Titel:
Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis wegen Ausreise des Ausländers
Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 2, § 32 Abs. 1, § 33, § 51 Abs. 1
AufenthV §§ 39 ff.
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Der Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG stellt bezüglich eines Aufenthaltstitels eine Ergänzung zu § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG dar. Hält sich ein Ausländer länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets auf, so bleibt der Grund der Ausreise ohne Belang. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das kurzfristige Betreten des Bundesgebiets, etwa zu Besuchszwecken, kann den Lauf der Sechs-Monats-Frist nicht unterbrechen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK begründen keine generelle Befreiung von der Visumpflicht. Vielmehr ist die durch die Nachholung des Visumverfahrens herbeigeführte zeitweise Trennung von Eheleuten oder Kindern mit dem Schutz der familiären Lebensgemeinschaft grundsätzlich vereinbar. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis wegen der Ausreise des Ausländers, Absehen vom, Visumerfordernis wegen Unzumutbarkeit (verneint), Aufenthaltserlaubnis, Erlöschen wegen Ausreise, Sechs-Monatsfrist, Unterbrechung, Betreten des Bundesgebiets zu Besuchszwecken, Absehen von Visumerfordernis, Unzumutbarkeit, Nachholung des Visumverfahrens, familiäre Lebensgemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2021, 23497
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis.
2
Der am … in der Bundesrepublik Deutschland geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Der Vater des Klägers ist der am … geborene vietnamesische Staatsangehörige … Dieser lebt in … und ist nach Aktenlage nunmehr im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Mutter des Klägers ist die am … geborene vietnamesische Staatsangehörige … Nach Aktenlage lebte die Kindsmutter vor August 2014 und dann wieder von Juli 2016 bis Juli 2019 in Polen und hatte dort eine Aufenthaltserlaubnis, bevor sie im Juli 2019 mit einem Visum zum Ehegattennachzug nach … zog. Von August 2014 bis Juli 2016 hielt sie sich nach eigener Auskunft schon einmal in … auf. Die Eltern des Klägers haben am 17. August 2016 in der vietnamesischen Botschaft in Warschau die Ehe geschlossen. Bereits vor der Geburt des Klägers hat Herr … die Vaterschaft für den Kläger anerkannt. Zudem haben die Eltern des Klägers am 4. September 2014 eine Erklärung über die gemeinsame Sorge unterschrieben. Die Kindsmutter ist seit 14. November 2019 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG. Am 23. Dezember 2019 wurde der Bruder des Klägers geboren, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
3
Am 30. November 2015 beantragten die Eltern für den Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Aufenthaltszweck „Familie“, woraufhin die Beklagte dem Kläger am 10. Dezember 2015 eine - rückwirkend ab Geburt gültige und bis 21. November 2017 befristete - Aufenthaltserlaubnis gemäß § 33 AufenthG erteilte.
4
Im Rahmen eines im Jahr 2016 von Polen aus geführten Visumverfahrens der Kindsmutter stellte sich heraus, dass die deutsche Auslandsvertretung in Polen davon ausging, dass sich der Kläger bereits in … aufhalte, während die Beklagte u.a. aufgrund der Berufstätigkeit des Kindsvaters davon ausging, dass der Kläger zusammen mit der Kindsmutter in Polen sei. Aufgrund dieser Unklarheit bat die Beklagte den Kindsvater mit Schreiben vom 15. Februar 2017 um Auskunft, wo sich der Kläger derzeit aufhalte. Gleichzeitig bat die deutsche Botschaft in Warschau die Kindsmutter mit E-Mails vom 27. Februar 2017 und 1. März 2017 um Mitteilung, wo sie und der Kläger in den letzten vier Jahren gelebt hätten.
5
Mit Schreiben vom 26. Februar 2017 (Bl. 48 der Behördenakte) antwortete der Kindsvater, dass seine Frau wegen des Visums zusammen mit dem Kläger im Juli 2016 nach Polen zurückgefahren sei. Zuvor sei dem Kindsvater gesagt worden, dass sein Sohn zusammen mit der Kindsmutter nach Polen fahren dürfe, da der Kindsvater arbeiten müsse. Manchmal sei der Kläger wegen der U-Untersuchung (gemeint sind die Kindervorsorgeuntersuchungen) nach Deutschland zurückgekommen.
6
Mit Schreiben vom 7. März 2017 (Bl. 44 der Behördenakte) teilte die Kindsmutter mit, dass sie sich vor ihrer Schwangerschaft in Polen aufgehalten und dort als Verkäuferin gearbeitet habe. Von August 2014 bis Juli 2016 habe sie mit ihrem Mann in … gelebt. Seit dem 10. Juli 2016 lebe sie mit ihrem Sohn wieder in Polen, um ein Visum für Deutschland zu beantragen.
7
Mit Schreiben vom 18. April 2017 teilte die Beklagte der deutschen Botschaft in Warschau mit, dass im Rahmen des Visumsverfahrens der Mutter des Klägers festgestellt worden sei, dass sich der Kläger seit dem 10. Juli 2016 in Polen aufhalte und dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG erloschen sei.
8
Mit Schreiben vom 2. Januar 2018 (Bl. 56 der Behördenakte) teilte der Kindsvater der Beklagten mit, dass ein Missverständnis vorliegen müsse. Der Kläger sei in den Jahren 2016 und 2017 sehr oft bei ihm gewesen. Unter anderem am 29. September 2016 bei der U7-Untersuchung, am 18. Januar 2017 bei einer Augenuntersuchung, am 15. Februar 2017 bei der Kindergartenanmeldung mit zweistündiger Probebetreuung, vom 14. April 2017 bis 17. April 2017 im Urlaub in … und vom 27. Juli 2017 bis 2. August 2017 im Urlaub in … Es werde um Verlängerung des Aufenthaltstitels gebeten.
9
Mit Schriftsatz seiner vormaligen Bevollmächtigten vom 30. Juli 2018 beantragte der Kläger, über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden. Vorsorglich werde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 29, 33 und 34 AufenthG beantragt. Das Kind halte sich gewöhnlich bei seinem Vater in Deutschland auf, es besuche die Kindsmutter jedoch regelmäßig in Polen. Das Kind sei lediglich kurz zusammen mit der Mutter für vier bis fünf Wochen nach Polen gereist, als diese ausgereist sei, um in Polen einen Visumsantrag zu stellen. Das Kind sei sodann wieder vom Vater abgeholt worden. Als der Vater das Kind im Jahr 2017 zum Kindergarten habe anmelden wollen, sei ihm überraschenderweise mitgeteilt worden, dass das Kind nicht in … gemeldet sei. Er habe das Kind jedoch nicht abgemeldet, da das Kind bei ihm seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Er habe das Kind daher wiederum bei sich in … am 1. September 2017 angemeldet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
10
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Versagung der Aufenthaltserlaubnis an. Mit dem auf Dauer und letztlich länger als 6 Monate andauernden Fortzug nach Polen gemeinsam mit seiner Mutter am 10. Juli 2016 sei die Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes erloschen gemäß § 51 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 AufenthG. Der Kläger sei am 1. September 2017 wieder in … angemeldet worden. Die Einreise sei unerlaubt erfolgt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen.
11
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger und seine Eltern in … als Familie leben wollten. Mit Schreiben vom 17. Januar 2019 ergänzte der Bevollmächtigte, dass es sich bei der Erklärung der Kindsmutter vom 7. März 2017 um ein Missverständnis handle. Die Mutter des Kindes sei Vietnamesin und sie spreche nicht so gut deutsch. Dieses Schreiben habe ihr eine Freundin geschrieben, die auch selbst Vietnamesin sei. Sie spreche zwar besser Deutsch als die Mutter des Kindes, aber auch nicht perfekt. Auch hinsichtlich der Abmeldung habe ganz offensichtlich ein Missverständnis stattgefunden. Es sei nämlich so gewesen, dass die Mutter des Klägers zusammen mit diesem bei der deutschen Botschaft gewesen sei, um ein Visum für Deutschland zu beantragen. Scheinbar habe die Botschaft gedacht, dass das Kind stets bei der Mutter sei. Das Kind sei jedoch nur zeitweise zu Besuch dort gewesen. Der Vater habe von der Abmeldung erst durch den Kindergarten erfahren und zwar bei Beginn des neuen Kindergartenjahres. Die ganze Zeit über sei der Kläger aber hier in … in den Kindergarten gegangen. Die Aufenthaltserlaubnis sei nicht erloschen. Aus den hereingegebenen Unterlagen ergebe sich, dass der Kläger nicht länger als sechs Monate in Polen gewesen sei. Es seien lediglich Besuche gewesen. Im Übrigen habe der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Sein Vater sei ja auch direkter Verwandter. Der beigelegten Bestätigung der Leitung der Kindertageseinrichtung lässt sich entnehmen, dass der Kläger seit 1. Oktober 2017 den Kindergarten in … besucht. Die dem Schriftsatz beigelegten Fotos, die den Kindsvater zusammen mit dem Kläger zeigen, sind im Zeitraum vom 29. August 2016 bis 26. August 2017 entstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz und die beigefügten Anlagen Bezug genommen.
12
Mit Bescheid vom 14. Juni 2019 wurde in Ziffer I die Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels abgelehnt. In Ziffer II wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet bis spätestens 13. Juli 2019 zu verlassen. In Ziffer III wurde die Abschiebung des Klägers insbesondere nach Vietnam angedroht. Für den Fall, dass der Kläger seiner Ausreiseverpflichtung nicht innerhalb der gesetzten Ausreisefrist nachkommt und sein Aufenthalt zwangsweise durch Abschiebung beendet werden muss, wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von zwei Jahren nach erfolgter Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die dem Kläger nach seiner Geburt erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG nach seiner Ausreise zu seiner Mutter am 10. Juli 2016 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen sei. Der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt auf Dauer ins Ausland verlegt, dies sei vom Kindsvater mit Erklärung vom 26. Februar 2017 und Erklärung der Kindsmutter vom 7. März 2017 bestätigt worden. Für den mit der Einreise am 1. September 2017 langfristig beabsichtigten und auf Dauer angelegten Aufenthalt des Klägers hätte dieser eines nationalen Visums bedurft. Der Kläger sei ohne Visum und somit unerlaubt eingereist. Gründe für ein Absehen von dem Visumerfordernis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG lägen zunächst schon deshalb nicht vor, weil ein Rechtsanspruch auf einen Aufenthaltstitel nicht vorliege. Gründe für eine besondere Härte, die das Durchführen eines Visumverfahrens mit sich bringen würden, seien weder vorgetragen noch erkennbar. Die Ausländerbehörde sei gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zum Absehen von dem Visumerfordernis nicht ermächtigt, weil das Ermessen tatbestandlich bereits nicht eröffnet sei. Doch selbst im gegenteiligen Fall müsste das pflichtgemäße Ermessen zu Gunsten des Schutzes der Einreisevorschriften ausgeübt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid, der gegen Empfangsbekenntnis am 25. Juni 2019 zugestellt wurde, Bezug genommen.
13
Der Kläger hat am 8. Juli 2019 Klage erhoben.
14
Zur Begründung trägt der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen vor, dass der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei bzw. sei. Der Kläger habe immer bei seinem Vater in … gelebt. Er gehe auch in den Kindergarten. Er sei lediglich zu Besuch in Polen gewesen. Bezüglich des Schreibens der Kindsmutter liege ein Missverständnis vor. Sie habe erklären wollen, dass das Kind zu Besuch bei ihr in Polen sei. Die Kindsmutter sei mittlerweile mit Visum zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann nach … gezogen, am 14. November 2019 sei ihr von der Beklagten eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Am 23. Dezember 2019 habe der Kläger einen kleinen Bruder bekommen, der deutscher Staatsangehöriger sei. Vater, Mutter und Kinder lebten ganz normal als Familie in …
I. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger und Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.
III. Die Beklagte wird verpflichtet, die Androhung der zwangsweisen Abschiebung des vierjährigen Klägers und Antragstellers zurückzunehmen.
16
Die Beklagte beantragt,
17
Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, dass aufgrund des zwischenzeitlich geänderten Sachverhalts - des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis der Mutter seit 14. November 2019 - nach Aktenlage alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Vorabzustimmung vorlägen. Es sei daraufhin mit dem Klägervertreter Kontakt aufgenommen worden, ob im Falle der Erteilung einer Vorabzustimmung die Bereitschaft zur Klage- und Antragsrücknahme bestehe. Dies sei allerdings mit Schreiben des Klägervertreters vom 9. März 2020 abgelehnt worden.
18
Mit Schriftsatz vom 23. März 2020 führt der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen weiter aus, dass aufgrund der aktuellen Corona-Krise eine Ausreise des fünfjährigen Klägers nicht möglich sei. Dies bereits deswegen, weil in Polen eine Einreisesperre bestehe, wie den Medien zu entnehmen gewesen sei. Zudem könnte das fünfjährige Kind wohl auch nicht mehr zurück nach Deutschland. Bereits deswegen sei eine Nachholung eines Visumverfahrens nicht zumutbar. Unzumutbarkeit liege auch deswegen vor, weil einem fünfjährigen Kind nicht vorgeschrieben werden könne, dass es ausreise und das Visumverfahren durchlaufe. Der Vater arbeite. Die Mutter führe den Haushalt und müsse sich um das neugeborene Kind kümmern.
19
Mit Schriftsatz vom 22. April 2020 führt die Beklagte ergänzend aus, dass sie nach wie vor von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt ausgehe. Die vom Klägervertreter angeführten weiteren Gründe rechtfertigten nach Ansicht der Beklagten nicht, von der Nachholung des Visumverfahrens im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen, zumal bereits die Erteilung einer Vorabzustimmung bei einer Klage- und Antragsrücknahme in Aussicht gestellt worden sei.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
21
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
22
Soweit die Klage darauf gerichtet ist, die Beklagte zu verpflichten, die Abschiebungsandrohung zurückzunehmen (Klageantrag Ziffer III.), ist sie bereits unstatthaft und damit unzulässig. Statthafte Klageart ist insoweit die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, da es sich bei einer Abschiebungsandrohung um einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt handelt (Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 59 AufenthG Rn. 34).
23
Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da er keinen Anspruch auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffende Begründung des Bescheids Bezug genommen, der das Gericht folgt. Lediglich ergänzend wird wie folgt ausgeführt:
24
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung der am 10. Dezember 2015 erteilten und bis 21. November 2017 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG, da diese Aufenthaltserlaubnis bereits kraft Gesetzes erloschen war, bevor die Verlängerung beantragt wurde. Die Verlängerung einer bereits erloschenen Aufenthaltserlaubnis ist bereits begrifflich ausgeschlossen (Maor in BeckOK AuslR, Stand 1.4.2021, § 8 AufenthG Rn. 2). Zwar werden Ausländerbehörden im Rahmen des § 33 AufenthG von Amts wegen tätig, die Verlängerung erfolgt jedoch nach Maßgabe des § 34 AufenthG, da § 33 AufenthG nur die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für im Bundesgebiet geborene minderjährige ledige Kinder regelt (Marx in GK-AufenthG, Stand Oktober 2017, § 34 Rn. 1). Die Verlängerung erfolgt nur auf Antrag. Ein unterbliebener oder verspäteter Antrag ist anspruchsvernichtend (Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 34 AufenthG Rn. 9).
25
Die Beklagte, die hierfür auch die Beweislast trägt (Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Stand Januar 2020, § 51 AufenthG Rn. 26), hat zutreffend festgestellt, dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, jedenfalls gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist. Der Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG stellt eine Ergänzung zu § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG dar. Hält sich ein Ausländer länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes auf, so bleibt der Grund der Ausreise ohne Belang (Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Stand Januar 2020, § 51 AufenthG Rn. 32). Der Vater des Klägers teilte auf Nachfrage mit Schreiben vom 26. Februar 2017 mit, dass seine Frau wegen des Visums zusammen mit dem Kläger im Juli 2016 nach Polen zurückgefahren sei, da er arbeiten müsse. Manchmal sei der Kläger wegen der U-Untersuchungen nach Deutschland zurückgekommen. Die Mutter des Klägers teilte mit Schreiben vom 7. März 2017 mit, dass sie seit dem 10. Juli 2016 mit ihrem Sohn wieder in Polen lebe, um ein Visum zu beantragen. Der Kläger hat somit am 10. Juli 2016 Deutschland verlassen, was auch im gerichtlichen Verfahren nicht bestritten wurde. Der schriftsätzliche Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass hinsichtlich des Schreibens der Mutter ein Missverständnis vorliege und dass diese lediglich gemeint habe, dass der Kläger für ca. drei bis vier Wochen mit ihr in Polen gelebt habe, ist nach der Überzeugung des Gerichts nicht geeignet, die Feststellungen der Beklagten hinsichtlich des Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis zu erschüttern. Zwar legte der Klägerbevollmächtigte diverse Fotos vor, die den Kläger im Zeitraum von Ende August 2016 bis August 2017 bei verschiedenen Gelegenheiten (Geburtstag, Urlaube) zusammen mit seinem Vater zeigen. Auch wurden eine kinderärztliche Untersuchung am 29. September 2016 und eine augenärztliche Untersuchung am 18. Januar 2017, jeweils in …, nachgewiesen. Das Gericht hat keine Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Unterlagen. Diese decken sich auch mit der Aussage des Vaters im Schreiben vom 26. Februar 2017, dass der Kläger manchmal wegen der U-Untersuchungen nach Deutschland zurückgekommen sei. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass es sich hierbei nur um kurzfristige Besuche gehandelt hat. Der Kläger, der zu dieser Zeit zwei Jahre alt gewesen ist, benötigte dementsprechend eine ganztägige Betreuung. Der Vater des Klägers, der die benötigte Betreuung des Klägers aufgrund seiner Berufstätigkeit nicht leisten konnte, legte für den fraglichen Zeitraum keine Nachweise über eine Fremdbetreuung vor. Zwar wurde nachgewiesen, dass der Kläger seit dem 1. Oktober 2017 einen Kindergarten in … besucht. Dementsprechend meldete der Vater den Kläger auch wieder ab 1. September 2017 in … unter seiner Adresse an. Zu diesem Zeitpunkt war die Sechs-Monatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG jedoch längst abgelaufen, da der Kläger bereits am 10. Juli 2016 nach Polen ausgereist ist. Die nachgewiesenen Besuche des Klägers in Deutschland führen zu keinem anderen Ergebnis. Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist es, Rechtsklarheit über den Aufenthaltsstatus des Ausländers zu schaffen. Dementsprechend kann das kurzfristige Betreten des Bundesgebietes etwa zu Besuchszwecken den Lauf der Sechs-Monatsfrist nicht unterbrechen (Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 1.4.2021, § 51 AufenthG Rn. 42). Die Aufenthaltserlaubnis des Klägers erlosch daher spätestens mit Ablauf des 10. Januar 2017.
26
Doch selbst wenn man zugunsten des Klägers annehmen würde, dass er sich nur wenige Wochen in Polen aufgehalten hätte und es dementsprechend nicht zu einem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 oder 7 AufenthG gekommen wäre, wäre die Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Grund kraft Gesetzes erloschen. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erlischt eine Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf ihrer Geltungsdauer. Die dem Kläger am 10. Dezember 2015 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG war bis 21. November 2017 befristet. Eine Verlängerung wurde nach Aktenlage bis zum Ablaufzeitpunkt nicht beantragt. Der Vater des Klägers beantragte erstmals mit Schreiben vom 2. Januar 2018, eingegangen bei der Beklagten am 3. Januar 2018 (Bl. 56 der Behördenakte), die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers. Ein zeitlich früherer Verlängerungsantrag ist nicht aktenkundig. Die Frage, ob der Vater des Klägers wegen des gemeinsamen Sorgerechts überhaupt allein die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragen konnte oder ob eine nachträgliche Genehmigung durch die Kindsmutter erfolgte (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Januar 2019, § 81 Rn. 12f.), kann somit dahinstehen.
27
Der in Deutschland geborene Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine erneute Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG, da § 33 AufenthG nur die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an eine Geburt eines Kindes im Bundesgebiet regelt. Nicht erfasst sind Fälle, in denen ein einmal erlangtes Aufenthaltsrecht wegen einer längeren Ausreise erloschen ist (Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 33 AufenthG Rn. 3).
28
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 1 AufenthG, da keine der in § 37 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AufenthG normierten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt ist. Eine besondere Härte i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die im Übrigen auch nur ein Abweichen von den in § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen ermöglichen würde, ist nicht gegeben. Eine besondere Härte in diesem Sinne ist nur dann anzunehmen, wenn der konkrete Einzelfall vom gesetzlichen Regelungsziel her den ausdrücklich erfassten Fällen annähernd gleicht (Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 37 AufenthG Rn. 14). Dies ist bei einem Kind, das das Bundesgebiet noch vor Vollendung des zweiten Lebensjahres verlassen hat, ersichtlich nicht der Fall.
29
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG. Zwar besitzen mittlerweile beide Eltern des Klägers einen Aufenthaltstitel i.S.d. § 32 Abs. 1 AufenthG, sodass auch nach zutreffender Ansicht der Beklagten die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 32 AufenthG erfüllt sind.
30
Ein Kindernachzug ist jedoch nur zulässig, wenn neben den speziellen auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind (Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 32 AufenthG Rn. 36). Vorliegend ist die zwingende Erteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Visumpflicht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) nicht erfüllt, da der Kläger nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist.
31
Eine Ausnahme vom Visumerfordernis nach §§ 39 ff. AufenthV ist vorliegend nicht gegeben, da keiner der in § 39 Satz 1 AufenthV genannten Ausnahmetatbestände auf den Kläger zutrifft. Insbesondere ist der Kläger nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis (§ 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Auch ist der Kläger als Vietnamese kein Staatsangehöriger der in § 41 AufenthV genannten begünstigten Staaten.
32
Zwar kann neben §§ 39 ff. AufenthV gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vom Visumerfordernis auch dann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Ermessensentscheidung der Beklagten, die gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur auf Ermessensfehler überprüft werden kann. Die bereits im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführten Ermessenserwägungen der Beklagten sind nicht zu beanstanden, insbesondere ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte ihr Ermessen zugunsten des Schutzes der Einreisevorschriften und der Steuerung der Zuwanderung ausgeübt hat.
33
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG kann zudem vom Visumverfahren abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Eine solche Unzumutbarkeit ist im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht gegeben, sodass die zweite Ausnahmemöglichkeit schon auf tatbestandlicher Ebene nicht eröffnet ist. Die Unzumutbarkeit muss aus besonderen Umständen folgen. Die mit der Durchführung eines Visumverfahrens als solches verbundenen Unannehmlichkeiten sind hierzu nicht geeignet; auch begründen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK keine generelle Befreiung von der Visumpflicht. Vielmehr ist die durch die Nachholung des Visumverfahren herbeigeführte zeitweise Trennung von Eheleuten oder Kindern mit dem Schutz der familiären Lebensgemeinschaft grundsätzlich vereinbar (Beiderbeck in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 5 AufenthG Rn. 17 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist im vorliegenden Fall keine Unzumutbarkeit gegeben. Sowohl der Kläger als auch seine Eltern sind vietnamesische Staatsangehörige, die somit problemlos zusammen nach Vietnam reisen können. Zudem stellte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eine Vorabzustimmung in Aussicht und unterbreitete das Angebot, die Klägerseite konstruktiv zu unterstützen, damit vorab ein Termin bei der deutschen Botschaft vereinbart werden könne. Nach den Erfahrungswerten sei hinsichtlich Vietnam eine zeitnahe gängige Praxis bekannt. Die Sorge des Vaters des Klägers, dass er nur drei Wochen Urlaub habe und befürchte, dass daher die Zeit vor Ort nicht ausreichen würde, ist vor diesem Hintergrund unbegründet und insbesondere nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit zu begründen. Zudem ist anzumerken, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärte, den aktuell sechs Jahre alten Kläger zu dulden, solange er minderjährig ist. Somit besteht für den Kläger bzw. seine Eltern mehr als ausreichend Zeit, um den notwendigen Aufenthalt in ihrem Heimatland zeitlich nach ihren Vorstellungen zu planen.
34
Sonstige Gründe, die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG nicht vor.
35
Die ausländerrechtlichen Annexentscheidungen begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist die Abschiebungsandrohung entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht „grob rechtswidrig“, weil sie sich gegen ein minderjähriges Kind richtet. Sofern ein Ausländer aufgrund Minderjährigkeit nicht handlungsfähig i.S.d. § 80 Abs. 1 AufenthG ist, müssen Verwaltungsakte - wie im vorliegenden Fall auch geschehen - an den gesetzlichen Vertreter zugestellt werden. Die Frage des Vollzugs der Abschiebungsandrohung ist hingegen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Es ist dennoch anzumerken, dass die Befürchtung des Klägerbevollmächtigten, dass der minderjährige Kläger allein nach Vietnam abgeschoben wird, unbegründet ist. Die Beklagte erklärte dies auch nochmals in der mündlichen Verhandlung und versicherte, den Kläger zu dulden, solange er noch minderjährig ist. Vor diesem Hintergrund ist auch das für die Dauer von zwei Jahren befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach erfolgter Abschiebung nicht zu beanstanden. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
36
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
37
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
38
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.