Inhalt

AG Coburg, Urteil v. 10.06.2021 – 5 OWi 109 Js 280/21
Titel:

Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf öffentlichen Plätzen in Bayern

Normenketten:
8. BayIfSMV § 2 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 24 Abs. 1, § 27 Nr. 18
IfSG § 28, § 32 (idF bis zum 27.3.2020)
GG Art. 80 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2
Leitsätze:
1. § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27.03.2020 stellte im Oktober 2020 keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Verordnungsgeber zur Anordnung einer bußgeldbewehrten Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf öffentlichen Plätzen dar. Die bußgeldbewehrte Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf öffentlichen Plätzen gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 27 Nr. 18 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616) war wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig und damit nichtig. (Rn. 19 – 27)
2. Zur Auslegung des Begriffes des "gemeinsamen Aufenthalts im öffentlichen Raum" im Sinne des § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616). (Rn. 11 – 13)
Schlagworte:
Maskenpflicht, Kontaktbeschränkung, Mund-Nasen-Bedeckung, Corona, Bestimmtheitsgebot, gemeinsamer Aufenthalt, Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen, Wesentlichkeitslehre
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 05.10.2021 – 202 ObOWi 1158/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22886

Tenor

1. Die Betroffene wird freigesprochen
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Angewandte Vorschriften:
§ 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 464, 467 Abs. 1 StPO

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Betroffene ist schweizerische Staatsangehörige und 64 Jahre alt. Sie ist ledig und derzeit arbeitslos. Bis zum Jahr 2018 war sie als Sängerin am Landestheater Coburg beschäftigt, sie bezieht aktuell ca. 1.100,- Euro Arbeitslosengeld.
II.
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1) Der Betroffenen liegt zur Last, sich am 03.11.2020 zwischen 19:00 Uhr und 19:15 Uhr trotz einer Kontaktbeschränkung im öffentlichen Raum im Bereich der Fußgängerzone Markt/Spitalgasse/Steinweg in Coburg mit Personen aus vier Hausständen aufgehalten zu haben und dadurch gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 und 27 Nr. 1 der 8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) vom 30.10.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616 BayRS 2126-1-12-G) i. V. m. § 73 Abs. 1a Nr. 24 und Abs. 2 IfSG verstoßen zu haben. Ab dem 02.11.2020 war der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum nur mit Angehörigen des eigenen Hausstandes sowie zusätzlich eines weiteren Hausstandes mit einer Gesamtzahl von zehn Personen erlaubt.
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Der Betroffenen liegt weiter zur Last, am 03.11.2020 zwischen 19:00 Uhr und 19:15 Uhr zugleich gegen die geltende Maskenpflicht verstoßen zu haben (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 27 Nr. 18 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616 BayRS 2126-1-12-G) i. V. m. § 73 Abs. 1a Nr. 24 und Abs. 2 IfSG), indem sie im Bereich der Fußgängerzone Markt/Spitalgasse keinen Mund- und Nasenschutz getragen hat. Ab 23.10.2020 war aufgrund Allgemeinverfügung der Stadt Coburg anlässlich der Corona-Pandemie an stark frequentierten öffentlichen Plätzen eine Maske zu tragen.
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2) Die entsprechenden Normen der am 03.11.2020 geltenden 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 lauten wie folgt:
„§ 3 Kontaktbeschränkung
(1) Der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken ist nur gestattet
1. mit den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie
2. zusätzlich den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt höchstens zehn Personen nicht überschritten wird.“
§ 24 Weitergehende Maskenpflicht und Alkoholverbot
(1) Es besteht Maskenpflicht
1. auf von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde festzulegenden stark frequentierten öffentlichen Plätzen, auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen einschließlich der Fahrstühle von öffentlichen Gebäuden sowie von sonstigen öffentlich zugänglichen Gebäuden, für die in dieser Verordnung keine besonderen Regelungen vorgesehen sind,
2.
auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen der Arbeitsstätte, insbesondere in Fahrstühlen, Fluren, Kantinen und Eingängen; Gleiches gilt für den Arbeitsplatz, soweit der Mindestabstand von 1,5 m nicht zuverlässig eingehalten werden kann.
3)
Die Stadt Coburg erließ am 25.11.2020 gegen die Betroffene unter dem Az. 32-130/4 - GK0013884/ wegen der Verstöße vom 03.11.2020 einen Bußgeldbescheid und setzte gemäß dem Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ vom 02.11.2020 eine Geldbuße für Tat 1 von 150,00 € und eine Geldbuße für Tat 2 von 150,00 €, insgesamt somit eine Geldbuße von 300,00 € fest, es wurde vorsätzliche Begehungsweise angenommen.
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Gegen den der Betroffenen am 27.11.2020 zugestellten Bußgeldbescheid hat die Betroffene mit am 11.12.2020 eingegangenem Schreiben vom 07.12.2020 fristgerecht Einspruch eingelegt.
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Die Betroffene macht unter anderem geltend, sie habe sich mit den weiteren Personen nicht auf dem Marktplatz verabredet. Sie sei von der Maskenpflicht befreit, da ihr das Tragen einer „Mund-Nasen-Bedeckung“ aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sei. Zur Glaubhaftmachung hat sie ein ärztliches Attest vom 21.09.2020 des Arztes Dr. sowie ein Schreiben des Hals-Nasen-Ohren-Arztes und Allergologen Dr. vom 20.05.2021 vorgelegt.
III.
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Von diesen Vorwürfen war die Betroffene sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
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1) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme sieht es das Gericht als erwiesen an, dass sich die Betroffene am 03.11.2020 gegen 19:00 Uhr zunächst alleine auf den Marktplatz in Coburg begab und hierbei keinen Mund-Nasen-Schutz getragen hat. Ab dem 23.10.2020 war gemäß einer Allgemeinverfügung der Stadt Coburg insbesondere im Bereich des Marktplatzes das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet, dies war auch durch eine Beschilderung ersichtlich und der Betroffenen bewusst. Am 03.11.2020 gegen 19:00 Uhr hielten sich auf dem Marktplatz nur wenige Personen auf. Eine Person, welche den vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz trug, sprach andere Passanten lautstark darauf an, dass sie keine Maske tragen würden. Daraufhin begab sich die Betroffene zu den anderen Passanten, welche ebenfalls keinen Mund-Nasen-Schutz trugen, in der Absicht gegebenenfalls zu schlichten. Es bildete sich eine Gruppe von sieben Personen, welche sich miteinander unterhielten. Ein Mindestabstand von 1,5 Metern unter sämtlichen sieben Personen wurde dabei unterschritten, die Personen waren als Gruppe erkennbar. Es ist nicht festzustellen, zu welchen Personen die Betroffene einen Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten hat. Die Betroffene wechselte zumindest einige Sätze mit einer Frau, welche ihr flüchtig bekannt war, hierbei hat sie einen Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten. Die weiteren Personen waren ihr zuvor nicht bekannt. Die Betroffene hatte sich mit den Personen nicht zu einem Treffen am Marktplatz verabredet. Es handelte sich neben der Betroffenen um drei Einzelpersonen sowie um eine Familie bestehend aus Vater, Mutter und Tochter, somit bildete sich eine Gesprächsgruppe bestehend aus insgesamt sieben Personen aus fünf Hausständen. Die Gruppe wurde sodann von zwei Ordnungskräften des Ordnungsamts der Stadt Coburg auf die bestehende Maskenpflicht hingewiesen und vergeblich zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aufgefordert. Da die Betroffene und die weiteren Personen angaben, dass es ihnen aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sei, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wurden sie - abermals vergeblich - aufgefordert, ärztliche Atteste vorzulegen. Die weiteren sechs Personen und die Betroffene entfernten sich sodann in Richtung Spitalgasse. Die Zeitspanne, in welcher die Personen aus fünf Hausständen zusammenstanden und sich unterhielten, betrug etwa zwei bis drei Minuten. Gegenüber den Ordnungskräften verweigerten die Personen die Angabe ihrer Personalien. Deshalb riefen die Ordnungskräfte Polizeibeamte zur Unterstützung. Die Feststellung der Personalien erfolgte sodann durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion Coburg im Steinweg, außerhalb des Bereiches der Innenstadt, in welchem das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch Allgemeinverfügung der Stadt Coburg vorgegeben war.
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Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben der Betroffenen, soweit diesen gefolgt werden konnte, sowie auf den Angaben der uneidlich vernommenen Zeugen und .
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2) Verstoß gegen die Kontaktbeschränkung nach § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV Vom Vorwurf des Verstoßes gegen eine am Tattag bestehende Kontaktbeschränkung ist die Betroffene aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Die Betroffene hat bereits den Tatbestand des § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV nicht erfüllt, da sie sich nicht im Sinne dieser Vorschrift mit Angehörigen von mindestens zwei weiteren Hausständen im öffentlichen Raum „gemeinsam aufgehalten“ hat.
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§ 3 Abs. 1 der am Tattag geltenden 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 ist verfassungskonform auszulegen. Ein gemeinsames Aufhalten im öffentlichen Raum setzt einerseits voraus, dass die beteiligten Personen untereinander unter Verstoß gegen das allgemeine Abstandsgebot nach § 1 der 8. BayIfSMV einen Mindestabstand von 1,5 Metern nicht nur kurzfristig unterschreiten (vgl. zu den in den Bundesländern anlässlich der sog. Corona-Pandemie verhängten Kontaktbeschränkungen z. B. OLG Stuttgart, Beschluss v. 21.04.2021, Az: 4 Rb 24 Ss 7/21; AG Reutlingen, Urteil vom 03.07.2020, Az: 5 OWi 26 Js 13211/20). An dieser einschränkenden Auslegung des Begriffes des gemeinsamen Aufenthalts scheitert nach den getroffenen Feststellungen des Gerichts vorliegend nicht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist es insoweit ausreichend, wenn es zu einer Gruppenbildung bzw. Ansammlung von Personen kommt, bei welcher keiner der Beteiligten zu dem ihm nächsten Beteiligten einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhält. Es ist nach dem infektionsschutzrechtlichen Zweck der Schutzmaßnahmen nicht erforderlich, dass der Mindestabstand zu allen Beteiligten der Gruppe unterschritten wird, um von einem gemeinsamen Aufenthalt im öffentlichen Raum im Sinne des § 3 Abs. 1 der 8. IfSMV ausgehen zu können. Dieser Tatbestand ist daher z. B. auch dann verwirklicht, wenn Personen aus drei Hausständen gemeinsam an einem Tisch sitzen, um für einen nicht unerheblich kurzen Zeitraum gemeinsam eine Mahlzeit einzunehmen, selbst wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern jeweils nur zu Personen aus einem weiteren Hausstand unterschritten werden würde.
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Die Betroffene hat eingeräumt, dass sich eine Gruppe von mehreren Personen gebildet hat und dass sie sich mit einer Person unterhalten hat. Dass hierbei ein Mindestabstand von 1,5 Metern zu dieser Person nicht mehr eingehalten wurde, hat die Betroffene nicht abgestritten. Nach den Angaben der beiden Ordnungskräfte und waren die Personen eindeutig als Gruppe zu erkennen. Nach Einschätzung der Zeugin standen die Personen etwa zwei bis drei Minuten zusammen, bis sie den Marktplatz in Richtung Steingasse verließen. Ab dem Zeitpunkt, als sich die Betroffene wieder mit den weiteren Personen vom Marktplatz entfernte, ist schon deshalb nicht von einem gemeinsamen Aufenthalt im öffentlichen Raum im Sinne des § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV auszugehen, weil insoweit keine konkreten Feststellungen mehr getroffen werden konnten, in welchen Abständen die beteiligten Personen untereinander liefen. Ein Verstoß gegen das Abstandsgebot kann insoweit zu Lasten der Betroffenen nicht unterstellt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern unter den Beteiligten der Gruppe jeweils maximal zu dem Angehörigen eines weiteren Hausstandes unterschritten wurde, als diese sich vom Marktplatz entfernten. Dies stellte keinen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV dar.
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Ein gemeinsamer Aufenthalt im öffentlichen Raum im Sinne des § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV ist jedoch bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung zusätzlich auch in zeitlicher Hinsicht einzuschränken (vgl. z. B. AG Ludwigsburg, Urteil vom 29.01.2021, Az: 7 OWi 170 Js 112950/20). Ein lediglich kurzfristiges Zusammentreffen, z. B. an einer Verkehrsampel wartend, zum Zwecke der Begrüßung, um jemandem eine kurze Mitteilung zu machen oder zum Abschluss eines Vertrages über Gegenstände des täglichen Bedarfs erfüllt selbstverständlich noch nicht den Tatbestand des gemeinsamen Aufenthalts im öffentlichen Raum. Nach Auffassung des Gerichts ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen und beispielsweise danach zu unterscheiden, ob sich eine Personengruppe zu dem Zweck, gemeinsam eine Mahlzeit zu bestellen und in der Folge gemeinsam zu verzehren, an einen Tisch setzt oder ob sich Personen auf einem Platz treffen und sich unterhalten. Vorliegend konnten keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen werden, dass sich die Betroffene über einen unerheblich kurzen Zeitraum hinaus mit den von den Polizeibeamten namentlich festgestellten sechs weiteren Personen im öffentlichen Raum unter Missachtung des Abstandsgebotes aufgehalten hat. Die Zeugin hat die Zeit, in welcher die Personengruppe nach ihren Beobachtungen auf dem Marktplatz zusammenstand, auf etwa zwei bis drei Minuten geschätzt. Das Gericht geht bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung davon aus, dass bei einer Zusammenkunft von Personen auf einem öffentlichen Platz, welche sich stehend miteinander unterhalten, frühestens ab einer zusammenhängenden Zeitspanne von 10 bis 15 Minuten von einem gemeinsamen Aufenthalt im öffentlichen Raum ausgegangen werden kann (vgl. hierzu auch AG Ludwigsburg, Urteil vom 29.01.2021, Az: 7 OWi 170 Js 112950/20). Ein gemeinsamer Aufenthalt am 03.11.2020 mit Angehörigen von mindestens zwei weiteren Hausständen ist der Betroffenen daher nicht nachzuweisen. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Zeit, in welcher die Beteiligten bei einer Kontrolle durch Ordnungskräfte oder durch Polizeibeamte zur Feststellung ihrer Personalien festgehalten werden, nicht mit einzurechnen ist, selbst wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern hierbei zu Angehörigen von mehr als einem weiteren Hausstand unterschritten wird.
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Da bereits der Tatbestand des § 3 Abs. 1 der 8. BayIfSMV nicht erfüllt ist, war die Betroffene insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Die Frage, ob die Kontaktbeschränkung nach § 3 der 8. BayIfSMV selbst verfassungsgemäß war, insbesondere auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhte, konnte daher dahinstehen (vgl. zu vergleichbaren Vorschriften in anderen Bundesländern einerseits OLG Stuttgart, 1. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 14.05.2021, Az: 1 Rb 24 Ss 95/21; andererseits OLG Stuttgart, 4. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 21.04.2021, Az: 4 Rb 24 Ss 7/21; OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 30. März 2021, 2 Rb 34 Ss 1/21 und 2 Rb 34 Ss 2/21).
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3) Verstoß gegen die Maskenpflicht, § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV Vom Vorwurf des Verstoßes gegen eine am Tattag an der Tatörtlichkeit bestehende Maskenpflicht ist die Betroffene aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
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a) Die Betroffene hat in der Hauptverhandlung ein ärztliches Attest des österreichischen Arztes Dr. vom 21.09.2020 vorgelegt, in welchem ihr bestätigt wird, dass das Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung aus gesundheitlichen Gründen kontraindiziert, wissenschaftlich belegbar gesundheitsschädlich und im Sinne der Psychohygiene traumatisierend und damit unzumutbar ist. In einem ebenfalls von der Betroffenen vorgelegten Schreiben des Hals-Nasen-Ohren-Arztes und Allergologen Dr. vom 20.05.2021 wird bestätigt, dass bei der Betroffenen eine dauerhafte anatomische Stenose, die die Nasenatmung chronisch einschränkt, besteht. Ein über Stunden dauerhaftes Tragen des Mund-Nasen-Schutzes sollte hiernach vermieden werden.
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Gemäß § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 waren Personen von der Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen befreit, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist. Eine Verpflichtung zur Vorlage eines ärztlichen Attests als Mittel der Glaubhaftmachung war in der damals gültigen Fassung des Befreiungstatbestands des § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV nicht vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft macht geltend, das ärztliche Attest des Arztes Dr. sei als Mittel der Glaubhaftmachung ungeeignet, weil bekannt sei, dass dieser Arzt auch Gefälligkeitsatteste ohne persönliche Untersuchung der Patienten ausgestellt habe.
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Das Attest des Arztes Dr. ist in der Formulierung so gehalten, dass es den Schluss nahelegt, der Aussteller gehe von einer allgemein aus gesundheitlichen Gründen bestehenden Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung aus, unabhängig von dem Bestehen einer Vorerkrankung des jeweiligen Patienten. Die von der Betroffenen vorgelegten Unterlagen legen es insgesamt nahe, dass bei der Betroffenen zumindest ein über Stunden andauerndes Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischer Sicht kontraindiziert und damit unzumutbar ist. Dies ergibt sich aufgrund einer bei der Betroffenen vorliegenden dauerhaften anatomischen Stenose. Es stellt sich die Frage, ob bereits eine Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne des § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV anzunehmen ist, wenn dem Betroffenen das dauerhafte Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes über einen längeren Zeitraum von einigen Stunden aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist, dies aber für einen kurzen Zeitraum von mehreren Minuten aus gesundheitlichen Gründen noch nicht als unzumutbar anzusehen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es nicht ausreichen dürfte, allein auf die Maskenpflicht an einer bestimmten Örtlichkeit abzustellen, da in Zeiten der Corona-Pandemie üblicherweise mehrere Verpflichtungstatbestände an einem Tag in kurzer Folge zusammentreffen können, da in weiten Bereichen des Öffentlichen Lebens eine entsprechende Trageverpflichtung besteht, wie z. B. beim Einkaufen, gegebenenfalls am Arbeitsplatz und zusätzlich auch außerhalb geschlossener Räume im Freien. Diese Frage kann vorliegend jedoch offen bleiben, da § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 verfassungswidrig und damit nichtig ist, so dass am 03.11.2020 für die Betroffene keine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an der Tatörtlichkeit bestanden hat.
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b) Die Betroffene ist aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf des Verstoßes gegen § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 freizusprechen, da die in Verbindung mit § 27 Nr. 18 der 8. BayIfSMV und § 73 Abs. 1a Nr. 24 und Abs. 2 IfSG angeordnete Bußgeldbewehrung wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2, 80 Abs. 1 S. 2 GG verfassungswidrig und damit nichtig ist. Auch die auf der Grundlage des § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV erlassene Allgemeinverfügung der Stadt Coburg, welche für den Marktplatz der Stadt Coburg am Tattag eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung vorsah, ist somit unwirksam. Für die Betroffene bestand daher am 03.11.2020 keine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung am Marktplatz.
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Das Gericht hatte selbst über die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm zu entscheiden, weil die Vorlagepflicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 1, 184, 195ff.) nur für förmliche Gesetze des Bundes und der Länder, nicht aber für nur materielle Gesetze wie Rechtsverordnungen gilt. Über deren Vereinbarkeit mit der Verfassung hat jedes Gericht selbst zu entscheiden.
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Die aus § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 resultierende Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum, d. h. auch außerhalb geschlossener Räume, ist aus formellen Gründen verfassungswidrig, da die in die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und der körperlichen Unversehrheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) eingreifende Regelung von der damaligen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage der §§ 28, 32 IfSG (in der Fassung vom 27.03.2020) nicht gedeckt war.
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Eine Tat kann gemäß Art. 103 Abs. 2 GG nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Das Bestimmtheitsgebot gilt auch für die Bußgeldvorschriften im Ordnungswidrigkeitenrecht (BeckOK-GG/Radtke, Art. 103 GG Rn. 19, m.w.N.). Gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG kann die Exekutive durch ein Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die sich daraus ergebenden Anforderungen an ein ermächtigendes Gesetz in ständiger Rechtsprechung vorgegeben und hat zur Frage des Grades der Bestimmtheit der Ermächtigung die sog. Wesentlichkeitslehre entwickelt. Nach der Wesentlichkeitslehre muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung - soweit diese staatlicher Regelung überhaupt zugänglich ist - alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und darf diese nicht an die Exekutive delegieren (vgl. BVerfGE 78, 374, Beschluss vom 22.06.1988 - 2 BvR 234/87, 2 BvR 1154/86 -, juris, NJW 1989, 1663). Je wesentlicher Rechtsverordnungen oder andere Rechtsakte der Exekutive in Grundrechte eingreifen, umso genauer und intensiver müssen die Regelungen des ermächtigenden Gesetzes sein. Das Bundesverfassungsgericht sieht dabei die Anforderungen von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und der Wesentlichkeitslehre als deckungsgleich an. Ist im Hinblick auf bestimmte Normen einer Rechtsverordnung den Anforderungen der Wesentlichkeitslehre durch das ermächtigende Gesetz nicht Genüge getan, führt dies zur Verfassungswidrigkeit der Normen der Verordnung (BVerfGE 150, 1, 209; BVerfGE 136, 69, 92).
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Rechtsgrundlage für die in § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 normierte Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum war § 32 IfSG i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 27.03.2020. § 28a IfSG, welcher in Abs. 1 Nr. 2 nunmehr ausdrücklich auch die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung als besondere Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vorsieht, ist erst am 19.11.2020 in Kraft getreten. Auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG konnte die Maskenpflicht im öffentlichen Raum jedoch bereits nach dem Wortlaut der Ermächtigungsnorm nicht gestützt werden.
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§ 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27.03.2020 lautete:
„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.“
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§ 32 Abs. 1 S. 1 IfSG in der Fassung vom 27.03.2020 lautete:
„Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.“
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Den §§ 28 bis 31 IfSG ist nicht zu entnehmen, dass Maßnahmen gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Nichtstörern, welche weder Ansteckungsverdächtige sind noch mit Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern in Kontakt gekommen sind, in der Form einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum unter freiem Himmel ergriffen werden können. Auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG konnte aufgrund der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts nicht zurückgegriffen werden. Dies ergibt sich auch daraus, dass erst in den ab dem 19.11.2020 in Kraft getretenen Fassungen der §§ 28 Abs. 1 S. 4 und 32 Abs. 1 S. 3 IfSG gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG angegeben wurde, dass durch die Regelungen auch das Grundrecht der körperlichen Unversehrheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) eingeschränkt werden kann. Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung schränkt zweifellos auch das Grundrecht der körperlichen Unversehrheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein. Gerade wegen der möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat der Verordnungsgeber in § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV vom 30.10.2020 einen Befreiungstatbestand vorgesehen. Es ist im Übrigen unbestritten, dass durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unter anderem der Atemwiderstand erhöht wird und es in kürzester Zeit aufgrund des sog. Totraumvolumens unter der Mund-Nasen-Bedeckung zu einer deutlichen Erhöhung des CO²-Gehalts der durch eine Maske eingeatmeten Luft und bei längerem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu einer für den körperlichen Organismus nachteiligen Veränderung der Zusammensetzung der Blutgase (Sauerstoff- und CO²-Sättigung des Blutes) kommt (zu den Auswirkungen des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung vgl. die aktuelle Metastudie von Kai Kisielinski, et al, „Is a Mask That Covers the Mouth and Nose Free from Undesirable Side Effects in Everyday Use and Free of Potential Hazards?“, veröffentlicht am 20.04.2021 im International Journal of Environmental Research and Public Health 2021, 18(8), 4344; https://doi.org/10.3390/ijerph18084344). Eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage war für die durch § 24 Abs. 1 der 8. BayIfSMV in der Fassung vom 30.10.2020 angeordnete Maskenpflicht im öffentlichen Raum somit nicht gegeben.
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Eine Rechtfertigung für die Normierung einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum zum Tatzeitpunkt 03.11.2020 kann nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Notstands hergeleitet werden. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurden Grundrechtseinschränkungen häufig in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für einen Übergangszeitraum wegen des Bestehens einer Gefährdungslage mit erheblichen prognostischen Unsicherheiten auch aufgrund der Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG (in der Fassung vom 27.03.2020) unter dem Gesichtspunkt des Notstands für gerechtfertigt erachtet. Während diese Argumentation noch für die Monate März und April 2020 vertretbar erscheinen mag, kann das anfängliche Untätigbleiben des parlamentarischen Gesetzgebers im Frühjahr und Sommer des Jahres 2020, welches zum Inkrafttreten des § 28a IfSG (in der Fassung vom 18.11.2020) erst zum 19.11.2020 führte, nicht unberücksichtigt bleiben. Nach Verstreichen eines Zeitraums von mehr als sechs Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie kann eine bußgeldbewehrte Maskenpflicht zum Tatzeitpunkt 03.11.2020 zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr mit Notstandsrecht begründet werden (vgl. hierzu auch die Divergenzvorlage des Thüringer Verfassungsgerichtshofs gemäß Art. 100 Abs. 3 GG an das Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.05.2021, Az: 110/20).
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Daher war die Betroffene insgesamt freizusprechen.
IV.
29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 464, 467 Abs. 1 StPO.