzlicher Leistungsbereich öffnet, sondern eine qualitativ andersartige Teilnahmemöglichkeit. Gleichwohl sind Genehmigungen nach § 121a SGB V nicht der Berufswahl zuzuordnen, sondern der Kategorie der berufswahlnahen Rechtspositionen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 05.12.2012, Az L 5 KA 2791/12). Einschränkungen sind somit zulässig, soweit sie durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind.
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Bei dem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit steht der zuständigen Behörde ein der gerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zu (BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az B 6 KA 43/14 B; BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az B 6 KA 5/13 R).
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Sinn und Zweck von § 121a SGB V zum Zeitpunkt der Einführung der Vorschrift im Jahr 1990 war, es solle einer Entwicklung vorgebeugt werden, die zu einem Absinken der Indikationsschwelle führe (BT-Drucks. 11/6760 zu Nummer 6). Diesem Aspekt wird heute zumindest nicht mehr die Bedeutung beizumessen sein, wie dies damals der Fall war. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in § 27a Abs. 4 SGB V die Kryokonservierung als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt hat und insbesondere nunmehr eine bundesweite und landesweite Förderung der Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch den Staat erfolgt, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber Maßnahmen der künstlichen Befruchtung sogar befürwortet und das ursprüngliche Ziel in diesem Lichte zu relativieren ist. Dennoch ist das Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit nach wie vor zu beachten, da es zu den Genehmigungsvoraussetzungen in § 121a SGB V gehört. Die in diesem Zusammenhang vom Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 05.12.2012, Az L 5 KA 2791/12) vertretene Auffassung, mit der Formulierung „Gewähr für die bedarfsgerechte Durchführung“ habe der Gesetzgeber die Genehmigung nicht davon abhängig gemacht, dass ein von den bereits praktizierten Genehmigungsinhabern nicht gedeckter Versorgungsbedarf bestehe und der Genehmigungspflicht damit ausschließlich der Gedanke des Patientenschutzes zugrunde liege, wurde vom Bundessozialgericht in der nachfolgenden Revisionsentscheidung (BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az B 6 KA 5/13 R) nicht geteilt. Zur Begründung führte das BSG aus, das Merkmal bedarfsgerecht stehe im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers (Verhinderung des Absenkens der Indikationsschwelle für Maßnahmen der Reproduktionsmedizin; Gesetz vom 26.06.1990 (BGBl I S. 1211)) in untrennbarem Zusammenhang mit der Zahl der Leistungserbringer. Nach der Begründung der Vorschrift habe die zuständige Behörde bei ihrer Entscheidung die Bedarfssituation und den Grundsatz der Vielfalt der Einrichtungsträger zu berücksichtigen.
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Zum Kriterium der „Bedarfsgerechtigkeit“ gehört zunächst auch, dass die Einrichtung entsprechend leistungsfähig ist. Wie das BRZ in seinem Antwortschreiben vom 19.07.2019 unter Hinweis auf das D.I.R.-Jahrbuch 2017 ausgeführt hat, ergibt sich ein Zusammenhang zwischen der Erfolgsrate und der Anzahl der Behandlungszyklen. Viele Behandlungszyklen fänden in großen Zentren statt, weshalb dort die Erfolgsquote höher sei (32,8%). Es ist daher darauf zu achten, dass ausreichend leistungsfähige Zentren entstehen, die aufgrund der Anzahl der Zyklen die Gewähr dafür bieten, dass ein hoher Qualitätsstandard (zu messen an der Erfolgsquote) erreicht wird. Das Entstehen von vielen kleinen Einrichtungen auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung würde deshalb dem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit nicht gerecht werden. Das Zentrum der Kläger ist jedoch nicht als kleines Zentrum einzustufen. Die Anzahl der Behandlungszyklen liegt, den unwidersprochenen Angaben der Kläger zufolge, im Mittelfeld. Insoweit ist die Einrichtung der Kläger als „bedarfsgerecht“ anzusehen.
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Die eigentliche Bedarfsfeststellung hat der Beklagte auf der Grundlage seiner von ihm festgelegten „Grundsätze für Genehmigungen nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtung“ getroffen. Danach (II. Ziff. 1. bis 5.) werden allgemeine Verhältniszahlen und örtliche Verhältniszahlen gebildet und diese miteinander verglichen. Ein Gebiet gilt dann als überversorgt, wenn die örtliche Verhältniszahl um 15% kleiner ist, als die allgemeine Verhältniszahl (das wäre bei Zahlen unter 766.280 der Fall).
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Was die Berechnung der örtlichen Verhältniszahl betrifft, ist diese grundsätzlich nicht zu beanstanden. Unter II. Ziff. 1 der Grundsätze für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtungen werden die Planungsräume mit einem Radius von jeweils 80 km abgegrenzt (Radius = zumutbare Anfahrtsstrecke). In diesen Bereichen seien keine weiteren neuen Zentren mehr zuzulassen, falls dort eine ausreichende Versorgung sichergestellt sei. Damit soll im Hinblick auf die Gewährleistung der Bedarfsgerechtigkeit sichergestellt werden, dass eine Überversorgung in einzelnen Regionen nicht stattfindet, während andere Gebiete unterversorgt sind (BayLSG, Urteil vom 03.03.2021, Az L 12 KA 70/90). Gegen eine solche Festlegung (80 km-Radius) bestehen keine rechtlichen Bedenken, wie auch das Bayerische Landessozialgericht ausgeführt hat. Denn es handelt sich auch hier eine Bedarfsplanung, sodass die im Zusammenhang mit anderen Bedarfsplanungen entwickelten Grundsätze zumindest ergänzend herangezogen werden können. Bei der Bedarfsplanung gilt allgemein, je spezieller die Leistungen sind, umso längere Anfahrtswege sind den Patienten zuzumuten, um die Angebote wahrzunehmen. Entsprechend groß sind die Planungsbereiche bzw. Planungsräume. Die Größe der Planungsbereiche orientiert sich nach § 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie an den Versorgungsebenen. Beispielsweise ist für die gesonderte fachärztliche Versorgung Planungsbereich der Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 14 Abs. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Es dürfte unbestritten sein, dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht zur allgemeinen Versorgung, sondern zu einer speziellen Versorgung gehören. Deshalb ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Planungsbereich/Planungsraum mit einem Radius von 80 km in den Grundsätzen festgelegt wird. Der Beklagte kam so zum Ergebnis einer örtlichen Verhältniszahl von 540.775 pro Zentrum unter Berücksichtigung der Einwohner aus M, den Landkreisen B, D, E1, E2, F1, F2, L, Landkreis M, P, S und W (Einwohnerzahl: 3.274.650) und der Berücksichtigung von insgesamt sechs vorhandenen Zentren. Da aber die Übertragung der Genehmigung der L auf die T außen vor bleiben muss, weil sie nicht zustande gekommen ist, sind nur fünf Zentren zugrunde zu legen, so dass sich dann die örtliche Verhältniszahl auf 664.850 erhöht (BayLSG, Urteil vom 03.03.2021, Az L 12 KA 70/90).
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Dagegen erscheint die Berechnung der allgemeinen Verhältniszahl äußerst problematisch. Denn es sind erhebliche Zweifel angebracht, ob die verwendete allgemeine bundesweite Verhältniszahl geeignet ist (II. Ziff. 2 und 3 der Grundsätze), in den Vergleich einbezogen zu werden. Entscheidend muss sein, dass diese den aktuellen allgemeinen Bedarf widerspiegelt. Wie sich aus den Grundsätzen ergibt, wurde für die Ermittlung der bundesweiten Verhältniszahl als Stichtag der Stand der Versorgung am 31.12.1998 (II. Ziff. 3 der Grundsätze) festgelegt. Die Bevölkerungszahl von 82.037.000 (Quelle: statistisches Bundesamt Deutschland) wurde durch die zum Stichtag bestehenden 91 IVF-Zentren geteilt. Daraus errechnete sich eine allgemeine Verhältniszahl von 901.505 Einwohnern pro Zentrum. Von einer Überversorgung (II. Ziff. 5 der Grundsätze) wird dann ausgegangen, wenn die örtliche Verhältniszahl um 15% kleiner ist als die allgemeine Verhältniszahl, also bei Zahlen unter 766.280. Es mag sein, dass mangels anderweitiger Anhaltspunkte zum damaligen Stichtag (31.12.1998) mit dieser bundesweiten allgemeinen Verhältniszahl der Bedarf an IVF-Zentren abgebildet wird. Auch bestünden gegen eine zukünftige Anwendung dieser allgemeinen bundesweiten Verhältniszahl dann keine rechtlichen Bedenken, wenn die Rahmenbedingungen zu dem späteren Zeitpunkt im Wesentlichen gleichgeblieben sind. Haben sich die Rahmenbedingungen aber erheblich verändert, besteht die Pflicht, die allgemeine bundesweite Verhältniszahl zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Denn die Planung ist ein kontinuierlicher Vorgang. Insbesondere auf dem Gebiet der Krankenversorgung, so auch auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung ist es wichtig, dem medizinischen Fortschritt Rechnung zu tragen (vgl. auch Krankenhausplan des Freistaates Bayern, Stand 01.01.2020 (45. Fortschreibung) Teil I Allgemeine Grundsätze, Ziff. 1). Die Absenkung der allgemeinen bundesweiten Verhältniszahl (15%-Abzug) stellt zwar einen „Puffer“ dar, sodass es bis zu einer gewissen Abweichung keiner Anpassung bedarf.
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Nach den Zahlen des BRZ (D.I.R.-Jahrbücher) wurden im Jahr 2017 bundesweit insgesamt 109.779 Behandlungszyklen erfasst, während es im Jahr 1998, also zum Stichtag lediglich 46.730 Behandlungszyklen waren. Gleichzeitig hat sich in dem Zeitraum die Zahl der Zentren bundesweit von 91 auf 134 im Jahre 2017 (aktuell: 143) und den Bayern von 14 auf 20 erhöht. Der Zuwachs von Behandlungszyklen um mehr als das Doppelte legt den Schluss nahe, dass der Bedarf erheblich gestiegen ist. Im Vergleich dazu ist die Zahl der Zentren um nicht einmal 50% gestiegen, wobei unklar ist, wie sich die personelle Ausstattung dieser Zentren entwickelt hat. Würde man eine allgemeine Verhältniszahl bei einer geringfügig veränderten Einwohnerzahl (83 Millionen) aktuell festsetzen, so würde die Verhältniszahl auf 580.400 Einwohner pro Zentrum abgesenkt, unter Berücksichtigung des 15% Abzuges sogar auf 493.400 Einwohner pro Zentrum. Legt man die bundesweiten Zahlen zugrunde, so hat sich seit dem Stichtag im Jahr 1998 eine wesentliche Änderung ergeben, die eine Anpassung der allgemeinen Verhältniszahl nicht nur nahelegt, sondern auch erfordert. Der „Puffer“ von lediglich 15% auf die Zahlen zum Stichtag 31.12.1998 reicht deshalb nach Auffassung des Gerichts nicht aus, um der seither eingetretenen Entwicklung angemessen Rechnung zu tragen. Zu demselben Ergebnis kommt auch das BRZ, wonach die Grundsätze für Genehmigungen nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtung dem aktuellen Stand nicht gerecht würden.
51
Was speziell die Entwicklung im Freistaat Bayern betrifft, wurde vorgetragen, dass ein Rückgang der Leistungen IVF und ICSI durch das GKV-Modernisierungsgesetz im Jahr 2004 zu verzeichnen gewesen sei. So seien im Jahr 2003 noch 9.939 Leistungen erfolgt, im Jahr 2004 deutlich weniger und im Jahr 2019 nur 6.034. Dies bedeute, dass der Stand von 2003 noch nicht erreicht wurde, gleichzeitig aber den ansteigenden Behandlungszahlen durch ein Mehr an Zentren ohne Probleme Rechnung getragen werden konnte. Dieser Aspekt steht offensichtlich im Vordergrund, weshalb der Beklagte keinen Bedarf für ein zusätzliches Zentrum in G sieht. Werden aber die bundesweiten Zahlen zugrunde gelegt, ergibt sich bundesweit ein Wert von 1.322,63 Leistungen pro 1 Million Einwohner (109.779 : 83), was hochgerechnet auf Bayern mit 13.140.000 Einwohnern insgesamt 17.379 Leistungen bedeuten würde. Für das Gericht ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb die tatsächlichen Leistungen im Jahr 2019 (6.034) so deutlich unter den für Bayern hochgerechneten bundesweiten Zahlen (17.379) liegen. Wenn schon für die Berechnung der allgemeinen Verhältniszahl bundesweite Zahlen zugrunde gelegt werden, so erscheint es folgerichtig, sich bei einer Anpassung auch an den bundesweiten Zahlen und deren Entwicklung zu orientieren.
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Deshalb vermag sich das Gericht nicht der Auffassung des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG, Urteil vom 03.03.2021, Az L 12 KA 70/19) anzuschließen, „die vom BRZ erfolgte Schlussfolgerung, aufgrund der gestiegenen Einwohnerzahl der Bundesrepublik und der gestiegenen Behandlungszyklen würden die Grundsätze dem aktuellen Stand nicht mehr gerecht werden, beruht danach auf allgemeinen Einschätzungen auf Bundesebene, wird aber der tatsächlichen Lage in Bayern nicht gerecht“. Zwar erging die Entscheidung ebenfalls zu einer Genehmigung nach § 121a SGB V in der Region M. Es mag sein, dass die tatsächliche Versorgungslage in Bayern von der in anderen Flächenländer abweicht, eine derart extreme Abweichung vom Bundesdurchschnitt (in Bayern lediglich ca. ein Drittel der Zahlen auf Bundesebene) lässt sich aber nicht erklären und ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Entscheidungsgründen. Denn für eine moderate Abweichung ließen sich durchaus Gründe finden, nicht jedoch in diesem Umfang. Insofern ist die Aussage des BRZ nachvollziehbar und kann nicht nur bundesweit Bedeutung beanspruchen. Im Ergebnis ist daher eine Anpassung der allgemeinen Verhältniszahl nicht nur aufgrund des Zeitablaufs (20 Jahre), sondern aufgrund der Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung geboten. Wie eine solche Anpassung zu erfolgen hat, obliegt der zuständigen Behörde im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums. Zu berücksichtigen wird sein, die bundesweite Entwicklung, aber auch die aktuelle Bedarfslage im Freistaat Bayern und speziell im Umkreis eines Radius von 80 km um die Einrichtung der Kläger. Ohne Frage können Genehmigungsgrundsätze eine sach-und bedarfsgerechte Steuerung der Versorgung durch IVF-Zentren in Bayern generell und in der Region M im speziellen ermöglichen; dies aber nur dann, wenn diese hierzu geeignet sind, die aktuelle Bedarfsgerechtigkeit aufzuzeigen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts jedoch nur teilweise der Fall.
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Die Anzahl an Leistungen der künstlichen Befruchtung und der Bedarf hierfür wurden und werden auch bestimmt durch die Weiterentwicklung der Medizin auf diesem Gebiet, aber auch durch Vorgaben des Gesetzgebers.
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Aus der Etablierung der ICSI, einer Methode der künstlichen Befruchtung, ist ein höherer Bedarf an Leistungen nicht abzuleiten. Denn diese Methoden stehen nebeneinander, deren Anwendung von der jeweiligen medizinischen Indikation abhängt.
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Letztendlich wird die Erfolgsquote auch den Bedarf nicht unwesentlich bestimmen. Denn je höher die Erfolgsquote ist, was mit dem medizinischen Fortschritt zusammenhängt, umso mehr dürften Leistungen der künstlichen Befruchtung nachgefragt werden.
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Dass die Einführung des Abs. 4 von § 27a SGB V (Kryokonservierung) zu einem höheren Bedarf an Leistungen der künstlichen Befruchtung führt, erscheint durchaus möglich. Auch wenn die Kryokonservierung nach § 27a Abs. 4 SGB V nicht unter den Genehmigungsvorbehalt fällt (BayLSG, Urteil vom 03.03.2021, Az L 12 KA 70/19), wird sich in den meisten Fällen eine IVF oder eine ICSI anschließen, was einen zusätzlichen Bedarf nach sich ziehen dürfte. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Kryokonservierungen angesichts der Anzahl (Anspruch nur bei einem eingeschränkten Personenkreis) nur marginal auf die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung auswirken werden.
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Dagegen kann nicht außen vor bleiben, dass sowohl der Bund (Bundesrichtlinie über die Gewährung von Zuwendungen … seit 01.04.2012), als auch der Freistaat Bayern Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mittlerweile fördern. Voraussetzung für eine Förderung durch den Bund ist, dass das jeweilige Bundesland ein eigenes Landesprogramm zur Förderung der Kinderwunschbehandlung in Kooperation mit den Bund eingeht. Dies ist in Bayern mit der Richtlinie zur Förderung von Kinderwunschbehandlung (Kinderwunsch-Richtlinie; Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 08.10.2020, Az. IV1/6541.01-1/630) geschehen. Damit erfolgt eine Förderung von bis zu 50% durch den Bund und den Freistaat Bayern zusätzlich zu der Kostenübernahme durch die Krankenkasse in Höhe von 50% nach § 27a Abs. 3 SGB V. Vor diesem Hintergrund muss damit gerechnet werden, dass nicht nur die Anzahl an Behandlungszyklen vor dem Jahr 2004 in Kürze auch im Freistaat Bayern erreicht wird, sondern vor dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts ein darüber hinausgehendes Wachstum mehr als wahrscheinlich erscheint.
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Ob die Förderung nach der Bundesrichtlinie und der Landesrichtlinie rechtens ist, weil - wie die Prozessbevollmächtigte der Kläger darstellt, zum Beispiel nicht verheiratete gemischt-versicherte Paare in den Kreis der Fördererberechtigten aufgenommen worden sind und die Förderung nur erfolgt, wenn die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in einem nach § 121 a SGB V genehmigten Zentrum durchgeführt werden, ist nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens und kann daher dahinstehen.
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Dass die Kinderwunsch-Richtlinie mit Ablauf des 31.12.2024 außer Kraft tritt (Ziff. 9 der Richtlinie) - die Förderrichtlinie des Bundes gibt es bereits seit dem 01.04.2012 - wird sich zumindest bis Ende 2024 nicht nachteilig auswirken. Die augenblickliche Befristung bedeutet auch nicht, dass die Förderung nicht über den 31.12.2024 weiter gewährt wird. Denn der Zweck der Befristung liegt oft darin, dass der Normgeber eine Erprobungsphase festlegt, um beurteilen zu können, ob sich die Regelungen - so wie sie getroffen wurden - bewähren. Den Fördermaßnahmen ist jedenfalls der politische Wille und der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung eine andere Bedeutung beigemessen wird, als dies zum Zeitpunkt der Einführung des § 121a SGB V der Fall war.
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Auch diese Gesichtspunkte sprechen jedenfalls zum Teil für einen Bedarf an Leistungen der künstlichen Befruchtung, die in den Bedarfszahlen aus dem Jahr 1998 noch nicht abgebildet werden konnten.
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Soweit von der Prozessbevollmächtigten der Kläger beanstandet wird, bestehende Zentren könnten ungebremst unabhängig einer jeglichen Bedarfsprüfung wachsen (Anstellung weitere Ärzte bzw. Aufnahme weitere Vertragsärzte in ein MVZ) mag dies zutreffen. Sollte dies der Fall sein, würde damit die Bedarfsplanung konterkariert, da dann eine Bedarfsprüfung nur für Neuanträge nach § 121a SGB V stattfinden würde, während bereits genehmigte Zentren ohne jegliche Bedarfsprüfung eine Ausweitung ihrer Tätigkeit vornehmen könnten. Damit ließe sich der ursprüngliche Sinn und Zweck des Genehmigungsvorbehalts in § 121a SGB V nicht vereinbaren. Jedoch erwächst aus diesem Umstand kein Anspruch darauf, dass auch für Neuanträge keine Bedarfsprüfung stattfindet und eine Genehmigung nach § 121a SGB V ohne weiteres zu erteilen wäre (Art. 3 GG). Im Übrigen hat der Beklagte zumindest für die Zukunft durch die Neufassung der Grundsätze für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtungen zum 01.05.2020 eine personelle Begrenzung eingeführt, wonach neben dem Leiter maximal drei Ärzte beschäftigt werden dürfen.
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Nachvollziehbar ist, dass der Beklagte als zuständige oberste Landesbehörde Wert darauf legt, dass die Versorgung in ganz Bayern sichergestellt ist. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1998 (GVBl. 991, 992) fördert und sichert der Staat gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land. Dies schließt es mit ein, dass auch die Gesundheitsversorgung ausgewogen und flächendeckend zu planen und zu gestalten ist, so auch die Angebote der künstlichen Befruchtung. Dem Rechnung tragend hat der Beklagte in seinen Grundsätzen für die Genehmigung nach § 121a SGB V zur Durchführung künstlicher Befruchtung Planungsräume mit einem Radius von jeweils 80 km festgelegt. Ergibt sich aber in einem Planungsraum ein Bedarf, in dem bereits eine gute Versorgung besteht, das Gericht räumt ein, dass die Versorgungssituation im Großraum M vergleichsweise gut ist, kann eine Genehmigung nach § 121a SGB V nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Versorgung in anderen Regionen deutlich schlechter ist und an sich in erster Linie dort zusätzliche Versorgungsangebote zu schaffen wären. Ansonsten wäre die Festlegung von Planungsräumen mit einem Radius von 80 km obsolet. Jeder Planungsraum ist für sich zu betrachten. In Ausnahmefällen sind auch benachbarte Planungsräume mit einzubeziehen. Es trifft zwar zu, dass der Abstand gut versorgter Regionen mit Versorgungsangeboten auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung zu weniger gut versorgten Regionen dann noch weiter zunimmt, insofern Verzerrungen nicht ausgeschlossen sind. Die Versorgungslage in weniger gut versorgten Gebieten verbessert sich aber nicht dadurch, dass eine begehrte Genehmigung andernorts abgelehnt wird. Jedenfalls verbessert sich die Versorgungslage bei Erteilung einer Genehmigung insgesamt. Es kann auch kein Leistungserbringer gezwungen werden, sich dort um eine Genehmigung nach § 121a SGB V zu bemühen, wo der größte Bedarf an Leistungen im Bereich der künstlichen Befruchtungen besteht. Das Gericht räumt ein, dass M - hier geht es aber wegen des Standortes nicht ausschließlich darum, einen urbanen Bedarf sicherzustellen - eine gute Versorgungssituation aufweist. Andererseits wäre es Rahmen des Beurteilungsspielraums nicht als fehlerhaft anzusehen, in Ballungszentren wie M und N einen höheren Bedarf anzunehmen, als in ländlichen Gebieten. Denn aufgrund der unterschiedlichen Schichtung der Bevölkerung dürfte in Ballungszentren die Nachfrage nach Maßnahmen der künstlichen Befruchtung deutlich höher sein.
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Nach Auffassung des Gerichts wurde in den angefochtenen Entscheidungen des Beklagten auch gegen § 35 SGB X (Begründungspflicht) verstoßen. Denn es wurden die notwendigen Tatsachenfeststellungen nur ungenügend getroffen. Diese werden weder in den angefochtenen Bescheiden, noch in den im Rahmen des Klageverfahrens eingereichten Schriftsätzen aufgezeigt, obwohl die Klägerseite wiederholt auf die ihrer Auffassung nach ungenügende Datenlage hingewiesen hat. So hat der Beklagte auf Umfrageergebnisse im Jahr 2016 bei den bestehenden Zentren Bezug genommen, ohne aber diese näher zu konkretisieren. Folglich wurde nicht transparent gemacht, welche Wartezeiten dort bestehen und über welche zusätzlichen Kapazitäten die bereits vorhandenen Zentren verfügen. So war es weder der Klägerseite, noch dem Gericht wegen der pauschalen Angaben des Beklagten möglich, zu beurteilen, ob die reproduktionsmedizinischen Leistungen von anderen Leistungserbringern bereits in ausreichendem Maße erbracht werden. Denn nur wenn dies nicht der Fall ist, besteht ein Bedarf für ein weiteres Zentrum (BSG, Urteil vom 5. Juni 2013, Az B 6 KA 628/12 R).
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Der Beklagte wird veranlasst sein, über den Antrag erneut zu entscheiden und dabei beachten müssen, dass ein Abweichen von den Grundsätzen, was die allgemeine Verhältniszahl betrifft, im Hinblick auf die Entwicklung auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung geboten erscheint, dass nicht 6 Zentren, sondern 5 Zentren zu berücksichtigen sind, was sich auf die örtliche Verhältniszahl auswirkt, die Wartezeiten in den bereits bestehenden Einrichtungen und die freien Kapazitäten, gestützt auf die Umfrageergebnisse konkret benannt werden und auch objektiviert werden.
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Aus den genannten Gründen war dem Hilfsantrag stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO. Nachdem der Klage nur zum Teil (Hilfsantrag) stattzugeben war, erscheint es angemessen, die Kosten gegeneinander aufzuheben.