Inhalt

LG München I, Beschluss v. 08.02.2021 – 17 HK O 9479/20
Titel:

Bestellung eines Sonderprüfers bei unterpreisigem Verkauf einer Immobilie an eine Schwestergesellschaft

Normenkette:
AktG § 11, § 315 S. 2, § 317, § 318
Leitsätze:
1. Bei der Marktwertermittlung eines Geschäftsgrundstücks ist nicht nur das tatsächlich vorhandene, sondern auch das bei nüchterner Betrachtung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten „Mögliche“ zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn sich dies noch nicht rechtlich verfestigt hat. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen eines Verfahrens auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 S. 2 AktG hat das Gericht nur zu überprüfen, ob eine Tatsache vorliegt, die eine Nachteilszufügung iSd § 315 S. 2 AktG rechtfertigen kann. Darüber hinaus ist es nicht erforderlich und auch nicht Aufgabe des Gerichts, bereits die Nachteiligkeit des gegenständlichen Geschäfts zur gerichtlichen Überzeugung zu ermitteln. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Sonderprüfung ist auch zu überprüfen, ob das Rechtsgeschäft auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens vorgenommen wurde. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestellung eines Sonderprüfers, herrschendes Unternehmen, Veranlassung, Grundstücksverkauf, Nachteilszufügung, Marktwert, Verwertungsmöglichkeiten, Entwicklungspotenziale
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 06.07.2021 – 31 Wx 236/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 23760

Tenor

I) Gemäß § 315 Satz 2 Aktiengesetz wird ein Sonderprüfer bei der Antragsgegnerin, der N… I… AG, P… 12, 8… M…, bestellt, der die unterpreisige Veräußerung der Immobilie P… 5 / R… 9 in M… an die A… V… A… (Amtsgericht M… HRB …) im Dezember 2017 prüfen soll.
II) Zum Sonderprüfer wird bestellt: … GmbH W…, S…
III) Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits sowie die Kosten der Prüfung.
IV) Der Gegenstandswert wird auf 1.000.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Geschäftsgegenstand der Antragsgegnerin, die beim Amtsgericht M… unter der Registernummer HRB … geführt wird, ist im wesentlichen Erwerb, Entwicklung, Verwertung, Veräußerung und Vermittlung von Immobilien und sonstigen Vermögenswerten sowie die Beteiligung an anderen Gesellschaften.
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Das Grundkapital der Antragsgegnerin beläuft sich auf 561.960,00 Euro, die Gesellschaft hat insgesamt 561.960 Stückaktien ausgegeben. Rund 77 % dieser Aktien werden von der „F… H… GmbH“ („…“) mit Sitz in M… gehalten, die übrigen Aktien befinden sich in Streubesitz.
3
Der Antragsteller zu 1) ist Inhaber von insgesamt 3.000 Stückaktien und hält damit rund 0,53 % am Grundkapital der Gesellschaft. Der Antragsteller zu 2) ist Inhaber von insgesamt 4.390 Stückaktien der Antragsgegnerin, hält damit rund 0,78 % des Grundkapitals der Antragsgegnerin.
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Zum Firmenimperium der F… v… F… gehörte zumindest bis Dezember 2019 auch die A… V… A… (A… AG), Amtsgericht München HRB …. Herr A… v… P… hielt seit 2002 insgesamt 85,42 % der Stimmrechte an der A… AG, von denen 46,37 % über die F… HV gehalten wurden.
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Am 13.12.2017 verkaufte die Antragsgegnerin die streitgegenständliche Immobilie P… / R… 9 in 8… M… an die A… AG. Ausweislich des Geschäftsberichts 2017 der A… AG belief sich der vereinbarte Kaufpreis auf 97.000.000,00 Euro.
6
Die Antragsteller tragen vor, die Veräußerung der Immobilie sei unter Wert erfolgt. Die A… AG habe an die Antragsgegnerin lediglich einen Kaufpreis von rund 20.335,00 € pro Quadratmeter Nutzfläche gezahlt. Laut Immobilienmarktbericht 2017 des Gutachterausschusses München seien aber auf Basis der Auswertungen von Verkäufen aus den Vorjahren für Büro - und Geschäftshäuser in zentralen Geschäftslagen Kaufpreise von 24.000,00 € bis 38.000,00 € pro Quadratmeter Nutzfläche geleistet worden, was im Mittel einem Wert von 30.000,00 € pro Quadratmeter Nutzfläche entspräche. Für die massive Unterpreisung des Objektes spreche außerdem die Tatsache, dass die A… AG die - vergleichbare - Nachbarimmobilie P… 7 bereits im Jahre 2013 zu einem höheren Preis von rund 24.545,00 € pro Quadratmeter Nutzfläche erworben hatte. Die Immobilienpreise in der Münchner Innenstadt seien seit 2013 aber nicht erheblich gefallen. Auf Basis der Marktfeststellungen des Gutachterausschusses habe die A… AG die in Rede stehende Immobilie von der Antragsgegnerin im Jahre 2017 für rund 33 % unter dem Mittelwert erworben.
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Als weiteres Indiz dafür, dass die streitgegenständliche Transaktion nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei, spreche auch, dass der Vorstand für beide Gesellschaften lediglich ein einziges Wertgutachten in Auftrag gegeben habe. Außerdem sei die tatsächlich Zahlungsbereitschaft im Markt nicht getestet worden.
8
Im Ergebnis bestehe damit der begründete Verdacht, dass die Antragsgegnerin die Immobilie weit unter Wert an die A… AG abgegeben habe, ohne hierfür einen anderweitigen Ausgleich erhalten zu haben. Der von den Antragstellern vorgetragene Sachverhalt rechtfertige den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung. Von einer Veranlassung durch das herrschende Unternehmen sei auszugehen, da der in Rede stehende Vorgang für das herrschende Unternehmen vorteilhaft gewesen sei und deshalb vermutet werde, dass das herrschende Unternehmen ihn veranlasst habe. Die Mehrheitsaktionärin F… HV und der hinter ihr stehende Gesellschafter A… v… F…, dem die Anteile der F… HV zuzurechnen sind, hätten an der erwerbenden A… AG höhere Anteile als an der veräußernden N… AG gehalten, sodass es in der Folge für die Mehrheitsaktionärin vorteilhaft gewesen sei, wenn Vermögenswerte von der N… AG an die A… AG verschoben wurden. Dadurch habe sie überproportionale Anteile am Vermögenswert hinzu gewonnen.
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Die Antragsteller beantragen daher:
I)  Gemäß § 315 Satz 2 Aktiengesetz einen Sonderprüfer bei der N… AG zu bestellen, der die unterpreisige Veräußerung der Immobilie P… 5 / R… 9 an die A… V… A… (Amtsgericht M… HRB …) im Dezember 2017 prüfen soll.
II)  Zum Sonderprüfer wird bestellt:
…, S… straße …,
III)  Die Gerichtskosten und die Kosten der Prüfung gemäß § 146 S. 1 AktG der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
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Die Antragsgegnerin beantragt:
Den Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers zurückzuweisen.
11
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antrag der Antragsteller sei bereits unzulässig wegen Rechtsmissbrauchs, weil die Antragsteller mit ihrem Antrag verfahrensfremde Zwecke verfolgen würden, indem sie lediglich Druck auf die Hauptaktionärin ausüben und ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil suchen wollten. Die Antragssteller würden den Sonderprüfungsantrag zweckwidrig als Druckmittel zur Durchsetzung eines überhöhten Kaufpreises für ihre eigenen Aktien gegenüber der Hauptaktionärin einsetzen.
12
Im Übrigen trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Antrag auch unbegründet sei. Entgegen der Auffassung der Antragsteller bestünden keinerlei objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Kaufpreis bei dem verfahrensgegenständlichen Geschäft nicht angemessen gewesen sein könnte. Insoweit würden die Antragsteller bereits von einem unrichtigen Ansatz der Nutzflächen ausgehen. Bei richtiger Zugrundelegung der gegebenen Nutzflächen ergebe sich für den verfahrensgegenständlichen Verkauf ein Quadratmeterpreis von 26.502,00 € und nicht, wie von den Antragsteller behauptet, von lediglich 20.335,00 €.
13
Soweit die Antragsteller hinsichtlich der Immobilie eine künftige Ladennutzung unterstellten, handele es sich um eine reine Spekulation. Im Zeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Verkaufs sei der Wertermittlung nicht etwa eine künftige Ladennutzung, sondern ausschließlich die aktuelle Gaststättennutzung zugrundezulegen.
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Drei Sachverständigengutachten würden die Annahme eines höheren Wertes widerlegen. Das im Jahre 2017 von der Antragsgegnerin vor dem verfahrensgegenständlichen Kauf eingeholte Gutachten zum Bewertungsstichtag 23.11.2017 habe einen Wert von 97 Millionen € ermittelt.
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Dass der letztlich auf 97 Millionen Euro festgesetzte Kaufpreis nicht zu niedrig angesetzt gewesen sei, werde auch durch zwei weitere Gutachten bestätigt, welche im Nachgang eingeholt wurden. Das Gutachten der S… komme auf einen Wert von 93.100.000,00 € zum Bewertungsstichtag 15.11.2017, das Gutachten der Sachverständigen A… K… komme in einem Gutachten vom 31.07.2020 lediglich zu einem Wert von 63 Millionen €.
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Von einem unterpreisigen Verkauf könne somit nicht die Rede sein.
17
Der Verdacht eines nachteiligen Geschäftes sei nicht begründet. Dieser beruhe auf offensichtlichen Fehlannahmen der Antragsteller zu den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen. Im Übrigen bestehe auch kein Anhaltspunkt für eine Veranlassung zu einem nachteiligen Vertragsschluss seitens der Familie v… R…
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Darüber hinaus trägt die Antragsgegnerin vor, dass die von der Antragstellerseite vorgeschlagene Bestellung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum Sonderprüfer in der hiesigen Konstellation zweckwidrig wäre und ausscheiden müsse. Verfahrensgegenständlich gehe es um eine Immobilienmarkt-Bewertung, welche von einem Wirtschaftsprüfer nicht vorgenommen werden könne.
19
Der weitere Beteiligte, der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin, hat in seiner Stellungnahme vorgetragen, die Antragsgegnerin habe im Vorfeld der Veräußerung ein umfangreiches Gutachten des Sachverständigenbüros R… eingeholt gehabt, welches vom Aufsichtsrat geprüft worden sei. Außerdem habe im Nachgang der Immobilientransaktion die Antragsgegnerin zwei weitere Gutachten erholt. Auch diese beiden Gutachten seien vom Aufsichtsrat geprüft worden. Des Weiteren habe der Aufsichtsrat den mit gerichtlicher Verfügung übermittelten Schriftverkehr zwischen den Beteiligten gesichtet. Auf Grundlage dieser Unterlagen sei der Aufsichtsrat der Auffassung, dass die Konditionen der Immobilientransaktion ordnungsgemäß gewesen seien und insbesondere der Kaufpreis nicht zu niedrig angesetzt gewesen sei.
20
Im Übrigen wird Ergänzung des Tatbestandes auf die zwischen den Parteien gewechselt Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

A)
21
Der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 Satz 2 AktG ist zulässig.
I)
22
Da die Antragsgegnerin ihren Sitz in der Landeshauptstadt München und damit im Bezirk des Landgerichts München I hat, ist das Gericht zur Entscheidung zuständig, § 315 Satz 3 AktG.
II)
23
Die formellen Voraussetzungen für die Antragstellung nach § 315 Satz 2 in Verbindung mit § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG sind für die Antragsteller ebenfalls gegeben. Deren Anteile übersteigen den einhundertsten Teil des Grundkapitals der Antragsgegnerin und sie halten diese Anteile seit mindestens 3 Monaten vor dem Tag der Antragstellung und werden sie auch für die Dauer der Sonderprüfung weiterhin halten, wie sich aus den vorgelegten Anlagen ASt 10 und ASt 11 ergibt, sodass auch die Haltefrist aus § 315 Satz 2 AktG erfüllt ist.
III)
24
Der gestellte Antrag ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauches, Missbrauchs des Antragsrechtes seitens der Antragsteller, unzulässig.
25
Zwar geht die herrschende Meinung davon aus, dass ein rechtsmissbräuchlicher Antrag dann vorliegt, wenn Aktionäre mit diesem weder Gesellschaft- noch mitgliedschaftsimmanente Eigeninteressen verfolgen, sondern ausschließlich private Belange durchzusetzen versuchen.
26
Nach dem Sachvortrag beider Parteien und den insoweit vorgelegten Unterlagen ergibt sich zur Überzeugung der Kammer nicht, dass es mit dem Sonderprüfungsantrag den Antragstellern lediglich darum geht, ausschließlich private Belange durchzusetzen, insbesondere einen möglichst hohen Kaufpreis im Bezug auf den Verkauf ihrer Aktien zu erzielen. Wie sich aus der von den Antragstellern vorgelegten Anlage ASt 26 ergibt, hatten sich die Antragsteller mit der F… HV im wesentlichen bereits über einen Verkauf der Aktien und einen Kaufpreis verständigt, welcher dann, offensichtlich wegen fehlender Zustimmung von Herrn A… v… F…, jedoch nicht zustande kam. Dass insoweit bezüglich der zu verkaufenden Aktien ein überhöhter Preis seitens der Antragsteller gefordert worden wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich, und auch nicht, dass der geplante Kaufpreis auf irgendwelche Druckausübung seitens der Antragsteller zurückgegangen wäre.
27
Dass der insoweit beabsichtigte Kaufpreis angemessen war, ergibt sich auch aus der von der Klagepartei vorgelegten Anlage ASt 20, dem öffentlichen Kaufangebot der F… HV vom 21.08.2020, welche zuletzt einen Kaufpreis in Höhe von 1.150,00 € je Aktie öffentlich ausgelobt hatte.
28
Für die erkennende Kammer ist daher nicht ersichtlich, dass die vorgerichtlichen Verhandlungen in Bezug auf den Verkauf der Aktien einen Rechtsmissbrauch der Antragsteller begründen würden. Aus diesem Grunde kann nach Auffassung der Kammer auch nicht die Rede davon sein, dass die Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers lediglich Sondervorteile oder einen Lästigkeitswert anstreben würden.
29
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass mit dem vorliegenden Sonderprüfungsantrag eventuelle Schadensersatzansprüche der Antragsgegnerin gemäß § 317 Abs. 1 AktG festgestellt werden sollen, woraus nicht lediglich die Antragsteller als Minderheitsaktionäre einen Vorteil ziehen würden.
30
Insgesamt steht für die erkennende Kammer nicht zu deren Überzeugung fest, dass der in Rede stehende Sonderprüfungsantrag lediglich dazu dienen würde, ausschließlich private Belange der Antragsteller durchzusetzen.
B)
31
Der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 Satz 2 AktG ist auch begründet:
I)
32
Nach § 315 Satz 2 AktG ist ein Sonderprüfer dann zu bestellen, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung rechtfertigen.
33
Die Sonderprüfung nach dieser Vorschrift soll es den außenstehenden Aktionären erleichtern, Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot in § 311 AktG aufzudecken und daraus resultierende Schadensersatzansprüche nach § 317 AktG geltend zu machen. Dabei gilt, dass die Antragsteller nach Satz 2 Tatsachen vorzutragen haben, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung nach §§ 11 AktG rechtfertigen. Der Ausdruck „Nachteilszufügung“ muss vom Zweck der Sonderprüfung her interpretiert werden, die klären soll, ob die Voraussetzungen einer Haftung nach §§ 317, 318 AktG vorliegen. Umfasst von diesem Ausdruck werden daher sowohl nachteilige Veranlassungen durch ein herrschendes Unternehmen ohne zeitgerechten Ausgleich, als auch das entsprechende pflichtwidrige Handeln der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft.
34
Die Antragsteller müssen hierzu den Verdacht begründende Tatsachen vorgetragen. Als solche Tatsachen werden in erster Linie Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen der abhängigen Gesellschaft in Betracht kommen, die für die abhängige Gesellschaft im Sinne von § 311 AktG von Nachteil sind. Dabei müssen die Tatsache nicht bewiesen oder glaubhaft gemacht werden (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 18 zu § 315).
35
Einem Antrag auf Sonderprüfung nach § 315 Satz 2 AktG ist dann stattzugeben, wenn zur Überzeugung des erkennenden Gerichts die vorgetragenen Tatsachen vorliegen und den Verdacht begründen. Dabei braucht das Gericht nicht festzustellen, ob der Verdacht tatsächlich zutrifft (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 23 zu § 315).
II)
36
Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze ist im vorliegenden Falle davon auszugehen, dass im Sinne des § 315 Satz 2 AktG Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung rechtfertigen.
37
1) Tatsache ist, dass die Antragsgegnerin die besagte Immobilie an ein Schwesterunternehmen zu einem Kaufpreis von 93.000.000,00 Euro verkauft hat.
38
2) Weitere Tatsachen ist, dass die A… AG das Nachbargrundstück Jahre vorher zu einem höheren Quadratmeterpreis gekauft hatte.
39
3) Tatsache ist des weiteren, dass zum Zeitpunkt der Veräußerung der Immobilie feststand, dass der bestehende Pachtvertrag hinsichtlich der in der Immobile betriebenen Gaststätte zum 31.12.2022 beendet sein würde.
40
4) Fakt ist zur Überzeugung der Kammer auch, dass das von der Antragsgegnerin vor der Veräußerung der Immobilie eingeholte Gutachten von B… bei der Ermittlung des Ertragswerts im Zeitpunkt des Verkaufs für die angenommene Restnutzungsdauer der Immobilie von einer fortgesetzten Gaststättennutzung der Räumlichkeiten im Untergeschoß /Erdgeschoß ausgeht.
41
5) Des Weiteren ist es nach Auffassung der erkennenden Kammer Tatsache, dass bei der Erstellung eines Wertgutachtens hinsichtlich einer Immobilie auch die zukünftig beste wirtschaftliche Verwertung zugrunde zu legen ist. Dass bei der Marktwertermittlung vorhandene Entwicklungspotenziale berücksichtigt werden müssen, ergibt sich nach Auffassung der Kammer aus der Definition des Marktwertes als dem im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielenden Preis, denn im gewöhnlichen Geschäftsverkehr wird neben der tatsächlichen Nutzung auch die Nutzungsfähigkeit eines Grundstücks berücksichtigt. Zu den tatsächlichen Eigenschaften einer Immobilie gehört nicht nur das tatsächlich vorhandene, sondern auch das bei nüchterner Betrachtung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten „Mögliche“, und zwar auch dann, wenn sich dies noch nicht rechtlich verfestigt hat.
42
6) Weitere Tatsache ist, dass die Antragsteller ein Gutachten des Sachverständigen C… R…, Diplom-Betriebswirt und Diplom-Wirtschaftsingenieur, als Anlage AST 25 vorgelagert haben, welches unter Zugrundelegung zweier unterschiedlicher Bewertungsszenarien für die in Rede stehende Immobilie zum Wertermittlungsstichtag 15.11.2017 zu Verkehrswerten von 193 Millionen bzw. 161 Millionen Euro gelangt, also zu einem deutlich höheren Wert, als dem, was die A… AG für das Grundstück bezahlt hat.
43
Hierbei verkennt die erkennende Kammer natürlich nicht, dass dieses Gutachten ohne Zweifel im Widerspruch zu dem Wertgutachten des Sachverständigenbüros B… vom 27.11.2017 und den von der Antragsgegnerin nachträglich eingeholten Gutachten von C… sowie von A… (Anlagen AG 2, AG 3 und AG 4) steht.
44
Im Rahmen eines Verfahrens auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 Satz 2 AktG ist es allerdings nicht erforderlich und auch nicht Aufgabe des über den Sonderprüfungsantrag entscheidenden Gerichts, bereits im Antragsverfahren die Nachteiligkeit des gegenständlichen Geschäfts zur gerichtlichen Überzeugung zu ermitteln, diese Prüfung ist vielmehr Gegenstand des durchzuführenden Sonderprüfungsverfahrens. Die Kammer hat daher nicht zu entscheiden darüber, welches der von den Parteien vorgelegten konträren Gutachten das zutreffende und richtige ist. Die Kammer hat nur zu überprüfen, ob eine Tatsache vorliegt, die eine Nachteilszufügung im Sinne des § 315 Satz 2 AktG rechtfertigen kann. Aufgrund des von der Antragstellerseite vorgelegten Gutachtens steht jedenfalls zur Überzeugung der Kammer eine Tatsache fest, dass die dem Verkauf zugrunde liegende Wertermittlung möglicherweise unzutreffend gewesen sein kann.
45
Aufgrund des von der Antragstellerseite vorgelegten Gutachtens steht für die Kammer auch fest, dass eine Gaststättennutzung der Immobilie zu einem deutlich geringeren Nutzflächenpreis führt als eine Einzelhandelsnutzung.
46
7) Die oben aufgeführten Tatsachen liegen zur Überzeugung der erkennenden Kammer vor und begründen den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung. Aufgrund der oben aufgeführten Tatsachen ist zur Überzeugung der Kammer der Verdacht begründet, dass die Immobilie an einen unabhängigen Dritten nicht zu diesem Preis verkauft worden wäre und die vorhandenen Entwicklungspotenziale der Immobilie bei der Festsetzung des Kaufpreises nicht berücksichtigt wurden.
III)
47
Aufgrund der gegebenen Beteiligungsverhältnisse der F… HV bzw. des Herrn v… F… an der Antragsgegnerin bzw. der Erwerberin, der A…, AG, sowie der personellen Verflechtungen von deren Organen, ist von einem faktischen Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von § 311 ff AktG auszugehen. Es liegt eine Verbindung über den Anteilsbesitz ohne gesetzlich bestimmte Leitungsmacht und damit ein faktischer Konzern vor.
IV)
48
Sofern die in Rede stehende Immobilie von der Antragsgegnerin an das Schwesterunternehmen unterpreisig verkauft wurde, ergibt sich hieraus auch ein Vorteil für das herrschende Unternehmen. Denn zum einen gewann dieses bzw. die Mehrheitsaktionärin auf diese Weise überproportionale Anteile am Vermögenswert hinzu, und zum anderen erlaubte die Zusammenlegung der beiden Nachbargrundstücke der A… AG, das schon im Verkaufszeitpunkt bestehende erhebliche Wertsteigerungspotenzial zu Gunsten der R…, HV zu maximieren und alleine zu Gunsten der A… AG zu realisieren, ohne dass die Minderheitenaktionäre der Antragsgegnerin an der Wertsteigerung beteiligt wurden.
V)
49
Da, wie oben ausgeführt, das in Rede stehende Rechtsgeschäft für das herrschende Unternehmen oder eine seiner anderen Beteiligungsgesellschaften von Vorteil war, streitet zugunsten der Antragsteller die Vermutung, dass die Transaktion durch das herrschende Unternehmen veranlasst wurde (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 18 zu § 315).
VI)
50
Aus den oben genannten Gründen war daher gemäß § 315 Satz 2 AktG ein Sonderprüfer zu bestellen.
51
Dabei kann Gegenstand und Umfang der Sonderprüfung nicht auf eine bloße Immobilien-Objektbewertung beschränkt werden. Denn die Sonderprüfung nach § 315 AktG beschränkt sich nicht auf eine bloße Tatsachenermittlung, erforderlich ist vielmehr eine Bewertung der Tatsachen unter den Gesichtspunkten der §§ 311, 317 AktG. Es ist dabei zum einen zu überprüfen und zu beurteilen, ob das zu prüfende Rechtsgeschäft für die abhängige Gesellschaft nachteilig war und gegebenenfalls wie hoch der Nachteil war. Darüber hinaus ist zu überprüfen, ob das Rechtsgeschäft auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens vorgenommen wurde (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 27 ff).
52
Aus diesem Grunde war nicht ein Sachverständiger zur Immobilien-Objektbewertung zu bestellen sondern eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
53
Hinsichtlich der Bestellung der S… …, S… straße 8… A…, bestehen keinerlei Bedenken.
C)
54
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits auf §§ 315 Satz 4; 142 Abs. 8 AktG; 81 Abs. 1 FamFG. Nachdem der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers vollumfänglich begründet ist, entspricht es billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kosten des Rechtsstreits in Gänze aufzuerlegen.
55
Hinsichtlich der Kosten der Prüfung beruht die Entscheidung auf § 146 Satz 1 AktG.
D)
Gegenstandswert: Geschätztes wirtschaftliches Interesse der Antragsteller an der beantragten Sonderprüfung.